Entscheidungsstichwort (Thema)
Eingruppierung eines Oberarztes
Leitsatz (amtlich)
Ärzte im Praktikum (ÄiP) gehören nicht zu den “unterstellten Ärzten” im Sinne der Vergütungsgruppen 1a bzw. 1 der Anlage 2 zu den Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR).
Normenkette
AVR Caritasverband § 12; Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) Anlage 2 Vergütungsgruppen 1; Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) Anlage 2 Vergütungsgruppen 1a
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 31.08.1993; Aktenzeichen 7 Sa 833/93) |
ArbG Gelsenkirchen (Urteil vom 20.01.1993; Aktenzeichen 1 Ca 810/92) |
Tenor
- Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 31. August 1993 – 7 Sa 833/93 – wird zurückgewiesen.
- Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung des Klägers nach den Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR).
Der Kläger ist als Oberarzt in der gefäßchirurgischen Abteilung der Beklagten tätig. In dieser Abteilung arbeiten zumindest seit Oktober 1991 ständig ein Chefarzt, zwei Oberärzte, vier Assistenzärzte und drei Ärzte im Praktikum (ÄiP). Der Kläger ist durch ausdrückliche Anordnung der Beklagten zum ständigen Vertreter des Chefarztes bestellt.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) Anwendung. Der Kläger erhält z.Zt. Vergütung nach der VergGr. Ia der Anlage 2 zu den AVR.
Mit Schreiben vom 7. Oktober 1991 beantragte der Kläger bei der Beklagten erfolglos Vergütung nach der VergGr. I der Anlage 2 zu den AVR mit der Begründung, dem Leiter der gefäßchirurgischen Abteilung seien einschließlich der ÄiP neun Ärzte unterstellt.
Mit der der Beklagten am 23. März 1992 zugestellten Klage verfolgt der Kläger diesen Vergütungsanspruch weiter. Er hat die Auffassung vertreten, zwischen der Beklagten und den ÄiP seien zwar keine Dienst-, sondern Ausbildungsverträge abgeschlossen worden. Auch dürften die ÄiP nur unter Aufsicht arbeiten, doch würden sie gleichwohl von der Beklagten zur Krankenversorgung eingesetzt und seien dem leitenden Arzt unterstellt. Darüber hinaus werde die AiP-Zeit auf die Zeit der Weiterbildung zum Facharzt angerechnet, so daß insoweit eine Differenzierung zwischen Assistenzärzten und den ÄiP nicht möglich sei. Schließlich werde der ÄiP auch in den Bereitschaftsdienst in der Form der Anwesenheitsbereitschaft einbezogen. Dies sei nur bei erlaubter ärztlicher Tätigkeit möglich. Der AiP sei auch zur Krankenversorgung eingesetzt, selbst wenn er ärztliche Tätigkeit nur unter Aufsicht versehen dürfe. In diesem Zusammenhang sei jedoch zu berücksichtigen, daß er schon dazu imstande sei, Anamnesen zu erheben und Untersuchungen durchzuführen, die Wundversorgung wahrzunehmen und Injektionen zu verabreichen sowie Blut abzunehmen.
Der Kläger hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, ihm rückwirkend zum 1. Oktober 1991 eine Vergütung entsprechend der VergGr. I der Anlage 2 zu den AVR zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger erfülle nicht die Tätigkeitsmerkmale der VergGr. I, denn die ÄiP seien keine unterstellten Ärzte im Sinne des Vergütungsgruppenmerkmals. Vielmehr sei der AiP ein Auszubildender mit beschränkter Berufserlaubnis und stehe deshalb nicht in einem “Dienstverhältnis”. Ebensowenig sei er zur Krankenversorgung im Sinne dieser Vergütungsgruppe eingesetzt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vergütung nach VergGr. I der Anlage 2 zu den AVR. Die dem leitenden Arzt der gefäßchirurgischen Abteilung des M… hospitals der Beklagten unterstellten Ärzte im Praktikum (ÄiP) sind keine unterstellten Ärzte im Sinne der Tätigkeitsmerkmale dieser Vergütungsgruppe.
I. Die Klage ist zulässig. Es handelt sich um eine Eingruppierungsfeststellungsklage, die auch außerhalb des öffentlichen Dienstes allgemein üblich ist und nach ständiger Senatsrechtsprechung keinen prozeßrechtlichen Bedenken begegnet (vgl. Senatsurteile vom 25. September 1991 – 4 AZR 87/91 – EzA § 4 TVG Großhandel Nr. 2, zu I der Gründe, m.w.N.; vom 11. November 1992 – 4 AZR 117/92 –, n.v., sowie vom 26. Mai 1993 – 4 AZR 383/92 – AP Nr. 4 zu § 12 AVR Caritasverband).
