Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassung der Sprungrevision
Orientierungssatz
1. In einem sozialgerichtlichen Urteil, in dem die Sprungrevision nicht zugelassen ist, muss nicht über die Möglichkeit eines Antrags auf Zulassung der Sprungrevision belehrt werden.
2. Ist ein Berufungsgericht der Auffassung, Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist sei nicht zu gewähren, kann es den Beschluss, mit dem die Wiedereinsetzung versagt wird, mit dem Beschluss über die Verwerfung des Rechtsmittels der Berufung verbinden.
Normenkette
SGG § 66 Abs. 2, § 67 Abs. 4, §§ 158, 161
Verfahrensgang
Tatbestand
Der zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassene Kläger hat sich gegen den Honorarbescheid der beklagten Kassenzahnärztlichen Vereinigung für das Quartal IV/1996 gewandt und insbesondere die Höhe des Punktwertes für konservierend-chirurgische Leistungen beanstandet. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 13. Dezember 2000 abgewiesen. Dieses mit einer Belehrung über die Möglichkeit, Berufung einzulegen, versehene Urteil ist dem Kläger am 16. Februar 2001 zugestellt worden. In einem am 16. März 2001 beim SG eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger beantragt, die Sprungrevision gemäß § 161 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zuzulassen. Dem Antrag war die Zustimmung der Beklagten zur Durchführung des Revisionsverfahrens nicht beigefügt. Auf Anfrage des Kammervorsitzenden vom 19. März 2001 hat die Beklagte am 25. April 2001 mitgeteilt, sie stimme der Durchführung eines Verfahrens der Sprungrevision nicht zu. Mit Beschluss vom 29. August 2001 hat das SG sodann den Antrag auf Zulassung der Sprungrevision als unzulässig abgewiesen, weil dem Antrag die Zustimmung des Gegners nicht beigefügt worden sei.
Zwischenzeitlich hatte der Kläger am 17. Mai 2001 beim Landessozialgericht Bremen (LSG) Berufung eingelegt und für den Fall, dass die Berufungsfrist nicht gewahrt sei, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Das LSG hat die Berufung durch Beschluss als unzulässig verworfen. Die Berufungsfrist sei nicht eingehalten und dem Kläger sei keine Wiedereinsetzung zu gewähren, weil er die Berufungsfrist nicht unverschuldet versäumt habe (Beschluss vom 25. November 2003).
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss rügt der Kläger die Abweichung der landessozialgerichtlichen Entscheidung von mehreren Urteilen des Bundessozialgerichts ≪BSG≫ (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG) und macht geltend, der Beschluss des LSG leide an einem Verfahrensmangel (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der Divergenz und des Verfahrensmangels liegen nicht vor.
Der Kläger macht zunächst geltend, die für ihn maßgebliche Rechtsmittelfrist habe nicht - wie in § 151 Abs 1 SGG vorgesehen - einen Monat, sondern gemäß § 66 Abs 2 Satz 1 SGG ein Jahr betragen, weil die Rechtsmittelbelehrung unrichtig gewesen sei. Soweit das LSG seinen gegenteiligen Standpunkt damit begründet habe, in einem sozialgerichtlichen Urteil müsse nicht über die Sprungrevision belehrt werden, weiche das von der Entscheidung des BSG vom 23. März 1995 - 13 RJ 19/95 - ab. Das trifft nicht zu. In dem von der Beschwerde herangezogenen Urteil hat das BSG entschieden, dass eine Rechtsmittelbelehrung auch dann insgesamt unrichtig iS des § 66 Abs 2 SGG ist, wenn eine der wahlweise zur Verfügung stehenden Möglichkeiten (Widerspruch oder Klage) unzutreffend beschrieben wird (BSG SozR 3-1500 § 66 Nr 4). Diesem Urteil ist jedoch nichts für die hier zu entscheidende Frage zu entnehmen, ob eine Rechtsmittelbelehrung iS des § 66 Abs 2 SGG unrichtig ist, wenn ein Urteil des SG, in dem die Sprungrevision nicht zugelassen wird, über dieses Rechtsmittel nicht belehrt. Das BSG hat mit Urteil vom 20. Oktober 1977 (BSGE 45, 78 = SozR 1500 § 66 Nr 7) entschieden, dass dann, wenn gegen ein Urteil des SG, das die Revision zugelassen hat, wahlweise Berufung und Revision statthaft ist, das SG im Urteil auch über das Rechtsmittel der Sprungrevision belehren muss. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass in einem sozialgerichtlichen Urteil, in dem die Sprungrevision nicht zugelassen ist, nicht über die Möglichkeit eines Antrags auf Zulassung der Sprungrevision belehrt werden muss. Diese Rechtsauffassung wird auch einhellig im Schrifttum vertreten (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl, 2002, § 66 RdNr 3a; Zeihe, Sozialgerichtsgesetz, § 161 RdNr 2b). Nach § 66 Abs 1 SGG ist über die Art des statthaften Rechtsbehelfs unabhängig davon zu belehren, ob dieser konkret zulässig ist (Littmann in Handkommentar - SGG, 2003, § 66 RdNr 5). Gegen das Urteil des SG Bremen vom 13. Dezember 2000 war nur die Berufung als Rechtsmittel statthaft; die Sprungrevision wäre nur statthaft gewesen, wenn sie zuvor vom SG zugelassen worden wäre. Nur dann hätte über diesen Rechtsbehelf (auch) belehrt werden müssen. Eine Divergenz zwischen der zutreffenden Auffassung des LSG und der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung liegt danach nicht vor.
