Verfahrensgang

SG Berlin (Entscheidung vom 08.06.2020; Aktenzeichen S 68 U 350/18)

LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 02.03.2021; Aktenzeichen L 3 U 99/20)

 

Tenor

Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 2. März 2021 gewährt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem zuvor genannten Urteil wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten in dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit darüber, ob eine beim Kläger vorliegende Atemwegserkrankung als Berufskrankheit (BK) nach Nr 4302 der Anl 1 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) - durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen - anzuerkennen ist.

Die im Anschluss an ein erfolgloses Verwaltungsverfahren erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen (Urteil vom 8.6.2020). Das Landessozialgericht (LSG) hat die dagegen gerichtete Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 2.3.2021).

Der Senat hat dem Kläger für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG Prozesskostenhilfe bewilligt und seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten beigeordnet (Beschlüsse vom 9.6.2022 und vom 15.11.2022). Der Prozessbevollmächtigte hat Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG eingelegt und beantragt, dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde zu gewähren. Mit seiner Beschwerde rügt der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Divergenz und das Vorliegen von Verfahrensmängeln.

II

Dem Kläger war auf den fristgerechten Antrag seines Prozessbevollmächtigten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde zu gewähren, weil er ohne Verschulden gehindert war, vor Zustellung des Beschlusses über die Beiordnung seines jetzigen Prozessbevollmächtigten formgerecht Prozesshandlungen vorzunehmen (§ 67 Abs 1 und 2, § 73 Abs 4 SGG).

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) sowie des Vorliegens von Verfahrensmängeln (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht ordnungsgemäß dargelegt bzw bezeichnet worden sind (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

1. Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit, also Entscheidungserheblichkeit, sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, die sog Breitenwirkung, darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 9.2.2023 - B 2 U 24/22 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 12.7.2022 - B 2 U 11/22 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 7.3.2017 - B 2 U 140/16 B - SozR 4-1920 § 52 Nr 18 RdNr 5 mwN).

Der Kläger hält folgende Frage für grundsätzlich bedeutsam:

"Lässt allein die Feststellung eines Zeitraums von 14 Jahren zwischen dem Ende der beruflichen Exposition mit schädlichen Stoffen und dem erstmaligen gesicherten Auftreten einer Atemwegserkrankung im Rahmen des § 9 Abs. 1 SGB VII in Verbindung mit Nr. 4302 der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung die Kausalität zwischen Exposition und Krankheit entfallen?"

Damit wendet sich der Kläger indes gegen die in seinem Einzelfall vorgenommene konkrete Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) der Vorinstanz hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität. Die Beweiswürdigung ist jedoch einer Rüge im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde entzogen (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG). Diese Beschränkung kann auch nicht durch eine Rüge in anderer Gestalt umgangen werden (stRspr; zB BSG Beschluss vom 18.1.2023 - B 2 U 74/22 B - juris RdNr 19; BSG Beschluss vom 28.6.2022 - B 2 U 181/21 B - juris RdNr 12 mwN; BSG Beschluss vom 22.12.2021 - B 9 SB 42/21 B - juris RdNr 12 mwN; BSG Beschluss vom 6.2.2007 - B 8 KN 16/05 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 12 RdNr 7).

Auch wenn die Beschwerdebegründung auf die Auslegung von § 9 Abs 1 SGB VII iVm Nr 4302 der Anl 1 BKV abzielen sollte, kann ihr keine revisible Rechtsfrage entnommen werden. Eine Rechtsfrage zielt auf die Auslegung des Tatbestandes einer gesetzlichen oder untergesetzlichen Regelung ab. Die von der Beschwerdebegründung als Frage benannte zeitliche Latenz von 14 Jahren zwischen dem Ende der beruflichen Exposition und dem Auftreten einer Atemwegserkrankung ist indes nicht Teil des Tatbestandes der Nr 4302 der Anl 1 BKV. Auch wenn die Vorinstanzen in die konkrete Beweiswürdigung im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität generelle Tatsachen zB in Form medizinischer Erfahrungssätze, die ihren Niederschlag etwa in Merkblättern gefunden haben, einfließen lassen, können Fehler allenfalls mit der Sachaufklärungsrüge geltend gemacht werden (zB BSG Beschluss vom 9.2.2023 - B 2 U 24/22 B - juris RdNr 7 f mwN; s auch BSG Urteil vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 21 ff mwN; Karmanski in Roos/Wahrendorf/Müller, SGG, 3. Aufl 2023, § 160 RdNr 29 mwN; Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 160 RdNr 7 mwN).

