Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuschuss zum Übergangsgeld nach § 22 Abs. 2 TVöD-V
Orientierungssatz
1. Nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums erhalten die Beschäftigten nach § 22 Abs. 2 Satz 1 TVöD-V einen Zuschuss des Arbeitgebers zum Krankengeld oder einer „entsprechenden gesetzlichen Leistung” in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen den „tatsächlichen Barleistungen des Sozialleistungsträgers” und dem nach § 22 Abs. 2 Satz 2 TVöD-V zu berechnenden Nettoentgelt (Rn. 17).
2. Das vom Träger der Rentenversicherung geleistete Übergangsgeld ist eine „entsprechende gesetzliche Leistung” iSv. § 22 Abs. 2 Satz 1 TVöD-V (Rn. 15).
3. Mit „Barleistung” ist eine Sozialleistung gemeint, die keine Dienst- oder Sachleistung ist (Rn. 18).
4. Die „tatsächliche” Leistung ist die vom Sozialleistungsträger festgesetzte. Der Arbeitgeber muss die Sozialleistung nicht selbst berechnen (Rn. 18).
5. Im Gegensatz zum Krankengeld hat der Beschäftigte bei Bezug von Übergangsgeld bis auf einen etwaigen Beitragszuschlag für Kinderlose in der Pflegeversicherung keine Sozialversicherungsbeiträge zu leisten. Bei der Bestimmung der Höhe des Zuschusses ist daher nicht auf ein „Bruttoübergangsgeld” abzustellen. Maßgeblich ist vielmehr die Differenz zwischen dem ausbezahlten Übergangsgeld (evtl. zuzüglich des genannten Beitragszuschlags) und dem Nettoentgelt iSv. § 22 Abs. 2 Satz 2 TVöD-V (Rn. 21).
Normenkette
TVöD-V § 22 Abs. 2 Sätze 1-2; TVÜ-VKA § 13
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 5. März 2020 - 5 Sa 358/18 - wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten über die Berechnung des tariflichen Zuschusses zum Übergangsgeld.
Rz. 2
Die Klägerin ist seit dem 1. Januar 1991 bei der beklagten Stadt beschäftigt, die im Beitrittsgebiet liegt. Aufgrund vertraglicher Vereinbarung bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach der Durchgeschriebenen Fassung des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst für den Bereich Verwaltung im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (TVöD-V) in der jeweils geltenden Fassung.
Rz. 3
§ 22 TVöD-V lautete in der vom 1. Januar 2010 bis zum 31. März 2017 geltenden Fassung auszugsweise wie folgt:
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„§ 22 Entgelt im Krankheitsfall |
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(1) 1Werden Beschäftigte durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an der Arbeitsleistung verhindert, ohne dass sie ein Verschulden trifft, erhalten sie bis zur Dauer von sechs Wochen das Entgelt nach § 21. … |
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(2) 1Nach Ablauf des Zeitraums gemäß Absatz 1 erhalten die Beschäftigten für die Zeit, für die ihnen Krankengeld oder entsprechende gesetzliche Leistungen gezahlt werden, einen Krankengeldzuschuss in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen den tatsächlichen Barleistungen des Sozialleistungsträgers und dem Nettoentgelt. 2Nettoentgelt ist das um die gesetzlichen Abzüge verminderte Entgelt im Sinne des § 21 (mit Ausnahme der Leistungen nach § 23 Abs. 1); …“ |
Rz. 4
Die Klägerin war vom 12. Januar 2015 bis zum 17. Mai 2015 wegen einer Erkrankung arbeitsunfähig. In der Zeit vom 12. Januar 2015 bis zum 22. Februar 2015 leistete die Beklagte Entgeltfortzahlung nach § 22 Abs. 1 TVöD-V. Danach erhielt die Klägerin bis zum 4. März 2015 von ihrer Krankenkasse Krankengeld.
