Entscheidungsstichwort (Thema)
Übergangsgeld. teilzeitbeschäftigter Arbeiter
Leitsatz (redaktionell)
Vergl. Urteil des Senats vom 7. November 1991 (– 6 AZR 392/88 – AP Nr. 14 zu § 62 BAT) zum Anspruch teilzeitbeschäftigter Angestellter auf Übergangsgeld nach § 62 BAT.
Normenkette
Tarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb) § 25 b; Tarifvertrag für die Angestellten der Deutschen Bundespost (TV Ang) §§ 55, 56
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 14.06.1994; Aktenzeichen 3 Sa 554/94) |
ArbG Düsseldorf (Urteil vom 11.01.1994; Aktenzeichen 1 Ca 7535/93) |
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 14. Juni 1994 – 3 Sa 554/94 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Übergangsgeld zu zahlen.
Die Klägerin war vom 1. Oktober 1975 bis zum 31. Januar 1990 bei der Beklagten als gewerbliche Arbeitnehmerin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft beiderseitiger Verbands Zugehörigkeit der Tarifvertrag für Arbeiter bei der Deutschen Bundespost (TV Arb) Anwendung. Die wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin betrug 15,05 Stunden. Seit dem 1. Februar 1990 bezieht die Klägerin Altersruhegeld. Die Zahlung von Übergangsgeld in unstreitiger Höhe von 2.852,– DM lehnte die Beklagte mit dem Hinweis ab, daß diese Leistung nach den tarifrechtlichen Vorschriften nur für vollbeschäftigte Arbeiter vorgesehen sei.
§ 25 b TV Arb lautet:
„Übergangsgeld
Für die Gewährung von Übergangsgeld an ausscheidende Arbeiter gelten die Bestimmungen der §§ 55, 56 und 57 TV Ang in ihrer jeweiligen Fassung sinngemäß. Der Vergütung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 TV Ang entspricht der Zeitlohn nach § 14 Abs. 4 Buchst. a).”
§ 55 TV Ang lautet:
„Voraussetzungen für die Zahlung des Übergangsgeldes
(1) Der vollbeschäftigte Angestellte, der am Tage der Beendigung des Arbeitsverhältnisses
- als solcher in einem ununterbrochenen Angestelltenverhältnis von mindestens einem Jahr bei der Deutschen Bundespost gestanden hat und
- das 21. Lebensjahr vollendet hat, erhält beim Ausscheiden ein Übergangsgeld.
In § 56 TV Ang heißt es:
„Bemessung des Übergangsgeldes
(2) Das Übergangsgeld beträgt für jedes volle Beschäftigungsjahr, das der Angestellte seit Vollendung seines 18. Lebensjahres in einem ohne Unterbrechung verbrachten Beschäftigungsverhältnis zur Deutschen Bundespost zurückgelegt hat, ein Viertel der letzten Monatsvergütung. Mindestens wird die Hälfte und höchstens das Vierfache dieser Monatsvergütung gewährt.
Unberücksichtigt bleiben jedoch Zeiten
d) einer Beschäftigung mit weniger als der Hälfte der jeweils geltenden regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollbeschäftigten.
…”
Die Klägerin hat gemeint, durch die Beschränkung des Anspruchs auf vollbeschäftigte Arbeitnehmer werde sie diesen gegenüber als Teilzeitkraft ohne sachlichen Grund unterschiedlich behandelt.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.852,– DM nebst 4 % Zinsen seit 5. Januar 1993 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Tarifregelung sei rechtswirksam, soweit sie zwischen vollzeitbeschäftigten und teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern unterscheide.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten bleibt ohne Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen die Beklagte zur Zahlung des der Arbeitszeit der Klägerin entsprechenden anteiligen Übergangsgeldes verurteilt. Die Klägerin hat Anspruch darauf, mit den vollzeitbeschäftigten Arbeitern gleichbehandelt zu werden. Soweit § 25 b TV Arb i.V.m. § 55 Abs. 1 TV Ang und § 56 Abs. 2 TV Ang den Anspruch auf diese Arbeiter beschränkt, ist er nichtig.
I. Der tarifliche Ausschluß teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer vom Anspruch auf Übergangsgeld verstößt gegen Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG 1985. Nach dieser Bestimmung darf der Arbeitgeber einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer nicht wegen der Teilzeitarbeit gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern unterschiedlich behandeln, es sei denn, daß sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen.
1. Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG 1985 findet seit dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens (1. Mai 1985) auf das im Jahr 1975 begründete Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung (vgl. BAG Teilurteil vom 25. Januar 1989 – 5 AZR 161/88 – BAGE 61, 43, 46 = AP Nr. 2 zu § 2 BeschFG 1985, zu II 1 der Gründe; BAG Urteil vom 24. Oktober 1989 – 8 AZR 5/89 – BAGE 63, 181, 186 = AP Nr. 29 zu § 11 BUrlG, zu II 3 der Gründe; BAG Urteil vom 7. November 1991 – 6 AZR 392/88 – AP Nr. 14 zu § 62 BAT, zu I 2 der Gründe; BAG Urteil vom 5. November 1992 – 6 AZR 420/91 – EzA § 2 BeschFG 1985 Nr. 24).
2. § 25 b TV Arb gilt zwischen den Parteien. Die Klägerin hat die Voraussetzungen des in dieser Bestimmung genannten § 55 Abs. 1 TV Ang mit Ausnahme der Vollbeschäftigung erfüllt. Sie hat das 21. Lebensjahr vollendet und hat in einem Arbeitsverhältnis von mindestens einem Jahr bei der Deutschen Bundespost gestanden.
3. Der Ausschluß der teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer vom Übergangsgeld stellt eine unterschiedliche Behandlung gegenüber den vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern dar, ist ausschließlich durch die Teilzeit bedingt und nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt.
a) Die Klägerin wird gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern unterschiedlich behandelt.
Die Bestimmung des Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG 1985 gilt nicht nur für einseitige Maßnahmen des Arbeitgebers, sondern auch für Arbeitsverträge, durch die teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer gegenüber vollzeitbeschäftigten benachteiligt werden (vgl. BAG Urteile vom 25. Januar 1989, vom 24. Oktober 1989, vom 7. November 1991 und vom 5. November 1992, jeweils a.a.O.).
b) Die unterschiedliche Behandlung der Klägerin erfolgt wegen der Teilzeitarbeit. Dies ergibt sich aus dem Tarifwortlaut, der ausdrücklich einen Anspruch auf die tarifliche Leistung nur den vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern zugesteht und somit die übrigen Arbeitnehmer allein deshalb, weil ihre Arbeitszeit kürzer ist von der Leistungen ausschließt.
c) Sachliche Gründe, die die unterschiedliche Behandlung der Teilzeitbeschäftigten gegenüber den Vollzeitbeschäftigten rechtfertigen, bestehen nicht.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist das unterschiedliche Arbeitspensum des Teilzeitbeschäftigten und des Vollzeitbeschäftigten kein ausreichender sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung (vgl. BAG Urteile vom 22. August 1990 – 5 AZR 543/89 – BAGE 66, 17, 20 = AP Nr. 8 zu § 2 BeschFG 1985, zu II 1 der Gründe; vom 6. Dezember 1990 – 6 AZR 159/89 – BAGE 66, 314, 317 = AP Nr. 12 zu § 2 BeschFG 1985, zu II 1 b (1) der Gründe und vom 7. November 1991 – 6 AZR 392/88 – AP Nr. 14 zu § 62 BAT, zu I 3 c aa der Gründe; zuletzt BAG Urteile vom 5. November 1992 – 6 AZR 420/91 – EzA § 2 BeschFG 1985 Nr. 24; vom 17. Juni 1993 – 6 AZR 620/92 – AP Nr. 32 zu § 2 BeschFG 1985, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; vom 16. September 1993 – 6 AZR 691/92 – AP Nr. 2 zu § 9 TV Arb Bundespost). Der Umfang der Arbeitsleistung stellt daher für sich genommen keinen sachlichen Grund dar, um den Teilzeitbeschäftigten von der Gewährung einer tariflichen Leistung auszuschließen.
In ständiger Rechtsprechung teilt das Bundesarbeitsgericht nicht die Ansicht der Beklagten, Charakter und Rechtsnatur des Übergangsgeldes rechtfertigten einen Ausschluß der Teilzeitbeschäftigten; die bisherigen materiellen Lebensumstände seien nur bei Vollzeitbeschäftigung durch das Arbeitsverhältnis in vollem Umfang geprägt, weshalb bei Teilzeitbeschäftigten ein geringeres Bedürfnis nach einer Überbrückungsbeihilfe bestehe (vgl. BAG Urteil vom 7. November 1991, a.a.O.).
Die Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung kann sich grundsätzlich nur aus dem Verhältnis von Leistungszweck und Umfang der Teilzeitarbeit ergeben. Hiernach besteht ein sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung, wenn sich aus dem Leistungszweck Gründe herleiten lassen, die es unter Berücksichtigung aller Umstände rechtfertigen, dem Teilzeitbeschäftigten die Leistung, die der Vollzeitbeschäftigte zu beanspruchen hat, auch nicht anteilig zu gewähren (vgl. Senatsurteil vom 7. November 1991, a.a.O., zu II 3 c bb der Gründe). Solche Gründe läßt der Zweck des Übergangsgeldes nicht erkennen.
