Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensfehler. keine Umgehung der in § 160 Abs 2 Nr 3 SGG normierten Beschränkungen durch eine Grundsatzrüge. Maßgeblichkeit eines Gutachtens bei Vorliegen unterschiedlicher Gutachten mit teilweise für den Kläger günstigen und ungünstigen Aussagen
Orientierungssatz
1. Ein Beschwerdeführer kann die gesetzlichen Beschränkungen der Verfahrensrüge in § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht erfolgreich dadurch umgehen, dass er die Rügen in Fragen von grundsätzlicher Bedeutung fasst (vgl BSG vom 28.2.2018 - B 1 KR 65/17 B = juris RdNr 5 sowie vom 25.2.2020 - B 9 V 53/19 B = juris RdNr 6).
2. Es existiert kein Verfahrensgrundsatz, aufgrund dessen ein Kläger erwarten kann, dass das Gericht der Einschätzung eines angehörten Gutachters folgen muss, der zu einem für den Kläger günstigen Ergebnis gelangt, wenn andere Gutachter hiervon abweichende für ihn ungünstigere Aussagen zum Sachverhalt treffen.
Normenkette
SGG §§ 62, 103, 106 Abs. 1, § 112 Abs. 2 S. 2, § 128 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2 Nrn. 1-3, § 160a Abs. 2 S. 3, § 162; GG Art. 103
Verfahrensgang
SG Stuttgart (Urteil vom 20.03.2018; Aktenzeichen S 24 R 243/16) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 24.01.2020; Aktenzeichen L 4 R 1318/18) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. Januar 2020 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Im Streit steht die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Der beklagte Rentenversicherungsträger, das SG und das LSG haben das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen hierfür nach Beiziehung medizinischer Unterlagen und Gutachten letztlich verneint. Das LSG ist auf Grundlage verschiedener Sachverständigengutachten zu dem Ergebnis gelangt, dass eine rentenberechtigende Erwerbsminderung zum Zeitpunkt des letztmaligen Vorliegens der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die begehrte Rentenart am 31.8.2016 nicht gegeben sei. Insbesondere sei eine die Erwerbsfähigkeit in erheblichem Maße beeinträchtigende psychische Erkrankung bzw posttraumatische Belastungsstörung nicht bewiesen. Die Klägerin sei regelmäßig zu Besuchen in die Türkei gefahren und habe ihren Alltag bewältigen können. Zudem habe sie zwischen 1999 und 2011 eine versicherungspflichtige Tätigkeit verrichtet, sodass nicht davon ausgegangen werden könne, dass der durch ein Erdbeben 1999 verursachte Tod ihrer Geschwister eine schwere psychische Reaktion hervorgerufen habe. Das LSG hat die Revision nicht zugelassen (Urteil vom 24.1.2020).
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde an das BSG. Sie macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend, rügt eine Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) zwischen der Entscheidung des LSG und der des erkennenden Senats vom 11.12.2019 (B 13 R 7/18 R - BSGE ≪vorgesehen≫ = SozR 4-2600 § 43 Nr 22) und einen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) des LSG.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt bzw bezeichnet.
1. Die Beschwerdebegründung vom 28.4.2020 genügt nicht den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG, soweit sich die Klägerin auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache beruft.
Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) muss in der Beschwerdebegründung vorgebracht werden, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (stRspr; zB BSG Beschluss vom 19.10.2011 - B 13 R 241/11 B - SozR 4-4200 § 25 Nr 1 RdNr 9 mwN; vgl auch BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7; jüngst BSG Beschluss vom 29.6.2018 - B 13 R 9/16 B - juris RdNr 12).
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Die Klägerin misst der Frage grundsätzliche Bedeutung zu, |
-"… wie hier durch das Gericht fachliche Ausführungen negiert oder abgelehnt werden können, ohne selbst die fachliche Kunde zu haben, oder die Frage nach der Abgrenzung zwischen fachlichen Feststellungen der Sachverständigen und der Beweiswürdigung durch das Gericht". |
Sie hat mit diesen Fragen bereits keine hinreichend konkreten Rechtsfragen zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer bestimmten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht aufgeworfen und in den folgenden Ausführungen den vom Revisionsgericht erwarteten klärenden Schritt ausreichend konkret dargelegt. Schon aus der Formulierung der Fragen unter Verwendung des Wortes "hier" ergibt sich, dass sie Fragen zur Rechtsanwendung im Einzelfall, nicht jedoch zur abstrakten Rechtsanwendung beantwortet wissen möchte.
