Verfahrensgang
SG Hildesheim (Entscheidung vom 24.09.2019; Aktenzeichen S 4 BA 26/18) |
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 03.02.2023; Aktenzeichen L 9 BA 99/19) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 3. Februar 2023 wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5000 Euro festgesetzt.
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten darum, ob der Beigeladene zu 1. (im Folgenden: Beigeladener) in seiner Tätigkeit für die klagende UG in der Zeit vom 21.6.2018 bis zum 31.12.2019 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV), nach dem Recht der Arbeitsförderung sowie in der gesetzlichen Kranken- (GKV) und sozialen Pflegeversicherung (sPV) unterlag.
Die am 3.2.2017 gegründete klagende UG bietet IT-Dienstleistungen für gewerbliche Kunden an. An ihrem Stammkapital in Höhe von 1010 Euro waren der Beigeladene und der alleinige Geschäftsführer der Klägerin zu je 50 vH beteiligt. Der Geschäftsführer vertrat die Klägerin allein; Beschlüsse der Gesellschafter bedurften der einfachen Mehrheit.
Die Klägerin schloss mit dem Beigeladenen ab dem 1.3.2017 einen unbefristeten "Anstellungsvertrag" als Techniker/Vertriebsmitarbeiter mit einer Wochenarbeitszeit von 38 Stunden und einer Bruttovergütung in Höhe von 1000 Euro, ab dem vierten Monat von 1500 Euro, zuzüglich einer Gewinnbeteiligung von 25 vH des Jahresgewinns sowie Spesen und Fahrtkostenerstattung. Er erhielt Gesamtprokura, wurde von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit und als leitender Angestellter im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes bezeichnet. Außerdem wurde ihm ein Mobiltelefon zur Verfügung gestellt. Er hatte einen Urlaubsanspruch sowie Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Nebentätigkeiten waren genehmigungspflichtig, es bestand ein Wettbewerbsverbot und die Kündigungsfristen richteten sich nach § 622 BGB.
Auf einen Statusfeststellungsantrag der Klägerin stellte die Beklagte ab 1.3.2017 die Versicherungspflicht des Beigeladenen in den Zweigen der Sozialversicherung aufgrund abhängiger Beschäftigung fest (Bescheid vom 31.1.2018). Den Widerspruch der Klägerin wies sie zurück (Widerspruchsbescheid vom 6.7.2018).
Die Klägerin und der Beigeladene lösten den Arbeitsvertrag auf und änderten den Gesellschaftsvertrag zum 21.6.2018 dahingehend, dass nunmehr beide Gesellschafter verpflichtet waren, sich mindestens 38 Stunden in den Dienst der Gesellschaft zu stellen. Ein Weisungsrecht des Geschäftsführers gegenüber dem Beigeladenen wurde ausgeschlossen. Daneben wurden Regelungen zu Ansprüchen des Beigeladenen auf Urlaub und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall getroffen. Im Übrigen blieb der Vertrag im Wesentlichen unverändert. Den Antrag der Klägerin auf Änderung des Bescheids vom 31.1.2018 lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 13.9.2018).
