Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag der Klägerin, ihr zur Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 30. November 2021 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
Nach § 73a SGG iVm § 114 ZPO kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet; das ist hier nicht der Fall. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG) in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin erfolgreich zu begründen. Da kein Anspruch auf Bewilligung von PKH besteht, ist auch der Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts abzulehnen (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO).
Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Solche Zulassungsgründe sind nach summarischer Prüfung des Streitstoffs auf der Grundlage des Inhalts der Gerichtsakten sowie unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin nicht erkennbar.
Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) ist nur anzunehmen, wenn eine Rechtsfrage aufgeworfen wird, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Dies ist hier nicht der Fall. Die Frage, ob die Klägerin einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für Gesangsunterricht und Korrepetition gegen den Beklagten aus § 16 Abs 1 Satz 2, Abs 2 SGB II iVm §§ 44, 45 SGB III oder aus § 16f SGB II hat, betrifft die Umstände des Einzelfalles, wirft aber keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf.
Es ist auch nicht erkennbar, dass die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht, weshalb eine Divergenzrüge keine Aussicht auf Erfolg verspricht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG).
Nach Aktenlage ist schließlich nicht ersichtlich, dass ein Verfahrensmangel geltend gemacht werden könnte, auf dem die angefochtene Entscheidung des LSG beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG). Insbesondere ist nicht erkennbar, dass das LSG den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 Halbsatz 1 SGG) verletzt hat.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Richters (BVerfG vom 25.1.1984 - 1 BvR 272/81 - BVerfGE 66, 116 [147]; BVerfG vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188 [190]; BSG vom 17.8.2017 - B 5 R 96/17 B - juris RdNr 10). Ein Gericht ist grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet (BVerfG vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188 [190]; BVerfG vom 19.5.1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 [145]; BVerfG vom 14.7.1998 - 1 BvR 1640/97 - BVerfGE 98, 218 [263]; BSG vom 4.9.2013 - B 12 KR 13/11 R - SozR 4-2500 § 5 Nr 21 RdNr 15; BSG vom 2.9.2021 - B 4 AS 158/21 B - juris RdNr 5). Auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, müssen die Verfahrensbeteiligten daher grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und ihren Vortrag darauf einstellen (BVerfG vom 14.7.1998 - 1 BvR 1640/97 - BVerfGE 98, 218 [263] mwN; BSG vom 4.9.2013 - B 12 KR 13/11 R - SozR 4-2500 § 5 Nr 21 RdNr 15). Jedoch ist der Grundrechtsträger vor objektiv unvorhersehbaren Entscheidungen zu schützen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör beinhaltet insofern ein Recht darauf, nicht mit einer Überraschungsentscheidung des Gerichts konfrontiert zu werden (BVerfG vom 19.7.1972 - 2 BvR 872/71 - BVerfGE 34, 1 [8]; BVerfG vom 30.4.2003 - 1 PBvU 1/02 - BVerfGE 107, 395 [410]). Es kann im Ergebnis nämlich der Verhinderung eines Vortrags zur Rechtslage gleichkommen, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt oder auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (BVerfG vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188 [190]; BVerfG vom 19.5.1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 [144 f]; BVerfG vom 14.7.1998 - 1 BvR 1640/97 - BVerfGE 98, 218 [263]; BVerfG vom 7.10.2003 - 1 BvR 10/99 - BVerfGE 108, 341 [345 f]; BSG vom 4.7.2018 - B 11 AL 22/18 B - juris RdNr 4). Dies ist aber ausgeschlossen, wenn das LSG seine Entscheidung auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung stützt (BSG vom 14.12.2020 - B 11 AL 11/20 BH - juris RdNr 5).
Gemessen daran ist eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör nicht ersichtlich. Der Umstand, dass das LSG gemäß § 153 Abs 2 SGG selbständig tragend auf die Entscheidungsgründe des SG Bezug genommen hat - eigene Ausführungen des LSG waren ausdrücklich nur "ergänzend" und bezogen sich auf das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren - steht der Annahme entgegen, dass es sich bei der Entscheidung des LSG um eine Überraschungsentscheidung gehandelt hat (vgl BSG vom 14.12.2020 - B 11 AL 11/20 BH - juris RdNr 5). Die Rüge der Klägerin, das LSG habe seine Entscheidung auf neue, für sie unvorhersehbare Aspekte gestützt und sei insbesondere ohne vorherigen Hinweis von seiner Rechtsauffassung abgewichen, wonach vor der Bewilligung von Gesangsunterricht und Korrepetition jedes Mal ein Vorsingen stattzufinden habe und wonach es für die Entscheidung allein auf das Ergebnis des jeweiligen Vorsingens ankäme, geht daher ins Leere. Im Übrigen hat das LSG die Frage des Vorsingens im vorliegenden Verfahren gar nicht thematisiert.
