Verfahrensgang
SG Berlin (Entscheidung vom 17.09.2019; Aktenzeichen S 127 AS 9545/18) |
LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 06.03.2023; Aktenzeichen L 20 AS 1922/19) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 6. März 2023 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde, die der Kläger persönlich eingelegt hat, ist unzulässig, weil sie nicht den Anforderungen des § 73 Abs 4 SGG zur Vertretungspflicht vor dem BSG entspricht. Nach § 73 Abs 4 Satz 1 SGG müssen sich die Beteiligten vor dem BSG, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Vertretungsberechtigt sind nach § 73 Abs 4 Satz 2 iVm Abs 2 Satz 1 SGG insbesondere Rechtsanwälte. Ausnahmsweise kann nach § 73 Abs 4 Satz 5 SGG ein Beteiligter, der nach Maßgabe des § 73 Abs 4 Satz 2 SGG zur Vertretung anderer vor dem BSG berechtigt ist, sich selbst vor dem BSG vertreten. Der Kläger gehört aber nicht zu dem als Prozessbevollmächtigte zugelassenen Personenkreis. Er ist kein zugelassener Rechtsanwalt im Sinne der Norm(hierzu 1.) . Er wäre auch als Schweizer Rechtsanwalt nicht zur Selbstvertretung befugt(hierzu 2.) . Schließlich gehört er nicht zu den nach § 73 Abs 2 Satz 1 und 2 SGG neben Rechtsanwälten vertretungsberechtigten Personen(hierzu 3.) .
1. Der Kläger ist kein Rechtsanwalt iS des§ 73 Abs 2 Satz 1 SGG . Er ist nicht nach den Vorschriften der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Seine Zulassung ist nach § 13 BRAO erloschen, weil sie durch die Rechtsanwaltskammer Frankfurt am Main bestandskräftig widerrufen wurde(Bescheid vom 27.10.2020) . Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit dieser gerichtlich überprüften Entscheidung(vgl Hessischer Anwaltsgerichtshof vom 8.2.2021; BGH vom 20.6.2022 - AnwZ ≪Brfg≫ 26/21) bestehen nicht. Weitere Rechtsbehelfe des Klägers gegen den Widerruf der Zulassung oder sein Antrag gegen die Rechtsanwaltskammer Berlin auf Aufnahme in das Bundesweite Amtliche Anwaltsverzeichnis der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes - vom Kläger als Abschrift nebst zahlreichen weiteren Schriftsätzen an unterschiedliche Gerichte übermittelt - sind offenbar ebenfalls erfolglos geblieben. Der Kläger wird in dem Bundesweiten Amtlichen Anwaltsverzeichnis der BRAK nicht als Rechtsanwalt geführt.
2. Eine mögliche Zulassung des Klägers als Rechtsanwalt in der Schweiz führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar könnte er ggf nach Maßgabe des Gesetzes über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland (EuRAG) vom 9.3.2000(BGBl I S 182) vorübergehend und gelegentlich als dienstleistender europäischer Rechtsanwalt die Tätigkeit eines Rechtsanwalts in Deutschland ausüben. Als Schweizer Rechtsanwalt fiele der Kläger in den persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes(§ 1 EuRAG iVm der Anlage hierzu) . Indessen ist die Einlegung eines Rechtsmittels zum BSG durch einen nicht im Inland zugelassenen europäischen Rechtsanwalt ohne die gleichzeitige Vorlage eines Nachweises über das Einvernehmen eines Rechtsanwalts nach deutschem Recht(vgl§§ 28 und29 EuRAG ) unwirksam(vgl zur FremdvertretungBSG vom 15.6.2010 - B 13 R 172/10 B - SozR 4-1500 § 73 Nr 7, juris RdNr 6;BSG vom 14.1.2015 - B 4 AS 322/14 B - juris RdNr 9 ff;BVerwG vom 11.1.2006 - 7 B 64/05 - juris RdNr 2 ;BAG vom 13.12.2012 - 6 AZR 303/12 - juris RdNr 21 f;BFH vom 11.7.2013 - III R 31/12 - juris RdNr 8 f).
