Verfahrensgang

SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 23.11.2021; Aktenzeichen S 22 R 2817/21)

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 26.04.2022; Aktenzeichen L 11 R 3853/21)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. April 2022 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten über die Beachtung einer an einen Rentenberater zur Vertretung der Klägerin im Verwaltungsverfahren erteilten Vollmacht.

Der Rentenberater beantragte für die 1936 geborene Klägerin bei der Beklagten eine Hinterbliebenenrente. Die Beklagte bewilligte eine große Witwenrente und rechnete als Einkommen eine Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung an (Bescheid vom 27.5.2021). Dagegen legte der Bevollmächtigte für die Klägerin Widerspruch ein. Mit Schreiben vom 15.6.2021 und 25.6.2021 erläuterte die Beklagte dem Bevollmächtigten ihre Rechtsauffassung und bat um Mitteilung, ob der Widerspruch zurückgenommen werde. Die Beklagte erinnerte den Bevollmächtigten an die Erledigung ihrer Schreiben und bat zuletzt um Rückäußerung bis zum 20.9.2021 (Schreiben vom 22.7.2021 und 20.8.2021). Sie wies den Bevollmächtigten auf Folgendes hin: "Sollten wir bis dahin keine Nachricht von Ihnen erhalten haben werden wir uns direkt mit Frau I in Verbindung setzen und ihr dies mitteilen." Nachdem der Bevollmächtigte auch hierauf nicht reagiert hatte, wandte sich die Beklagte mit Schreiben vom 20.9.2021 an die Klägerin persönlich und bat sie, sich in der Angelegenheit mit ihrem Bevollmächtigten zu besprechen. Nach Äußerung des Bevollmächtigten mit Schreiben vom 21.9.2021 wies die Beklagte den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 18.11.2021).

Die vom Bevollmächtigen für die Klägerin unter Vorlage des Schreibens der Beklagten vom 20.8.2021 bereits am 20.9.2021 vor dem SG erhobene "Unterlassungsklage (vorbeugend)" hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 23.11.2021 abgewiesen. Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 26.4.2022). Die Klage sei bereits unzulässig. Dies folge aus § 56a Satz 1 SGG. Die Klägerin wende sich nicht gegen eine Sachentscheidung der Beklagten, sondern moniere eine "Missachtung" der "hinterlegten" Vollmacht. Ein Ausnahmefall des § 56a Satz 2 SGG liege nicht vor. Lediglich ergänzend weise der Senat darauf hin, dass es auch am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis fehle, weil keine Wiederholung drohe.

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie macht als Zulassungsgrund eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Der geltend gemachte Grund für die Zulassung der Revision wurde nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

Die Klägerin legt eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht anforderungsgerecht dar. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf (Klärungsbedürftigkeit) und fähig (Klärungsfähigkeit) ist. In der Beschwerdebegründung ist daher zunächst aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten revisiblen Norm iS des § 162 SGG stellt. Sodann ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums darzutun, weshalb deren Klärung erforderlich und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Schließlich ist aufzuzeigen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt (s etwa Senatsbeschluss vom 25.8.2022 - B 5 R 11/22 B - juris RdNr 12 mwN).

Die Klägerin formuliert als Frage von grundsätzlicher Bedeutung:

"Ist im Zuge des Verwaltungsverfahrens, welches mit der T Krankenkasse geführt wird, § 56a SGG anwendbar im Falle des gewählten Rechtsbehelfs in der Unterlassungsklage wegen Nichtbeachtung der Vollmacht im Rahmen des § 13 SGB X mit der Folge, dass der Rechtsbehelf unzulässig ist?"

