Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschäftigungszeit einer Freundschaftspionierleiterin
Leitsatz (redaktionell)
Fortsetzung der Rechtsprechung des Senats aus den Urteilen vom 19. Januar 1995 (BAGE 79, 143 = AP Nr. 1 zu § 19 BAT-O) und vom 16. Oktober 1997 (– 6 AZR 188/96 – n.v.)
Normenkette
BAT-O § 19; Übergangsvorschriften zu § 19 Nr. 2 Buchst. b, Nr. 4 Buchst. c
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Anrechnung von Beschäftigungszeiten der Klägerin nach § 19 BAT-O.
Die Klägerin absolvierte von 1977 bis 1981 ein Fachschulstudium am Institut für Lehrerbildung in Quedlinburg und erwarb damit die Lehrbefähigung als Lehrer für untere Klassen in den Fächern Deutsch, Mathematik und Schulgarten. Wegen mangelnden Bedarfs konnte die Klägerin nach dem Studium nicht als Lehrerin beschäftigt werden. Die Schulbehörde teilte ihr deshalb mit, daß sie als Pionierleiterin an der "POS H " in S arbeiten könne und man sich weiterhin bemühen werde, ihr eine Stelle als Lehrerin zuzuweisen. Am 20. Juli 1981 schloß die Klägerin mit dem Rat des Kreises S , Abteilung Volksbildung, einen Arbeitsvertrag über eine Tätigkeit als Pionierleiterin ab. Außerdem wurde sie von der FDJ-Kreisleitung förmlich als Pionierleiterin berufen. Die Klägerin übte diese Tätigkeit bis zum 31. März 1990 aus und erteilte dabei auch Unterricht in den unteren Klassen, vorwiegend im Fach Schulgarten. Die Abschlußbeurteilung des Direktors der POS "H " vom 8. Juni 1990 bezeichnet als Haupttätigkeit der Klägerin die einer Freundschaftspionierleiterin.
Auf das Arbeitsverhältnis findet aufgrund Bezugnahme in § 2 des Arbeitsvertrages der Parteien vom 31. März 1992 der Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts - Manteltarifliche Vorschriften - (BAT-O) - vom 10. Dezember 1990 Anwendung. In § 19 BAT-O und den Übergangsvorschriften dazu (fortan: Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O) heißt es:
„§ 19
Beschäftigungszeit (1) Beschäftigungszeit ist die bei demselben Arbeitgeber nach Vollendung des 18. Lebens- jahres in einem Arbeitsverhältnis zurückge- legte Zeit, auch wenn sie unterbrochen ist.
...
(2) Übernimmt ein Arbeitgeber eine Dienststelle oder geschlossene Teile einer solchen von einem Arbeitgeber, der von diesem Tarifvertrag erfaßt wird oder diesen oder einen Tarifvertrag wesentlich gleichen Inhalts anwendet, so werden die bei der Dienststelle bis zur Übernahme zurückgelegten Zeiten nach Maßgabe des Absatzes 1 als Beschäfti- gungszeit angerechnet.
...
Übergangsvorschriften für Zeiten vor dem 1. Januar 1991:
1. Als Übernahme im Sinne des Absatzes 2 gilt auch die Überführung von Einrichtungen nach Artikel 13 des Einigungsvertrages.
2. Ist infolge des Beitritts der DDR der frühere Arbeitgeber weggefallen, ohne daß eine Überführung nach Artikel 13 des Einigungsvertrages erfolgt ist, gelten als Beschäftigungszeit nach Maßgabe des Absatzes 1
...
b) für Angestellte der Länder Zeiten der Tätigkeit bei zentralen oder örtlichen Staatsorganen und ihren nachgeordneten Einrichtungen oder sonstigen Einrichtungen oder Betrieben, soweit das Land deren Aufgaben bzw. Aufgabenbereiche derselben ganz oder überwiegend übernommen hat,
...
4. Von der Berücksichtigung als Beschäftigungszeit sind ausgeschlossen
...
c) Zeiten einer Tätigkeit, die aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen worden war. Die Übertragung der Tätigkeit aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe wird insbesondere vermutet, wenn der Angestellte
aa) vor oder bei Übertragung der Tätigkeit eine hauptamtliche oder hervorgehobene ehrenamtliche Funktion in der SED, dem FDGB, der FDJ oder einer vergleichbar systemunterstützenden Partei oder Organisation innehatte. ... Der Angestellte kann die Vermutung widerlegen.
...”
