Entscheidungsstichwort (Thema)

Ordentliche Kündigung nach Einigungsvertrag

 

Normenkette

Einigungsvertrag Art. 20; Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 28.10.1992; Aktenzeichen 2 Sa 146/92 D)

KreisG Görlitz (Urteil vom 28.04.1992; Aktenzeichen IV Ca 3322/91)

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 28. Oktober 1992 – 2 Sa 146/92 D – wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der 1939 geborene Kläger war seit 1960 im Schuldienst als Lehrer für Mathematik und Physik beschäftigt. Von 1970 bis 1981 war er Direktor an der Polytechnischen Oberschule W. Danach war er bis 1990 als Kaderreferent in der Abteilung Volksbildung beim Rat des Kreises Z. tätig. Als Kaderreferent war er dem Kaderleiter, der Stellvertreter des Kreisschulrates war, nachgeordnet. Ab Juli 1990 wurde der Kläger wieder als Fachlehrer für Mathematik und Physik an der Oberschule in S. beschäftigt.

Mit Schreiben vom 11. Oktober 1991 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. März 1992 wegen mangelnder persönlicher Eignung des Klägers unter Hinweis auf seine Tätigkeit als Kaderreferent. Mit seiner am 11. November 1991 bei Gericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der ihm am 29. Oktober 1991 zugegangenen Kündigung geltend gemacht.

Der Kläger hat vorgetragen, er sei nicht persönlich ungeeignet für den Lehrerberuf. Als Kaderreferent sei er für die personalmäßige Bearbeitung der insgesamt 1350 Arbeitnehmer der Volksbildung im Bereich des Rates des Kreises Z. zuständig gewesen. Hierzu hätten neben dem gesamten Lehrerpersonal auch das technische Personal sowie die Erzieherinnen und Kindergärtnerinnen gehört. Über die Einstellung und Entlassung von Lehrern habe er nicht zu entscheiden gehabt. Ein Vorschlagsrecht für durchzuführende Beförderungen habe ihm nicht zugestanden.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 11. Oktober 1991 nicht beendet sei, sondern auf unbestimmte Zeit fortbestehe,

ferner – für den Fall, daß der Kläger mit dem Feststellungsantrag obsiege –, den Beklagten zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hat vorgetragen, der Werdegang des Klägers zwinge zu dem Schluß, daß dieser persönlich nicht zur Verwendung im Schuldienst geeignet sei. Bereits das Direktorenamt habe ein unbedingtes Eintreten für die Ziele der SED gefordert. Die Tätigkeit des Klägers als Kaderreferent sei politisch geprägt gewesen. Sein unmittelbarer Vorgesetzter, der Kaderleiter (Stellvertreter des Kreisschulrats), sei für alle personellen Maßnahmen verantwortlich gewesen. Damit habe der Kläger maßgeblichen Einfluß auf die Einstellung von Lehrkräften, auf die Regulierung der kadermäßigen Zusammensetzung der Schulen und auf Beförderungen gehabt. So habe er darauf zu achten gehabt, daß möglichst nur Lehrer an eine Oberschule kamen, die keine „Westverwandtschaft” gehabt hätten und möglichst Mitglied der SED gewesen seien. Kaderreferenten hätten Lehrer oft unter massiven Druck gesetzt, Parteimitglied zu werden, wenn diese um eine Versetzung nachsuchten.

Das Kreisgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 11. Oktober 1991 nicht zum 31. März 1992 aufgelöst worden ist.

A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:

Die Aufgabe eines Kaderreferenten habe nicht eine besondere Identifikation mit dem SED-Staat gefordert. Der Kläger habe im wesentlichen nur die Aufgabe eines Personalsachbearbeiters wahrzunehmen gehabt. Politische Beurteilungen habe er nicht abgeben müssen. Auf Einstellungen und Beförderungen habe er keinen Einfluß gehabt. Für die gegenteiligen Behauptungen sei der Beklagte beweis fällig geblieben. Mit der Ausübung der Schulleitung in der ehemaligen DDR könne eine persönliche Ungeeignetheit für den Lehrerberuf nicht begründet werden.

B. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Kündigung ist nicht wegen mangelnder persönlicher Eignung des Klägers im Sinne von Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 zum Einigungsvertrag (fortan: Abs. 4 Ziff. 1 EV) wirksam.

