Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Klärungsbedürftigkeit. Klärungsfähigkeit. Altenpfleger. Honorar-Pflegefachkraft. Ambulante Hauskrankenpflege. Behandlungspflege. Statuszuordnung. Abhängige Beschäftigung. Selbständige Tätigkeit. Ärztliche Verordnung. Schätzung. Jahresarbeitsentgelt. Schwankende Bezüge. Versicherungsfreiheit. Jahresarbeitsentgeltgrenze. Überschreitung
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit).
2. Eine Rechtsfrage ist dann höchstrichterlich geklärt und damit als nicht (mehr) klärungsbedürftig anzusehen, wenn diese bereits beantwortet ist; ist sie noch nicht ausdrücklich entschieden, genügt es, dass schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 1, §§ 163, 169 Sätze 2-3; SGB IV § 7 Abs. 1; SGB V § 6 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 S. 2, § 37
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers zu 1. gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 27. Mai 2020 wird als unzulässig verworfen.
Der Kläger zu 1. trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird auf 5000 Euro festgesetzt.
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten um die Versicherungspflicht des Klägers zu 2. in allen Zweigen der Sozialversicherung in seiner Tätigkeit als examinierter Altenpfleger für den ambulanten Pflegedienst des Klägers zu 1. in der Zeit vom 1.9.2013 bis Mai 2016.
Der Kläger zu 2. war in dem genannten Zeitraum auf der Grundlage eines "Dienstleistungsvertrags" gegen ein Stundenhonorar für den Kläger zu 1. tätig. Der zeitliche Umfang variierte; der Kläger zu 1. rief bei Bedarf den Kläger zu 2. an, der den Auftrag jeweils annehmen oder ablehnen konnte. An Dienst- oder Tourenpläne war der Kläger zu 2. nicht gebunden, er benutzte eigene Arbeitsmaterialien und nahm nicht an Dienstbesprechungen oder Fortbildungen teil. Neben dieser Tätigkeit war der Kläger zu 2. in geringem Umfang auch für andere Pflegedienste tätig.
Auf den Statusfeststellungsantrag des Klägers zu 2. vom 23.2.2016 stellte die Beklagte nach vorheriger Anhörung seine Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung seit 1.9.2013 fest (Bescheid vom 12.8.2016, Widerspruchsbescheid vom 1.11.2016).
Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (SG Berlin Urteil vom 12.6.2017, LSG Urteil vom 27.5.2020). Das LSG hat unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BSG zur Statusbeurteilung von Pflegekräften in stationären Pflegeeinrichtungen (BSG Urteile vom 7.6.2019 - B 12 R 6/18 R - BSGE 128, 205 = SozR 4-2400 § 7 Nr 44 sowie - B 12 R 7/18 R - und - B 12 KR 8/18 R - juris) ausgeführt, dass auch in ambulanten Pflegediensten die Pflege unter ständiger Verantwortung einer Pflegefachkraft stehe. Zur Wahrnehmung dieser Gesamtverantwortung müsse die Pflegefachkraft die Pflegeleistungen zumindest in den Grundzügen selbst festlegen, ihre Durchführung organisieren und ihre Umsetzung angemessen kontrollieren können. Aufgrund der regulatorischen Vorgaben seien die eingesetzten Fachkräfte im Regelfall in die Organisations- und Weisungsstruktur des Pflegedienstes eingegliedert. Die demgegenüber für eine Selbstständigkeit sprechenden Indizien seien geringer zu gewichten und nicht geeignet, die Eingliederung des Klägers zu 2. in den Betrieb des Klägers zu 1. zu entkräften. Die Beschäftigung sei auch in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze nach § 6 Abs 1 Nr 1 SGB V versicherungsfrei gewesen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG wendet sich der Kläger zu 1. mit seiner Beschwerde.
II
Die Beschwerde des Klägers zu 1. gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 27.5.2020 ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger zu 1. hat in der Begründung des Rechtsmittels den geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht den gesetzlichen Voraussetzungen entsprechend (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) dargelegt.
1. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17; BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6 mwN). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG Beschluss vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31 S 48; BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Der Kläger zu 1. hält die Fragen für grundsätzlich bedeutsam,
- "inwieweit die Ausprägung der Tätigkeit eines Altenpflegers als Honorar-Pflegefachkraft in der ambulanten Hauskrankenpflege (Behandlungspflege) ausgeübt werden kann" (Seite 3 der Beschwerdebegründung),
- "ob die Statuszuordnung als abhängige Beschäftigung auch noch dann anzunehmen ist, wenn die Pflegefachkraft ausschließlich im Rahmen der Behandlungspflege (§ 37 SGB 5) auf fachliche Anordnung des Arztes durch ärztliche Verordnung tätig wird" (Seite 3 der Beschwerdebegründung),
- "ob bei einer Schätzung des Jahresarbeitsentgelts bei schwankenden Bezügen nur dann auf Versicherungsfreiheit im Sinne von § 6 Abs. 1 Nummer 1 SGB V erkannt werden kann wenn trotz der zu erwartenden Einkommensschwankungen mit Sicherheit zu erwarten ist, dass die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschritten wird" (Seite 5 der Beschwerdebegründung), und
- "ob von einer mit Sicherheit zu erwartenden Überschreitung auch auszugehen ist, wenn wie hier der Kläger zu 2 jede ordentliche Möglichkeit nutzt, Einkommen neben der Vollzeitbeschäftigung zu erzielen, egal in welcher Pflegeeinrichtung und in wie vielen Pflegeeinrichtungen" (Seite 5 der Beschwerdebegründung).