Eine die Zulassung der Revision rechtfertigende Abweichung zwischen den den Beschluss des LSG tragenden Rechtssätzen und Rechtsaussagen der höchstrichterlichen Rechtsprechung liegt auch insoweit nicht vor, als der Kläger sich auf das Urteil des BSG vom 2. März 1994 - 1 RK 58/93 - (SozR 3-1500 § 137 Nr 1) bezieht. In diesem Urteil hat das BSG entschieden, dass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch dann gewährt werden kann, wenn der Revisionskläger zwar die Revisionsschrift rechtzeitig eingereicht, jedoch die Zustimmungserklärung des Gegners zur Einlegung der Sprungrevision erst nach Ablauf der Revisionsfrist vorgelegt hat. Diese Rechtsaussage hat keine Bedeutung für den hier zu beurteilenden Fall, in dem dem Kläger nicht zur Last fällt, die Zustimmungserklärung der Beklagten nicht rechtzeitig vorgelegt zu haben, sondern den Antrag auf Zulassung der Sprungrevision gestellt zu haben, bevor die Beklagte überhaupt ihre Bereitschaft zur Durchführung des Revisionsverfahrens unter Umgehung der Berufungsinstanz erklärt hatte. In dem von der Beschwerde herangezogenen Urteil des BSG vom 2. März 1994 hatte das SG die Sprungrevision zugelassen und der Gegner hatte der Durchführung des Revisionsverfahrens zugestimmt. Das BSG hat es lediglich dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen lassen, dass die Zustimmungserklärung erst nach Ablauf der Revisionsfrist beim BSG eingegangen ist. Damit ist der hier zu beurteilende Sachverhalt, in dem bis zum Ablauf der Monatsfrist nach Zustellung des sozialgerichtlichen Urteils weder die Revision zugelassen worden noch die Zustimmung des Gegners erbeten, geschweige denn erteilt worden war, nicht zu vergleichen.
Schließlich besteht keine zur Zulassung der Revision führende Divergenz zwischen der Rechtsauffassung des LSG und dem Urteil des BSG vom 30. Januar 2002 - B 5 RJ 10/01 R - (SozR 3-1500 § 67 Nr 21). Dieses Urteil befasst sich mit den Auswirkungen von Fehlern oder Versäumnissen des Gerichts auf das Verschulden des Rechtsmittelführers iS des § 67 Abs 1 SGG. Ob den Ausführungen des BSG überhaupt divergenzfähige Rechtsaussagen jenseits des Gebotes, die Anforderungen an die Wiedereinsetzung nicht zu überspannen, zu entnehmen sind, kann offen bleiben. Jedenfalls fallen dem SG hier keine Versäumnisse zur Last, die das Verschulden des Klägers an der Versäumung der Berufungsfrist relativieren könnten. Der einzige "Fehler", der dem SG ggf vorgehalten werden könnte, besteht darin, am Montag, 19. März 2001, nicht sofort erkannt zu haben, dass der Antrag des Klägers vom 16. März 2001 auf Zulassung der Sprungrevision unzulässig war, weil ihm entgegen § 161 Abs 1 Satz 3 SGG die Zustimmung der Beklagten nicht beigefügt war. Am 19. März 2001 war jedoch die am 16. März 2001 ablaufende Berufungsfrist endgültig versäumt. Eine Verpflichtung des SG, den Antrag vom 16. März 2001 (Freitag) an diesem Tag auf seine Zulässigkeit zu prüfen, den Kläger telefonisch oder per Fax auf Bedenken hinzuweisen und ihm so Gelegenheit zu geben, an diesem Tag noch bis 24.00 Uhr per Fax Berufung einzulegen, hat nicht bestanden. Nur wenn das SG so verfahren wäre, hätte der Kläger ggf die Berufungsfrist noch wahren können.
Soweit der Kläger schließlich als Verfahrensmangel rügt, das LSG habe seine Berufung auf der Grundlage des § 158 SGG durch Beschluss wegen Fristversäumnis als unzulässig verworfen, ohne vorab durch Beschluss auf der Grundlage des § 67 Abs 4 SGG über seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist zu entscheiden, steht dieses Vorgehen des Berufungsgerichts mit den maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften in Einklang. Wenn das LSG der Auffassung ist, Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist sei nicht zu gewähren, kann es den Beschluss, mit dem die Wiedereinsetzung versagt wird (§ 67 Abs 4 SGG), mit dem Beschluss über die Verwerfung des Rechtsmittels der Berufung gemäß § 158 SGG verbinden. Einen isolierten Beschluss über die Wiedereinsetzung zu erlassen, wenn diese nicht gewährt werden kann, ist in der Regel prozessual nicht wirtschaftlich, weil die Sache selbst entscheidungsreif ist (vgl Meyer-Ladewig, aaO, § 67 RdNr 17a). Soweit die Frist zur Einlegung der Berufung versäumt ist, hängt die Zulässigkeit der Berufung allein davon ab, ob dem Rechtsmittelführer auf der Grundlage des § 67 Abs 1 SGG Wiedereinsetzung zu gewähren ist. Wenn das nicht der Fall ist, steht fest, dass das Rechtsmittel wegen Fristversäumung als unzulässig zu verwerfen ist. Beide Entscheidungen trifft der zuständige Senat des Berufungsgerichts in der Regel - wie auch hier - ohne mündliche Verhandlung allein durch die Berufsrichter. Zwei Entscheidungen, die in untrennbarem Zusammenhang miteinander stehen und von denselben gesetzlichen Richtern iS des Art 101 Abs 1 Satz 2 Grundgesetz zu treffen sind, sind zweckmäßigerweise zu verbinden. Rechte des Klägers sind dadurch nicht verletzt. Seine Auffassung, ein den Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist versagender Beschluss hätte von ihm "erfolgreich" angefochten werden können, trifft nicht zu. Entscheidungen des Berufungsgerichts über die Versagung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung.
Fundstellen