BAG, Urteil vom 29.4.2021, 8 AZR 279/20
Leitsätze (amtlich)
1. Soweit sich im öffentlichen Dienst eine Stellenausschreibung insbesondere (auch) an Bewerber/innen außerhalb des öffentlichen Dienstes richtet, es also in 1. Linie um eine Ersteinstellung geht, kann der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes grundsätzlich bestimmen, dass die für die ausgeschriebene Stelle erforderliche fachliche Eignung durch eine bestimmte Mindestnote eines zulässig geforderten Ausbildungsabschlusses nachzuweisen ist.
2. Erfüllen schwerbehinderte bzw. ihnen gleichgestellte behinderte Menschen nach ihren Bewerbungsunterlagen zweifelsfrei eine zulässig bestimmte und im Anforderungsprofil ausdrücklich und eindeutig bezeichnete fachliche Eignungsanforderung – wie etwa die Absolvierung eines zulässig geforderten Ausbildungsabschlusses mit einer bestimmten Mindestnote – nicht, reicht dies allein nicht aus, um den Arbeitgeber nach § 165 Satz 4 SGB IX von der in § 165 Satz 3 SGB IX bestimmten Verpflichtung zu befreien, den/die Bewerber/in zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Den Arbeitgeber, der in solch einem Fall – gestützt auf § 165 Satz 4 SGB IX – von einer Einladung absehen will, trifft nicht nur die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der/die Bewerber/in fachlich offensichtlich ungeeignet ist, d. h., dass das fachliche Leistungsprofil des/der Bewerbers/Bewerberin "unzweifelhaft" nicht dem (fachlichen) Anforderungsprofil der zu vergebenden Stelle entspricht. Der Arbeitgeber muss auch darlegen und im Bestreitensfall beweisen, dass er andere Bewerber/innen, die ebenso insoweit das Anforderungsprofil nicht erfüllten, weder zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen noch letztlich eingestellt hat.
Sachverhalt
Der Kläger ist schwerbehindert. Er hatte im Jahre 1994 ein Studium der Fächer Politikwissenschaften, Philosophie und Deutsche Philologie mit der Note "befriedigend" abgeschlossen und ist seitdem sowohl freiberuflich als auch angestellt tätig, insbesondere im Bereich Kommunikation einschließlich Onlinekommunikation und Onlinemarketing.
Die Beklagte schrieb im Jahr 2018 für eine Beschäftigung im Bundesamt für Verfassungsschutz mehrere Stellen als "Referenten/Referentinnen Politik-, Geschichts- oder Verwaltungswissenschaften" aus. Gefordert wurde hierbei u. a. ein wissenschaftliches Hochschulstudium der Politik-, Geschichts- oder Verwaltungswissenschaften mit mindestens der Note "gut". Der Kläger bewarb sich innerhalb der Bewerbungsfrist über das für das Stellenbesetzungsverfahren vorgegebene Online-Bewerbungssystem unter Angabe seiner Schwerbehinderung. Mit E-Mail vom 17.7.2018 wurde ihm jedoch mitgeteilt, dass man inzwischen eine Vorauswahlentscheidung getroffen habe und dass seine Bewerbung leider nicht in die engere Wahl habe einbezogen werden können.
Mit seiner Klage macht der Kläger nun die Zahlung einer Entschädigung nach dem AGG geltend. Er begründete dies damit, dass die Beklagte ihn im Bewerbungsverfahren wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt habe, da er entgegen den Vorgaben in § 165 Satz 3 SGB IX nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden sei, obwohl er fachlich für die ausgeschriebenen Stellen geeignet gewesen sei. Da die in § 165 Satz 4 SGB IX zugelassene Ausnahme von der Einladungspflicht gegenüber schwerbehinderten Stellenbewerbern eng auszulegen sei, sei es hiermit nicht vereinbar, die Abschlussnote des Studiums als Ausschlusskriterium anzusehen. Die Beklagte habe dieses Kriterium im Übrigen auch nicht während des gesamten Auswahlverfahrens beachtet.
Die Beklagte vertrat dagegen die Ansicht, den Kläger nicht wegen seiner (Schwer-)Behinderung benachteiligt zu haben, da ein Verstoß gegen § 165 Satz 3 SGB IX nicht vorliege; denn der Kläger erfülle die zwingend festgesetzte Anforderung der Mindestabschlussnote "gut" nicht. Diese Anforderung sei rechtlich nicht zu beanstanden, insbesondere genüge der öffentliche Arbeitgeber hiermit dem Prinzip der Bestenauslese des Art. 33 Abs. 2 GG. Zudem folge die Anforderung der Mindestabschlussnote "gut" aus den Aufgaben, die den Referentinnen und Referenten übertragen werden sollten. Deshalb sei sie nicht nach § 165 Satz 4 SGB IX verpflichtet gewesen, den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Auch habe sie das Auswahlkriterium der Mindestabschlussnote "gut" während des gesamten Auswahlverfahrens beachtet.
Die Entscheidung
Die Klage wurde in den Vorinstanzen abgewiesen. Das BAG hob die Entscheidung des LAG jedoch auf und wies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an dieses zurück; denn nach Auffassung des BAG durfte das LAG die Klage nicht mit der gegebenen Begründung abweisen.
Das BAG entschied, dass der Kläger unmittelbar i. S. v. § 3 Abs. 1 AGG benachteiligt worden sei, da er entgegen den Vorgaben des § 165 SGB IX nicht im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren berücksichtigt worden war. Entgegen der Auffassung des LAG sei die Beklagte auch nicht von ihrer Verpflichtung aus § 165 Satz 3 SGB IX befreit gewesen, den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch ...