Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftungsausschluß bei Arbeitsunfall. Betriebsangehöriger
Leitsatz (amtlich)
Löst der Fahrer eines Transportunternehmens, dessen Fahrzeug mit Stahlträgern beladen wurde, nach Beendigung des Ladevorgangs die Kranseile, so wird er vorübergehend wie ein Arbeitnehmer des Betriebs tätig, mit dessen Kran die Beladung vorgenommen wurde.
Normenkette
RVO §§ 637, 636, 539 Abs. 2, 1 Nr. 1, § 548 Abs. 1; StVO §§ 22-23; ZPO § 561 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger ist bei der F… GmbH als Kraftfahrer beschäftigt. Am 17. Oktober 1986 wurde der Lkw, den er führte, im M… Betrieb der T… GmbH mit Stahlträgern beladen. Diese wurden mit einem Kran auf die Ladefläche des Lkw's gehoben. Kranführer war der bei der T… GmbH beschäftigte Beklagte. Der Kläger befand sich während des Ladevorgangs auf der Ladefläche des Lkw's, von wo aus er dem Beklagten Anweisungen gab. Nachdem der Beklagte die mit den Kranseilen gebündelten Stahlträger auf Vierkanthölzern abgesetzt hatte, die sich auf der Ladefläche befanden, löste der Kläger die Kranseile. Als der Beklagte den Kran anhob, verhakte sich ein Seil unter den Trägern, so daß diese verrutschten und ein obenliegender Träger herabstürzte. Dabei wurde der Kläger erheblich am linken Fuß verletzt.
Der Kläger hat Ersatz des ihm entstandenen Sachschadens in Höhe von 190,-- DM, Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,-- DM und die Feststellung begehrt, daß der Beklagte ihm zum Ersatz seines künftigen materiellen und immateriellen Schadens verpflichtet sei. Die gleichen Ansprüche hat er gegen die T… GmbH erhoben. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat durch Urteil vom 2. November 1988 (– 1 U 100/88 – VersR 1989, 110 f.) die T… GmbH rechtskräftig verurteilt. Die Parteien haben daraufhin den vorliegenden Rechtsstreit hinsichtlich der bezifferten Ansprüche übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt. Der Kläger hat demgemäß zuletzt beantragt
festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, ihm alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 17. Oktober 1986 zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Dritte übergehen oder übergegangen sind.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte den Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Sie bezieht sich, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat, nur noch auf Ersatz des künftigen Personenschadens. Für diesen haftet der Beklagte nicht.
I. Nach § 637 Abs. 1 in Verb. mit § 636 Abs. 1 RVO sind Ansprüche eines Versicherten auf Ersatz des Personenschadens aus einem Arbeitsunfall gegen einen in demselben Betrieb tätigen Betriebsangehörigen ausgeschlossen, wenn dieser den Unfall durch eine betriebliche Tätigkeit verursacht hat. Ausnahmen gelten nur, wenn der Betriebsangehörige den Arbeitsunfall vorsätzlich herbeigeführt hat oder wenn der Arbeitsunfall bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr eingetreten ist.
II. Der Beklagte hat als Betriebsangehöriger der T… GmbH den Arbeitsunfall des Klägers durch eine betriebliche Tätigkeit verursacht. Der Kläger war im Betrieb der T… GmbH versichert.
1. Der Unfall ereignete sich bei einer betrieblichen Tätigkeit im Betrieb der T… GmbH. Aufgabe dieses Betriebs war es, mit Hilfe des der T… GmbH gehörenden und von ihrem Arbeitnehmer betriebenen Krans den Lkw der F… GmbH zu beladen. Dies hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen. Darüber streiten die Parteien auch nicht.
