Entscheidungsstichwort (Thema)
Abfindung. Verringerung wegen gesetzlicher Rente
Leitsatz (redaktionell)
Verringerung des Abfindungsanspruchs auf Null wegen Entstehung eines Anspruchs auf gesetzliche Altersrente für langjährig Versicherte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses (vgl. dazu Urteile des Senats vom 30. Januar 1997 – 6 AZR 695/95 – AP Nr. 31 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR und vom 20. November 1997 – 6 AZR 215/96 – AP Nr. 47 zu § 551 ZPO).
Normenkette
SGB VI §§ 34, 39, 99, 115; SGB IV § 19; RÜG Art. 2 §§ 1, 4, 44
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 25. Februar 1997 – 8 Sa 135/96 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin verlangt eine Abfindung wegen Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses.
Die am 7. August 1935 geborene Klägerin war bei dem beklagten Land und dessen Rechtsvorgängern vom 16. April 1962 bis zum 31. August 1995 an der M.-L.-Universität … (fortan: MLU) beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit der Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften – (BAT-O) vom 10. Dezember 1990 Anwendung.
Das beklagte Land hatte das Arbeitsverhältnis zum 31. März 1994 gekündigt und anschließend mit der Klägerin ein befristetes Arbeitsverhältnis für die Zeit vom 1. April 1994 bis zum 31. August 1995 begründet. Die Klägerin wandte sich am 22. März 1994 an den Personaldezernenten der MLU, Dr. W., mit der Bitte, das Arbeitsverhältnis anstatt mit Ablauf der Befristung durch einen Aufhebungsvertrag zum 31. August 1995 enden zu lassen, um dadurch einen Anspruch auf Abfindung nach dem Tarifvertrag zur sozialen Absicherung vom 6. Juli 1992 (TV soziale Absicherung) zu erlangen. Der Personaldezernent Dr. W. war damit einverstanden. Beide Parteien schlossen einen Aufhebungsvertrag, wonach das Arbeitsverhältnis der Klägerin am 31. August 1995 zur Vermeidung einer arbeitgeberseitigen „Kündigung aus betriebsbedingten Gründen” beendet wurde.
In der Folgezeit verlangte die Klägerin von dem beklagten Land die Zahlung einer Abfindung nach dem TV soziale Absicherung. Das beklagte Land lehnte dies mit dem Hinweis ab, daß die Klägerin nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Altersrente beziehen könne und der Anspruch auf Abfindung somit ausgeschlossen sei. Im TV soziale Absicherung heißt es:
„§ 2
Abfindung
(1) Ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis gekündigt wird, weil
- er wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar ist oder
- …
erhält eine Abfindung. Das Gleiche gilt, wenn ein Arbeitnehmer bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Kündigung nach Satz 1 aufgrund eines Auflösungsvertrages ausscheidet.
(2) Die Abfindung beträgt für jedes volle Jahr der Beschäftigungszeit (§ 19 BAT-O ohne die nach der Übergangsvorschrift Nr. 3 hierzu berücksichtigten Zeiten bzw. die vergleichbaren, für die Arbeiter geltenden Bestimmungen) ein Viertel der letzten Monatsvergütung …. Sie darf den Betrag von 10.000 DM nicht übersteigen; …
(3) Der Anspruch auf Abfindung entsteht am Tag nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. …
…
(6) Tritt der Arbeitnehmer in ein Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitgeber im Sinne des § 29 Abschn. B Abs. 7 BAT-O/BAT ein und ist die Zahl der zwischen der Beendigung des alten und der Begründung des neuen Arbeitsverhältnisses liegenden Kalendermonate geringer als die der Abfindung zugrunde liegende Anzahl von Bruchteilen der Monatsvergütung/des Monatslohnes (Absatz 2), verringert sich die Abfindung entsprechend. Überzahlte Beträge sind zurückzuzahlen.
(7) Absatz 6 gilt entsprechend, wenn innerhalb des gleichen Zeitraums ein Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung entsteht.”
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr Anspruch auf Abfindung werde dadurch, daß sie Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen könne, nicht ausgeschlossen. Im übrigen sei ihr Rentenanspruch bereits mit Vollendung des 60. Lebensjahres am 7. August 1995 und damit vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden. Darüber hinaus hat die Klägerin geltend gemacht, der von ihr als Zeuge angebotene Personaldezernent Dr. W. habe ihr bei Abschluß des Aufhebungsvertrages die übertarifliche Zahlung einer Abfindung zugesagt.
Die Klägerin hat beantragt,
- das beklagte Land zu verurteilen, mit Ablauf des 31. August 1995 25.421,34 DM Abfindung an die Klägerin zu zahlen,
- hilfsweise, das beklagte Land zu verurteilen, an die Klägerin 10.000,00 DM Abfindung zu zahlen.
Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Klägerin habe keinen tariflichen Anspruch auf Abfindung; im übrigen hat es eine übertarifliche Zusage bestritten.
Das Arbeitsgericht hat nach Vernehmung des Personaldezernenten Dr. W. und von drei Kolleginnen der Klägerin als Zeugen die Klage abgewiesen. In der Berufung hat die Klägerin nur noch den hilfsweise gestellten Antrag auf Zahlung von 10.000,00 DM Abfindung weiterverfolgt. Außerdem hat sie Anspruch auf Gleichbehandlung mit zwei von ihr benannten Vergleichsfällen geltendgemacht.
Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter. Das beklagte Land bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen die Klage als unbegründet abgewiesen.
1. Die Klägerin hat gegen das beklagte Land keinen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung nach dem TV soziale Absicherung.
Ein möglicher Abfindungsanspruch der Klägerin nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a Satz 2 TV soziale Absicherung hat sich nach § 2 Abs. 7 i.V.m. Abs. 6 TV soziale Absicherung auf Null verringert, weil unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Anspruch der Klägerin auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung entstanden ist.
a) Nach § 2 Abs. 6 TV soziale Absicherung verringert sich der Anspruch auf Abfindung, wenn der wegen mangelnden Bedarfs ausgeschiedene Arbeitnehmer wieder in ein Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitgeber im Sinne des § 29 Abschn. B Abs. 7 BAT-O/BAT eintritt und die Zahl der zwischen Beendigung des alten und Begründung des neuen Arbeitsverhältnisses liegenden Kalendermonate geringer als die der Abfindung zugrunde liegende Zahl von Bruchteilen der Monatsvergütung (Abs. 2) ist. Die in diesem Fall eintretende entsprechende Verringerung der Abfindung bewirkt den völligen Wegfall des Abfindungsanspruchs, wenn das neue Arbeitsverhältnis unmittelbar an das alte anschließt.
Nach § 2 Abs. 7 TV soziale Absicherung gilt Abs. 6 entsprechend, „wenn innerhalb des gleichen Zeitraums” ein Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung entsteht. Mit dem „gleichen Zeitraum” im Sinne dieser Bestimmung ist, wie im Falle des Abs. 6, ein mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses beginnender Zeitraum gemeint, der die tarifliche Rechtsfolge der Verringerung der Abfindung dann auslöst, wenn die Zahl der ihn umfassenden Kalendermonate die der Abfindung zugrunde liegende Anzahl von Bruchteilen der Monatsvergütung unterschreitet. An die Stelle der Begründung des neuen Arbeitsverhältnisses (Abs. 6) tritt in Abs. 7 die Entstehung des Anspruchs auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Der in § 2 Abs. 7 TV soziale Absicherung bezeichnete Zeitraum liegt, ebenso wie der in Abs. 6 bezeichnete, nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (vgl. Urteile des Senats vom 1. Juni 1995 – 6 AZR 926/94 – BAGE 80, 158 = AP Nr. 24 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR; vom 30. Januar 1997 – 6 AZR 695/95 – AP Nr. 31 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR und vom 20. März 1997 – 6 AZR 732/95 – n.v.; vom 20. November 1997 – 6 AZR 215/96 – AP Nr. 47 zu § 551 ZPO; zuletzt vom 16. Juli 1998 – 6 AZR 647/96 – n.v.).
b) Der Anspruch der Klägerin auf Altersrente ist unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden und hat daher den völligen Wegfall des Anspruchs auf Abfindung zur Folge.
aa) Nach § 39 Satz 1 SGB VI haben versicherte Frauen Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet, nach Vollendung des 40. Lebensjahres mehr als 10 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt haben. Diese nach § 34 Abs. 1 SGB VI erforderlichen Anspruchsvoraussetzungen waren bei der Klägerin unstreitig am 7. August 1995 gegeben.
bb) Das Rentenstammrecht ist am 7. August 1995 entstanden, obwohl die Klägerin zu diesem Zeitpunkt die Rente nicht beantragt hat.
Zwar wird die Altersrente nach § 39 SGB VI auf Antrag geleistet (vgl. § 19 SGB IV, § 115 Abs. 1 SGB VI). Unabhängig vom Antrag entsteht jedoch das Stammrecht auf die Rente schon in dem Zeitpunkt, in dem alle materiell rechtlichen Voraussetzungen für die Berechtigung vorliegen. Der erkennende Senat verweist insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf seine Ausführungen im Urteil vom 1. Juni 1995 (BAGE 80, 158, 161 f. = AP, a.a.O., zu I 1 der Gründe).
cc) Der Rentenanspruch der Klägerin ist nicht vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden, so daß dadurch die Verringerung der Abfindung nach § 2 Abs. 7 TV soziale Absicherung nicht ausgeschlossen wird (vgl. dazu für die Berufsunfähigkeitsrente: Urteil des Senats vom 1. Juni 1995, a.a.O. und Senatsurteil vom 30. Januar 1997 – 6 AZR 695/95 – a.a.O.).
