Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionsnichtzulassungsbeschwerde. Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache. Vorhandene höchstrichterliche Rechtsprechung. Ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage. Verfahrensmangel. Darlegung der Verletzung der Aufklärungspflicht
Leitsatz (redaktionell)
Ein Verfahrensmangel kann auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Berufungsgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ohne hinreichende Begründung i.S.v. § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs 2 SGG bedeutet hier, dass die Revision zuzulassen ist, wenn das LSG sich hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben (BSG SozR 1500 § 160 Nr. 5). Zur Begründung eines solchen Verfahrensfehlers ist die schlüssige Darlegung des Beschwerdeführers erforderlich, inwiefern nach dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt und den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zu tatsächlichen, entscheidungserheblichen Umständen aus der rechtlichen Sicht des LSG erkennbar offengeblieben sind und damit zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts zwingende Veranlassung bestanden hat (Bezugnahme auf BSG SozR 1500 § 160a Nr. 34).
Orientierungssatz
Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann zu sehen, wenn das Revisionsgericht sie zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, zur Auslegung der anzuwendenden Begriffe und Vorschriften aber bereits eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidung ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 08.11.2003; Aktenzeichen L 2 U 77/03) |
SG Berlin (Entscheidung vom 10.10.2003; Aktenzeichen S 69 U 870/99) |
Gründe
Die gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (LSG) gerichtete Beschwerde der Klägerin, die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und des Verfahrensmangels gestützt wird, ist unzulässig. Die dazu gegebene Begründung entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) festgelegten Form. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erfordern diese Vorschriften, dass der Zulassungsgrund schlüssig dargetan wird (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 34, 47 und 58; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Aufl, 2005, RdNr 177 ff mwN). Diesen Anforderungen an die Begründung hat die Klägerin nicht hinreichend Rechnung getragen.
Nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. In der Beschwerdebegründung muss nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG diese grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aufgezeigt werden. Hierzu ist zunächst darzulegen, welcher bestimmten abstrakten Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung beigemessen wird (BSG SozR 1500 § 160a Nr 11) und dass diese Rechtsfrage klärungsbedürftig und klärungsfähig ist (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 1; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16). Die Klärungsbedürftigkeit ist ua dann zu verneinen, wenn die Rechtsfrage bereits höchstrichterlich beantwortet ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 51; BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 und 65). Ist die aufgeworfene Rechtsfrage durch das Revisionsgericht bereits entschieden, kommt die erneute Zulassung der Revision in Betracht, wenn dieser Beurteilung in der Rechtsprechung oder Literatur in nicht nur geringem Umfang und mit beachtlichen Gründen widersprochen wird oder wenn sich völlig neue Gesichtspunkte ergeben, die früher nicht erwogen wurden und geeignet sind, eine andere Beurteilung der Rechtsfrage nahe zu legen (BSG, Beschluss vom 31. August 2004 - B 2 U 103/04 B -; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl, 2005, § 160, RdNr 7a mwN; Krasney/Udsching, aaO, IX, RdNr 65 mwN).
Die Klägerin misst folgenden Fragen grundsätzliche Bedeutung bei:
"a. Fraglich ist, ob die Tarifstelle 14 des Gefahrtarifes 1998 der Verwaltungs-BG den gesetzlichen Anforderungen an die Bildung einer Tarifstelle gemäß § 157 Abs 2 SGB VII entspricht, wenn zu dieser Tarifstelle nach den Vorgaben der Verwaltungs-BG die Lohnsummen aller der Mitarbeiter eines Bewachungsunternehmens zu melden sind? Kann insoweit von einer Gefahrengemeinschaft nach Gefährdungsrisiken in der Tarifstelle 14 ausgegangen werden, wenn hier gefahrgeneigte Tätigkeiten wie bewaffneter Personen- und Objektschutz einerseits und andererseits Pförtnertätigkeiten in einem Museum zusammen gefaßt werden?
b. Ist die Beitragsveranlagung der Beschwerdeführerin deshalb rechtswidrig, weil die VBG über viele Jahre hinweg ein Mehrfaches an Beiträgen erhoben hat als sie Lasten zu entschädigen hatte, und liegt hier ein Grundrechtsverstoß vor?
c. Sind die zur Tarifstelle 14 veranlagten Bewachungsunternehmen und damit auch die Beschwerdeführerin dadurch rechtswidrig zur Beitragszahlung herangezogen worden, weil die Beschwerdegegnerin mit der Umlagerechnung 1998 keine umlagewirksame Entnahme aus dem Betriebsmittelstock vorgenommen hat?"
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin damit überhaupt hinreichend bestimmte abstrakte - und nicht nur die Rechtsanwendung im Einzelfall betreffende - Rechtsfragen gestellt hat. Denn sie hat jedenfalls deren Klärungsbedürftigkeit nicht schlüssig dargestellt.