2. Als Arbeitnehmer der T… GmbH war der Beklagte Betriebsangehöriger des Unfallbetriebs. Der Kläger war nach § 539 Abs. 2 RVO in diesem Betrieb versichert. Der Unfall war somit ein Arbeitsunfall (§ 548 Abs. 1 RVO).
a) Nach § 539 Abs. 2 RVO nimmt auch derjenige am Versicherungsschutz des Unfallbetriebs teil, der in diesem Betrieb wie ein nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO Versicherter tätig ist. Mit dem Haftungsausschluß nach § 637 Abs. 1 RVO sind daher auch solche Personen belastet, die – wie der Kläger – regelmäßig einem anderen Betrieb angehören, aber vorübergehend im Unfallbetrieb tätig sind (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BGH Urteil vom 6. Dezember 1977 – VI ZR 79/76 – AP Nr. 10 zu § 637 RVO; BGH Urteil vom 5. Juli 1983 – VI ZR 273/81 – VersR 1983, 855; BGH Urteil vom 8. April 1986 – VI ZR 61/85 – AP Nr. 18 zu § 637 RVO).
b) Der Kläger ist vorübergehend im Unfallbetrieb wie ein Arbeitnehmer tätig gewesen.
Ein betriebsfremder Geschädigter wird im Sinne des § 539 Abs. 2 RVO im Unfallbetrieb tätig, wenn er in diesen “eingegliedert” ist. Ein Abhängigkeitsverhältnis wirtschaftlicher oder persönlicher Art zu dem Unfallbetrieb muß nicht vorliegen. Die Tätigkeit des Geschädigten kann in einer Hilfeleistung bestehen, sofern sie über eine bloße “Arbeitsberührung” hinausgeht und in unmittelbarem Zusammenhang mit den Arbeitsvorgängen des Unfallbetriebs steht (BAG Urteil vom 15. Januar 1985 – 3 AZR 59/82 – AP Nr. 16 zu § 637 RVO; BGH Urteil vom 8. April 1986 – VI ZR 61/85 –, aaO).
Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist zu unterscheiden zwischen der Hilfe, die der Kläger dem Unfallbetrieb dadurch leistete, daß er dem Beklagten Anweisungen für ein sachgemäßes Absetzen der Stahlträger auf der Ladefläche des Lkw's gab und der Unterstützung, die er dem Unfallbetrieb dadurch gewährte, daß er nach beendetem Ladevorgang die Kranseile löste. Jedenfalls durch diese Unterstützung wurde der Kläger wie ein Arbeitnehmer der T… GmbH tätig.
aa) Das Landesarbeitsgericht meint, der Kläger habe durch seinen Aufenthalt auf der Ladefläche des Lkw's die Verpflichtung seines Stammbetriebs zum verkehrssicheren Verstauen der Stahlträger erfüllt. Das Lösen der Kranseile habe nur zu einer Arbeitsberührung mit dem Unfallbetrieb geführt. Dadurch sei der Kläger aber nicht in diesem Betrieb tätig geworden.
Dem kann aus Rechtsgründen nicht gefolgt werden. Wie bereits erwähnt, war es Aufgabe der T… GmbH, den Lkw zu beladen. Demgegenüber oblag es der F… GmbH, die Ladung sicher zu transportieren. Aus dieser Aufgabenteilung der Betriebe ergibt sich auch die Zuordnung des Handelns des Klägers als betriebliche Tätigkeit des Stammbetriebs oder des Unfallbetriebs.
Dadurch, daß der Kläger dem Beklagten Anweisungen für ein verkehrssicheres Beladen des Lkw's gab, verfolgte er sowohl Zwekke seines Stammbetriebs als auch solche des Unfallbetriebs. Als Fahrzeugführer war er nach §§ 22, 23 StVO dafür verantwortlich, daß die Ladung verkehrssicher verstaut wurde. Zu diesem Zweck hat er sich auf die Ladefläche des Lkw's und damit in den Gefahrenbereich des Krans begeben, in dem sich die betrieblichen Sphären überschnitten. Das Handeln des Klägers war zugleich auch für die T… GmbH nützlich, denn sie hatte ebenfalls für das verkehrssichere Beladen des Fahrzeugs zu sorgen. In einem solchen Fall, in dem der Verletzte sowohl Zwecke des Stammbetriebs als auch des Unfallbetriebs erfüllt, kommt es für die Zuordnung seiner Tätigkeit darauf an, welche Aufgaben ihr das “Gepräge” geben (BGH Urteil vom 28. Oktober 1986 – VI ZR 181/85 – AP Nr. 14 zu § 636 RVO; BGH Urteil vom 11. Oktober 1988 – VI ZR 67/88 – AP Nr. 15 zu § 636 RVO).