Selbst wenn die Qualität als Rechtsfrage jeweils unterstellt würde, hat die Klägerin auch die Klärungsbedürftigkeit dieser Fragen nicht den nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG diesbezüglich geltenden Anforderungen genügend dargelegt.
Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als bereits höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; BSG Beschluss vom 8.2.2017 - B 13 R 294/16 B - juris RdNr 4). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass zu dem angesprochenen Fragenbereich noch keine Entscheidung vorliege oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet sei (Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 183 mwN).
An einer Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BSG fehlt es in der Begründung der grundsätzlichen Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfragen gänzlich. Dazu hätte jedoch Anlass bestanden, denn das BSG hat wiederholt entschieden, dass es dem Tatsachengericht bei fehlender Sachkunde verwehrt sei, medizinische Beurteilungen selbst vorzunehmen. Es müsse sich regelmäßig sachverständiger Hilfe bedienen, um den medizinischen Sachverhalt zu ermitteln (BSG Urteil vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205, 221 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, RdNr 45; BSG Urteil vom 6.9.2018 - B 2 U 10/17 R - BSGE 126, 244 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 9, RdNr 28). Warum sich gleichwohl die benannten Fragen stellen, bringt die Klägerin nicht vor.
Abgesehen davon zielen die Fragestellungen auf die Klärung und Bewertung von Tatsachen ab und beinhalten im Kern letztlich Fragen der Beweiswürdigung und der Sachaufklärung, also ein nach Auffassung der Klägerin verfahrensfehlerhaftes Vorgehen des Berufungsgerichts. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung kann gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 2 SGG aber nicht zur Zulassung der Revision führen. Dies gilt nicht nur für den Fall, dass die Beschwerde ausdrücklich eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG geltend macht, sondern auch dann, wenn sie ihre Angriffe gegen die Beweiswürdigung des LSG in das Gewand einer Grundsatzrüge zu kleiden versucht. Entsprechendes gilt für die Sachaufklärungsrüge. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 3 SGG ist die Rüge der Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG nur statthaft, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ein Beschwerdeführer kann diese gesetzlichen Beschränkungen der Verfahrensrüge in § 160 Abs 2 Nr 3 SGG - soweit sie reichen - nicht erfolgreich dadurch umgehen, dass er die Rügen in Fragen von grundsätzlicher Bedeutung fasst (vgl BSG Beschluss vom 28.2.2018 - B 1 KR 65/17 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 25.2.2020 - B 9 V 53/19 B - juris RdNr 6). Die Klägerin zeigt auch nicht auf, dass es hier um Fragen von grundsätzlicher Bedeutung geht, bei der die gesetzlichen Beschränkungen der Verfahrensrügen nicht greifen.
2. Auch die von der Klägerin ausgemachte Divergenz zwischen der Entscheidung des LSG und der benannten Entscheidung des Senats vom 11.12.2019 (B 13 R 7/18 R - BSGE ≪vorgesehen≫ = SozR 4-2600 § 43 Nr 22) legt die Klägerin nicht den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG entsprechend dar.
Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrunde gelegt sind. Zur ordnungsgemäßen Darlegung einer Divergenz sind ein oder mehrere entscheidungstragende Rechtssätze aus dem Berufungsurteil und zu demselben Gegenstand gemachte und fortbestehende aktuelle abstrakte Aussagen aus einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG einander gegenüberzustellen; zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17; BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 21). Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge). Denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (vgl BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f; BSG Beschluss vom 24.4.2015 - B 13 R 37/15 B - juris RdNr 6).