In der Zeit zwischen der Vollendung des 60. Lebensjahres am 7. August 1995 und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. August 1995 konnte der Rentenanspruch nach § 39 SGB VI nicht entstehen, weil die Klägerin weiterhin voll berufstätig war und somit die den Rentenanspruch ausschließende gesetzliche Hinzuverdienstgrenze überschritt. Nach § 34 Abs. 2 SGB VI besteht ein Anspruch auf Rente wegen Alters vor Vollendung des 65. Lebensjahres nur, wenn die Hinzuverdienstgrenze nach § 34 Abs. 3 SGB VI nicht überschritten wird. Die Einhaltung dieser Grenze ist negative Anspruchsvoraussetzung (vgl. KassKomm-Niesel, Stand Juni 1998, § 34 SGB VI Rz 5). Obwohl die Klägerin bereits am 7. August 1995 das 60. Lebensjahr vollendet hatte, konnte sie, weil sie weiterhin in ihrem bisherigen Arbeitsverhältnis voll berufstätig war, bis zu dessen Beendigung am 31. August 1995 den Rentenanspruch nach § 39 SGB VI nicht erwerben (vgl. Senatsurteile vom 20. März 1997 – 6 AZR 732/95 – n.v., vom 20. November 1997 – 6 AZR 215/97 – a.a.O. und vom 30. Januar 1997 – 6 AZR 695/95 – a.a.O.).
dd) Auch nach dem Gesetz zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung (Renten-Überleitungsgesetz – RÜG) vom 25. Juli 1991 (BGBl. I S. 1606, 1663) ist ein Anspruch der Klägerin auf Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht entstanden.
Zwar hatten nach diesem Gesetz Frauen in den neuen Bundesländern (vgl. Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 RÜG) für eine Übergangszeit bis zum 31. Dezember 1996 die Möglichkeit, wahlweise statt der Leistungen nach dem SGB VI Leistungen nach dem RÜG in Anspruch zu nehmen. Sie haben daher nach Art. 2 § 4 Abs. 1 RÜG mit Vollendung des 60. Lebensjahres Anspruch auf Altersrente, ohne daß es, wie bei der Altersrente nach § 39 SGB VI, auf die Einhaltung einer Hinzuverdienstgrenze ankommt (vgl. Klattenhoff in Hauck/Haines, SGB VI, Stand Juli 1998, K § 34 Rz 12). Dennoch ist der Rentenanspruch nach dem RÜG vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht entstanden, weil die Rente der Klägerin nicht vor dem 1. September 1995 begonnen hat.
Nach Art. 2 § 1 Nr. 3 RÜG setzt der Anspruch auf Rente voraus, daß die Rente in der Zeit vom 1. Januar 1992 bis zum 31. Dezember 1996 beginnt (vgl. Diel in Hauck/Haines, SGB VI, Stand Juli 1998, K-Ü § 1 Rz 6). Art. 2 § 44 RÜG bestimmt, daß die Vorschriften des SGB VI über den Beginn von Renten entsprechend anzuwenden sind. Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI wird eine Rente aus eigener Versicherung wie die Altersrente der Klägerin von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Kalendermonats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei späterer Antragstellung wird die Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt wird. Der Rentenanspruch nach dem RÜG hängt somit anders als der nach § 39 SGB VI vom Beginn der Rente und damit von der Stellung des Rentenantrags ab. Einen solchen hat die Klägerin jedoch nicht gestellt, so daß auch ein Rentenanspruch nach dem RÜG vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht entstanden ist (vgl. Senatsurteil vom 30. Januar 1997 – 6 AZR 695/95 – a.a.O.).
2. Eine andere Anspruchsgrundlage kommt für den Anspruch der Klägerin nicht mehr in Betracht. Soweit die Klägerin in den Vorinstanzen ihren Anspruch auf behauptete individualrechtliche Zusage und auf Gleichbehandlung gestützt hat, wurden sowohl die tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts als auch die von diesem in sich widerspruchsfrei vorgenommene Würdigung von der Klägerin mit Revisionsrügen nicht mehr angegriffen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Vizepräsident Dr. Peifer befindet sich im Erholungsurlaub und kann daher nicht unterzeichnen. Dr. Armbrüster, Dr. Armbrüster, Gräfl, R. Schwarck, Beus
Fundstellen
Haufe-Index 1251971 |
ZTR 1999, 475 |