Es kann dahinstehen, ob die Klägerin damit eine aus sich heraus verständliche abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht formuliert. Die Bezeichnung einer solchen Rechtsfrage ist unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (vgl dazu BSG Beschluss vom 22.4.2020 - B 5 R 266/19 B - juris RdNr 5 mwN). Zweifel bestehen - ungeachtet der fehlenden Verbindung zur T Krankenkasse - schon deshalb, weil die Formulierung der Frage "Ist im Zuge des Verwaltungsverfahrens, welches mit der T Krankenkasse geführt wird, …" auf die Lösung des Einzelfalls gerichtet ist. Dem Einzelfall der Klägerin kommt jedoch keine grundsätzliche Bedeutung zu (vgl BSG Beschluss vom 6.1.2022 - B 5 LW 2/21 B - juris RdNr 13; BSG Beschluss vom 29.6.2022 - B 5 R 98/22 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 25.8.2022 - B 5 R 83/22 B - juris RdNr 11). Dem Gesamtzusammenhang des Vortrags nach wendet sich die Klägerin dagegen, dass Verfahrenshandlungen nicht gegenüber ihrem Bevollmächtigten vorgenommen worden seien.

Soweit das Vorbringen dahin zu verstehen ist, dass die Klägerin Fragen zur Auslegung von § 56a Satz 1 SGG aufwerfen will, legt sie jedenfalls die (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit derartiger Rechtsfragen nicht hinreichend dar. Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht diese zwar noch nicht ausdrücklich beantwortet hat, jedoch bereits Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage ergeben (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; aus jüngerer Zeit BSG Beschluss vom 28.10.2020 - B 12 KR 65/20 B - juris RdNr 9 mwN). Dazu führt die Klägerin aus, dass es entgegen der Auffassung des Senats im Verfahren B 5 R 309/21 B(Beschluss vom 10.3.2022 - juris) keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu der von ihr aufgeworfenen Frage gebe. Die Nichtbeachtung der Vollmacht müsse gesondert justiziabel sein, weil im Hauptsacheverfahren nicht über die Frage der Be- oder Nichtbeachtung der Vollmacht entschieden werde. Ob § 56a SGG auf die Missachtung der Bevollmächtigung anwendbar sei, weil der Bevollmächtige ein Nichtbeteiligter des Verfahrens iS des § 56a Satz 2 SGG sei, sei bisher nicht entschieden.

Die Klägerin versäumt es bereits, sich mit dem Wortlaut, Anwendungsbereich und dem Bedeutungsgehalt des § 56a SGG auseinanderzusetzen. Nach dieser Bestimmung ist die Anfechtung behördlicher Verfahrenshandlungen grundsätzlich nur zusammen mit der Sachentscheidung gestattet. Eine Ausnahme hiervon sieht § 56a Satz 2 SGG vor, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt werden können oder gegen einen Nichtbeteiligten ergehen. Wie der Senat im Beschluss vom 10.3.2022 ausgeführt hat, waren die Vorschrift und ihre Zweckbestimmung bereits mehrfach Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung (B 5 R 309/21 B - juris RdNr 10 unter Hinweis auf BSG Urteil vom 13.8.2014 - B 6 KA 6/14 R - BSGE 116, 280 = SozR 4-2500 § 87a Nr 2, RdNr 27; BSG Urteil vom 10.9.2020 - B 3 KR 11/19 R - SozR 4-2500 § 35a Nr 6 RdNr 48; BVerwG Urteil vom 30.1.2002 - 9 A 20.01 - BVerwGE 115, 373 - juris RdNr 54). Die Klägerin führt diese Rechtsprechung zwar an. Sie hält eine inhaltliche Auseinandersetzung hiermit allerdings für "völlig überflüssig", weil man daraus "für diesen Fall hier überhaupt nichts ziehen" könne. Die Begründungsanforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG werden damit nicht erfüllt.