Die Klägerin arbeitet bereits keine voneinander abweichenden Rechtssätze heraus. Sie gibt zwar wieder, was der erkennende Senat in seiner Entscheidung vom 11.12.2019 (B 13 R 7/18 R - BSGE ≪vorgesehen≫ = SozR 4-2600 § 43 Nr 22) ausgeführt hat. Einen abstrakten Rechtssatz des LSG, mit dem dieses ausdrücklich von der Rechtsprechung des BSG abweicht, benennt sie nicht. Sie legt lediglich dar, dass das LSG - ihrer Ansicht nach - die Ausführungen des BSG nicht hinreichend berücksichtigt habe. Sie bringt vor, das LSG hätte unter Beachtung der Rechtsprechung des BSG zunächst Feststellungen treffen müssen, welche Leistungseinschränkungen vorlägen und welche Tätigkeiten ihr überhaupt noch möglich seien. Hiernach hätte dann eine konkrete Tätigkeit geprüft werden müssen. Damit weist sie bereits selbst darauf hin, dass das LSG die von ihr zitierte Rechtsprechung des BSG, wenn auch unzutreffend, jedoch ohne sich abstrakt zu dieser in Widerspruch zu setzen, angewandt habe. Die darin enthaltene Behauptung, das Berufungsurteil sei aufgrund unrichtiger Ausführung der Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung inhaltlich unrichtig, kann nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).
3. Auch der von der Klägerin gerügte Verfahrensmangel des LSG wird von ihr nicht formgerecht dargebracht. Sie rügt zunächst eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG). Dabei benennt sie jedoch bereits keine (vermeintliche) Gehörsverletzung durch das LSG.
Der von der Klägerin angeführte Umstand, dass das Gericht gegen einen Teil der eingeholten medizinischen Gutachten argumentiert, bezeichnet keine Verletzung rechtlichen Gehörs. Das Gericht ist nicht verpflichtet, den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen zu folgen, sondern entscheidet in freier Würdigung der erhobenen Beweise (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Allerdings kann in besonderen Konstellationen eine Überraschungsentscheidung in Betracht kommen, wenn die Beteiligten in einer Entscheidung mit einer Beweiswürdigung konfrontiert werden, für die bisher keinerlei Hinweise vorlagen (vgl BSG Urteil vom 29.5.1991 - 9a RVi 1/90). Eine solche Konstellation ist denkbar, wenn das LSG dem eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten nicht folgt, sondern - ohne Hinweis auf das Bestehen eigener Sachkunde - seine Beweiswürdigung allein auf eine von ihm selbst unter Auswertung medizinischer Fachliteratur entwickelte Beurteilung stützt (vgl BSG Beschluss vom 15.9.2011 - B 2 U 157/11 B). Dies bringt die Klägerin jedoch nicht vor. Sie führt in der Beschwerdebegründung selbst aus, dass die Sachverständigen in ihren Gutachten zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt seien. Die Würdigung dieser unterschiedlichen Ergebnisse ist originäre Aufgabe des Gerichts. Auch nach Auffassung eines Beteiligten gemachte Fehler bei der Beweiswürdigung führen nach der ausdrücklichen Anordnung des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht zur Zulassung der Revision. Wie oben bereits dargelegt kann dieser Ausschluss auch nicht durch die Rüge eines anderen Verfahrensmangels - hier die Verletzung rechtlichen Gehörs - umgangen werden.
Selbst wenn die Ausführungen der Klägerin so verstanden werden könnten, dass sie eine Gehörsverletzung aufgrund einer Überraschungsentscheidung rügen wollte, hat sie diese entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG jedenfalls nicht hinreichend schlüssig und nachvollziehbar dargelegt. Eine allgemeine Verpflichtung des Gerichts, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Tatsachen- und Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern, gibt es nicht. Sie wird weder durch den allgemeinen Anspruch auf rechtliches Gehör aus § 62 SGG bzw Art 103 Abs 1 GG noch durch die Regelungen zu richterlichen Hinweispflichten (§ 106 Abs 1 bzw § 112 Abs 2 Satz 2 SGG) begründet. Denn die tatsächliche und rechtliche Würdigung ergibt sich regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung (vgl BSG Beschluss vom 24.1.2018 - B 13 R 377/15 B - juris RdNr 19; BSG Urteil vom 17.4.2013 - B 9 SB 3/12 R - juris RdNr 44; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 590 mwN).