Es spricht viel dafür, daß der Kläger, solange er dem Beklagten nur Anweisungen für ein sicheres Aufsetzen der Ladung auf den Lkw gab, nur mit der Arbeit des Unfallbetriebs in Berührung gekommen ist, sich aber nicht in dessen Arbeitsvorgänge eingeschaltet hat, was für die unfallversicherungsrechtliche Zuordnung des Geschädigten zum Unfallbetrieb erforderlich wäre (vgl. BAGE 42, 194 = AP Nr. 13 zu § 637 RVO, mit weiteren Nachweisen). Dafür, daß die vom Betrieb der T… GmbH zu erfüllenden Pflichten den unterstützenden Hinweisen des Klägers an den Beklagten das Gepräge gaben, bestehen keine Anhaltspunkte. Zu diesen Hinweisen hatte der Kläger als Arbeitnehmer des Transportunternehmens in gleichem Maße Anlaß.
bb) Die unfallversicherungsrechtliche Zuordnung des Klägers bedarf jedoch für die Zeit bis zum Absetzen der Ladung auf dem Lkw keiner abschließenden Klärung. Denn jedenfalls durch sein Handeln nach diesem Zeitpunkt wurde der Kläger in den Unfallbetrieb eingegliedert.
Dadurch, daß der Kläger, nachdem die Stahlträger bereits auf der Ladefläche des Lkw's abgesetzt waren, die Kranseile löste, wurde er vorübergehend wie ein Beschäftigter des Unfallbetriebs tätig. Dieser Arbeitsvorgang war nicht mehr von der Transportaufgabe des Stammbetriebs geprägt. Das verkehrssichere Verstauen der Ladung war beendet, nachdem der Kranführer die Stahlträger auf dem Lkw abgesetzt hatte und ihre Lage nicht mehr verändert werden mußte. Von diesem Zeitpunkt an konnte der Kläger für die verkehrssichere Beladung des Fahrzeugs nichts mehr tun, weil das Ladegut wegen seines Gewichts nur mit dem Kran, der seinen Hebevorgang beendet hatte, hätte bewegt werden können. Das Lösen der Kranseile gehörte nicht mehr zur sicheren Verstauung der Ladung. Diese Tätigkeit betraf ausschließlich die Entfernung des Ladegeräts vom Ladegut und wäre, wie auch das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen hat, Sache der Arbeitnehmer der T… GmbH gewesen. Indem der Kläger das Lösen der Seile übernommen hat, hat er sich in einen Arbeitsvorgang des Unfallbetriebs eingeschaltet. Der Kläger hat dadurch die Sphäre des Unternehmens der F… GmbH verlassen.
Der Eingliederung des Klägers in den Unfallbetrieb steht nicht entgegen, daß die Hilfeleistung nur kurze Zeit dauerte und der Kläger mit ihr möglicherweise den Zweck verfolgte, seine Fahrt alsbald fortsetzen zu können. Entscheidend ist, daß es sich beim Lösen der Kranseile um eine Arbeitsleistung handelte, die der Kläger aus Betriebsgründen für die T… GmbH ausführte, die von wirtschaftlicher Bedeutung war und die dem mutmaßlichen Willen der T… GmbH entsprach (vgl. zu diesen Voraussetzungen Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl., § 539 RVO Rz 101).
