Entscheidungsstichwort (Thema)
Durchgriffshaftung. Bevorrechtigte Forderung im Konkurs. Gesellschaftsrecht. Konkurs
Orientierungssatz
- Auf die Bundesanstalt für Arbeit übergegangene Arbeitsentgeltansprüche im Konkursausfallgeldzeitraum, die gem. § 59 Abs. 2 KO von einer Masseforderung auf den Rang einer bevorrechtigten Konkursforderung nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO herabgestuft worden sind, behalten diesen Rang nicht, wenn sie im Wege der Durchgriffshaftung gegen ein beherrschendes Unternehmen gerichtet werden und dieses ebenfalls in Konkurs fällt, weil sie nicht aus Arbeitsverhältnissen mit diesem Unternehmen stammen. Sie sind vielmehr einfache Konkursforderungen.
- Eine analoge Anwendung des § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO auf diese Fälle scheidet aus.
- Der Durchgriffshaftungsschuldner tritt nicht deshalb in eine Arbeitgeberstellung ein, weil die Haftung auf einem Mißbrauch an sich zulässiger gesellschaftsrechtlicher Haftungsbegrenzungsmöglichkeiten beruht.
- Die rechtlichen Folgen der Durchgriffshaftung sind nicht vergleichbar mit der Situation einer Personengesellschaft, in der der persönlich haftende Gesellschafter gleichwertig mit der Gesellschaft für dieselbe Schuld einsteht. Daher steht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, des Bundesarbeitsgerichts, des Bundessozialgerichts und des Bundesfinanzhofs zur Rangerhaltung im Konkurs des Gesellschafters einer erneuten Prüfung des Rangs im Konkurs des Durchgriffhaftungschuldners nicht entgegen.
Normenkette
KO § 61 Abs. 1, 6, § 59 Abs. 2, 1 Nr. 3a; AFG § 141m Abs. 1; HGB § 128
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über den konkursrechtlichen Rang von Ansprüchen, die aus konzernrechtlicher Durchgriffshaftung erwachsen und auf die Klägerin übergegangen sind.
Durch Beschluß des Amtsgerichts G vom 31. März 1993 wurde über das Vermögen der H… GmbH & Co. KG (Vertriebsgesellschaft), der W… GmbH & Co. KG (Produktionsgesellschaft) und der H… mbH (Komplementärin beider Gesellschaften) das Konkursverfahren eröffnet und der Beklagte zum Konkursverwalter aller Gesellschaften bestellt.
Die Klägerin zahlte den ca. 300 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der Produktionsgesellschaft Konkursausfallgeld in Höhe von DM 2.896.945,35. Im Konkursverfahren der Produktionsgesellschaft wurde diese Forderung mit dem Rang von § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO vom Beklagten anerkannt und mit insgesamt DM 1.759.679,46 berichtigt. In Höhe von DM 1.137.265,89 fiel die Klägerin im Konkurs der Produktionsgesellschaft aus. Diesen Teilbetrag möchte sie im Konkurs der Vertriebsgesellschaft als bevorrechtigte Forderung mit dem Rang von § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO durchsetzen. Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 8. September 1998 (– 3 AZR 185/97 –) für die Betriebsrenten- und Versorgungsansprüche der bei der Produktionsgesellschaft beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entschieden, daß die Vertriebsgesellschaft nach den Grundsätzen der Durchgriffshaftung im qualifiziert faktischen Konzern für die Verbindlichkeiten der Produktionsgesellschaft haftet. Der Beklagte hat die angemeldete Forderung als sonstige Forderung im Rang von § 61 Abs. 1 Nr. 6 KO anerkannt, allerdings eine Bevorrechtigung nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO bestritten. Bevorrechtigte Forderungen werden zu 100 % berichtigt; die Quote für eine sonstige Konkursforderung beträgt 35 %.
Mit der am 28. Februar 2000 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage begehrt die Klägerin Feststellung der Forderung zur Konkurstabelle mit dem Rang von § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO. Sie vertritt die Auffassung, aus dem Mißbrauch der haftungsbeschränkenden Rechtsform dürfe der Gemeinschuldnerin (Vertriebsgesellschaft) kein Vorteil erwachsen, indem ihr gegenüber Ansprüche nur als einfache Konkursforderungen zu realisieren seien. Die Vertriebsgesellschaft müsse sich wie die Produktionsgesellschaft als Arbeitgeberin behandeln lassen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Forderung der Klägerin gegenüber der Firma H… GmbH & Co. KG in Höhe von DM 1.137.265,89 zur Konkurstabelle als bevorrechtigte Forderung gemäß § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO festzustellen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er vertritt die Auffassung, die angemeldeten Ansprüche seien einfache Konkursforderungen im Sinne von § 61 Abs. 1 Nr. 6 KO. Für jedes Konkursverfahren sei der Rang einer Forderung eigenständig zu beurteilen. Arbeitgeberin sei ausschließlich die Produktionsgesellschaft gewesen; nur ihr gegenüber bestünden im Konkurs privilegierte Arbeitsentgeltansprüche. Die aus dem Mißbrauch der Leitungsmacht abgeleitete Haftung des herrschenden Unternehmens habe demgegenüber den Charakter eines Schadensersatzanspruches, der grundsätzlich in der Rangklasse des § 61 Abs. 1 Nr. 6 KO berichtigt würde. Die Haftungskonstellation im qualifiziert faktischen Konzern könne auch mit der Haftung des Bürgen verglichen werden. Eine Gläubigerforderung habe im Konkurs des Hauptschuldners nicht zwangsläufig den gleichen Rang wie im Konkurs des Bürgen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision begehrt der Beklagte die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Auf die begründete Revision des Beklagten war das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben, das Urteil des Arbeitsgericht abzuändern und die Klage abzuweisen. Die angemeldeten Ansprüche sind einfache Konkursforderungen.
Unterschriften
Dr. Freitag, Fischermeier, Marquardt, v. Baumgarten, Trümner
Fundstellen
Haufe-Index 853395 |
DB 2002, 2604 |
NJW 2003, 1340 |
EWiR 2003, 175 |
KTS 2003, 328 |
NZA 2003, 213 |
NZG 2003, 120 |
SAE 2003, 230 |
ZIP 2002, 2137 |
AG 2003, 322 |
AP, 0 |
EzA-SD 2002, 13 |
NZI 2003, 106 |
ZInsO 2003, 51 |