Das Übergangsgeld nach § 25 b TV Arb soll – ebenso wie das Übergangsgeld nach § 62 BAT, über das der Senat im vorgenannten Urteil zu entscheiden hatte – dem ausscheidenden Arbeitnehmer als Überbrückungs- und Umstellungshilfe dienen (BAG Urteile vom 5. Februar 1981 – 3 AZR 748/79 – AP Nr. 188 zu § 242 BGB Ruhegehalt; vom 19. April 1983 – 3 AZR 16/81 – BAGE 42, 212, 215 = AP Nr. 5 zu § 63 BAT, zu II der Gründe; vom 21. Februar 1991 – 6 AZR 406/89 – BAGE 62, 264, 271 = AP Nr. 9 zu § 63 BAT, zu II 3 d der Gründe) und die Aufrechterhaltung des bisherigen sozialen Status für einen bestimmten Zeitraum sicherstellen (BAG Urteile vom 21. Februar 1991 – 6 AZR 406/89 –, a.a.O.; vom 27. November 1986 – 6 AZR 558/84 – BAGE 53, 371, 380 = AP Nr. 11 zu § 62 BAT, zu III 4 der Gründe; vom 7. November 1991, a.a.O., zu I 3 c bb der Gründe). Dieser Leistungszweck ist auch bei den teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern gegeben. Auch deren materielle und soziale Umstände sind weitgehend durch ihre Teilzeitbeschäftigung geprägt. Ein geringeres Schutzbedürfnis oder ein fehlendes Bedürfnis für den Bezug des Übergangsgeldes ist bei dieser Personengruppe nicht erkennbar.
4. Der Ausschluß der Klägerin vom Übergangsgeld ist nicht deshalb wirksam, weil die unterschiedliche Behandlung tariflich geregelt ist.
Zwar räumt Art. 1 § 6 Abs. 1 BeschFG 1985 nach seinem Wortlaut den Tarifvertragsparteien die Befugnis ein, von der Vorschrift des Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG 1985 zuungunsten des Arbeitnehmers abzuweichen. Art. 1 § 6 Abs. 1 BeschFG 1985 gestattet es den Tarifvertragsparteien aber nicht, vom Grundsatz der Gleichbehandlung, wie er in Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG 1985 konkretisiert und niedergelegt ist, inhaltlich abzuweichen. Der erkennende Senat verweist insoweit auf die Entscheidung des Dritten Senats vom 29. August 1989 (– 3 AZR 370/88 – BAGE 62, 334, 338 = AP Nr. 6 zu § 2 BeschFG 1985), der er sich in ständiger Rechtsprechung im Ergebnis angeschlossen hat (vgl. Senatsurteil vom 7. November 1991 – 6 AZR 392/88 –, a.a.O., zu I 3 d der Gründe und Senatsurteile vom 5. November 1992 – 6 AZR 420/91 –, a.a.O., und vom 17. Juni 1993 – 6 AZR 620/92 –, a.a.O., und vom 16. September 1993 – 6 AZR 691/92 –, a.a.O.).
Soweit die Revision unter Hinweis auf eine Literaturmeinung (Reuter, Betriebsverfassung und Tarifvertrag, RdA 1994, 152, 156) die Ansicht vertritt, die Bindung der Tarifvertragsparteien an die Grundrechte sei weit weniger gefestigt, und weiter anführt, die gesetzgeberische Absicht der Förderung von Teilzeitarbeit würde durch eine Gleichbehandlung von Vollzeitarbeitskräften und Teilzeitarbeitskräften vereitelt, kann sie keinen Erfolg haben. Diese allgemeinen Gesichtspunkte veranlassen den Senat nicht zur Änderung seiner auf den Gesetzeswortlaut gestützten Auffassung.
5. Der Verstoß gegen Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG 1985 führt nach § 134 BGB zur Nichtigkeit der die Klägerin als Teilzeitbeschäftigte diskriminierenden Maßnahme. Dies hat zur Folge, daß die Klägerin in Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes einen Anspruch auf die Leistung hat, die die Beklagte den Vollzeitbeschäftigten gewährt (BAG Urteil vom 24. Oktober 1989 – 8 AZR 5/89 – BAGE 63, 181, 187 = AP Nr. 29 zu § 11 BUrlG, zu II 4 der Gründe und Senatsurteile vom 7. November 1991, a.a.O., zu I 4 der Gründe und zuletzt vom 17. Juni 1993 – 6 AZR 620/92 –, a.a.O., zu II 4 der Gründe). Die Klägerin hat somit Anspruch auf anteiliges Übergangsgeld in unstreitiger Höhe.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, Steinhäuser, Reimann
Fundstellen