Entscheidungsstichwort (Thema)
Altersgrenze von 60 Jahren für Frauen im Beitrittsgebiet
Normenkette
BAT-O § 60 Abs. 1 Übergangsvorschrift; BAT-TgRV-O § 60 Abs. 1; BGB § 145
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 14. Januar 1997 – 4 Sa 719/95 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Fortsetzung ihres Arbeitsverhältnisses nach Vollendung des 60. Lebensjahres der Klägerin.
Die im Januar 1935 geborene Klägerin ist seit dem 1. Mai 1992 bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften – (BAT-O) vom 10. Dezember 1990 und die diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge Anwendung.
Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 7. April 1994 mit, daß sie mit Vollendung des 60. Lebensjahres die Möglichkeit habe, eine Altersrente in Anspruch zu nehmen und sie das Arbeitsverhältnis beenden möchte. Die dem Schreiben beigefügte „Vereinbarung”, wonach das Arbeitsverhältnis zum 31. Januar 1995 enden sollte, unterzeichnete die Klägerin nicht und verlangte statt dessen ihre Weiterbeschäftigung über diesen Zeitpunkt hinaus. Das wurde ihr von der Beklagten unter Hinweis auf die Übergangsvorschrifft zu § 60 BAT-O i.V.m. Art. 2 § 4 Abs. 1 Satz 2 Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) verwehrt.
Die Klägerin bezieht seit Februar 1995 eine RÜG-Altersrente. Sie hat die Auffassung vertreten, ihr Arbeitsverhältnis habe nicht automatisch mit Ablauf des Monats geendet, in dem sie das 60. Lebensjahr vollendet habe. Die Übergangsvorschrift zu § 60 BAT-O sei nicht mehr anwendbar.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß zwischen den Parteien über den 31. Januar 1995 hinaus ein Arbeitsverhältnis besteht.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat gemeint, der Arbeitsvertrag der Klägerin sei zweckbefristet bis zum Bezug von Altersrente. Zumindest sei das Arbeitsverhältnis zum 31. Januar 1995 durch die Übergangsvorschrift zu § 60 Abs. 1 BAT-O beendet worden. Darüber hinaus habe sie das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin durch die Schreiben aus dem Jahre 1994 zum 31. Januar 1995 gekündigt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter, während die Klägerin die Zurückweisung der Revision beantragt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien über den 31. Januar 1995 hinaus fortbesteht. Die Parteien haben weder eine Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Januar 1995 getroffen noch konnte die Übergangsvorschrift zu § 60 BAT-O zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen.
Das Arbeitsverhältnis hat auch nicht durch wirksame Kündigung der Beklagten geendet.
1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat nicht aufgrund einer wirksamen Zeit- oder Zweckbefristungsvereinbarung zum 31. Januar 1995 geendet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, daß die Parteien den Arbeitsvertrag vom 1. Mai 1992 auf unbestimmte Zeit geschlossen haben.
Ob es sich bei dem Arbeitsvertrag um einen Formularvertrag handelt, dessen typische Bestimmungen der Senat selbst auslegen kann (BAG Urteil vom 21. Oktober 1992 – 4 AZR 156/92 – AP Nr. 27 zu § 23 a BAT) oder einzelnen Vertragsbestimmungen aufgrund ihrer individuellen Gestaltung als sog. nicht typische Vertragsklauseln einer eingeschränkten Nachprüfbarkeit unterliegen (vgl. BAG Urteil vom 26. Juni 1996 – 7 AZR 674/95 – AP Nr. 23 zu § 620 BGB Bedingung), kann offenbleiben, weil sich der Senat die nicht zu beanstandende Auslegung des Landesarbeitsgerichts zu eigen macht. Danach fehlt es an einer ausdrücklichen kalendermäßigen Bestimmung eines Beendigungszeitpunkts und auch an einer solchen, nach der das Arbeitsverhältnis zweckbefristet zu dem Zeitpunkt endet, in dem die Klägerin erstmals einen Anspruch auf Gewährung einer Altersrente hat oder eine Altersrente bezieht. Mit der Bezugnahme auf den BAT-O haben sich die Arbeitsvertragsparteien auf die Anwendung dieses Tarifvertrages auf ihr Arbeitsverhältnis verständigt und, soweit vorhanden, eine darin geregelte tarifliche Altersgrenze vereinbart. Ein weitergehender Erklärungswert kommt einer solchen Verweisungsklausel nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte nicht zu (vgl. BAG Urteil vom 11. Juni 1997 – 7 AZR 313/96 – AP Nr. 1 zu § 19 AVR Caritasverband).