1. Nach Abs. 4 Ziff. 1 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht.

a) Die mangelnde persönliche Eignung im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft, die sich auch aus der bisherigen Lebensführung herausgebildet haben kann. Die persönliche Eignung eines Angestellten des öffentlichen Dienstes erfordert, daß er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen muß. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition (vgl. BVerfGE 2, 1 – Leitsatz 2 –).

b) Die hiernach zu stellenden Anforderungen haben sich an den Aufgaben des Angestellten auszurichten. Ein Lehrer muß den ihm anvertrauten Schülern glaubwürdig die Grundwerte des Grundgesetzes vermitteln. Er muß insbesondere die Gewähr dafür bieten, daß er in Krisenzeiten und ernsthaften Konfliktsituationen zu den Grundwerten der Verfassung steht (BVerfG Beschluß vom 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 – BVerfGE 39, 334 = AP Nr. 2 zu Art. 33 Abs. 5 GG; BAG Urteil vom 18. März 1993 – 8 AZR 356/92 – AP Nr. 12 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, zu B III 1, 2 der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).

c) Der Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV liegt zugrunde, daß Arbeitnehmer von einem früheren Arbeitgeber eingestellt worden sind, mit denen der jetzige Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag nicht geschlossen hätte, wenn er an ihrer persönlichen Eignung berechtigte Zweifel gehabt hätte. Abs. 4 Ziff. 1 EV erlaubt daher – auch – eine Prüfung, ob der früher eingestellte Arbeitnehmer für die jetzige Tätigkeit persönlich geeignet ist, ohne daß bereits Vertragsverletzungen und damit konkrete Störungen des Arbeitsverhältnisses eingetreten sein müßten. Die Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV zwingt den öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber im übergeordneten staatlichen Interesse nicht, gleichsam die rechtsstaatliche Einstellung eines Arbeitnehmers in jedem Falle zunächst zu erproben (BAG Urteil vom 18. März 1993, a.a.O.). Ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen des Abs. 4 EV ist damit nicht verbunden. Es gelten nicht die Grundsätze für Einstellungen in den öffentlichen Dienst, sondern die für Kündigungen (vgl. zum Beurteilungsspielraum BAG Urteil vom 6. Juni 1984 – 7 AZR 456/82 – AP Nr. 11 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu II 2 a, aa der Gründe; BAG Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 – AP Nr. 3 zu Art. 13 Einigungsvertrag, zu III der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; BVerwG Urteil vom 27. November 1980 – 2 C 38.79 – AP Nr. 10 zu Art. 33 Abs. 2 GG, betr. die Zulassung zum Vorbereitungsdienst für das Lehramt an Volksschulen; BVerwG Urteil vom 28. November 1980 – 2 C 24.78 – AP Nr. 12 zu Art. 33 Abs. 2 GG, betr. die Entlassung eines Beamten auf Probe), denn durch eine auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützte Kündigung wird in besonderer Weise in das Grundrecht der Berufsfreiheit des einzelnen Beschäftigten eingegriffen. Ein Beurteilungsspielraum kann sich nur im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung auf eine Abwägung besonders belastender Umstände bei der Identifikation mit den Staats- und Parteizielen in der ehemaligen DDR gegenüber spezifisch entlastenden Tatsachen zur persönlichen Eignung des Arbeitnehmers beziehen.

d) Ein Lehrer ist nicht schon deshalb ungeeignet, weil er nach den früheren gesetzlichen Bestimmungen bei der Verwirklichung der Staatsziele der DDR mitzuwirken hatte. Eine mangelnde persönliche Eignung ist aber indiziert, wenn er sich in der Vergangenheit in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert hat. Dies ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer nicht nur kurzfristig Funktionen wahrgenommen hat, aufgrund derer er in hervorgehobener Position oder überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken hatte. Der kündigende Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes hat die vom Arbeitnehmer wahrgenommene Funktion einschließlich ihrer Grundlagen und ihrer Bedeutung in der Verfassungswirklichkeit der DDR darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, die Annahme der besonderen Identifikation durch substantiierten Sachvortrag zu entkräften.

