Verfahrensgang
SG Hannover (Urteil vom 12.09.1991) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 12. September 1991 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin, türkische Staatsangehörige kurdischer Volks- und yezidischer Glaubenszugehörigkeit, begehrt für ihr am 17. August 1988 geborenes Kind Zehra Erziehungsgeld (ErzG).
Sie reiste im Juli 1987 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte Asyl. Gegen die Ablehnung des Asylantrags erhob sie Klage. Nach Rücknahme des Asylantrages wurde ihr Ende November 1990 eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt.
Der Antrag der Klägerin auf Gewährung von ErzG wurde mit Bescheid vom 7. November 1988 abgelehnt, weil sie sich noch nicht mindestens ein Jahr im Geltungsbereich des Bundeserziehungsgeldgesetzes (BErzGG) aufhalte und sie zu einem Personenkreis gehöre, bei dem im Falle der Ablehnung des Asylantrages eine Aufenthaltsbeendigung erfolge. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde wegen Verspätung zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 24. April 1989). Am 23. Dezember 1988 beantragte die Klägerin vorsorglich für den Fall, daß der Widerspruch als verspätet angesehen werde, erneut die Gewährung von ErzG. Diesen Antrag wies der Beklagte mit Bescheid vom 17. Juli 1989 „als unzulässig” zurück. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 1990).
Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten verurteilt, ErzG vom 17. August 1988 bis 16. August 1989 zu gewähren. Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG und des § 30 Abs 3 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I). Nach diesen Regelungen seien diejenigen Ausländer von einem Anspruch auf ErzG ausgeschlossen, die sich materiell-rechtlich nur vorübergehend und nicht auf Dauer im Bundesgebiet aufhielten.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Der Senat hat nach Lage der Akten entschieden, da im Termin keiner der Beteiligten erschienen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§§ 165, 126 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Die Revision des Beklagten ist begründet. Zwar war der Beklagte verpflichtet, die Klägerin auf ihren zweiten Antrag vom 19. Dezember 1988 hin erneut sachlich zu bescheiden. Er konnte den Antrag nicht ohne jede Prüfung in der Sache allein unter Hinweis auf die Bindungswirkung des Bescheides vom 7. November 1988 ablehnen (vgl Schneider-Danwitz, SGB/Sozialversicherung – Gesamtkommentar § 44 SGB X Anm 6c, cc und ee). Der Beklagte war jedoch nicht verpflichtet, den bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 7. November 1988 aufzuheben. Bei Erlaß dieses Bescheides hat er weder das Recht unrichtig angewandt, noch ist er von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erwiesen hat. Eine Rücknahme dieses Verwaltungsaktes (§ 44 Abs 1 Satz 1 SGB X) kam daher nicht in Betracht.
Der Beklagte hat mit dem bestandskräftig gewordenen Bescheid der Klägerin zu Recht ErzG versagt, weil sie während des in Frage kommenden Leistungszeitraums vom 17. August 1988 bis 16. August 1989 (§ 4 Abs 1 BErzGG vom 6. Dezember 1985, BGBl I 2154 – die Verlängerung der Anspruchsdauer auf die Zeit bis zur Vollendung des 15. Lebensmonats des Kindes durch das Gesetz zur Änderung des BErzGG und anderer Vorschriften ≪BerzGGÄndG≫ vom 30. Juni 1989 ≪BGBl I 1297≫ gilt nur für nach dem 30. Juni 1989 geborene Kinder –) nicht – wie dies § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG verlangt – erlaubt ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes hatte. Dazu genügt nicht, daß sie von vornherein auf Dauer im Bundesgebiet verbleiben wollte und aus ihrer Sicht mit einer Abschiebung nicht zu rechnen brauchte. Für den Anspruch auf ErzG war auch schon vor Inkrafttreten des BErzGGÄndG zum 1. Juli 1989, das nunmehr als Anspruchsvoraussetzung den Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis, die nicht nur für einen bestimmten, seiner Natur nach vorübergehenden Zweck erteilt worden ist, ausdrücklich nennt, ungeschriebene Voraussetzung, daß sich der Erziehende rechtlich erlaubt und nicht nur zu einem vorübergehenden Zweck im Bundesgebiet aufhält. Dies hat der früher für Angelegenheiten des BErzGG zuständige 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) wiederholt entschieden (vgl BSGE 65, 261 = SozR 7833 § 1 Nr 7; BSGE 67, 238 = SozR 3-7833 § 1 Nr 1; BSGE 67, 243 = SozR 3-7833 § 1 Nr 2 und SozR 3-7833 § 1 Nr 3 sowie Urteile vom 30. April 1991, 4 REg 13/90 und 14/90). Der 4. Senat hat diese einschränkende Auslegung des § 1 Abs 1 Nr 1 des ErzGG abweichend von der allgemeinen Beschreibung des Wohnsitzes und des gewöhnlichen Aufenthaltes in § 30 Abs 3 SGB I aus der gesetzgeberischen Absicht hergeleitet, ErzG nur solchen Erziehenden zukommen zu lassen, deren Erziehungsleistung der Gemeinschaft dauerhaft zugute kommt (vgl RegEntw zum BErzGG BT-Drucks 10/3792 S 1).