In den sachlichen Anwendungsbereich der§§ 25 ff EuRAG fällt neben der Fremdvertretung auch die Selbstvertretung eines dienstleistenden europäischen Rechtsanwalts. Der Begriff der "Tätigkeit" schließt eine Selbstvertretung ein, was aus dem systematischen Zusammenhang der Regelungen zur Dienstleistungsfreiheit nach Art 56 ff Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) folgt. Mit den Regelungen der§§ 25 ff EuRAG erfolgte die Umsetzung der auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG-Vertrag), insbesondere die Art 57 und 66, gestützten Richtlinie 77/249/EWG des Rates vom 22.3.1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte(RL 77/249/EWG ; ursprünglich in §§ 1 ff des Gesetzes zur Durchführung der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 22.3.1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte ≪Rechtsanwaltsdienstleistungsgesetz - RADG≫ vom 16.8.1980, BGBl 1980 I 1453 ; vgl BT-Drucks 8/3181 S 1). Dienstleistung iS des Art 57 AEUV sind Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen. Als Leistung erfasst sind alle wirtschaftlichen Tätigkeiten, die ein Gemeinschaftsangehöriger erbringt, der sich in einen anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft begibt, um dort eine wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben(vglEuGH vom 30.11.1995 - C-55/94 , juris RdNr 20). Die Selbstvertretung des dienstleistenden europäischen Rechtsanwalts vor dem BSG stellt eine wirtschaftliche Tätigkeit dar. Nach § 202 SGG iVm § 91 Abs 2 Satz 4 ZPO sind dem Rechtsanwalt, der in eigener Sache tätig war, die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte(vgl zu den Gebühren des Einvernehmensanwalts auch Nöker in Weyland, BRAO, 11. Aufl 2024, § 28 EuRAG, RdNr 7).
§ 28 Abs 1 EuRAGfindet ebenfalls Anwendung auf die Selbstvertretung eines dienstleistenden europäischen Rechtsanwalts(im Ergebnis so auchBFH vom 15.10.2019 - VIII B 70/19 - juris RdNr 5 f). Danach darf der dienstleistende europäische Rechtsanwalt ua in gerichtlichen Verfahren, in denen der Mandant nicht selbst den Rechtsstreit führen oder sich verteidigen kann, als Vertreter oder Verteidiger eines Mandanten nur im Einvernehmen mit einem Rechtsanwalt (Einvernehmensanwalt) handeln.§ 28 EuRAG setzt die in Art 5 RL 77/249/EWG eingeräumte Möglichkeit um, dienstleistenden Rechtsanwälten die Bedingung aufzuerlegen, dass "sie im Einvernehmen (…) mit einem bei dem angerufenen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt, der ggf diesem Gericht gegenüber die Verantwortung trägt" handeln. Hierdurch soll der dienstleistende Rechtsanwalt in die Lage versetzt werden, die Aufgaben, die ihm sein Mandant anvertraut hat, unter Wahrung der Erfordernisse einer geordneten Rechtspflege zu erfüllen. Die Verpflichtung, im Einvernehmen mit einem am Ort zugelassenen Rechtsanwalt zu handeln, soll ihm die notwendige Unterstützung dafür geben, in einem anderen als dem ihm vertrauten Rechtssystem tätig zu werden; dem angerufenen Gericht soll sie die Gewähr dafür bieten, dass der dienstleistende Rechtsanwalt tatsächlich über diese Unterstützung verfügt und somit in der Lage ist, das geltende Verfahrensrecht und die geltenden Berufs- und Standesregeln voll und ganz einzuhalten(EuGH vom 25.2.1988 - 427/85, juris RdNr 23; vgl auch BT-Drucks 8/3181 S 1). Auch bei der Bearbeitung der eigenen Angelegenheit hat der dienstleistende Rechtsanwalt in gleicher Weise wie bei der Wahrnehmung fremder Interessen zu einem geordneten Ablauf der gerichtlichen Verfahren beizutragen und damit dem zuvor dargelegten gesetzgeberischen Anliegen nachzukommen.
Das Einvernehmen ist bereits bei Einlegung der Beschwerde als erste Handlung gegenüber dem Gericht schriftlich nachzuweisen(§ 29 Abs 1 EuRAG ). Ohne einen solchen Nachweis zum Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde ist diese unwirksam(§ 29 Abs 3 EuRAG ; vgl hierzu auchBSG vom 15.6.2010 - B 13 R 172/10 B - SozR 4-1500 § 73 Nr 7 - juris RdNr 6;BSG vom 14.1.2015 - B 4 AS 322/14 B - juris RdNr 10 ff). Einen entsprechenden Nachweis hat der Kläger nicht erbracht.
3. Schließlich ist nicht ersichtlich und wird auch nicht geltend gemacht, dass der Kläger zu den nach § 73 Abs 2 Satz 1 und 2 SGG neben Rechtsanwälten vertretungsberechtigten Personen gehören könnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der§§ 183 ,193 SGG .
S. Knickrehm |
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Siefert |
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Söhngen |
Fundstellen
Dokument-Index HI16574339 |