Mit ihrem Vortrag, es bestünden zudem massive verfassungsrechtliche Zweifel an § 44a VwGO und § 56a SGG, zeigt die Klägerin ebenfalls keine klärungsbedürftige Rechtsfrage hinreichend auf. Sie benennt zwar Verstöße gegen Art 19 Abs 4 GG und Art 2 Abs 1 GG. Eine mögliche Verletzung von Verfassungsrecht wird aber nicht weiter begründet. Insbesondere geht die Klägerin nicht auf die Rechtsprechung des BVerfG zum wort- und inhaltsgleichen § 44a VwGO ein. Danach ist bei der Heranziehung und Anwendung des § 44a VwGO die grundrechtliche Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes durch die Vorschrift des Art 19 Abs 4 GG zu beachten (vgl BVerfG Kammerbeschluss vom 24.10.1990 - 1 BvR 1028/90 - SozR 3-1300 § 25 Nr 1 - betreffend die Verwehrung von Akteneinsicht und BVerfG Kammerbeschluss vom 14.1.2022 - 2 BvR 1528/21 - NVwZ 2022, 40 - betreffend eine Untersuchungsanordnung). Die Beschwerdebegründung befasst sich mit keiner dieser Entscheidungen.

Die Klägerin legt auch die (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) der von ihr sinngemäß aufgeworfenen Rechtsfragen nicht dar. Klärungsfähigkeit ist gegeben, wenn das Revisionsgericht nach und aufgrund der Zulassung der Revision in der Lage ist, über die klärungsbedürftige Rechtsfrage auch sachlich entscheiden zu können (stRspr; vgl ua BSG Beschluss vom 1.6.2022 - B 5 R 4/22 B - juris RdNr 8; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 9). Hingegen ist Klärungsfähigkeit im Sinne von Entscheidungserheblichkeit zu verneinen, wenn eine klärungsbedürftige Rechtsfrage im konkreten Rechtsstreit nicht notwendigerweise beantwortet werden muss, weil die Entscheidung der Vorinstanz mit anderer rechtlicher Begründung bestätigt werden kann (vgl BSG Beschluss vom 1.6.2022 - B 5 R 4/22 B - juris RdNr 8 mwN). Zur Darlegung der Klärungsfähigkeit ist daher darzutun, dass das BSG im angestrebten Revisionsverfahren überhaupt über die aufgeworfene Frage entscheiden müsste. Das wird in der Beschwerdebegründung nicht hinreichend aufgezeigt.

Die Klägerin verweist dazu lediglich auf die Begründung im Verfahren B 5 R 309/21 B, die sie wortwörtlich wiedergibt. Abgesehen davon, dass eine Bezugnahme auf andere, die Klägerin nicht betreffende Verfahren den Begründungsanforderungen nicht entspricht, wären weitere Ausführungen erforderlich gewesen. Die Klägerin hat eine Unterlassungsklage erhoben, die ein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse voraussetzt. Dafür muss - wie auch das LSG ausgeführt hat - eine Wiederholungsgefahr gegeben sein (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 54 RdNr 42a mwN; BSG Beschluss vom 10.3.2022 - B 5 R 309/21 B - juris RdNr 13). Eine solche zeigt die Klägerin im konkreten Fall jedoch nicht auf. Sie trägt lediglich vor, es handele sich um eine "systematische Vollmachtmissachtung" und es seien "in 2 Jahren 36 Fälle aufgelaufen". Dabei geht es jedoch um Fälle des von der Klägerin in den Vorinstanzen bevollmächtigten Rentenberaters. Ein Rechtsschutzinteresse der Klägerin selbst lässt sich daraus nicht entnehmen.

Falls die Klägerin hingegen die Frage geklärt wissen will, ob ein Bevollmächtigter "Nichtbeteiligter" iS des § 56a Satz 2 SGG sei, fehlt es an konsistenten Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit. Die Klägerin befasst sich weder mit der einschlägigen Rechtsprechung (vgl zB BVerwG Urteil vom 6.5.2020 - 8 C 5/19 - BVerwGE 168, 103 RdNr 12) noch legt sie hinreichend dar, warum die Frage im hiesigen Verfahren, in dem die Klägerin und nicht ihr vormaliger Bevollmächtigter Rechtsschutz begehrt, geklärt werden könnte.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.

Düring

Hannes

Hahn

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15635418

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