Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. Oktober 2000 wird zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der 1949 geborene Kläger erhielt von der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz unter Zugrundelegung eines Versicherungsfalls vom 1. August 1995 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) zunächst auf Zeit, später auf Dauer. Auf seinen Antrag vom August 1994 wurde gemäß § 4 Schwerbehindertengesetz (≪SchwbG≫; vgl seit 1. Juli 2001 § 69 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB IX≫) eine Behinderung mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 20, auf seinen Widerspruch mit einem GdB von 30 festgestellt. Das Sozialgericht (SG) Köln verurteilte den Beklagten mit Urteil vom 10. Juni 1997, ab August 1994 einen GdB von 40 festzustellen, und wies die Klage im übrigen ab. Der Beklagte hat dieses Urteil mit Bescheid vom 25. September 1997 ausgeführt. Die Berufung des Klägers blieb erfolglos (Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Nordrhein-Westfalen vom 31. Oktober 2000).
Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Er hält die Rechtsfrage für klärungsbedürftig, ob das Vorliegen der EU im Sinne des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) die Schwerbehinderteneigenschaft gemäß § 1 SchwbG (vgl ab 1. Juli 2001 § 2 Abs 2 SGB IX) begründet.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Entgegen der Ansicht des Klägers bedarf die gestellte Rechtsfrage keiner Klärung durch ein Revisionsverfahren. Gemäß § 1 SchwbG sind – bei Vorliegen sonstiger, hier nicht interessierender Voraussetzungen – Schwerbehinderte im Sinne des SchwbG Personen mit einem GdB von wenigstens 50. Dieser Vorschrift entspricht seit 1. Juli 2001 § 2 Abs 2 SGB IX (vgl Gesetz vom 19. Juni 2001 BGBl I, 1046 ff), wonach Menschen im Sinne des Teils 2 des SGB IX schwerbehindert sind, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Als Behinderung im Sinne des SchwbG gilt die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht. Regelwidrig ist der Zustand, der von dem für das Lebensalter typischen abweicht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten. Bei mehreren sich gegenseitig beeinflussenden Funktionsbeeinträchtigungen ist deren Gesamtauswirkung maßgeblich. Die Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigung ist als GdB nach Zehnergraden abgestuft von 20 bis 100 festzustellen. Für den GdB gelten die im Rahmen des § 30 Abs 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) festgelegten Maßstäbe entsprechend (§ 3 SchwbG). Auf Antrag des Behinderten stellen die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 4 Abs 1 Satz 1 SchwbG). Eine derartige Feststellung ist nicht zu treffen, wenn eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der auf ihr beruhenden Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidungen zuständigen Dienststellen getroffen worden ist, es sei denn, daß der Behinderte ein Interesse an anderweitiger Feststellung glaubhaft macht (§ 4 Abs 2 Satz 1 SchwbG). Eine Feststellung der MdE nach Satz 1 gilt zugleich als Feststellung des GdB (§ 4 Abs 2 Satz 2 SchwbG). Den vorstehend wiedergegebenen Vorschriften entsprechen nunmehr § 2 Abs 1 Satz 1 und § 69 Abs 1 bis 3 SGB IX.
Demgegenüber sind erwerbsunfähig gemäß dem bis zum 31. Dezember 2000 geltenden § 44 Abs 2 SGB VI aF in erster Linie Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt; erwerbsunfähig sind auch Versicherte nach § 1 Nr 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können. Erwerbsunfähig ist aber nicht, wer eine selbständige Tätigkeit ausübt oder – ohne Rücksicht auf die jeweilige Arbeitsmarktlage – eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann. Seit 1. Januar 2001 (Inkrafttreten des Gesetzes vom 20. Dezember 2000 BGBl I, 1827) ist der Versicherungsfall der EU im SGB VI weggefallen; der Begriff der EU hat im wesentlichen nur noch für die bis zum 31. Dezember 2000 eingetretenen Versicherungsfälle Bedeutung behalten (vgl auch § 302 b SGB VI nF). An die Stelle der EU ist der in § 43 Abs 2 SGB VI nF geregelte Versicherungsfall der „vollen Erwerbsminderung” getreten. Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI nF Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden erwerbstätig zu sein, ferner nach Satz 3 Nr 1 auch Versicherte, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können; dieser Personenkreis galt bereits nach dem bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Recht ebenfalls als erwerbsunfähig (Niesel KassKomm RdNr 19 zu § 44; BT-Drucks 14/4230 S 25 zu Nr 10 jeweils mwN). Der Senat versteht die gestellte Rechtsfrage dahin, daß diese sich auch darauf richtet, ob das Vorliegen von voller Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 2 SGB VI nF die Schwerbehinderteneigenschaft gemäß § 1 SchwbG bzw § 2 Abs 2 SGB IX begründet.
