Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Anhörungsrüge gem § 178a SGG. Darlegung einer möglichen Verletzung des rechtlichen Gehörs. kurzer Umfang der getroffenen Verwerfungsentscheidung. kein Begründungszwang für letztinstanzliche gerichtliche Entscheidungen. keine Übertragung der BVerfG-Rechtsprechung zum Begründungszwang bei behördlichen Eingriffsakten
Orientierungssatz
1. Soweit im Rahmen einer Anhörungsrüge gegen den angegriffenen Senatsbeschluss zur Begründung einer möglichen Verletzung des rechtlichen Gehörs auf den kurzen Umfang der getroffenen Verwerfungsentscheidung (hier: vier Sätze) verwiesen wird, wird eine mögliche Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht hinreichend aufgezeigt.
2. Verfassungsrechtlich bedürfen letztinstanzliche gerichtliche Entscheidungen, die mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbar sind, grundsätzlich keiner Begründung, denn der Schutzbereich des Art 103 Abs 1 GG umfasst keinen Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf eine mit Gründen versehene letztinstanzliche Entscheidung. Dies gilt auch und gerade für Entscheidungen der obersten Bundesgerichte, mit denen eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Ergebnis zurückgewiesen wird.
3. Die Rechtsprechung des BVerfG zum Begründungszwang bei behördlichen Eingriffsakten beruht auf der Erwägung, dass dem Betroffenen aus rechtsstaatlichen Gründen eine sachgemäße Verteidigung seiner Rechte ermöglicht werden muss. Dieser Gesichtspunkt lässt sich aber nicht auf eine den Rechtsweg abschließende Gerichtsentscheidung übertragen (vgl BVerfG vom 28.2.1979 - 2 BvR 84/79 = BVerfGE 50, 287).
Normenkette
SGG § 178a Abs. 1 S. 1, § 62; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
SG Halle (Saale) (Urteil vom 15.09.2016; Aktenzeichen S 33 U 15/13) |
LSG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 24.06.2021; Aktenzeichen L 6 U 117/16) |
Tenor
Die Anhörungsrüge des Klägers gegen den Beschluss des Senats vom 8. Oktober 2021 - B 2 U 121/21 B - wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. Mit Beschluss vom 8.10.2021 hat der Senat die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG vom 24.6.2021 als unzulässig verworfen, weil er die geltend gemachten Zulassungsgründe der Divergenz sowie des Vorliegens von Verfahrensmängeln (§ 160 Abs 2 Nr 2 und 3 SGG) nicht hinreichend dargelegt bzw bezeichnet habe. Von einer weiteren Begründung hat der Senat nach § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG abgesehen, weil sie nicht geeignet sei, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Kläger mit seiner Anhörungsrüge vom 11.11.2021.
II. Die Anhörungsrüge des Klägers ist unzulässig. Sie ist daher zu verwerfen (§ 178a Abs 4 Satz 1 SGG).
Gemäß § 178a Abs 1 Satz 1 SGG ist das Verfahren auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist (Nr 1) und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (Nr 2). Die Rüge ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben (§ 178a Abs 2 Satz 1 SGG). Das Vorliegen der in § 178a Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG genannten Voraussetzung ist mit der Rüge darzulegen (§ 178a Abs 2 Satz 5 SGG). Diesem Darlegungserfordernis ist nur dann genügt, wenn Umstände aufgezeigt werden, aus denen sich eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ergeben kann (vgl BSG Beschluss vom 7.4.2005 - B 7a AL 38/05 B - SozR 4-1500 § 178a Nr 2). Nach der Rechtsprechung des BSG (zB Beschlüsse vom 3.2.2022 - B 12 R 32/21 B - juris RdNr 11 sowie vom 15.4.2019 - B 13 R 233/17 B - juris RdNr 18 mwN) und des BVerfG (Urteil vom 8.7.1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205, 217 sowie Beschluss vom 1.8.1984 - 1 BvR 1387/83 - SozR 1500 § 62 Nr 16) ist auch ohne erneute ausdrückliche Wiedergabe des Vorbringens in der jeweiligen gerichtlichen Entscheidung grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht die Ausführung der Beteiligten zur Kenntnis genommen und erwogen hat. Die Anhörungsrüge hat daher im Einzelnen darzulegen, inwiefern Vorbringen des Klägers ausnahmsweise unberücksichtigt geblieben sein könnte. Daran fehlt es hier.
Der Kläger rügt zwar, sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt, weil er in seiner Beschwerdebegründung die unangemessen lange Verfahrensdauer als Verfahrensfehler gerügt habe. Der Senat habe dies nicht zur Kenntnis genommen und die Beschwerde als unzulässig verworfen. Der Verfahrensfehler liege vor. Damit legt der Kläger jedoch keine hinreichend konkreten Umstände dar, aus denen zu entnehmen sein könnte, dass der Senat sein Vorbringen in seiner Beschwerdebegründung vom 6.9.2021 nicht zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt haben könnte. Soweit sich der Kläger gegen die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des Senats wendet, wird gerade keine Verletzung des rechtlichen Gehörs aufgezeigt. Die Anhörungsrüge dient nicht unmittelbar der Fortführung des Verfahrens, sondern der Überprüfung eines speziellen Verfahrensverstoßes des BSG gegen ein verfassungsrechtlich abgesichertes Recht der Beteiligten (vgl BSG Beschluss vom 8.11.2006 - B 2 U 5/06 C - SozR 4-1500 § 178a Nr 6 RdNr 5).
Soweit der Kläger zur Begründung einer möglichen Verletzung des rechtlichen Gehörs darauf verweist, dass der Senat die 14 Seiten umfassende Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde in vier Sätzen behandele, wird eine mögliche Verletzung des rechtlichen Gehörs ebenfalls nicht hinreichend aufgezeigt. Verfassungsrechtlich bedürfen letztinstanzliche gerichtliche Entscheidungen, die mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbar sind, grundsätzlich keiner Begründung, denn der Schutzbereich des Art 103 Abs 1 GG umfasst keinen Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf eine mit Gründen versehene letztinstanzliche Entscheidung (BVerfG Beschlüsse vom 14.6.2007 - 2 BvR 1447/05 ua - BVerfGE 118, 212, 238, vom 22.5.2001 - 1 BvR 1512/97 ua - BVerfGE 104, 1, 7 f, vom 4.4.1998 - 1 BvR 968/97 - NJW 1998, 3484, vom 14.11.1989 - 1 BvR 956/89 - BVerfGE 81, 97, 106, vom 22.1.1982 - 2 BvR 1506/81 - NJW 1982, 925 sowie vom 28.2.1979 - 2 BvR 84/79 - BVerfGE 50, 287, 289 f). Dies gilt auch und gerade für Entscheidungen der obersten Bundesgerichte, mit denen eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Ergebnis zurückgewiesen wird (BVerfG Beschluss vom 8.12.2010 - 1 BvR 1382/10 - NJW 2011, 1497 RdNr 12; kritisch allenfalls bei Prüfung der Vorlagepflicht zum EuGH: BVerfG vom 8.10.2015 - 1 BvR 3509/13). Dem GG lässt sich nicht entnehmen, dass jede - auch eine mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbare letztinstanzliche - gerichtliche Entscheidung mit einer Begründung zu versehen ist. Die Rechtsprechung des BVerfG zum Begründungszwang bei behördlichen Eingriffsakten (vgl zB BVerfG Beschluss vom 29.10.1975 - 2 BvR 812/73 - BVerfGE 40, 276, 286) beruht auf der Erwägung, dass dem Betroffenen aus rechtsstaatlichen Gründen eine sachgemäße Verteidigung seiner Rechte ermöglicht werden muss. Dieser Gesichtspunkt lässt sich aber nicht auf eine den Rechtsweg abschließende Gerichtsentscheidung übertragen (vgl BVerfG Beschluss vom 28.2.1979 - 2 BvR 84/79 - BVerfGE 50, 287, 289 f). Soweit der angegriffene Senatsbeschluss die getroffene Verwerfungsentscheidung dennoch kurz erläutert, durfte sich die Begründung daher von vornherein auf einzelne Aspekte beschränken. Warum vorliegend ausnahmsweise etwas anderes gelten könnte, zeigt die Begründung nicht auf.
Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 178a Abs 4 Satz 3 SGG).
Roos Karmanski Karl
Fundstellen
Dokument-Index HI15148892 |