Der Kläger zu 1. formuliert damit bereits keine Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts mit höherrangigem Recht (vgl BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN), die über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus Bedeutung hat. Die Bezeichnung einer hinreichend bestimmten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN).
Selbst wenn aber eine solche über den Einzelfall hinaus bedeutsame Rechtsfrage als aufgeworfen unterstellt würde, wäre jedenfalls deren Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit nicht hinreichend dargelegt. Eine Rechtsfrage ist dann höchstrichterlich geklärt und damit als nicht (mehr) klärungsbedürftig anzusehen, wenn diese bereits beantwortet ist. Ist sie noch nicht ausdrücklich entschieden, genügt es, dass schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (BSG Beschluss vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 7 mwN).
a) Zu der unter dem ersten Spiegelstrich aufgeführten Frage führt der Kläger zu 1. in der Beschwerdebegründung lediglich aus, das BSG habe bisher noch keine Entscheidung zur Statuszuordnung einer Honorarpflegekraft im Rahmen ambulanter Pflege getroffen. Damit allein ist aber die grundsätzliche Bedeutung noch nicht dargetan. Es fehlt nicht nur an einer Auseinandersetzung mit der umfangreichen Rechtsprechung des BSG zur Beurteilung einer Tätigkeit als Beschäftigung iS des § 7 Abs 1 SGB IV oder als selbstständige Tätigkeit (vgl ua BSG Urteil vom 14.3.2018 - B 12 KR 12/17 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 34; BSG Urteil vom 4.6.2019 - B 12 R 11/18 R - BSGE 128, 191 = SozR 4-2400 § 7 Nr 42; BSG Urteil vom 31.3.2017 - B 12 R 7/15 R - BSGE 123, 50 = SozR 4-2400 § 7 Nr 30) und zu dem nach der Rechtsprechung des BSG zu bewertenden Gesamtbild der Tätigkeit (BSG Urteil vom 14.3.2018 - B 12 KR 13/17 R - BSGE 125, 183 = SozR 4-2400 § 7 Nr 35, RdNr 16 mwN). Der Kläger zu 1. legt auch nicht dar, inwiefern die Rechtsfrage insbesondere unter Berücksichtigung der Entscheidungen zur Statusbeurteilung von Pflegekräften in stationären Einrichtungen (BSG Urteile vom 7.6.2019 - B 12 R 6/18 R - BSGE 128, 205 = SozR 4-2400 § 7 Nr 44 sowie - B 12 R 7/18 R - und - B 12 KR 8/18 R - juris) nicht ohne Weiteres zu beantworten ist und aus welchen Gründen eine solche Rechtsfrage im vorliegenden Verfahren geklärt werden müsste. Es ist nicht Aufgabe eines Bundesgerichts, Kriterien zu entwickeln, unter denen eine Pflegetätigkeit in ambulanten Einrichtungen selbstständig ausgeübt werden kann.
b) Zu der unter dem zweiten Spiegelstrich aufgeführten Frage fehlen insbesondere Darlegungen zur Entscheidungserheblichkeit, denn es wird nicht aufgezeigt, dass der Kläger zu 2. nach den zugrunde zu legenden Feststellungen des LSG ausschließlich (oder überhaupt) im Rahmen der Behandlungspflege nach § 37 SGB V auf Anordnung eines Arztes tätig gewesen ist. Aus den tatsächlichen Feststellungen im Urteil des LSG ergibt sich vielmehr, dass der Kläger zu 2. als "Altenpfleger" tätig war. An diese Feststellung ist der Senat nach § 163 SGG gebunden, außer wenn in Bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind. Der Kläger zu 1. hat in Bezug auf diese Feststellungen keine Verfahrensrüge erhoben. Soweit er ausführt, das LSG verkenne "die ausschließliche Tätigkeit des Klägers zu 2 im Rahmen der Durchführung von Behandlungspflege nach § 37 SGB V", ist ein Verfahrensverstoß nicht dargetan.
c) Zu den unter dem dritten und vierten Spiegelstrich aufgeführten Fragen fehlt es wiederum an jeglicher Auseinandersetzung mit bereits ergangener Rechtsprechung des BSG. Der Senat hat sich bereits mit der zur Beurteilung der Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 6 Abs 4 Satz 2 SGB V erforderlichen Prognose hinsichtlich des im Folgejahr zu erwartenden Jahresarbeitsentgelts befasst (vgl hierzu zB BSG Urteil vom 7.6.2018 - B 12 KR 8/16 R - BSGE 126, 47 = SozR 4-2500 § 6 Nr 10). Aus den Darlegungen lässt sich nicht entnehmen, ob und inwieweit die aufgeworfenen Fragen gleichwohl der grundsätzlichen Klärung bedürfen.
2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 und 3 und § 162 Abs 3 VwGO.
4. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 52 Abs 1 und Abs 3 Satz 1, § 47 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 sowie § 63 Abs 2 Satz 1 GKG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14375215 |