Rz. 5
Vom 5. März 2015 bis zum 1. April 2015 befand sich die Klägerin zu einer ganztägigen ambulanten Behandlung in einer Rehabilitationsklinik. Anschließend erfolgte bis zum 17. Mai 2015 eine stufenweise Wiedereingliederung. Für den Zeitraum vom 5. März 2015 bis zum 17. Mai 2015 bezog die Klägerin von der Deutschen Rentenversicherung Bund ein Übergangsgeld iHv. kalendertäglich 60,29 Euro. Dieser Betrag ergab sich nach der Berechnung der Deutschen Rentenversicherung Bund aus einem kalendertäglichen Nettoarbeitsentgelt von 88,66 Euro. Dieses Nettoarbeitsentgelt wurde unter Berücksichtigung einer Einmalzahlung errechnet. Mit Schreiben vom 25. Juni 2015 teilte die Deutsche Rentenversicherung Bund der Klägerin mit, dass sie für den Zeitraum der Zahlung des Übergangsgeldes Sozialversicherungsbeiträge iHv. insgesamt 1.575,34 Euro abgeführt habe. Die Beklagte leistete trotz außergerichtlicher Aufforderung keinen Zuschuss zum Übergangsgeld.
Rz. 6
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie habe nach § 22 Abs. 2 Satz 1 TVöD-V einen Anspruch auf Zuschuss zum Übergangsgeld in Höhe der Differenz zwischen einem nach den tariflichen Vorgaben ohne Einbeziehung der Einmalzahlung berechneten kalendertäglichen Nettoentgelt iHv. 83,29 Euro und dem an sie ausbezahlten Übergangsgeld iHv. 60,29 Euro pro Kalendertag. Der Auszahlungsbetrag sei die tatsächliche Barleistung des Sozialleistungsträgers iSv. § 22 Abs. 2 Satz 1 TVöD-V. Sozialversicherungsbeiträge seien nicht zu ihren Lasten zu berücksichtigen, da im Falle des Übergangsgeldes der Sozialleistungsträger die Beiträge zur Sozialversicherung vollständig zu tragen habe. Der Differenzbetrag von 23,00 Euro sei für 73 Tage zu entrichten. Daraus ergebe sich ein Gesamtbetrag von 1.679,00 Euro.
Rz. 7
Die Klägerin hat daher beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Zuschuss zum Übergangsgeld für den Zeitraum vom 5. März 2015 bis zum 17. Mai 2015 iHv. 1.679,00 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17. Juni 2015 zu zahlen. |
Rz. 8
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Berechnung der Klägerin sei fehlerhaft. Unter der tatsächlichen Barleistung des Sozialleistungsträgers iSv. § 22 Abs. 2 Satz 1 TVöD-V sei - wie beim Krankengeld - der Bruttobetrag zu verstehen, dh. die Leistung vor Abzug der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung („Bruttoübergangsgeld“). Im Falle der Klägerin sei dies der vom Sozialleistungsträger festgesetzte Betrag von kalendertäglich 88,66 Euro. Das nach § 22 Abs. 2 Satz 2 TVöD-V zu berechnende tägliche Nettoarbeitsentgelt der Klägerin habe unter diesem Betrag gelegen. Folglich bestehe kein Anspruch auf einen Zuschuss zum Übergangsgeld.
Rz. 9
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und die Beklagte ohne Offenbarung des Rechenwegs zur Zahlung von 891,33 Euro brutto nebst Zinsen verurteilt. Im Übrigen hat es die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts bezieht sich die „tatsächliche Barleistung“ auf das Bruttoübergangsgeld, wobei die Arbeitgeberanteile nicht zählten. Die Revision wurde für beide Parteien zugelassen.