Die aufgeworfene Rechtsfrage beantwortet sich bereits aus dem Gesetz. Ob eine Person einen GdB von 50 aufweist und somit schwerbehindert ist, steht mit der Frage, ob bei ihr nach dem SGB VI aF EU oder nach dem SGB VI nF volle Erwerbsminderung besteht, in keinerlei Wechselwirkung, weil die jeweiligen gesetzlichen Voraussetzungen völlig unterschiedlich sind. Die Frage nach dem Bestehen von Schwerbehinderung ist für die Feststellung der Erwerbsfähigkeit bzw vollen Erwerbsminderung auch nicht als Vorfrage entscheidungserheblich (vgl BSG – unveröffentlichter – Beschluß vom 5. Dezember 1987 – 5b BJ 156/87 –). Für die genannten rentenversicherungsrechtlichen Tatbestände sind – nach bestimmten Maßgaben – die „konkreten” Erwerbsmöglichkeiten des Rentenversicherten maßgeblich. Es bleibt daher bei den die EU oder die volle Erwerbsminderung betreffenden Verwaltungs- und Gerichtsverfahren sowie den sie abschließenden Entscheidungen offen, welchen GdB im Sinne des SchwbG bzw des SGB IX ein Erwerbsunfähiger (bzw voll Erwerbsgeminderter) im Sinne des SGB VI aufweist. Die Frage nach der Schwerbehinderung beurteilt sich dagegen nicht nach den konkreten Erwerbsmöglichkeiten des Behinderten, sondern nach den abstrakten Maßstäben des § 30 Abs 1 BVG (§ 3 Abs 3 SchwbG; § 69 Abs 1 Satz 4 SGB IX), die im allgemeinen in einem gesonderten Verfahren von den für die Kriegsopferversorgung zuständigen Behörden anzuwenden sind. Dieses Verfahren ist für die Feststellung der Behinderung, des GdB und damit auch der daraus ggf folgenden Schwerbehinderung in aller Regel unentbehrlich (§ 4 Abs 1 Satz 1 SchwbG, § 69 Abs 1 Satz 1 SGB IX). Nur ausnahmsweise kann darauf verzichtet werden (§ 4 Abs 2 SchwbG und § 69 Abs 2 SGB IX). Voraussetzung dafür ist aber, daß nicht nur über das Vorliegen einer Behinderung, sondern auch über den Grad der auf ihr beruhenden Erwerbsminderung bereits auf die in § 4 Abs 2 Satz 1 SchwbG (§ 69 Abs 2 Satz 1 SGB IX) genannte Weise Feststellungen getroffen worden sind. Eine derartige Feststellung liegt, wenn der Rentenversicherungsträger für Zeiten vor dem 1. Januar 2001 EU bzw nach dem 31. Dezember 2000 volle Erwerbsminderung festgestellt hat, nicht vor. Es fehlt jede Möglichkeit, aus einem Rentenbescheid, mit dem das Vorliegen von EU (volle Erwerbsminderung) anerkannt wird, den für die Feststellung der Schwerbehinderung unerläßlichen maßgeblichen GdB herzuleiten. Allenfalls von der – allein nicht ausreichenden – Feststellung einer Behinderung könnte aufgrund eines derartigen Rentenbescheides möglicherweise ausgegangen werden.
Im übrigen spricht auch § 2 SchwbG (§ 2 Abs 3 iVm § 68 Abs 2 SGB IX), wonach Personen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30 unter bestimmten Voraussetzungen auf ihren Antrag Schwerbehinderten gleichgestellt werden sollen, dagegen, daß Behinderte, welche die Voraussetzungen für die EU bzw für die volle Erwerbsminderung im rentenrechtlichen Sinne erfüllen, zugleich schon kraft Gesetzes als schwerbehindert zu gelten haben. Beruht nämlich die EU (volle Erwerbsminderung) darauf, daß der Rentenberechtigte wegen seiner Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich oder gar überhaupt erwerbstätig zu sein oder daß ihm der Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen war, so wird regelmäßig der in § 2 SchwbG (§ 2 Abs 3 SGB IX) geregelte Fall vorliegen, daß die Behinderung der Erlangung eines Arbeitsplatzes entgegensteht. Dieser Umstand führt aber nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht schon von vornherein und kraft Gesetzes dazu, daß der GdB, sollte er unter 50 liegen, auf mindestens 50 ansteigt und damit der Schwerbehindertenstatus erreicht wird, sondern allenfalls dazu, daß der Behinderte ggf auf seinen Antrag durch das Arbeitsamt Schwerbehinderten gleichgestellt werden kann.
Die vom Kläger gestellte Rechtsfrage wird denn auch im Schrifttum – soweit ersichtlich – allgemein verneint (vgl Großmann/Schimanski, GK-SchwbG, 2. Aufl, RdNr 57 zu § 4; Cramer, SchwbG, 5. Aufl, § 4 RdNr 11 mwN; auch – unveröffentlichtes – Urteil des BSG vom 8. August 1984 – 9a RVs 3/83; Weber, Schwerbehindertengesetz, § 4 Anm 9 diskutiert die gestellte Frage nicht einmal; vgl im übrigen AHP 1996, Abschn 18, S 29; die angeblich abweichende Ansicht von Neumann-Pahlen, SchwbG, § 4 RdNr 26 besteht lediglich in der nicht weiter begründeten Nennung auch von Rentenbescheiden der Rentenversicherungsträger unter den aufgezählten vorgreiflichen Feststellungstiteln).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen