Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. grundsätzliche Bedeutung. Personen, bei denen als zwischengeschlechtliches Kleinkind geschlechtsangleichende Operationen sowie medikamentöse Behandlungen vorgenommen wurden. keine Bemessung des Zahlbetrags der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach den Durchschnittswerten aller Versicherten eines Jahrgangs

 

Orientierungssatz

1. Im SGB 6 existiert keine rechtliche Grundlage dafür, dass Personen, bei denen als zwischengeschlechtliches Kleinkind geschlechtsangleichende Operationen sowie medikamentöse Behandlungen vorgenommen wurden, beanspruchen könnten, dass sich der Zahlbetrag ihrer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach den Durchschnittswerten aller Versicherten ihres Jahrgangs bemisst.

2. Ein solcher Anspruch kann auch nicht unmittelbar auf Art 14 FoltKonv gestützt werden.

 

Normenkette

SGB VI; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a; FoltKonv Art. 14; VtrRKonv Art. 31 Abs. 1, Art. 53; OEG

 

Verfahrensgang

LSG Hamburg (Beschluss vom 05.03.2019; Aktenzeichen L 3 R 41/17)

SG Hamburg (Urteil vom 18.04.2017; Aktenzeichen S 33 R 1064/13)

 

Tenor

Der Antrag der klagenden Person, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Hamburg vom 5. März 2019 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts zu bewilligen, wird abgelehnt.

 

Gründe

Die klagende Person, die auch den Vornamen "A." verwendet, hat zur Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG Hamburg vom 5.3.2019 mit einem von ihr selbst unterzeichneten, am 8.4.2019 beim BSG eingegangenen Schreiben vom 7.4.2019 sowie ergänzendem Schreiben vom 8.4.2019 die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt. Vor dem LSG hatte die 1972 geborene klagende Person sinngemäß beantragt, den beklagten Rentenversicherungsträger zu verurteilen, den monatlichen Zahlbetrag der ihr für die Zeit vom 1.1.2012 bis 28.2.2014 befristet zuerkannten Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe der durchschnittlichen Rente eines 1972 geborenen Menschen statt mit anfänglich 231,93 Euro festzusetzen. Die Zahlbetragsfestsetzung nach Durchschnittswerten solle als Ausgleich für an ihr als zwischengeschlechtlichem Kleinkind im UKE Hamburg vorgenommene geschlechtsangleichende Operationen sowie die Behandlung mit dem Medikament Androcur dienen. Das LSG hat ihre Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG Hamburg vom 18.4.2017 zurückgewiesen.

Der PKH-Antrag der klagenden Person ist abzulehnen.

Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es im Falle der klagenden Person. Das gegen die angefochtene Berufungsentscheidung zulässige und von der klagenden Person angestrebte Rechtsmittel ist die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (§ 160a SGG). Die Revision darf gemäß § 160 Abs 2 SGG nur zugelassen werden, wenn einer der dort abschließend genannten Revisionszulassungsgründe vorliegt. Nach Durchsicht der Akten und unter Würdigung des Vortrags der klagenden Person ist das hier nicht der Fall.

Es ist nicht ersichtlich, dass ein zur Vertretung vor dem BSG zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 2 und 4 SGG) erfolgreich geltend machen könnte, dass der Rechtssache eine grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) zukommt. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Anhaltspunkte für eine derartige Rechtsfrage sind im Fall der klagenden Person nicht vorhanden.

Zwar hat das BSG noch nicht über die von der klagenden Person in den Vordergrund gestellte Frage entschieden, ob eine intersexuelle Person, an der als Kleinkind geschlechtsangleichende Operationen vorgenommen worden sind und die mit dem Medikament Androcur behandelt worden ist, Anspruch darauf hat, dass der monatliche Zahlbetrag einer ihr zuerkannten Rente der gesetzlichen Rentenversicherung abweichend von den Berechnungsvorschriften des SGB VI nach der durchschnittlichen Rentenhöhe aller Versicherten ihres Jahrgangs festgesetzt wird. Eine Rechtsfrage ist aber auch dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder - auch ohne Vorliegen einer unmittelbar einschlägigen Entscheidung - bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als bereits höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; BSG Beschluss vom 8.2.2017 - B 13 R 294/16 B - juris RdNr 4).

Die von der klagenden Person aufgeworfene Rechtsfrage ist im vorstehenden Sinne geklärt. Die Beantwortung ergibt sich unmittelbar aus dem geltenden Bundesrecht und der ständigen Rechtsprechung des BVerfG sowie der obersten Bundesgerichte zum nationalen Geltungsanspruch völkerrechtlicher Verträge. Eine Rechtgrundlage für den von der klagenden Person geltend gemachten Anspruch auf einen Rentenzahlbetrag nach den Durchschnittswerten aller Versicherten ihres Jahrgangs ist im SGB VI nicht vorhanden, was sie auch nicht bestreitet.