Das beklagte Land teilte der Klägerin durch Bescheid vom 1. März 1993 mit, daß der Beginn ihrer Beschäftigungszeit auf den 1. April 1990 festgesetzt sei. Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 15. März 1993 erfolglos Einspruch ein.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, auch die Zeit vom 1. August 1981 bis zum 31. März 1990 sei als Beschäftigungszeit anzurechnen. Ihre Tätigkeit als Freundschaftspionierleiterin sei dem von dem beklagten Land übernommenen innerschulischen Bereich zuzuordnen. Diese Tätigkeit sei ihr auch nicht aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen worden.
Die Klägerin hat beantragt,
die Tätigkeit vom 1. August 1981 bis 31. März 1990 als Beschäftigungszeit im Sinne des § 19 BAT-O anzuerkennen.
Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Zeit der Tätigkeit als Freundschaftspionierleiterin gelte nicht nach Nr. 2 Buchst. b Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O als Beschäftigungszeit und sei außerdem nach Nr. 4 Buchst. c Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O nicht zu berücksichtigen. Die Anrechnung von Beschäftigungszeiten setze bei Angestellten der Länder die Übernahme von Aufgaben zentraler Staatsorgane, ihrer nachgeordneten Einrichtungen sowie sonstiger Einrichtungen oder Betriebe durch das Land voraus. Die Aufgabe der Freundschaftspionierleiter sei aber ersatzlos weggefallen. Eine Anrechnung sei auch wegen der besonderen persönlichen Systemnähe der Freundschaftspionierleiter ausgeschlossen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des beklagten Landes hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Das beklagte Land bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Die Zeit, in der die Klägerin als Freundschaftspionierleiterin tätig war, ist von der Berücksichtigung als Beschäftigungszeit ausgeschlossen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Zeit vom 1. August 1981 bis zum 31. März 1990, in der die Klägerin als Freundschaftspionierleiterin tätig gewesen ist, sei nicht als Beschäftigungszeit anzurechnen. Die Tätigkeit als Freundschaftspionierleiterin sei so, wie sie organisiert gewesen sei, nicht dem innerschulischen Bereich zuzuordnen gewesen. Sie sei vielmehr als hauptamtliche Funktionärstätigkeit für die FDJ einzustufen gewesen. Da die Klägerin überwiegend als Freundschaftspionierleiterin tätig gewesen sei und nur in untergeordnetem Umfang, nämlich höchstens 6 Stunden in der Woche, Unterrichtstätigkeit im Fach Schulgarten geleistet habe, habe sie keine Aufgaben der Volksbildung der DDR wahrgenommen, sondern eine Aufgabe der FDJ. Da das beklagte Land die Aufgaben der Freundschaftspionierleiter nicht übernommen habe, komme eine Anrechnung dieser Dienstzeit als Beschäftigungszeit nach Nr. 2 Buchst. b Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O nicht in Betracht. Damit könne es dahinstehen, ob die Anerkennung nach Nr. 4 Buchst. c Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O ausgeschlossen wäre, weil die Tätigkeit als Freundschaftspionierleiterin aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen worden war.
II. Dem ist zuzustimmen. Die Zeit der Tätigkeit der Klägerin als Freundschaftspionierleiterin vom 1. August 1981 bis zum 31. März 1990 ist nicht als Beschäftigungszeit i.S.v. § 19 BAT-O anzurechnen.
1. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht als Grundlage einer Anrechnung nur Nr. 2 Buchst. b Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O in Betracht gezogen.
a) Eine Anrechnung nach § 19 Abs. 1 BAT-O entfällt, da der Rat des Kreises S. nicht mit dem beklagten Land identisch ist. Damit handelt es sich nicht um eine Beschäftigungszeit bei „demselben Arbeitgeber” im Sinne von § 19 Abs. 1 BAT-O. Eine Anrechnung der Beschäftigungszeit nach § 19 Abs. 2 BAT-O kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der frühere Arbeitgeber der Klägerin nicht den BAT-O oder einen Tarifvertrag wesentlich gleichen Inhalts angewendet hat.
b) Durch die Auflösung des Rates des Kreises S. ist der frühere Arbeitgeber der Klägerin weggefallen, ohne daß eine Überführung nach Art. 13 des Einigungsvertrages erfolgt ist. Deshalb gelten gem. Nr. 2 Buchst. b Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O als Beschäftigungszeiten nach Maßgabe des § 19 Abs. 1 BAT-O für die Klägerin als Angestellte des beklagten Landes Zeiten der Tätigkeit bei örtlichen Staatsorganen und ihnen nachgeordneten Einrichtungen, soweit das beklagte Land deren Aufgabe bzw. Aufgabenbereiche derselben ganz oder überwiegend übernommen hat.