Rz. 10
Die Beklagte begehrt mit ihrer Revision die Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts im Umfang der Verurteilung. Anders als in den Vorinstanzen ist sie aber nicht mehr der Auffassung, dass bei der Berechnung des Zuschusses zum Übergangsgeld von 88,66 Euro als „kalendertäglicher Barleistung“ auszugehen sei. Maßgeblich sei vielmehr die Differenz zwischen einem kalendertäglichen Nettoentgelt iHv. 83,29 Euro und dem ausbezahlten Übergangsgeld iHv. kalendertäglich 60,29 Euro zuzüglich der durch die Deutsche Rentenversicherung Bund für den Zeitraum vom 5. März 2015 bis zum 17. Mai 2015 insgesamt abgeführten Sozialversicherungsbeiträge iHv. 1.575,34 Euro. Die Klägerin habe damit 81,87 Euro kalendertäglich als „tatsächliche Barleistung“ erhalten. Hieraus ergebe sich als Differenz zu 83,29 Euro ein Anspruch der Klägerin auf einen Zuschuss zum Übergangsgeld iHv. 1,42 Euro pro Tag. Dies führe für den gesamten Bezugszeitraum zu einem Anspruch iHv. 103,66 Euro. Dem stehe aber eine Überzahlung von Krankengeldzuschuss für den Zeitraum vom 5. bis 31. März 2015 iHv. 133,12 Euro entgegen, so dass letztlich keine offene Forderung der Klägerin bestehe.
Rz. 11
Die Klägerin hat keine Revision eingelegt.
Entscheidungsgründe
Rz. 12
Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin kann für den streitgegenständlichen Zeitraum einen Zuschuss zum Übergangsgeld iHv. jedenfalls 891,33 Euro brutto verlangen. Eine darüber hinausgehende Forderung ist nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens. Mangels Revision der Klägerin ist die Klageabweisung insoweit in Rechtskraft erwachsen.
Rz. 13
I. Die Revision ist zulässig. Ihre Begründung entspricht den nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO zu stellenden Anforderungen. Entgegen der Auffassung der Klägerin setzt sie sich hinreichend mit der angegriffenen Entscheidung auseinander (zu den Anforderungen vgl. BAG 23. Februar 2021 - 3 AZR 618/19 - Rn. 19). Das von der Revision angeführte Verständnis des Begriffs der „tatsächlichen Barleistung“ nach § 22 Abs. 2 Satz 1 TVöD-V stellt das Urteil des Landesarbeitsgerichts im Ergebnis vollständig in Frage. Da das Landesarbeitsgericht die Berechnung des ausgeurteilten Betrags nicht dargelegt hat, muss die Revision sich hiermit nicht befassen. Vom Revisionsführer kann nicht mehr an Begründung verlangt werden, als vom Gericht seinerseits aufgewendet wurde (BAG 6. September 2018 - 6 AZR 204/17 - Rn. 16).
Rz. 14
II. Die Revision ist aber unbegründet. Im Ergebnis hat das Landesarbeitsgericht die Beklagte zu Recht zur Zahlung von jedenfalls 891,33 Euro brutto verurteilt. Erhalten Beschäftigte Übergangsgeld, ist der Zuschuss nach § 22 Abs. 2 Satz 1 TVöD-V in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen dem ausbezahlten Übergangsgeld (ggf. zuzüglich des Beitragszuschlags für Kinderlose in der Pflegeversicherung nach § 59 Abs. 5, § 55 Abs. 3 SGB XI) und dem Nettoentgelt iSv. § 22 Abs. 2 Satz 2 TVöD-V zu zahlen.
Rz. 15
1. § 22 Abs. 2 Satz 1 TVöD-V gewährt den Beschäftigten nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums einen Zuschuss des Arbeitgebers zum Krankengeld „oder entsprechenden gesetzlichen Leistungen“. Das im streitgegenständlichen Zeitraum bei medizinischer Rehabilitation nach § 20 SGB VI vom Träger der Rentenversicherung zu leistende Übergangsgeld ist eine solche „entsprechende gesetzliche Leistung“ (vgl. Bredemeier/Neffke/Pielok TVöD/TV-L 5. Aufl. § 22 TVöD Rn. 36; Clausen in HK-TVöD/TV-L 4. Aufl. § 22 Rn. 61; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TVöD § 22 Stand November 2020 Rn. 273; Fieberg in Fürst GKÖD Bd. IV E § 22 Stand April 2020 Rn. 94; BeckOK TVöD/Guth TVöD-AT § 22 Stand 1. Oktober 2012 Rn. 26a; Fritz in Sponer/Steinherr TVöD § 22 Stand September 2013 Rn. 223). Dies entspricht dem Zweck der Absicherung der Beschäftigten im Krankheitsfall (vgl. BSG 6. September 2017 - B 13 R 33/16 R - Rn. 39).
