BAG, Urteil vom 16.8.2023, 4 AZR 339/22

Leitsatz (amtlich)

Die Grundsätze der korrigierenden Rückgruppierung, nach denen die Arbeitgeberin die Darlegungs- und Beweislast für die objektive Fehlerhaftigkeit der bisher angenommenen Bewertung der Tätigkeit trägt, sind nur anzuwenden, wenn sich aus der bislang vorgenommenen Zuordnung zu einer Entgeltgruppe oder einem Tätigkeitsmerkmal zwingend die durch die Beschäftigte begehrte Eingruppierung ergibt. Sie gelten ihrem Sinn und Zweck nach nicht, wenn die Beschäftigte ihr Vertrauen nur auf ein Element der bisherigen tariflichen Bewertung durch die Arbeitgeberin stützt, aber weitere rechtliche Folgeüberlegungen erforderlich sind, die erst zur beanspruchten Entgeltgruppe führen.

Sachverhalt

Die Klägerin war als Sachgebietsleiterin "Finanzen und Abwicklung Grundstücksverkehr" tätig. Ihr waren 7 Beschäftigte unterstellt, gegenüber denen sie die Dienst- und Fachaufsicht ausübte und weisungsbefugt war. Neben der Leitung oblagen ihr Grundsatzaufgaben wie Haushaltsplanungen, Rechtsfragen u. ä. Sie war vergütet mit der EG 10 (VKA) und verlangte die Bezahlung nach EG 11.

Argument: Ihre Tätigkeit habe sich durch "besondere Schwierigkeit und Bedeutung" aus der EG 9c TVöD/VKA herausgehoben. Entgegen der Ansicht der Beklagten habe die Tätigkeit nicht aus mehreren, sondern aus einem einheitlichen Arbeitsvorgang bestanden. Es sei ausreichend, wenn in diesem Arbeitsvorgang Tätigkeiten von "besonderer Schwierigkeit und Bedeutung" in rechtserheblichem Ausmaß anfielen. Sie habe darauf vertraut, dass die Beklagte mit Zahlung einer Vergütung nach EG 10 TVöD/VKA anerkannt habe, jedenfalls zu einem Drittel der Gesamtarbeitszeit würden Arbeitsvorgänge mit solchen Tätigkeiten verrichtet. Daher trage die Beklagte nach den Grundsätzen der korrigierenden Rückgruppierung insoweit die Darlegungs- und Beweislast. Im Übrigen ergebe sich die "besondere Schwierigkeit und Bedeutung" aus der ihr übertragenen Führungsverantwortung sowie ihren Aufgaben bei der Haushaltsplanung und –aufstellung.

Die Entscheidung

Die Klage hatte keinen Erfolg.

Zunächst führte das BAG aus, dass die auszuübende Tätigkeit als Sachgebietsleiterin einen einheitlichen Arbeitsvorgang darstelle; denn sowohl die Leitungsaufgaben als auch die Grundsatz- und Sonderaufgaben dienten dem Arbeitsergebnis der Leitung des Sachgebiets "Finanzen und Abwicklung Grundstücksverkehr". Eine organisatorische Trennung der unmittelbaren Leitungsaufgaben von den weiteren Tätigkeiten sei nicht erfolgt.

Die Klägerin war nach Auffassung des Gerichts ihrer Darlegungs- und Beweislast für die Erfüllung des von ihr in Anspruch genommenen Tätigkeitsmerkmals nicht nachgekommen; denn grundsätzlich muss die Beschäftigte die tatsächlichen Voraussetzungen einer von ihr klageweise begehrten Eingruppierung im Prozess darlegen und beweisen. Die Beklagte habe vorliegend keine korrigierende Rückgruppierung vorgenommen, die zu einer Änderung der Darlegungs- und Beweislast geführt hätte.

Die Klägerin konnte auch nicht darauf vertrauen, dass nach einer Korrektur der Bestimmung der Arbeitsvorgänge und Vorliegen eines einheitlichen Arbeitsvorgangs dieser zwingend insgesamt die Anforderung der "besonderen Schwierigkeit und Bedeutung" erfülle. Ändere sich aufgrund einer neuen Bewertung der zeitliche Umfang des Arbeitsvorgangs, sei eine eigenständige Prüfung erforderlich, ob eine Tätigkeit, die ein Heraushebungsmerkmal erfüllt, im erforderlichen Umfang innerhalb des Arbeitsvorgangs auszuüben sei.

Beruft sich die darlegungs- und beweisbelastete Beschäftigte – wie vorliegend – auf die Erfüllung eines Tätigkeitsmerkmals einer höheren Entgeltgruppe, welches auf dem einer niedrigeren Entgeltgruppe aufbaut und eine zusätzliche tarifliche Anforderung – "Heraushebungsmerkmal" – vorsieht, erschließe sich deren genauer Inhalt erst durch eine Darstellung der Tätigkeit der Ausgangsentgeltgruppe und deren Anforderungen. In diesem Fall sei es daher nicht ausreichend, wenn die Beschäftigte die ihr übertragenen Aufgaben im Einzelnen darstellt. Vielmehr sei darüber hinaus ein Vorbringen erforderlich, das erkennen lasse, wodurch sich eine bestimmte Tätigkeit von der in der Ausgangsentgeltgruppe bewerteten "Normaltätigkeit" unterscheidet.

Hinweis:

Zur Beweislast bei aufeinander aufbauenden Entgeltgruppen, s. BAG, Urteil vom 22.6.2022, 4 AZR 495/21; zur Beweislast bei korrigierenden Rückgruppierungen s. BAG, Urteil vom 27.4.2022, 4 AZR 463/21.

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