II.1. Auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien finden nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) Anwendung.
a) Nach § 12 AVR sind maßgebend für die Dienstbezüge der Mitarbeiter unter Berücksichtung des Familienstandes und der Kinderzahl in erster Linie die Tätigkeit und Vorbildung des Mitarbeiters. Die Höhe der Dienstbezüge ergibt sich dann aus der den Richtlinien beigefügten Vergütungsordnung (Anlage 1 zu den AVR).
Die Eingruppierung des Mitarbeiters richtet sich gem. Ziffer I Buchst. a Satz 1 der Anlage 1 nach den Tätigkeitsmerkmalen der Anlagen 2 bis 2d zu den AVR. Nach Ziffer 1 Buchst. b Satz 1 der Anlage 1 ist der Mitarbeiter in der Vergütungsgruppe eingruppiert, deren Tätigkeitsmerkmale der gesamten von ihm nicht nur vorübergehend auszuübenden Tätigkeit entsprechen. Letzteres ist dann der Fall, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale dieser Vergütungsgruppe erfüllen.
b) Damit kommt es auch für die Eingruppierung der Mitarbeiter nach den AVR, ebenso wie im Anwendungsbereich des BAT, auf den Begriff des Arbeitsvorganges an. Zu den insoweit wortgleichen Regelungen des § 22 Abs. 2 Unterabs. 1 und Unterabs. 2 Satz 1 BAT hat der Senat in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, unter Arbeitsvorgang sei eine unter Hinzurechnung der Zusammenhangstätigkeiten und bei Berücksichtigung einer sinnvollen, vernünftigen Verwaltungsübung nach tatsächlichen Gesichtspunkten abgrenzbare und rechtlich selbständig zu bewertende Arbeitseinheit der zu einem bestimmten Arbeitsergebnis führenden Tätigkeit eines Angestellten zu verstehen (vgl. z. B. BAG Urteil vom 21. Oktober 1992 – 4 AZR 69/92 – AP Nr. 164 zu §§ 22, 23 BAT 1975, m.w.N.).
c) Das Landesarbeitsgericht hat ausgehend von dieser Definition für den Kläger zu Recht einen einheitlichen großen Arbeitsvorgang angenommen, der die gesamte Tätigkeit des Klägers als ständiger Stellvertreter des Leiters der gefäßchirurgischen Abteilung im Krankenhaus der Beklagten umfaßt. Eine Aufgliederung der Tätigkeit in reine Vertretertätigkeiten im Zusammenhang mit der Verwaltung der Abteilung einerseits, ärztliche Tätigkeiten im engeren Sinn andererseits ist nicht möglich, zumal die vom Kläger begehrte Vergütungsgruppe allein an die Anzahl der dem Leiter der Abteilung unterstellten Ärzte anknüpft.
2. Damit kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits auf folgende Bestimmungen der AVR an:
Anlage 2 Vergütungsgruppe 1
Fallgruppe 1
Ärzte, die als ständige Vertreter des leitenden Arztes durch ausdrückliche Anordnung bestellt sind, wenn dem leitenden Arzt mindestens neun Ärzte ständig unterstellt sind 1,2,5.
Vergütungsgruppe 1a
Fallgruppe 3
Ärzte, die als ständige Vertreter des leitenden Arztes durch ausdrückliche Anordnung bestellt sind, wenn dem leitenden Arzt mindestens sechs Ärzte ständig unterstellt sind 1,2,5.
Fußnoten:
3.a) Nachdem dem Leiter der gefäßchirurgischen Abteilung unstreitig zwei Oberärzte und vier Assistenzärzte unterstellt sind und der Kläger auch durch Anordnung der Beklagten zum ständigen Vertreter des leitenden Arztes bestellt worden ist, erfüllt er zunächst die Tätigkeitsmerkmale der Vergütungsgruppe 1a Fallgruppe 3. Dies ist zwischen den Parteien auch unstreitig.
b) Da dem Leiter der Abteilung darüber hinaus weitere drei Ärzte im Praktikum unterstellt sind, kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits allein darauf an, ob diese als unterstellte Ärzte im Sinne der Vergütungsgruppe 1 Fallgruppe 1 der Anlage 2 der AVR zu behandeln sind.