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 24.9.2019). Während des Berufungsverfahrens ist der Beigeladene zum 1.1.2020 zum Geschäftsführer der Klägerin bestellt worden. Die auf den Zeitraum vom 21.6.2018 bis zum 31.12.2019 begrenzte Berufung hat das LSG zurückgewiesen. Nicht zum Geschäftsführer bestellte mitarbeitende Gesellschafter seien grundsätzlich ungeachtet ihrer Gesellschafterrechte als weisungsgebunden anzusehen. Das Weisungsrecht obliege als Aufgabe der laufenden Geschäftsführung dem Geschäftsführer und nicht der Gesellschafterversammlung. Der Beigeladene habe nicht über die Mehrheit der Gesellschaftsanteile verfügt und daher keine Leitungsmacht gegenüber dem Geschäftsführer gehabt. Zwar habe er über eine Sperrminorität verfügt, diese habe ihm aber keine Rechtsmacht zur Lenkung der Geschicke der Gesellschaft verschafft. Der Ausschluss des Weisungsrechts des Geschäftsführers gegenüber dem Beigeladenen im Gesellschaftsvertrag reiche zur Annahme einer selbstständigen Tätigkeit nicht aus. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die sich auf die Tätigkeit des Beigeladenen beziehenden Regelungen im Gesellschaftsvertrag im Übrigen einer selbstständigen Tätigkeit entgegenstünden und auch kein relevantes unternehmerisches Risiko des Beigeladenen feststellbar sei (Urteil vom 3.2.2023).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Beschwerde der Klägerin.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Der mit der Beschwerdebegründung allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) ist entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht hinreichend dargelegt.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf (Klärungsbedürftigkeit) und fähig (Klärungsfähigkeit) ist. Mit der Beschwerdebegründung ist daher aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des § 162 SGG stellt. Hierzu ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung auszuführen, weshalb eine Klärung erforderlich und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Schließlich ist darzulegen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt (vgl BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
1. Die Klägerin wirft die Fragen auf,
"ob ein zu 50 % an einer GmbH beteiligter Gesellschafter, der kraft ausdrücklicher Regelung im Gesellschaftsvertrag Weisungen des Geschäftsführers nicht unterworfen ist, sondern nur solchen der Gesellschafterversammlung, in der er selbst eine 50 %-ige Sperrminorität besitzt, selbständig tätig ist",
und
"ob das im Gesetz genannte Kriterium einer 'Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers' noch einen Anhaltspunkt für eine Beschäftigung liefern kann, wenn ein solcher 'Weisungsgeber' jenseits der an eine Sperrminorität des mitarbeitenden Gesellschafters geknüpften Mitwirkung des 'Weisungsempfängers' gar nicht existiert",
sowie
"welche Bedeutung es für die Beurteilung des Status gemäß § 7 SGB IV eines mitarbeitenden Gesellschafters einer GmbH oder UG hat, wenn der Betroffene im Rahmen seiner gesamten Tätigkeit auf gesellschaftvertraglicher Grundlage ausschließlich an Weisungen der Gesellschafterversammlung gebunden ist, in der er selbst über eine Sperrminorität verfügt."
Die Klärungsbedürftigkeit dieser Fragen legt die Klägerin jedoch nicht hinreichend dar. Hierzu hätte es Ausführungen bedurft, inwieweit sich weder aus den gesetzlichen Bestimmungen noch aus der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG hinreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfragen ergeben. Ist eine Rechtsfrage noch nicht ausdrücklich höchstrichterlich entschieden worden, ist sie gleichwohl als geklärt anzusehen, wenn schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17 sowie BSG Beschluss vom 31.3.1993 - 13 BJ 215/92 - SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6). Daher muss substantiiert aufgezeigt werden, dass und warum sich früheren Entscheidungen keine solchen Anhaltspunkte entnehmen lassen.
Dem wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Ausdrücklich benennt die Beschwerdebegründung lediglich ein Urteil des BSG auf Seite 4 ("Urteil vom 17.05.2001, B 12 KR 34/00 R, Rdnr. 15"). Das BSG hat sich aber bereits in zahlreichen Entscheidungen mit mitarbeitenden Gesellschaftern befasst, die nicht zum Geschäftsführer bestellt und zu 50 vH am Stammkapital beteiligt waren (vgl nur BSG Urteil vom 13.12.2022 - B 12 KR 16/20 R - juris, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen sowie BSG Urteil vom 29.6.2021 - B 12 R 8/19 R - juris, jeweils mwN). Inwieweit sich aus diesen Entscheidungen bereits ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen ergeben, legt die Klägerin nicht dar. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass der Senat in einer Entscheidung vom 13.12.2022 (B 12 KR 16/20 R - juris RdNr 20) bereits ausdrücklich ausgeführt hat, allein die Möglichkeit, Weisungen im eigenen Tätigkeitsbereich abzuwenden, schließe als bloße Verhinderungsmacht die abhängige Beschäftigung nicht aus. Außerdem hat das BSG bereits mehrfach entschieden, dass die Selbständigkeit eines Gesellschafter-Geschäftsführers grundsätzlich eine sich auf die gesamte Unternehmenstätigkeit erstreckende Gestaltungsmacht erfordere, mit der der Gesellschafter-Geschäftsführer das unternehmerische Geschick insgesamt wie ein Unternehmensinhaber lenken könne (vgl BSG Urteil vom 28.6.2022 - B 12 R 4/20 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 66 RdNr 32; BSG Urteil vom 1.2.2022 - B 12 KR 37/19 R - BSGE 133, 245 = SozR 4-2400 § 7 Nr 61, RdNr 13). Einem mitarbeitenden Gesellschafter, der nicht zum Geschäftsführer bestellt ist, mangelt es zur Selbständigkeit - trotz eines hälftigen Gesellschaftsanteils und trotz der Möglichkeit jegliche Weisungen im Rahmen des auf die Gesellschafterversammlung übertragenen Direktionsrechts abwenden zu können - an der mit eigenen organschaftlichen Rechten ausgestatteten Führungsfunktion des Geschäftsführers, um die Geschicke des Unternehmens wesentlich mitzubestimmen (BSG Urteil vom 13.12.2022 - B 12 KR 16/20 R - juris RdNr 23).