Von wirtschaftlicher Bedeutung war die Tätigkeit für den Unfallbetrieb, weil dieser dafür andernfalls einen eigenen Arbeitnehmer hätte abstellen müssen. Die Tätigkeit entsprach auch dem mutmaßlichen Willen der T… GmbH. Dies ergibt sich daraus, daß die Arbeitnehmer des Unfallbetriebs nach der den Senat gemäß § 561 Abs. 2 ZPO bindenden Feststellung des Landesarbeitsgerichts keine Anstalten machten, die Seile zu entfernen, es aber den Interessen dieses Betriebs förderlich war, daß beladene Fahrzeuge alsbald das Betriebsgelände verließen. Die Tätigkeit war zwar auch für den Stammbetrieb des Klägers nützlich, weil dieser ein Interesse daran hatte, im Anschluß an den Ladevorgang unverzüglich den Transport durchzuführen. Dies ist jedoch unerheblich, nachdem der Kläger seine Unternehmenssphäre verlassen hatte und in der Sphäre des Unfallbetriebs tätig geworden war (vgl. dazu BGH Urteil vom 6. Dezember 1977 – VI ZR 79/76 –, aaO, zu I 2 der Gründe; Lauterbach, aaO).
Die Eingliederung des Klägers in den Unfallbetrieb war im Unfallzeitpunkt noch nicht beendet. Zwar wurde der Kläger von dem herabstürzenden Stahlträger erst verletzt, als der Beklagte die Kranseile hochzog. Das Lösen der Seile durch den Kläger und ihr Hochziehen durch den Beklagten standen aber in unmittelbarem Zusammenhang. Zwischen beiden Tätigkeiten lag kein räumlicher und zeitlicher Abstand, der die versicherungsrechtliche Zuordnung der Tätigkeit des Klägers geändert hätte. Insofern liegt der vorliegende Fall anders als der, über den der Bundesgerichtshof im Urteil vom 5. Juli 1983 (aaO) entschieden hat. Dort hatte der Arbeitnehmer den Risikobereich, in den er sich durch seine Hilfstätigkeit für den Unfallbetrieb begeben hatte, im Unfallzeitpunkt bereits wieder verlassen, um der betrieblichen Tätigkeit seines Stammbetriebs nachzugehen. Beim Kläger war dies nicht der Fall. Daß der Kläger sich auf der Ladefläche des Fahrzeugs seines Stammbetriebs befand, als der Unfall sich ereignete, ist nicht entscheidend. Dort hielt der Kläger sich, nachdem die Stahlträger abgesetzt waren, nur noch auf, um die Kranseile zu lösen, nicht jedoch, um eine Arbeit zu verrichten, die in den Aufgabenbereich seines Stammbetriebs fiel.
III. Der Beklagte haftet nicht deshalb auf Schadenersatz, weil er den Arbeitsunfall bedingt vorsätzlich herbeigeführt hat.
Selbst wenn man den Vortrag des Klägers, der Beklagte habe die Kranseile aus Verärgerung ruckartig hochgezogen, als richtig unterstellt, kann hieraus nicht geschlossen werden, der Beklagte habe die Gefahr der Verletzung des Klägers erkannt und billigend in Kauf genommen. Dafür wären weitere Anhaltspunkte erforderlich. Dazu hat der insoweit darlegungspflichtige Kläger aber keine Tatsachen vorgetragen.
IV. Das Landesarbeitsgericht hat den Haftungsausschluß zugunsten des Beklagten mit der Begründung abgelehnt, § 539 Abs. 2 RVO bezwecke, den Kreis der Versicherten zu erweitern, nicht aber den der Haftungsprivilegierten. Dem ist nicht zu folgen. Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 637 Abs. 1 RVO kommt es für die persönliche Reichweite des Haftungsausschlusses allein darauf an, daß der Geschädigte “Versicherter” ist. Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn – wie beim Kläger – die Tatbestandsmerkmale des § 539 Abs. 2 RVO erfüllt sind.
Unterschriften
Michels-Holl, Dr. Leinemann, Dr. Peifer, Sperl, Mache
Fundstellen
Haufe-Index 839246 |
BAGE, 273 |
BB 1991, 1193 |
JR 1991, 440 |
RdA 1991, 254 |