Der geltend gemachte Anspruch kann auch nicht unmittelbar auf Art 14 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10.12.1984 (FoltKonv; Zustimmungsgesetz vom 6.4.1990, BGBl II 247; in Kraft getreten am 31.10.1990, BGBl I 1993, 715) gestützt werden. Art 14 FoltKonv vermittelt den Opfern einer Folterhandlung keinen unmittelbaren Anspruch gegen einen der Konventionsstaaten. Es entspricht der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass subjektive Rechte auch aufgrund von in das Bundesrecht transformierten völkerrechtlichen Verträgen (vgl hierzu zB BVerfG Beschluss vom 14.10.2004 - 2 BvR 1481/04 - BVerfGE 111, 307 - juris RdNr 30 ff mwN) nur dann entstehen, wenn der Vertrag solche Rechte vermitteln will (vgl zB BSG Urteil vom 9.9.1986 - 7 RAr 67/85 - BSGE 60, 230 = SozR 6100 Allg Nr 1 - juris RdNr 27 ff; BSG Urteil vom 6.3.2012 - B 1 KR 10/11 R - BSGE 110, 194 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 69, RdNr 24 f; BGH Urteil vom 13.10.1969 - III ZR 187/68 - BGHZ 52, 371 - juris RdNr 57). Anderenfalls sind solche Normen "non-self-executing", weshalb es zu ihrer Umsetzung einer Ausführungsgesetzgebung bedarf (vgl zB BSG Urteil vom 15.10.2014 - B 12 KR 17/12 R - BSGE 117, 117 = SozR 4-2500 § 5 Nr 24, RdNr 27; vgl auch BGH Urteil vom 13.10.1969 - III ZR 187/68 - BGHZ 52, 371 - juris RdNr 57). Ebenso ist anerkannt, dass die Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrags gemäß Art 31 Abs 1 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23.5.1969 (WVK - BGBl II 1985, 926 und BGBl II 1987, 757) nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Ziels und Zwecks erfolgt (BSG Urteil vom 6.3.2012 - B 1 KR 10/11 R - BSGE 110, 194 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 69, RdNr 24 mwN). Danach folgt aus Art 14 Abs 1 Satz 1 FoltKonv lediglich die Verpflichtung der Vertragsstaaten, in ihrer Rechtsordnung sicherzustellen, dass das Opfer einer Folterhandlung Wiedergutmachung erhält und ein einklagbares Recht auf eine gerechte und angemessene Entschädigung einschließlich der Mittel für eine möglichst vollständige Rehabilitation hat. Ein unmittelbar einklagbarer Anspruch auf Wiedergutmachung kann hieraus offensichtlich nicht abgeleitet werden, was auch der von der Regierung der Bundesrepublik Deutschland bei Hinterlegung der Ratifikationsurkunde zu Art 3 FoltKonv abgegebenen Erklärung entspricht: Danach begründet Art 3 FoltKonv ebenso wie die anderen Bestimmungen des Übereinkommens ausschließlich Staatenverpflichtungen, die die Bundesrepublik Deutschland nach näherer Bestimmung ihres mit dem Übereinkommen übereinstimmenden innerstaatlichen Rechts erfüllt (BGBl I 1993, 715).

Etwas anderes folgt auch nicht aus der von der klagenden Person hervorgehobenen Zuordnung des Folterverbots zum völkerrechtlichen ius cogens, also dem Kanon des zwingenden, von allen Staaten zu achtenden Völkerrechts, gegen dessen Inhalt nach Art 53 WVK auch völkerrechtliche Verträge nicht verstoßen dürfen (vgl allgem Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd I/3, 2. Aufl 2002, 707 ff; Mössner in Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, 3. Aufl 2001, 333 f). Zwar kann es als anerkannt gelten, dass neben der Achtung elementarer Menschenrechte auch das Verbot der Folter zum Bestand des ius cogens gehört (Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd I/3, 2. Aufl 2002, 716, 1099 f; Mössner in Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, 3. Aufl 2001, 334). Hieraus folgt aber keinesfalls, dass im Falle einer Missachtung solcher Menschenrechte ein unmittelbarer zwingender Anspruch auf eine Entschädigung in Form eines rentenrechtlichen Ausgleichs besteht.

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass selbst für den Fall, dass aufgrund der von der klagenden Person erlittenen medizinischen Behandlung ein Entschädigungsanspruch bestünde, dieser systematisch dem Staatshaftungsrecht oder aber dem Entschädigungsrecht zuzuordnen wäre. Entschädigungsrechtliche Elemente sind dem Rentenversicherungsrecht grundsätzlich fremd (zu einer Ausnahme vgl BSG Urteil vom 20.5.2020 - B 13 R 9/19 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Demgegenüber ist in der Rechtsprechung des BSG anerkannt, dass unter sehr engen Voraussetzungen ein als Körperverletzung strafbarer ärztlicher Eingriff einen tätlichen Angriff iS des § 1 OEG darstellen kann, wenn er aus Sicht eines verständigen Dritten in keiner Weise dem Wohle des Patienten dient (BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17).

Dass der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) vorliegt, ist ebenfalls nicht erkennbar. Denn die angefochtene Entscheidung des LSG ist nicht von höchstrichterlicher Rechtsprechung abgewichen.

Schließlich lässt sich auch kein Verfahrensmangel feststellen, der gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen könnte. Insbesondere sind im Zusammenhang mit der Ablehnung des Antrags der klagenden Person auf PKH für das Berufungsverfahren sowie ihrer Ablehnungsgesuche gegen eine Richterin und einen Richter des 3. Senats des LSG Hamburg keine rügefähigen Verfahrensmängel erkennbar. Dies gilt auch für die vom LSG gewählte Form der Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG. Dass das LSG nicht der Rechtsansicht der klagenden Person gefolgt ist und sie das Berufungsurteil inhaltlich für unzutreffend hält, eröffnet die Revisionsinstanz nicht.

Mit der Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von PKH entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI13976027

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