Dass eine der von der Klägerin aufgeworfenen Fragen vor dem Hintergrund dieser dezidierten Senatsrechtsprechung noch klärungsbedürftig sein könnte, wird in der Beschwerdebegründung nicht hinreichend dargelegt.
2. Darüber hinaus ist die Klägerin der Ansicht, weitere klärungsbedürftige Fragen von grundsätzlicher Bedeutung ergäben sich daraus, dass "die weiteren, vorstehend aufgezählten Argumente des LSG für sich genommen eine Selbständigkeit des Beigeladenen nach hiesiger Auffassung nicht zu begründen vermögen, wenn das zuallererst entscheidende Kriterium einer Weisungsgebundenheit wie hier eindeutig nicht vorliegt". Sie führt hierzu aus:
"1. Die nicht gegebene Rechtsmacht des Gesellschafters, einen Geschäftsführer gegen dessen Willen abberufen zu können, kann kein entscheidendes Kriterium sein. Denn über eine solche Rechtsmacht verfügt auch derjenige Gesellschafter nicht, der 50 % der Anteile besitzt…".
2. Das Kriterium, "den Gesellschaftsvertrag nicht ändern und keine Auflösung der Gesellschaft herbeiführen" zu können, sei "in dem einen Fall irrelevant, in dem anderen falsch"..
3. "Dass ein Prokurist, der Weisungen des Geschäftsführers nicht unterworfen ist, von Einfluss- und Mitbestimmungsmöglichkeiten im Unternehmen nicht ausgeschlossen ist, ist eine klärungsbedürftige Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung".
4. "Regelungen für den Fall der Arbeitsunfähigkeit, zum Urlaub und zu Loyalitätspflichten sind zweifellos typische Merkmale eines Arbeitsvertrages“.
5. "Entgegen dem LSG lag beim Beigeladenen ein echtes Unternehmerrisiko vor".
Damit formuliert die Klägerin schon keine aus sich heraus verständliche abstrakte Rechtsfrage zur Auslegung oder zum Anwendungsbereich einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) oder zu deren Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht (vgl BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN). Die Bezeichnung einer bestimmten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN). Rechtsfragen sind solche, die sich auf die Anwendung und Auslegung von Rechtsnormen beziehen. Die Subsumtion unter unbestimmte Rechtsbegriffe - einschließlich der Zuordnung einer Tätigkeit zum Typus der Beschäftigung (vgl BSG Urteil vom 6.9.2018 - B 2 U 18/17 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 47 RdNr 15 ff) - betrifft in der Regel Tatfragen. Die Frage, ob bei dem Beigeladenen ein Unternehmerrisiko vorgelegen hat, betrifft ausschließlich die Subsumtion im Einzelfall und ist schon deshalb offensichtlich keine abstrakte Rechtsfrage.
Zudem wird auch die Klärungsbedürftigkeit der hier angesprochenen Aspekte nicht hinreichend dargelegt. Im Hinblick auf die Rechtsmacht mitarbeitender Gesellschafter wird auf die Ausführungen unter 1. verwiesen. Aber auch im Übrigen fehlt es an einer Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BSG. Dass sich die Frage, ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, danach richtet, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und davon abhängt, welche Merkmale überwiegen, entspricht seit langem ständiger Rechtsprechung (BSG Urteil vom 13.3.2023 - B 12 R 6/21 R - juris RdNr 13 mwN, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen). Welche abstrakte Rechtsfrage zu einer solchen wertenden Gesamtbetrachtung der Einzelfallumstände noch klärungsbedürftig sein soll, legt die Klägerin nicht hinreichend dar.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2, § 162 Abs 3 VwGO.
5. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 52 Abs 2, § 47 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 sowie § 63 Abs 2 Satz 1 GKG.
Fundstellen
Dokument-Index HI16226613 |