c) Die erforderliche Übernahme bezieht sich auf die Aufgaben der Einrichtung und nicht auf die Fortführung der Tätigkeit des Arbeitnehmers an seinem Arbeitsplatz. Dies ergibt der Tarifwortlaut. Die Aufgabe der Einrichtung bestimmt sich nach dem Inhalt und Ziel der Tätigkeit der Einrichtung. Zur Ermittlung der Aufgabe sind, soweit sie nicht anderweitig festgelegt ist, die für die Einrichtung geltende Rechtsgrundlage und sonstige Bestimmungen (Gesetze, Rechts Verordnungen, Erlasse usw.) heranzuziehen (vgl. BAG Urteil vom 29. Februar 1996 – 6 AZR 472/95 – AP Nr. 10 zu § 19 BAT-O und BAGE 82, 334 – AP Nr. 5 zu § 19 BAT-O). Die so ermittelte Aufgabe ist mit der ebenso zu ermittelnden Aufgabe der „Nachfolgeeinrichtung” zu vergleichen.
Die Tätigkeit des Freundschaftspionierleiters war geregelt in der Richtlinie zur Auswahl, zur Delegierung, zum Einsatz und zur Tätigkeit der hauptberuflich tätigen Freundschaftspionierleiter vom 5. April 1976 (Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Volksbildung 1976, Seite 23) – im folgenden: Richtlinie 76 – und in der Richtlinie zur Tätigkeit der hauptamtlichen Freudschaftspionierleiter (Arbeitsrichtlinie) und Regelungen für die Leitungen der FDJ zur Auswahl, zur Delegierung und zum Einsatz der Freundschaftspionierleiter vom 17. April 1984 (Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Volksbildung 1984, Seite 77) – im folgenden: Richtlinie 84 –, durch deren Schlußbestimmung die Richtlinie 76 mit Wirkung vom 1. August 1984 aufgehoben wurde. Der Freundschaftspionierleiter war danach politischer Leiter der Pionierfreundschaft (Abschn. I Nr. 1 Richtlinie 84). Diese Aufgabe ist vom beklagten Land nicht übernommen worden. Zu Recht hat daher das Landesarbeitsgericht die Tätigkeit der Klägerin als Freundschaftspionierleiterin nicht für nach Nr. 2 Buchst. b der Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O anrechnungsfähig gehalten.
Diese Tätigkeit kann aber auch nicht deshalb nach dieser Tarifbestimmung angerechnet werden, weil die Klägerin neben der Freundschaftspionierleitertätigkeit bis zu sechs Unterrichtsstunden in der Woche unterrichtet hat. Zwar hat das beklagte Land die Aufgaben der Volksbildung übernommen, so daß Lehrertätigkeit grundsätzlich als Beschäftigungszeit anzurechnen ist. Die Anrechnung würde jedoch voraussetzen, daß die Klägerin in der DDR die Aufgaben einer Lehrerin wahrgenommen hat. Daran fehlte es. Die Klägerin hat zwar nebenher unterrichtet. Dadurch wurde sie aber nicht zur Lehrerin. Die Klägerin war als Freundschaftspionierleiterin mit dem weitaus überwiegenden Teil ihrer Arbeitszeit „hauptamtlicher Funktionär der Freien Deutschen Jugend” (Abschn. I Nr. 1 der Richtlinie 84). Diese Eigenschaft gab ihrer Tätigkeit das Gepräge. Dies wird auch mit der Abschlußbeurteilung des Direktors der POS „H.” vom 8. Juni 1990 bestätigt.
2. Außerdem wäre die Zeit, in der die Klägerin als Freundschaftspionierleiterin tätig war, nach Nr. 4 Satz 1 Buchst. c Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O von der Berücksichtigung als Beschäftigungszeit ausgeschlossen. Diese Vorschrift schließt Zeiten einer Tätigkeit von der Berücksichtigung aus, die aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen worden war. Dies trifft für die Tätigkeit als Freundschaftspionierleiterin zu. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Urteile des erkennenden Senats vom 19. Januar 1995 (BAGE 79, 143 = AP Nr. 1 zu § 19 BAT-O und vom 16. Oktober 1997 – 6 AZR 188/96 – nicht veröffentlicht) verwiesen.
III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Freitag, Dr. Armbrüster, Söller, de Hair
Fundstellen