2. Das Arbeitsverhältnis hat weder aufgrund des § 60 Abs. 1 BAT-O i.V.m. der Übergangsvorschrift oder aufgrund der wortgleichen Tarifvorschrift des § 60 Abs. 1 BAT-TgRV-O geendet. Es bedarf daher keiner abschließenden Entscheidung darüber, welche dieser Vorschriften kraft einzelvertraglicher Bezugnahme für das Arbeitsverhältnis der Parteien gilt.
Nach § 60 Abs. 1 BAT-O vom 1. Dezember 1990 bzw. § 60 Abs. 1 BAT- TgRV-O vom 10. Mai 1991 endet das Arbeitsverhältnis, ohne daß es einer Kündigung bedarf, mit Ablauf des Monats, in dem der Angestellte das 65. Lebensjahr vollendet. Darüber hinaus ist in den jeweiligen Übergangsvorschriften bestimmt, daß solange eine Regelaltersgrenze (Rentenalter) unter 65 Jahren gelte, diese maßgebend sei. Der Senat hat mit Urteilen vom 12. Oktober 1994 (– 7 AZR 703/93 – AP Nr. 2 zu § 60 BAT-O; – 7 AZR 967/93 – n.v.; – 7 AZR 350/94 – n.v.; – 7 AZR 452/94 – n.v.) entschieden, daß die Übergangsvorschrift zu § 60 BAT-O bereits mit dem Inkrafttreten des SGB VI im Beitrittsgebiet am 1. Januar 1992 gegenstandslos geworden ist und nicht mehr zu einer Beendigung der Arbeitsverhältnisse von Frauen wegen Vollendung des 60. Lebensjahres führen konnte. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, daß die Klägerin seit dem 1. Februar 1995 eine Rente wegen Alters nach dem RÜG bezieht. Der Tarifnorm des § 60 BAT-O bzw. des § 60 BAT-TgRV-O lassen sich keine Hinweise auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses infolge eines tatsächlichen Rentenbezugs entnehmen.
Ebenso unerheblich ist, daß die Klägerin als Rentensachbearbeiterin das RÜG kannte und andere Mitarbeiterinnen der Beklagten bereits mit Erreichen des 60. Lebensjahres ausgeschieden sein sollen. Die Klägerin verhält sich nicht deshalb rechtsmißbräuchlich, weil sie das ihr nach dem RÜG zustehende Wahlrecht ausübt.
3. Das Landesarbeitsgericht hat ebenfalls zutreffend erkannt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund einer Aufhebungsvereinbarung mit Ablauf des 31. Januar 1995 geendet hat. Die von der Beklagten unterzeichnete, mit Schreiben vom 7. April 1994 an die Klägerin übersandte Vereinbarung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Januar 1995 ist von der Klägerin nicht gegengezeichnet worden. Die Klägerin hat das Angebot zum Abschluß eines Aufhebungsvertrags auch nicht mit Schreiben vom 11. Mai 1994 angenommen (§ 145 BGB), sondern ausdrücklich ihren Willen auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bekundet.
4. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin hat auch nicht aufgrund einer Kündigung zum 31. Januar 1995 geendet. Entgegen der Auffassung der Beklagten, die sich erstmals im Revisionsverfahren auf diesen Beendigungstatbestand beruft, handelt es sich bei ihren Schreiben aus dem Jahre 1994 nicht um wirksame Kündigungserklärungen. Dazu muß sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der Beendigungswille für den Empfänger der Willenserklärung unmittelbar aus dem Wortlaut der Erklärung oder doch zweifelsfrei aus ihrer Auslegung ergeben. Die Berufung des Arbeitgebers auf den bevorstehenden Ablauf einer Befristung oder die Ablehnung der Weiterbeschäftigung über einen bestimmten Beendigungstermin hinaus sind keine rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen, die auf eine einseitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtet sind, sondern Wissenserklärungen zu der aus seiner Sicht bestehenden Rechtslage (BAG st. Rspr., Urteil vom 26. April 1979 – 2 AZR 431/77 – AP Nr. 47 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag). Anhaltspunkte dafür, daß die Beklagte in ihrem Schreiben überhaupt das Erklärungsbewußtsein hatte, eine auf die einseitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinwirkende rechtsgeschäftliche Willenserklärung abzugeben, sind nicht erkennbar und werden von der Revision nicht aufgezeigt. Abgesehen davon hat die Beklagte auch keinerlei Gründe vorgetragen, die sie zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt hätten.
6. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Steckhan, Schmidt, Mikosch, Peter Haeusgen, G. Güner
Fundstellen