c) Weder ist in den AVR noch in der gleichlautenden Vorschrift des BAT (Vergütungsgruppe I Fallgruppe 4 des Allgemeinen Teils B/L der Anlage 1a zum BAT) geregelt, was unter “Ärzten” im Sinne dieser Vergütungsgruppen zu verstehen ist. Die Tarifvertragsparteien des BAT und ihnen folgend die AVR-Geber verwenden aber einen Rechtsbegriff, der durch gesetzliche Regelungen wie die Bundesärzteordnung und die Approbationsordnung vorgegeben ist. Da sie die Rechtsverhältnisse dieses Personenkreises regeln wollen ist davon auszugehen, daß sie den Begriff des Arztes im gesetzlichen Bedeutungsumfang verwenden. Hiervon ist der Senat in ständiger Rechtsprechung ausgegangen (vgl. z.B. BAGE 42, 231, 235 = AP Nr. 71 zu §§ 22, 23 BAT 1975; BAGE 66, 306, 309 = AP Nr. 153 zu §§ 22, 23 BAT 1975, zu I 4a der Gründe; BAG Urteil vom 24. März 1993 – 4 AZR 265/92 – AP Nr. 106 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Bei dem Begriff des Arztes handelt es sich um einen feststehenden Begriff des inländischen Medizinalrechts, das für den ärztlichen Bereich in der Bundesärzteordnung geregelt ist. Danach ist die Ausübung des ärztlichen Berufes die Ausübung der Heilkunde unter der Berufsbezeichnung “Arzt” (§ 2 Abs. 5 BÄrzteO). Diese Berufsbezeichnung darf nur führen, wer als Arzt nach inländischem Recht approbiert, nach näherer gesetzlicher Maßgabe zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufes befugt ist (§ 2 Abs. 2 BÄrzteO) oder nach § 2 Abs. 3 oder 4 BÄrzteO zur Ausübung des ärztlichen Berufes befugt ist (§ 2a BÄrzteO). Die Ärzte im Praktikum haben aber nur eine Erlaubnis zur auf eine bestimmte Tätigkeit beschränkten Ausübung des ärztlichen Berufes nach § 10 Abs. 4, § 2 Abs. 2 BÄrzteO erhalten, nämlich zur Ausübung der Tätigkeit eines Arztes im Praktikum.
d) Die Vergütungsgruppenmerkmale der “unterstellten Ärzte” stammen aus einer Zeit, in der es das Berufsbild des Arztes im Praktikum noch nicht gab. Die Tarifvertragsparteien und der AVR-Geber können bei ihrer Fassung den AiP noch nicht bedacht haben. Die ÄiP können aber den Assistenzärzten nicht gleichgestellt werden. Auch dies hat der Senat für deren Vergütung bereits entschieden (BAG Urteil vom 24. März 1993 – 4 AZR 265/92 – AP, aaO).
e) Auch die Tarifvertragsparteien haben den AiP nicht den Ärzten gleichgesetzt. Das ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Regelwerke für ÄiP. Die Tarifvertragsparteien und AVR-Geber haben die ÄiP nicht dem persönlichen Geltungsbereich des BAT/AVR Anlage 2 unterstellt. Vielmehr haben sie für sie eigene tarifliche/AVR-Regelungen geschaffen.
f) Auch der Umstand, daß durch die tariflichen Vergütungsregelungen die erhöhte Verantwortung des leitenden Arztes bzw. seines ständigen Vertreters wegen der Zahl der Unterstellten bei der Eingruppierung Berücksichtigung finden soll, ändert hieran nichts. Wenn nach den Tätigkeitsmerkmalen der Vergütungsgruppen Ia Fallgr. 5 und I Fallgr. 4 des Allgemeinen Teils B/L der Anlage 1a zum BAT bzw. der Vergütungsgruppen 1 Fallgr. 1, 1a und Fallgr. 3 der Anlage 2 zu den AVR die Eingruppierung von der Zahl der unterstellten Ärzte abhängt, so wird durch diese Regelung nicht der Begriffsumfang des unterstellten Arztes dergestalt erweitert, daß hierunter auch solche unterstellte Personen fallen, die ansonsten keine Ärzte im Sinne des BAT bzw. der Anlage 2 zu den AVR sind. Die im Verhältnis zu unterstellten Assistenzärzten mit voller Approbation gesteigerten Überwachungspflichten gegenüber ÄiP ergeben sich nicht im Rahmen der ärztlichen Unterstellung, sondern sind Folge des Ausbildungsverhältnisses, in dem die ÄiP stehen.
III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Schaub, Friedrich, Schneider, Wax, Knapp
Fundstellen
Haufe-Index 856765 |
BB 1994, 2000 |
NZA 1995, 861 |