Rz. 16
2. Die Klägerin erhielt vom 5. März 2015 bis zum 17. Mai 2015 unstreitig Übergangsgeld von der Deutschen Rentenversicherung Bund iHv. kalendertäglich 60,29 Euro. Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich hierbei - abgesehen von einem etwaigen Beitragszuschlag für Kinderlose in der Pflegeversicherung - um die durch den Zuschuss aufzustockende „tatsächliche Barleistung des Sozialleistungsträgers“ iSv. § 22 Abs. 2 Satz 1 TVöD-V. Dies ergibt die Auslegung der tariflichen Regelung unter Berücksichtigung des sozialrechtlichen Zusammenhangs.
Rz. 17
a) Die Tarifvertragsparteien haben mit § 22 Abs. 2 Satz 1 TVöD-V den Anspruch auf einen (weiteren) Zuschuss des Arbeitgebers an „gesetzliche Leistungen“ geknüpft und damit von der jeweiligen gesetzlichen Ausgestaltung der Leistungen von Sozialversicherungsträgern abhängig gemacht. Eine solche dynamische Anbindung an das Sozialrecht ist Tarifvertragsparteien gerade im öffentlichen Dienst nicht fremd (vgl. zu § 22 Abs. 4 TVöD-AT BAG 12. Mai 2016 - 6 AZR 365/15 - Rn. 24, BAGE 155, 88; zu § 33 TVöD-AT BAG 14. Januar 2015 - 7 AZR 880/13 - Rn. 41; zur Überbrückungsbeihilfe nach dem TV SozSich BAG 10. September 2020 - 6 AZR 286/19 - Rn. 23; zur Ausgleichszahlung nach dem TV UmBw BAG 5. September 2019 - 6 AZR 533/18 - Rn. 18, BAGE 167, 382; aus der Privatwirtschaft vgl. bzgl. § 20 MTV Einzelhandel NRW BAG 13. Februar 2002 - 5 AZR 604/00 - zu 3 der Gründe). Die Abhängigkeit des tariflichen Anspruchs vom Sozialrecht zeigt sich auch in der von § 22 Abs. 2 Satz 1 TVöD-V vorgegebenen Berechnung der Höhe des Zuschusses. Maßgeblich ist demnach der Unterschiedsbetrag zwischen den „tatsächlichen Barleistungen des Sozialleistungsträgers“ und dem nach § 22 Abs. 2 Satz 2 TVöD-V zu bestimmenden Nettoentgelt.
Rz. 18
b) Aus der Formulierung „tatsächlichen Barleistungen des Sozialleistungsträgers“ lässt sich aber nicht entnehmen, ob und ggf. in welcher Höhe Sozialversicherungsbeiträge bei der Berechnung der Zuschusshöhe nach § 22 Abs. 2 Satz 1 TVöD-V zu berücksichtigen sind. Der Begriff der „Barleistung“ stellt lediglich klar, dass es sich um eine Sozialleistung handelt, die keine Dienst- oder Sachleistung ist (vgl. BAG 22. April 1998 - 5 AZR 121/97 - zu II 1 b der Gründe; 21. August 1997 - 5 AZR 517/96 - zu 3 der Gründe; Breier/Dassau/Kiefer/Lang/Langenbrinck TVöD § 22 Stand März 2020 Rn. 191 f.; Clausen in HK-TVöD/TV-L 4. Aufl. § 22 Rn. 70; Dassau/Wiesend-Rothbrust TVöD Verwaltung-VKA 6. Aufl. § 22 TVöD-V Rn. 81). Auch aus dem Adjektiv „tatsächlich“ lässt sich kein Rückschluss auf die Höhe des Zuschusses ziehen. Damit wird nur zum Ausdruck gebracht, dass der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes an die Festsetzungen des Sozialleistungsträgers gebunden sein soll und keine eigene Berechnung der Sozialleistung vornehmen muss (vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TVöD § 22 Stand November 2020 Rn. 280; BeckOK TVöD/Guth TVöD-AT § 22 Stand 1. Oktober 2012 Rn. 29).