Zunächst einmal hat die Klägerin sich nicht genügend damit auseinander gesetzt, dass es sich bei dem von ihr in Bezug genommenen Gefahrtarif 1998 um abgelaufenes Recht handelt, da seit 1. Januar 2001 der von der Vertreterversammlung der Beklagten am 7. Dezember 2000 beschlossene Gefahrtarif 2001 gilt. Sie hat nicht vorgetragen, dass die von ihr gestellten Fragen über den von ihr genannten Gefahrtarif hinaus von Bedeutung seien. Soweit ein Rechtsstreit indes nur nicht mehr geltendes Recht betrifft, hat er in aller Regel keine grundsätzliche Bedeutung; da es Aufgabe des Revisionsgerichts ist, die Rechtsfortbildung zu fördern und die Einheit der Rechtsprechung zu wahren, sind grundsätzlich nur Rechtsfragen klärungsbedürftig, die sich aus dem geltenden Recht ergeben (vgl Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 141 mwN). Eine Ausnahme gilt nur für den Fall, dass noch eine erhebliche Zahl von Fällen der Entscheidung harren und darin die Klärungsbedürftigkeit der Rechtssache liegt (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 19). Die Beschwerdeführerin hat es versäumt, dies im Einzelnen darzulegen; ihre pauschale Angabe, "viele solcher Verfahren" würden noch von anderen Mitgliedsbetrieben geführt, reicht dafür nicht aus.
Insbesondere mangelt es an einer Darlegung, inwiefern die von ihr aufgeworfenen Fragen - bzw die damit wohl angerissenen rechtlichen Problemkreise - nicht bereits höchstrichterlich geklärt seien. Hierzu hätte indes erheblicher Anlass bestanden. Als höchstrichterlich geklärt muss eine Rechtsfrage auch dann angesehen werden, wenn das Revisionsgericht sie zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, zur Auslegung der anzuwendenden Begriffe und Vorschriften aber bereits eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl Kummer, aaO, RdNr 117 mwN). Der Senat hat in seinen Urteilen vom 24. Juni 2003 (B 2 U 21/02 R - BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr 1) sowie vom 24. Februar 2004 (B 2 U 31/03 R - BSGE 92, 190 = SozR 4-2700 § 152 Nr 1) ua bereits entschieden, dass der Gefahrtarif 1998 der Beklagten und die Rechtsgrundlagen, auf denen er beruht, verfassungsgemäß sind, dass im Rahmen des Umlageverfahrens kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Kostenaufwand eines Unfallversicherungsträgers für Unfälle in einem einzelnen Gewerbezweig und dem Anteil des betreffenden Gewerbezweigs an der Gesamtlast besteht, und welche Grundsätze für die Festsetzung eines Gefahrtarifs und die Bildung von Gefahrtarifstellen gelten. Auf diese höchstrichterliche Rechtsprechung geht die Klägerin überhaupt nicht ein. Sie hat insbesondere nicht dargelegt, inwieweit diese im Rahmen der Veranlagung von Zeitarbeitsunternehmen ergangenen Entscheidungen nicht auch genügend Anhaltspunkte für die hier aufgeworfenen Fragen bieten und sich so möglicherweise ein weiteres Revisionsverfahren erübrigt. Dass diese Rechtsfragen wieder klärungsbedürftig geworden sind, hat die Klägerin versäumt darzustellen, sodass insgesamt die Notwendigkeit einer erneuten Revisionsentscheidung nicht dargetan ist.
Soweit die Klägerin Verfahrensmängel des landessozialgerichtlichen Verfahrens rügt, ist die Beschwerde ebenfalls nicht zulässig. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ohne hinreichende Begründung iS des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG bedeutet hier, dass die Revision zuzulassen ist, wenn das LSG sich hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5). Zur Begründung eines solchen Verfahrensfehlers ist die schlüssige Darlegung des Beschwerdeführers erforderlich, inwiefern nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt und den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zu tatsächlichen, entscheidungserheblichen Umständen aus der rechtlichen Sicht des LSG erkennbar offengeblieben sind und damit zu einer weiteren Aufklärung das Sachverhalts zwingende Veranlassung bestanden hat (BSG SozR 1500 § 160a Nr 34; Beschluss des Senats vom 14. Dezember 1999 - B 2 U 311/99 B - mwN).
Die Klägerin rügt, im Berufungsverfahren sei dargelegt worden, dass ein erhebliches Missverhältnis zwischen Beitragsaufkommen und gezahlten Unfallentschädigungsleistungen bestehe; "entsprechende Beweisanträge" seien auch gestellt worden. Abgesehen davon, dass die Klägerin damit nicht - wie erforderlich (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 5) - einen Beweisantrag so bestimmt bezeichnet hat, dass er für das Gericht ohne weiteres auffindbar ist, hat sie in ihrer Beschwerdebegründung auch nicht im Einzelnen dargetan, wieso das LSG sich - aus seiner Sicht - hätte gedrängt sehen müssen, den angeblich gestellten Beweisanträgen nachzukommen.
Die Beschwerde der Klägerin ist daher als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbs 2 iVm § 169 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung (vgl BSG SozR 3-2500 § 116 Nr 24).
Fundstellen