Von einer Überraschungsentscheidung kann nur ausgegangen werden, wenn sich das Gericht ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr; vgl zB BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 5.4.2012 - 2 BvR 2126/11 - NJW 2012, 2262 - juris RdNr 18 mwN). Die Rüge des Verfahrensmangels einer Überraschungsentscheidung ist deshalb nur dann schlüssig bezeichnet, wenn im Einzelnen vorgetragen wird, aus welchen Gründen auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter aufgrund des bisherigen Prozessverlaufs nicht damit rechnen musste, dass das Gericht seine Entscheidung auf einen bestimmten Gesichtspunkt stützt. Daran fehlt es hier.
Der Einwand, dass das LSG auf Grundlage der Aussagen der Sachverständigen W. und Ö., wenn es diesen nicht folgen wollte, hätte weiter ermitteln müssen, reicht zur Darlegung einer Überraschungsentscheidung nicht aus. Es besteht kein Verfahrensgrundsatz, aufgrund dessen die Klägerin hätte erwarten können, dass das Gericht der Einschätzung der angehörten Gutachter folgen muss, die zu einem für sie günstigen Ergebnis gelangt sind, wenn andere Gutachter hiervon abweichende für sie ungünstigere Aussagen zum Sachverhalt getroffen haben. Dass ihr Sachverständigengutachten oder medizinische Unterlagen bzw Aussagen von Gutachtern, die das LSG seiner Würdigung zugrunde gelegt hat, nicht bekannt gewesen seien, bringt sie nicht vor.
Letztlich erkennt die Klägerin wohl auch selbst, dass sie mit einem Gehörsverstoß nicht durchdringen kann. Denn sie führt unter der Überschrift "Verstoß des rechtlichen Gehörs" ausdrücklich aus, es werde eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht gerügt. Dazu legt sie dar, was die Sachverständigen befunden hätten und zu welchen weiteren Ermittlungen deren Ausführungen das LSG hätten veranlassen bzw wie die Ausführungen der Sachverständigen vom Berufungsgericht hätten gewürdigt werden müssen. Damit rügt sie jedoch einen Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht des LSG ebenfalls nicht formgerecht iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG.
Die Geltendmachung eines Verfahrensmangels wegen Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsprinzip) kann gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nur darauf gestützt werden, dass das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Zudem kann ein - wie hier - in der Berufungsinstanz rechtsanwaltlich vertretener Beteiligter nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat bzw bei dem Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung kundgetan hat oder das Gericht den Beweisantrag in seiner Entscheidung wiedergibt (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 18c mwN).
Die Klägerin benennt in ihrer Beschwerdebegründung keinen Beweisantrag, den das LSG übergangen haben soll. Sie beschränkt sich insoweit auf Kritik an der Beweiswürdigung des Berufungsgerichts. Insbesondere bezweifelt sie dessen eigene Sachkenntnis bei der vorgenommenen Beweiswürdigung. Dabei versäumt sie jedoch darzulegen, welche (fach)medizinischen Kenntnisse sich das Berufungsgericht angemaßt habe und inwiefern die angefochtene Entscheidung auf der fehlenden medizinischen Erkenntnis- und Beurteilungskompetenz der Berufungsrichter beruhen kann. Sie hält der Würdigung des LSG allein entgegen, dass es nicht den Auffassungen der Sachverständigen W. und Ö. gefolgt sei und nimmt eine eigene Würdigung der Aussagen der Sachverständigen vor. Damit rügt sie auch insoweit sinngemäß lediglich die Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung. Sie beachtet dabei auch hier nicht, dass ein Verfahrensmangel nach der dargelegten ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung grundsätzlich nicht auf eine Verletzung des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung gestützt werden kann. Dies gilt selbst dann, wenn offensichtliche Widersprüche zwischen der Folgerung des Gerichts und der Aussage des Sachverständigen vorliegen (vgl BSG Beschluss vom 25.10.2017 - B 1 KR 18/17 B - juris RdNr 5). Es gehört zu den Kernaufgaben der richterlichen Beweiswürdigung, medizinische Unterlagen im Hinblick darauf zu prüfen, ob diese wegen Widersprüchen, logischer Brüche, nicht fundierter Aussagen oder ähnlicher Mängel nicht zu überzeugen vermögen (vgl BSG Beschluss vom 29.5.2015 - B 13 R 129/15 B - juris RdNr 14; BSG Beschluss vom 11.7.2018 - B 1 KR 94/17 B - juris RdNr 8).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14193877 |