Aus den gleichen Gründen ist auch nicht ersichtlich, welche Hinweise das LSG der Klägerin hätte erteilen müssen, zumal es im Prozesskostenhilfebeschluss vom 16.11.2021 ausdrücklich auf die aus seiner Sicht zutreffenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung hingewiesen hatte. Dem Umstand, dass die Klägerin wiederholt gerichtliche Hinweise erbeten hat, kommt keine ausschlaggebende Bedeutung zu.
Ein Gehörsverstoß liegt schließlich auch nicht darin, dass das LSG nicht auf die von der Klägerin schriftsätzlich thematisierte Frage eingegangen ist, ob der geltend gemachte Anspruch auf § 21 Abs 6 SGB II gestützt werden kann. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen ausdrücklich zu bescheiden (zuletzt etwa BVerfG [Kammer] vom 7.5.2020 - 2 BvQ 26/20 - juris RdNr 27; BSG vom 3.2.2020 - B 1 KR 51/19 B - juris RdNr 12). Dies gilt insbesondere, wenn das Vorbringen Tatsachen oder Rechtsgrundlagen betrifft, deren Relevanz für den zu entscheidenden Rechtsstreit eher fernliegend sind. Dies aber ist hier schon deswegen der Fall, weil der Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs 6 SGB II nur solche Bedarfe umfasst, die unabweisbar der Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums dienen (BSG vom 26.11.2020 - B 14 AS 23/20 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 34 RdNr 31 ff; BSG vom 12.5.2021 - B 4 AS 88/20 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 35 RdNr 20). Dies ist bei Gesangsunterricht und Korrepetition nicht der Fall.
Soweit die Klägerin rügt, das LSG habe den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt, könnte hierauf eine zulässige Nichtzulassungsbeschwerde ebenfalls nicht gestützt werden, da die Klägerin in der mündlichen Verhandlung keinen Beweisantrag aufrechterhalten hat; dies aber ist erforderlich (vgl hierzu BSG vom 18.12.2000 - B 2 U 336/00 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 31 S 51 f; BSG vom 18.9.2003 - B 9 SB 11/03 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 1 RdNr 6; BSG vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11; ferner etwa BSG vom 13.1.2020 - B 4 AS 10/20 B - juris RdNr 6; BSG vom 28.1.2021 - B 11 AL 44/20 B - juris RdNr 3; BSG vom 29.6.2021 - B 4 AS 96/21 B - juris RdNr 5). Zwar sind insofern abgesenkte Anforderungen zu stellen, weil die Klägerin im Berufungsverfahren nicht rechtskundig vertreten war. Auch ein unvertretener Kläger muss aber dem Gericht in der mündlichen Verhandlung deutlich machen, welche konkreten Punkte er am Ende des Verfahrens noch für aufklärungsbedürftig gehalten hat und auf welche Beweismittel das Gericht hätte zurückgreifen sollen, um welchen Sachverhalt weiter aufzuklären (zuletzt BSG vom 24.2.2022 - B 8 SO 22/21 BH - juris RdNr 6 mwN). Dass dies der Fall gewesen wäre, lässt sich weder dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem LSG noch dem Vorbringen der Klägerin im hiesigen PKH-Verfahren entnehmen. Anders als im Parallelverfahren L 4 AS 17/19 hat die Klägerin im Berufungsverfahren L 4 AS 13/19, das dem vorliegenden Verfahren vorangegangen ist, keinen Beweisantrag aufrechterhalten. Das LSG hat in seinem Beschluss vom 19.1.2022 über den Protokollergänzungsantrag hierauf sowie auf den Umstand, dass der Beweisantrag nicht entscheidungserheblich gewesen wäre, hingewiesen. Letzteres ist im Übrigen zutreffend, weil die schriftsätzlich gestellten Beweisanträge auf die Feststellung zielten, ob die Klägerin der ständigen Kontrolle ihrer Gesangsstimme durch einen Gesangslehrer bedürfte; diese Frage war aber für die Entscheidung des LSG ohne Bedeutung.
Dass die Klägerin mit der Beweiswürdigung des LSG nicht einverstanden ist, begründet keinen Verfahrensmangel.
Meßling B. Schmidt Burkiczak
Fundstellen
Dokument-Index HI15291953 |