Entscheidungsstichwort (Thema)

Revisionsnichtzulassungsbeschwerde. Körperschaft des öffentlichen Rechts. Postulationsfähiger Prozessbevollmächtigter. Eindeutige Bevollmächtigung bestimmter Personen durch die Satzung. Schriftliche Vollmacht

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Vor dem BSG müssen sich die Beteiligten, soweit es sich nicht um Behörden oder Körperschaften des öffentlichen Rechts oder Anstalten des öffentlichen Rechts handelt, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Das gilt nicht nur für die mündliche Verhandlung, sondern auch für die Einlegung der Revision und auch für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde. Bereits die Beschwerdeschrift muss von einem postulationsfähigen Prozessbevollmächtigten unterzeichnet sein (st.Rspr.; vgl. BSG SozR 1500 § 166 Nr. 12 u. SozR 3-1500 § 166 Nr. 1).

2. Nach § 166 Abs. 2 SGG sind nicht alle Angestellten der dort aufgeführten Verbände als Prozessbevollmächtigte zugelassen, sondern nur diejenigen, die der Verband mit der Prozessführung für seine Mitglieder betraut hat. Mit dieser Auswahl soll erreicht werden, dass die Prozessvertretung nur solchen Angestellten übertragen wird, die nach Überzeugung des Verbands nach ihren Kenntnissen und Erfahrungen auf dem Gebiet des Sozialrechts hierzu geeignet sind. Damit soll auch eine gewisse Gewähr dafür geschaffen werden, dass beim BSG nicht von vornherein unzulässige oder offensichtlich unbegründete Revisionen oder Nichtzulassungsbeschwerden eingelegt werden (vgl BSG SozR Nr. 37 zu § 166 SGG, BSG SozR 1500 § 166 Nr. 12).

3. Ein Verband i.S.v. § 166 Abs. 2 SGG muss klar und eindeutig in der vom Gesetz vorgesehenen Weise regeln, welche seiner Angestellten befugt sein sollen, die Prozessvertretung vor dem BSG zu übernehmen (vgl. BSG SozR 3-1500 § 166 Nr. 1).

4. Eine Vollmacht zur Prozessvertretung gem. § 166 Abs. 2 S. 2 SGG verlangt das Vorliegen der Schriftform (st. Rspr., vgl. BSG SozR 3-1500 § 166 Nr 1; BSG Beschluss v. 30.01.1998, B 10 LW 12/97 R). Auf das Vorliegen einer anderweitigen Bevollmächtigung, Arbeits- und Sozialgerichtsverfahren einschließlich Verfahren vor dem BSG sowohl für die Mitgliedsfirmen des Fachverbands als auch für den Fachverband selbst zu führen, kommt es damit nicht an.

 

Normenkette

SGG § 166 Abs. 1, 2 S. 2

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 30.04.2002; Aktenzeichen L 2 U 18/01)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 30. April 2002 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der Kläger hat mit dem am 3. Juli 2002 bei dem Bundessozialgericht (BSG) eingegangenen Schriftsatz vom selben Tage Nichtzulassungsbeschwerde gegen das ihm am 5. Juni 2002 zugestellte Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Berlin vom 30. April 2002 eingelegt und das Rechtsmittel mit Schriftsatz vom 4. September 2002 begründet. Beide Schriftsätze sind von dem bei dem Kläger als Verbandsgeschäftsführer tätigen Assessor Dr. K … unterzeichnet.

Mit Schriftsatz vom 3. September 2002 hat Dr. K … auf eine entsprechende Aufforderung des Senats eine von dem ersten Vorsitzenden sowie seinem Stellvertreter unterzeichnete, undatierte, Bestätigung sowie eine von den selben Personen unterzeichnete Prozessvollmacht vom 2. September 2002 vorgelegt. Ferner hat er erklärt, dass eine neuere als die sich in den vorinstanzlichen Akten befindliche Satzung in der Fassung vom 5. März 1997 nicht vorliege.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Das Rechtsmittel ist nicht formgerecht eingelegt worden. Der Kläger war zum Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde und bis zum Ablauf der Beschwerdefrist vor dem BSG nicht prozessordnungsgemäß vertreten.

Vor dem BSG müssen sich die Beteiligten, soweit es sich nicht um Behörden oder Körperschaften des öffentlichen Rechts oder Anstalten des öffentlichen Rechts handelt, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen (§ 166 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫). Das gilt nicht nur für die mündliche Verhandlung, sondern auch für die Einlegung der Revision und auch für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde. Bereits die Beschwerdeschrift muss von einem postulationsfähigen Prozessbevollmächtigten unterzeichnet sein (BSG SozR 1500 § 166 Nr 12 und SozR 3-1500 § 166 Nr 1 jeweils mwN; Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 166 RdNr 2). Zu den postulationsfähigen Prozessbevollmächtigten in diesem Sinne zählte Dr. K … damals nicht.