Die Beschwerdebegründung enthält auch keine hinreichende Darlegung zur (abstrakten) Klärungsbedürftigkeit der benannten Frage. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn sie höchstrichterlich weder tragend entschieden noch präjudiziert ist und die Antwort nicht von vornherein praktisch außer Zweifel steht, so gut wie unbestritten ist oder sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Letzteres bestimmt sich nach dem Gesetzeswortlaut, der Rechtssystematik sowie den Gesetzesmaterialien (zB BSG Beschluss vom 1.12.2022 - B 2 U 194/21 B - juris RdNr 8 mwN; BSG Beschluss vom 15.8.2022 - B 2 U 147/21 B - juris RdNr 9 mwN; s auch BSG Beschluss vom 4.6.1975 - 11 BA 4/75 - BSGE 40, 40, 42 = SozR 1500 § 160a Nr 4 S 5, juris RdNr 7). Eine Rechtsfrage ist auch dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als bereits höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht sie zwar in der konkreten Fallgestaltung noch nicht ausdrücklich entschieden hat, aber bereits eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl zB BSG Beschluss vom 1.12.2022 - B 2 U 194/21 B - juris RdNr 8 mwN; BSG Beschluss vom 9.8.2022 - B 2 U 23/22 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 7.3.2017 - B 2 U 140/16 B - SozR 4-1920 § 52 Nr 18 RdNr 8). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG bzw des BVerfG sowie ggf der einschlägigen Rechtsprechung aller obersten Bundesgerichte zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass zu dem angesprochenen Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet ist (stRspr; zB BSG Beschluss vom 1.12.2022 - B 2 U 194/21 B - juris RdNr 8 mwN; BSG Beschluss vom 9.8.2022 - B 2 U 23/22 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 16.3.2022 - B 2 U 164/21 B - juris RdNr 13).

Dem wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Es fehlt an einer Auseinandersetzung mit der zur Feststellung der haftungsbegründenden Kausalität ergangenen Senatsrechtsprechung. Der Senat stellt hierzu in seiner ständigen Rechtsprechung auf die allgemein im Sozialrecht geltende Theorie der wesentlichen Bedingung ab (vgl zB BSG Urteil vom 31.3.2023 - B 2 U 3/21 R - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen - juris RdNr 15 mwN; BSG Urteil vom 27.6.2006 - B 2 U 13/05 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 9 RdNr 11; BSG Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 13 ff). Vor diesem Hintergrund hätte der Kläger daher aufzeigen müssen, in welchem Umfang, von welcher Seite und mit welcher Begründung der Rechtsprechung ggf widersprochen wird bzw inwiefern die Beantwortung der Rechtsfrage umstritten ist oder welche neuen erheblichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind, die zu einer Neubetrachtung der bereits entschiedenen Rechtsfrage führen könnten und eine anderweitige Entscheidung nicht offensichtlich ausschließen (zB BSG Beschluss vom 10.5.2023 - B 2 U 123/22 B - juris RdNr 6 mwN). Entsprechende Darlegungen versäumt die Beschwerdebegründung indes. Sie bezieht sich vielmehr ebenfalls auf die der Theorie der wesentlichen Bedingung zugrundeliegenden Maßstäbe, so wie sie der Senat in ständiger Rechtsprechung anwendet.