Rz. 19
c) Entsprechend der tariflichen Verknüpfung mit dem Sozialrecht hängt die Berücksichtigung von Sozialversicherungsbeiträgen bei der Berechnung der Zuschusshöhe davon ab, wer nach den sozialrechtlichen Vorgaben die Beiträge zu entrichten hat. Dies ist bei den von § 22 Abs. 2 Satz 1 TVöD-V erfassten gesetzlichen Leistungen unterschiedlich (vgl. BAG 31. August 2005 - 5 AZR 6/05 - zu 2 c der Gründe).
Rz. 20
aa) Im Falle des Bezugs von Krankengeld trägt der Arbeitnehmer als Leistungsempfänger die Hälfte der Beiträge zur Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung (§ 170 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a SGB VI; § 59 Abs. 2 Satz 1 SGB XI; § 347 Nr. 5 SGB III). Hinzu kommt ggf. der Beitragszuschlag für Kinderlose in der Pflegeversicherung (vgl. § 59 Abs. 5, § 55 Abs. 3 SGB XI; BSG 5. Mai 2010 - B 12 KR 14/09 R - Rn. 13). Das Krankengeld wird nach § 22 Abs. 2 Satz 1 TVöD-V durch den Krankengeldzuschuss ergänzt. Das gesetzliche Krankengeld beträgt 70 vH des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt). Es darf 90 vH des Nettoarbeitsentgelts nicht übersteigen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB V). Beim Bezug von Krankengeld ist nach § 22 Abs. 2 TVöD-V das volle, nicht um die Arbeitnehmeranteile zur Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung geminderte Krankengeld (sog. „Bruttokrankengeld“) aufzustocken. Nur insoweit werden die wirtschaftlichen Nachteile, die Beschäftigten im Krankengeldbezug entstehen, gemindert. An keiner Stelle bezeichnet das Gesetz nur den dem Arbeitnehmer zufließenden Auszahlungsbetrag als Krankengeld. Ohne eine ausdrückliche Regelung kann nicht davon ausgegangen werden, dass Tarifvertragsparteien die wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers um die Differenz von Brutto- und Nettokrankengeld erhöhen und damit die laut Gesetz vom Arbeitnehmer zu tragenden Beitragsanteile zur Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung dem Arbeitgeber auferlegen wollten (so zu § 13 Abs. 3 MTV Nr. 2 für das Kabinenpersonal der Deutschen Lufthansa AG BAG 20. November 2019 - 5 AZR 39/19 - Rn. 32; zu § 4 RTV Baugewerbe BAG 31. August 2005 - 5 AZR 6/05 - zu 2 b der Gründe; zu § 20 MTV Einzelhandel NRW BAG 13. Februar 2002 - 5 AZR 604/00 - zu 2 der Gründe; zu § 21 MTV KLM BAG 24. April 1996 - 5 AZR 798/94 - zu 3 und 4 der Gründe). Bei der Berechnung des Krankengeldzuschusses ist daher das Bruttokrankengeld von der errechneten Nettovergütung in Abzug zu bringen (BAG 27. Mai 2020 - 5 AZR 258/19 - Rn. 24 ff.).