Als Prozessbevollmächtigte sind – neben allen bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwälten (§ 166 Abs 2 Satz 2 SGG) – die Mitglieder und Angestellten von Gewerkschaften, von selbstständigen Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung, von Vereinigungen von Arbeitgebern, von berufsständischen Vereinigungen der Landwirtschaft und von den in § 14 Abs 3 Satz 2 SGG genannten Vereinigungen zugelassen, sofern sie kraft Satzung oder Vollmacht zur Prozessvertretung befugt sind (§ 166 Abs 2 SGG). Da Dr. K … nicht als Rechtsanwalt zugelassen ist, kann sich seine Zulassung als Prozessbevollmächtigter vor dem BSG nach der gegebenen Sachlage nur daraus ergeben, dass er kraft Satzung oder Vollmacht als Angestellter einer Vereinigung von Arbeitgebern zur Prozessvertretung befugt war.

Bei dem Kläger handelt es sich um eine Vereinigung von Arbeitgebern, weil er nach seiner Satzung in der Fassung vom 5. März 1997 (Satzung) Zwecke verfolgt, die seine Mitglieder in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber betreffen. Gemäß Nr 2.1 der Satzung wahrt und fördert er die gemeinsamen gewerblichen Belange der Gewinner und/oder Aufbereiter von Kies und Sand, Splitt/Brechsand, Asphalt-Mischgut jedweden Verwendungszwecks, Recycling-Baustoffunternehmen, Hersteller von Mörtel jedweder Art einschließlich Trockenbeton, Hersteller von Transportbeton, Betonförderer und Mineralmahlwerke. Er schließt durch seine Tarifkommission Tarifverträge über Lohn- und sonstige Arbeitsbedingungen mit den Gewerkschaften (Nr 8.1 der Satzung). Mitglied können nach Nr 3.1 der Satzung bestimmte Unternehmen, die im Verbandsgebiet ihren Sitz haben, werden. Der Vereinszweck schließt die Befugnis des Klägers ein, durch Satzung oder Vollmacht Mitglieder oder Angestellte zur Prozessvertretung zu beauftragen. Indes ist Dr. K … bis zum letzten Tag der Beschwerdefrist am 5. Juli 2002 weder kraft Satzung noch kraft Vollmacht des Klägers zur Prozessvertretung befugt gewesen.

Nach § 166 Abs 2 SGG sind nicht alle Angestellten der dort aufgeführten Verbände als Prozessbevollmächtigte zugelassen, sondern nur diejenigen, die der Verband mit der Prozessführung für seine Mitglieder betraut hat. Mit dieser Auswahl soll erreicht werden, dass die Prozessvertretung nur solchen Angestellten übertragen wird, die nach Überzeugung des Verbandes nach ihren Kenntnissen und Erfahrungen auf dem Gebiet des Sozialrechts hierzu geeignet sind; damit soll auch eine gewisse Gewähr dafür geschaffen werden, dass beim BSG nicht von vornherein unzulässige oder offensichtlich unbegründete Revisionen oder Nichtzulassungsbeschwerden eingelegt werden (vgl BSG SozR Nr 37 zu § 166 SGG, BSG SozR 1500 § 166 Nr 12). Deshalb ist es erforderlich, dass der Verband klar und eindeutig in der vom Gesetz vorgesehenen Weise regelt, welche seiner Angestellten befugt sein sollen, die Prozessvertretung vor dem BSG zu übernehmen (vgl BSG SozR 3-1500 § 166 Nr 1 mwN). Daran mangelt es.

Aus der Satzung des Klägers geht hervor, dass die gemeinsamen gewerblichen Belange der Vereinsmitglieder im Vereinsgebiet unmittelbar gegenüber Organen und Behörden der genannten Länder, ihren Regierungsbezirken sowie regionalen Einrichtungen der Wirtschaft und sonstigen Stellen und mittelbar gegenüber und im Rahmen von überregionalen Fachverbänden wahrgenommen und gefördert werden (Nr 2.1 der Satzung). Ferner ist der Satzung zu entnehmen, dass der Verein iS des § 26 des Bürgerlichen Gesetzbuches durch zwei Vorstandsmitglieder, die jeder für sich allein vertretungsberechtigt sind, vertreten wird (Nr 7.5 der Satzung). Die laufenden Geschäfte des Vereins hat die vom Vorsitzer im Einvernehmen mit den übrigen Mitgliedern des Vorstandes berufene Geschäftsführung zu führen (Nr 10.1 und 10.2 der Satzung). Aus diesen Regelungen ergibt sich keine Prozessvertretungsbefugnis für Dr. K …. Insbesondere beinhaltet die Führung der laufenden Geschäfte nicht die Befugnis der „Geschäftsführung” zur Prozessvertretung der Mitgliedsunternehmen vor dem BSG (BSG SozR 1500 § 166 Nr 12; BSG SozR 3-1500 § 166 Nr 1).