2. Das Landesarbeitsgericht ist fehlerfrei davon ausgegangen, die langjährige Tätigkeit des Klägers als Schuldirektor und Kaderreferent spreche nicht für seine persönliche Ungeeignetheit, weiterhin als Lehrer tätig zu sein.

a) Zwar hat der Senat die Aufgaben eines Schuldirektors in der ehemaligen DDR nicht als bloße Verwaltungstätigkeit angesehen. Das staatliche Amt des Schuldirektors in der ehemaligen DDR war parteinah ausgerichtet (Urteil des Senats vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 24/93 – n.v., zu B III 2 c bb der Gründe). So bestand gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 der „Verordnung über die Sicherung einer festen Ordnung an den allgemeinbildenden polytechnischen Oberschulen” – Schulordnung – vom 29. November 1979 (GBl. I S. 433) die Verpflichtung des Direktors, bei seiner Leitungstätigkeit unter anderem die Beschlüsse der SED zugrundezulegen. Der Senat hat deshalb dann, wenn die leitenden Funktionen im Schulwesen als Direktor oder stellvertretender Direktor gleichzeitig oder in unmittelbarem Zusammenhang mit Parteiämtern ausgeübt worden sind, die Indizierung einer besonderen Identifikation mit den Zielen des SED-Staates angenommen (Urteil des Senats vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 613/92 – n.v., zu B II 3 b cc der Gründe). Im Streitfall ist ein solches Parteiamt des Klägers aber weder festgestellt noch behauptet. Allein die langjährige Ausübung des Direktorenamtes spricht noch nicht für eine überwiegende Wahrnehmung dieses Amtes im Sinne der Ziele der SED.

Die Annahme, ein Schuldirektor habe sich in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert, bedarf zusätzlicher Umstände. Es ist Sache des öffentlichen Arbeitgebers, solche Umstände, etwa zum Werdegang oder zur Tätigkeit des Schulleiters, im Einzelfall vorzutragen. Der bloße Hinweis auf die Funktion des Schulleiters genügt nicht (Urteil des Senats vom 28. April 1994 – 8 AZR 710/92 – zu B II 2 b der Gründe).

b) Auch die langjährige Tätigkeit des Klägers als Kaderreferent läßt nicht auf seine besondere Identifikation mit dem SED-Staat schließen.

Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß es Aufgabe des kündigenden Arbeitgebers des öffentlichen Dienstes ist, darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, daß aus einer wahrgenommenen Funktion auf eine besondere Identifikation mit dem SED-Staat zu schließen ist (vgl. Urteil des Senats vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 24/93 – n.v., zu B III 1 d der Gründe). Dieser Darlegungs- und Beweislast ist der Beklagte nicht nachgekommen. Der Beklagte behauptet zwar, die Tätigkeit des Kaderreferenten sei stark politisch geprägt gewesen, der Kaderreferent habe erheblichen Einfluß auf Einstellung und Beförderungen von Lehrkräften gehabt, wobei politische Gründe für die Entscheidung maßgeblich gewesen seien. Die Ausführungen des Beklagten erschöpfen sich jedoch in bloßen Vermutungen. Der Beklagte hat für seine Behauptungen keine Beweise angeboten und hat weder Richtlinien, Verordnungen oder sonstige Anweisungen vorlegen können, aus denen sich die von ihm behaupteten Aufgaben des Kaderreferenten ergeben könnten. Damit ist das Landesarbeitsgericht zu Recht davon ausgegangen, daß der Kläger als Kaderreferent lediglich die Aufgaben und Befugnisse eines Personalsachbearbeiters ohne maßgeblichen politischen Einfluß auf Personalentscheidungen gehabt habe.

c) Eine besondere Identifikation des Klägers mit dem SED-Staat wäre damit nur dann anzunehmen, wenn der Kläger die Ämter des Schuldirektors und des Kaderreferenten nicht sachbezogen ausgeübt hätte. Der Beklagte hat aber keine konkreten Betätigungen des Klägers bei der Ausübung seiner Ämter oder sonstige Gründe dargelegt, die ihn persönlich als Lehrer ungeeignet erscheinen ließen.

 

Unterschriften

Dr. Ascheid, Dr. Wittek, Dr. Müller-Glöge, Dr. Weiss, Schmidt

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1076720

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