Rz. 21
bb) Demgegenüber hat der Leistungsempfänger beim Übergangsgeld nur den etwaigen Beitragszuschlag für Kinderlose in der Pflegeversicherung zu tragen (§ 59 Abs. 5, § 55 Abs. 3 SGB XI). Im Übrigen sind von ihm keine Beiträge zur Sozialversicherung zu entrichten. Diese werden vielmehr vollständig vom Leistungsträger getragen (vgl. § 251 Abs. 1 SGB V, § 170 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b SGB VI, § 347 Nr. 5 Halbs. 2 Buchst. a SGB III, § 59 Abs. 1 Satz 1 SGB XI iVm. § 251 Abs. 1 SGB V). Beim Übergangsgeld wäre die Bezeichnung „Bruttoübergangsgeld“ somit irreführend, denn die von der gesetzlichen Rentenversicherung als Sozialleistungsträger festgesetzte „tatsächliche Barleistung“ entspricht bei Elternteilen dem Auszahlungsbetrag und weicht bei Kinderlosen nur äußerst geringfügig von diesem ab. Die zum Bruttokrankengeld ergangene Rechtsprechung kann daher nicht undifferenziert auf das Übergangsgeld übertragen werden (in diesem Sinne aber Bredemeier/Neffke/Pielok TVöD/TV-L 5. Aufl. § 22 TVöD Rn. 41), obwohl sich auch dieses in Relation zum Nettoarbeitsentgelt bemisst (vgl. § 21 SGB VI iVm. § 46 SGB IX aF bzw. seit 1. Januar 2018 § 66 SGB IX). Maßgeblich für die Bestimmung des Zuschusses zum Übergangsgeld ist vielmehr die Differenz zwischen dem ausbezahlten Übergangsgeld - evtl. zuzüglich des genannten Beitragszuschlags - und dem Nettoentgelt iSv. § 22 Abs. 2 Satz 2 TVöD-V. Dies führt im Verhältnis zum Krankengeld zu einer - sozialrechtlich bedingten - Besserstellung der Beschäftigten.
Rz. 22
cc) Dieser Unterscheidung zwischen Kranken- und Übergangsgeld kann nicht entgegengehalten werden, dass § 13 des Tarifvertrags zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-VKA) zu Gunsten der bis zum 30. September 2005 von § 71 BAT erfassten Beschäftigten abweichend von § 22 Abs. 2 TVöD auf das Nettokrankengeld abstellt, wobei Nettokrankengeld als das um die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung reduzierte Krankengeld definiert wird (vgl. zu § 13 Abs. 1 TVÜ-Länder BAG 19. Oktober 2011 - 5 AZR 138/10 - Rn. 23). § 13 TVÜ-VKA bezieht sich ebenso wie § 13 Abs. 1 TVÜ-Länder ausschließlich auf das Krankengeld in seiner sozialrechtlichen Ausgestaltung. Zudem gilt § 13 TVÜ-VKA nicht für die Beschäftigten der Kommunen im Beitrittsgebiet, welche wie die Klägerin dem BAT-O unterfielen.
Rz. 23
3. Die Berechnung des Landesarbeitsgerichts bzgl. der Höhe des streitgegenständlichen Zuschusses kann nach alledem keinen Bestand haben. Würde man zu dem der Klägerin ausbezahlten Übergangsgeld im Rahmen der Berechnung des Zuschusses noch „fiktive Sozialversicherungsbeiträge“, die sie tatsächlich nicht zu tragen hat, hinzuaddieren, würde man die von den Tarifvertragsparteien gewählte Anknüpfung an die Regelungen des Sozialrechts missachten. Dies gilt erst recht bzgl. der Rechtsauffassung der Revision, welche zudem im Ergebnis zu einer Marginalisierung des Zuschusses führen würde.
Rz. 24
Im Ergebnis erweist sich die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aber insoweit iSv. § 561 ZPO als richtig, als die Klägerin jedenfalls den ausgeurteilten Betrag von 891,33 Euro brutto als Zuschuss beanspruchen kann. Die ihrer Klageforderung von 1.679,00 Euro zu Grunde gelegte Berechnung wäre nicht zu beanstanden, wenn sie keinen Beitragszuschlag für Kinderlose in der Pflegeversicherung zu tragen hätte. Anderenfalls wäre die Differenz so gering, dass der Betrag von 891,33 Euro brutto nicht unterschritten würde. Gleiches gilt für die von der Beklagten im Rahmen einer Aufrechnung angeführte Überzahlung von 133,12 Euro. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob diese Aufrechnung im Revisionsverfahren noch möglich gewesen wäre.
Rz. 25
III. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
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Spelge |
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Heinkel |
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Krumbiegel |
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J. Kühner |
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M. Werner |
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Fundstellen
Haufe-Index 14686032 |
FA 2021, 329 |
NZA 2021, 1204 |
ZTR 2021, 510 |
AP 2021 |
EzA-SD 2021, 12 |
RiA 2022, 13 |
öAT 2021, 211 |
AP-Newsletter 2021, 211 |
GK/Bay 2022, 253 |