Soweit sie sich für die Ermittlung des medizinischen Sachverhaltes auf die Erforderlichkeit sachverständiger Hilfe beruft und im Weiteren unter anderem anführt, das vom LSG herangezogene Gutachten sei zunächst Parteivortrag der Beklagten und zudem ungenügend bzgl der Bewertung der haftungsbegründenden Kausalität, auch weil es konkurrierende Faktoren wie die langjährigen Rauchgewohnheiten des Klägers nicht in seine Entscheidung einbezogen habe und sich nicht mit der Diagnose einer obstruktiven Lungenerkrankung schon im Jahr 2000 beschäftigt habe, wendet sich die Beschwerdebegründung erneut gegen die als solche nicht rügefähige konkrete Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) des Berufungsgerichts oder gegen die als Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) geltend zu machende unzureichende Sachaufklärung (§ 103 SGG; § 118 SGG iVm § 411 Abs 3 ZPO). Gleiches gilt für die Rüge, das LSG habe sich auch neben dem Sachverständigengutachten nur auf das Merkblatt zur BK Nr 4302 (Stand 2019) bezogen.

Mit diesem Vortrag sowie mit der Rüge, das LSG habe die Reichenhaller Empfehlung nicht zur Kenntnis genommen, und dem wiederholten Vortrag, das LSG habe gegen die Theorie der wesentlichen Bedingung verstoßen, wendet sie sich zudem gegen die Richtigkeit der Entscheidung. Auf diese als solche kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden (vgl BSG Beschluss vom 9.6.2023 - B 2 U 7/23 B - juris RdNr 14 mwN; BSG Beschluss vom 13.7.2023 - B 1 KR 25/22 B - juris RdNr 7 mwN; BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4).

Auch legt die Beschwerdebegründung nicht schlüssig die (konkrete) Klärungsfähigkeit, dh die Entscheidungserheblichkeit der benannten Rechtsfrage in dem Sinne dar, dass ihre Klärung im Revisionsverfahren erwartet werden kann. Denn nur unter dieser Voraussetzung ist die angestrebte Entscheidung geeignet, in künftigen Revisionsverfahren die Rechtseinheit zu wahren oder zu sichern oder die Fortbildung des Rechts zu fördern. Der Beschwerdeführer muss daher den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und dabei insbesondere den Schritt darstellen, der es erfordert, die als grundsätzlich bezeichnete Rechtsfrage zu beantworten (BSG Beschluss vom 15.8.2022 - B 2 U 147/21 B - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 13.1.2017 - B 12 R 23/16 B - juris RdNr 20; BSG Beschluss vom 4.8.2016 - B 1 KR 29/16 B - juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31 S 48, juris RdNr 4). Dies versäumt die Beschwerdebegründung. Sie trägt dazu selbst vor, dass das LSG trotz einer nicht fernliegenden Vermutung die Wesentlichkeit der diskutierten konkurrierenden Faktoren wie die langjährigen Rauchgewohnheiten des Klägers offengelassen hat. Insoweit hätte Anlass zu näheren Ausführungen zur Bedeutungslosigkeit möglicher Konkurrenzursachen bestanden.

2. Der Kläger bezeichnet auch nicht hinreichend eine Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das angefochtene Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage zum Bundesrecht die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG zu demselben Gegenstand abweicht. Ferner ist näher zu begründen, weshalb diese Aussagen nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (vgl BSG Beschluss vom 31.5.2023 - B 2 U 136/22 B - juris RdNr 9 mwN; BSG Beschluss vom 24.5.2023 - B 2 U 77/22 B - juris RdNr 18 mwN; BSG Beschluss vom 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6 mwN). Denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (zB BSG Beschluss vom 31.5.2023 - B 2 U 136/22 B - juris RdNr 9 mwN; BSG Beschluss vom 15.8.2022 - B 2 U 159/21 B - juris RdNr 6 mwN; BSG Beschluss vom 8.12.2016 - B 2 U 123/16 B - SozR 4-1920 § 52 Nr 17 RdNr 5). An diesen Voraussetzungen fehlt es hier. Der Kläger rügt zwar, dass und warum seiner Auffassung nach das LSG die Rechtsprechung des BSG nicht oder unzutreffend angewandt haben könnte, nicht jedoch - wie es erforderlich wäre -, dass das LSG dieser Rechtsprechung grundsätzlich widersprochen, eigene abweichende Rechtssätze entwickelt und diese seiner Entscheidung zugrunde gelegt haben könnte.

3. Die Beschwerdebegründung bezeichnet auch einen Verfahrensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht hinreichend. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), so müssen die diesen vermeintlich begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG, ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht, auf dem Mangel beruhen kann. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

a) Der Kläger rügt insoweit zum einen eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG). Diese Rüge erfordert, dass die Beschwerdebegründung (1.) einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zuletzt aufrechterhaltenen oder im Urteil wiedergegebenen Beweisantrag bezeichnet, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2.) die Rechtsauffassung des LSG wiedergibt, auf deren Grundlage bestimmte Tatfragen klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3.) die von dem Beweisantrag betroffenen tatsächlichen Umstände aufzeigt, die zur weiteren Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4.) das voraussichtliche Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme angibt und (5.) erläutert, weshalb die Entscheidung des LSG auf der unterlassenen Beweiserhebung beruhen kann (stRspr; zB BSG Beschluss vom 16.3.2022 - B 2 U 164/21 B - juris RdNr 16; BSG Beschluss vom 11.3.2021 - B 9 SB 51/20 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung des Klägers nicht gerecht. Sie bezeichnet zwar noch hinreichend einen Beweisantrag des Klägers. Der förmliche Beweisantrag hat Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz unmittelbar vor der Entscheidung signalisieren, dass ein Beteiligter die gerichtliche Aufklärungspflicht noch für defizitär hält (stRspr; zB BSG Beschluss vom 16.3.2022 - B 2 U 164/21 B - juris RdNr 17; BSG Beschluss vom 14.7.2021 - B 6 KA 42/20 B - juris RdNr 7 mwN; BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Sind Beteiligte - wie hier der Kläger - in der Berufungsinstanz nicht durch einen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten vertreten, sind an Form, Inhalt, Formulierung und Präzision eines Beweisantrags verminderte Anforderungen zu stellen. Auch ein unvertretener Beteiligter muss indes einen konkreten Beweisantrag zumindest sinngemäß gestellt haben, dh angeben, welche konkreten Punkte er am Ende des Verfahrens vor dem LSG noch für aufklärungsbedürftig gehalten hat und auf welche Beweismittel das Gericht hätte zurückgreifen sollen, um diese aufzuklären (BSG Beschluss vom 1.3.2006 - B 2 U 403/05 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 21.12.2021 - B 9 SB 55/21 B - juris RdNr 7 mwN; BSG Beschluss vom 21.2.2018 - B 5 R 331/17 B - juris RdNr 11 mwN; BSG Beschluss vom 18.9.2003 - B 9 SB 11/03 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 1 RdNr 5, juris RdNr 6 mwN; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 739). Hierzu enthält die Beschwerdebegründung noch hinreichende Ausführungen, dass der Kläger die Ermittlung der Expositionsverhältnisse an Arbeitsplätzen in der DDR in den Jahren 1977 bis 1989 beantragt habe. Die Beschwerdebegründung versäumt indes eine schlüssige Darlegung, dass das Berufungsgericht einem Beweisantrag "ohne hinreichende Begründung" nicht gefolgt ist. § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist im Hinblick auf dieses Erfordernis nicht formell, sondern materiell im Sinne von "ohne hinreichenden Grund" zu verstehen (zB BSG Beschluss vom 21.3.2023 - B 2 U 148/22 B - juris RdNr 8 mwN; BSG Beschluss vom 15.8.2022 - B 2 U 141/21 B - juris RdNr 15; BSG Beschluss vom 31.7.1975 - 5 BJ 28/75 - SozR 1500 § 160 Nr 5 S 6, juris RdNr 2). Entscheidend ist, ob sich das LSG von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben, weil nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zum tatsächlichen Sachverhalt aus seiner rechtlichen Sicht erkennbar offengeblieben sind. Dazu enthält die Beschwerdebegründung keinen schlüssigen Vortrag. Einerseits führt sie dazu an, das LSG habe die Beweisermittlung abgelehnt, weil dadurch nur allgemeine Aussagen zu Expositionen in dem genannten Gewerbezweig zu der genannten Zeit getroffen werden könnten, aber keine Informationen zu der konkreten beruflichen Exposition des Klägers. Andererseits stellt sie zu den Entscheidungsgründen des LSG dar, dass das LSG das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen angenommen habe, konkret auch bzgl einem Ausgesetztsein des Klägers mit chemisch-irritativen oder toxisch wirkenden Stoffen auch im gegenständlichen Zeitraum aufgrund der Stellungnahme der Fachabteilung Prävention der Berufsgenossenschaft Holz und Metall vom 11.7.2018 (Beschwerdebegründung S 3 und 7). Vor diesem Hintergrund bleibt unklar, warum sich das LSG zu weiteren Ermittlungen der Expositionen hätte veranlasst sehen sollen. Die Beschwerdebegründung enthält im Weiteren kein schlüssiges Vorbringen, dass das Urteil des LSG auf den unterlassenen Ermittlungen beruhen könnte. Insoweit führt sie wiederholt aus, dass das LSG entscheidungserheblich auf die fehlende Überzeugung von der haftungsbegründenden Kausalität abgestellt habe. Hierbei hat es nach dem dargestellten Sachverhalt entgegen der weiteren Behauptung auch die Expositionen während der Tätigkeit im VEB Kombinat Metall in den Jahren 1979 bis 1985 einbezogen.

b) Auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG; § 62 SGG) hat der Kläger nicht hinreichend bezeichnet. Er rügt unter Berufung auf eine Revisionsentscheidung des BSG (Urteil vom 4.9.2013 - B 10 EG 6/12 R), dass das LSG bei seiner Entscheidung nicht die seit 1.1.2021 geltende Rechtslage beachtet habe, dass ein Unterlassungszwang keine Voraussetzung für die Anerkennung einer BK mehr ist. Damit zeigt er indes eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art 103 GG; § 62 SGG) nicht auf. Der Grundsatz rechtlichen Gehörs gebietet, dass eine gerichtliche Entscheidung nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden darf, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (§ 128 Abs 2 SGG). Dem Gebot ist indes Genüge getan, wenn die Beteiligten die maßgeblichen Tatsachen erfahren und ausreichend Gelegenheit haben, sachgemäße Erklärungen innerhalb einer angemessenen Frist vorzubringen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 16.3.2022 - B 2 U 164/21 B - juris RdNr 19; BSG Beschluss vom 7.6.2016 - B 13 R 40/16 B - juris RdNr 9; BVerfG Beschluss vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 - juris RdNr 7). Einen Sachverhalt, der einen Verstoß gegen diese Grundsätze begründen könnte, legt der Kläger nicht dar. Er wendet sich vielmehr erneut gegen die als solche im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht rügefähige Richtigkeit der Berufungsentscheidung. Das LSG traf in diesem Zusammenhang hier aus verfahrensrechtlichen Gründen auch im Hinblick auf die sachlichen Aufklärungspflichten nach §§ 103, 106, 112 Abs 2 Satz 2 SGG keine Hinweispflicht auf eine von ihm selbst verkannte geänderte Rechtslage. Die Beschwerdebegründung legt mithin auch ein mögliches Beruhen der Berufungsentscheidung auf der ausgelaufenen alten Rechtslage nicht nachvollziehbar dar. Hierzu hätte es eines Vortrags dazu bedurft, dass das LSG seine Entscheidung auf den nicht mehr geltenden Unterlassungszwang entscheidungserheblich gestützt hat. Daran fehlt es hier.

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG.

5. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).

6. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

Roos

Karmanski

Karl

 

Fundstellen

Dokument-Index HI16129501

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