Die Prozessvertretungsbefugnis des Dr. K … ergibt sich auch nicht aus einer für das anhängige Beschwerdeverfahren wirksamen Vollmacht zur Prozessvertretung gemäß § 166 Abs 2 Satz 2 SGG. Auch für eine solche Vollmacht gilt die Schriftform, sodass es auf das von Dr. K … unter Hinweis auf die undatierte Bestätigung der Vorsitzenden behauptete Vorliegen einer anderweitigen Bevollmächtigung, Arbeits- und Sozialgerichtsverfahren einschließlich Verfahren vor dem BSG sowohl für die Mitgliedsfirmen des Fachverbandes als auch für den Fachverband selbst zu führen, nicht ankommt. § 166 Abs 2 SGG verlangt nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl BSG SozR 3-1500 § 166 Nr 1 mwN; BSG Beschluss vom 30. Januar 1998 – B 10 LW 12/97 R) das Vorliegen einer schriftlichen Vollmacht, auch wenn dies in der Vorschrift nicht ausdrücklich angeordnet ist. Da schon für die wirksame Prozessvollmacht eines postulationsfähigen Prozessvertreters Schriftform vorgeschrieben ist (§ 73 Abs 2 Satz 1 Halbs 1 SGG), muss dies erst recht für die Vollmacht zum Nachweis der Postulationsfähigkeit als solcher gelten, zumal nur so ein ebenso klarer Nachweis für die Postulationsfähigkeit wie durch die – stets schriftlich vorliegende – Satzung als das andere vom Gesetzgeber vorgesehene Legitimationsmittel erzielt werden kann. Auch Rechtsanwälte sind nur dann als Prozessbevollmächtigte vor dem BSG zugelassen, wenn sie bei einem deutschen Gericht zugelassen sind (§ 166 Abs 2 Satz 2 SGG); dies ist ohne Schriftförmlichkeiten nicht möglich. Das Erfordernis einer schriftlichen Vollmacht im Rahmen des § 166 Abs 2 SGG zum Nachweis der Postulationsfähigkeit bedeutet keinen von Verfassungs wegen unzulässigen Eingriff in die nach Art 9 Abs 3 des Grundgesetzes (GG) geschützte kollektive Koalitionsfreiheit des Klägers als Arbeitgebervereinigung. Da nur eine schriftliche Vollmacht (oder eine entsprechende Satzungsbestimmung) ausreichende Klarheit für die Gerichte und die Verfahrensbeteiligten für das Vorliegen der Postulationsfähigkeit des Prozessvertreters eines Verbandes gewährleistet, ist dieses Erfordernis von der Sache her geboten und berührt nicht den durch Art 9 Abs 3 GG geschützten Kernbereich. Da lediglich die von jedem Verband leicht einzuhaltende einfache Schriftform gefordert wird, führt dies auch nicht zu einer unverhältnismäßigen Erschwerung der Rechtsverfolgung vor Gericht (vgl BSG Beschluss vom 4. Juli 2002 – B 2 U 20/02 R).

Eine schriftliche Vollmacht zur Prozessvertretung gemäß § 166 Abs 2 SGG lag zum Zeitpunkt des Ablaufs der Beschwerdefrist nicht vor. Die vorgelegte Prozessvollmacht gemäß § 73 SGG erfüllt die Voraussetzungen nach § 166 Abs 2 SGG nicht. Sie datiert zudem vom 2. September 2002 und ist auch deshalb nicht geeignet, die Postulationsfähigkeit von Dr. K … bis zum Ablauf der Beschwerdefrist am 5. Juli 2002 zu beweisen. Das Erfordernis des Vorliegens einer schriftlichen Vollmacht (oder eine entsprechende Satzungsbestimmung) gemäß § 166 Abs 2 Satz 1 SGG spätestens zum Zeitpunkt des Ablaufs der Beschwerdefrist folgt daraus, dass die von einem Postulationsunfähigen vorgenommene Prozesshandlung wegen Fehlens der Prozesshandlungsfähigkeit unwirksam ist und durch die spätere Genehmigung eines Postulationsfähigen nicht geheilt werden kann (vgl BSG SozR 3-1500 § 166 Nr 1 mwN); dieser kann die betreffende Prozesshandlung lediglich innerhalb der laufenden Rechtsmittelfrist erneut vornehmen, um deren Wirksamkeit zu erreichen.

Die Beschwerde war daher als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbs 2 iVm § 169 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 4 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden Fassung. § 197a Abs 1 Satz 1 SGG idF des 6. SGG-Änderungsgesetzes vom 17. August 2001 (BGBl I 2144) ist nach Art 17 Abs 1 Satz 2 dieses Gesetzes auf das vorliegende Verfahren noch nicht anzuwenden, weil es vor dem In-Kraft-Treten dieses Gesetzes rechtsanhängig war (BSG Urteil vom 30. Januar 2002 – B 6 KA 12/01 R – zur Veröffentlichung in SozR 3-2500 § 116 Nr 24 vorgesehen).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1176655

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