Der Einwand des SG gegen diese Rechtsprechung, der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts müsse auf der Grundlage des § 30 Abs 3 SGB I einheitlich ausgelegt werden, greift nicht durch. Der erkennende, nunmehr für Angelegenheiten des BErzGG zuständige Senat hat bereits im Urteil vom 24. März 1992 (14b/4 REg 12/90) schon dem BErzGG in seiner ursprünglichen Fassung die stillschweigende Anspruchsvoraussetzung entnommen, daß der gewöhnliche Aufenthalt „erlaubt” sein muß.
Der Senat sieht in der weiteren gesetzgeberischen Entwicklung des § 1 Abs 1 BErzGG eine Bestätigung dieser Rechtsauslegung. Der Gesetzgeber hat mit dem BErzGGÄndG an § 1 Abs 1 folgenden Satz 2 angefügt: „Für den Anspruch eines Ausländers ist Voraussetzung, daß er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis ist, die nicht nur für einen bestimmten, seiner Natur nach vorübergehenden Zweck erteilt worden ist.” Dieser Satz ist durch das Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts (AuslRNG) vom 9. Juli 1990 (BGBl I 1354) wie folgt geändert worden: „Für den Anspruch eines Ausländers ist Voraussetzung, daß er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung, Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsbefugnis ist.” Diese Fassung läßt ebenfalls erkennen, daß ein nur geduldeter oder vorübergehend erlaubter Aufenthalt zur Anspruchsbegründung nicht ausreichen soll. Denn in der Aufzählung der Aufenthaltsgenehmigungsarten, wie sie die Neuregelung mit sich gebracht hat (vgl § 5 Ausländergesetz ≪AuslG≫ idF durch das AuslRNG ≪AuslG nF≫), sind diejenigen nicht aufgeführt, die nur zu einem vorübergehenden Zweck erteilt werden: Die Aufenthaltsbewilligung (§ 28 AuslG nF) und die Aufenthaltsgestattung für Asylbewerber (§§ 19, 20 Asylverfahrensgesetz – AsylVfG).
Das rechtfertigt es, „den Vorbehalt des berechtigten Aufenthalts” als zusätzliche Anspruchsvoraussetzung aus dem Zusammenhang des BErzGG abzuleiten, und nicht aus dem in § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG geforderten und in § 30 SGB I umschriebenen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt. Ob sich die normative Bedeutung dieser Begriffe erst aus dem Gesetz ergibt, das sie verwendet (so BSGE 67, 243, 246 = SozR 3-7833 § 1 Nr 2 und neuerdings auch Urteil des 5. Senats vom 28. Juli 1992 ≪5 RJ 24/91≫ im Hinblick auf die Anrechnung einer Kindererziehungszeit in der gesetzlichen Rentenversicherung), ob diese Begriffe also in verschiedenen Gesetzen unterschiedlich ausgelegt werden dürfen (hiergegen: Igl, Jahrbuch des Sozialrechts der Gegenwart 13, 213, 215; Ebsen, Deutsches Anwaltsinstitut e.V., Dokumentation 4. Sozialrechtliche Jahrestagung, Bochum 1992, S 32, 52), kann offen bleiben. Der Einwand des SG, die Definitionen des Wohnsitzes und des gewöhnlichen Aufenthalts in § 30 Abs 3 SGB I müßten gleichförmig in allen Bereichen gelten, in denen das SGB I anwendbar ist, ist damit gegenstandslos.
Das SG ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß die durch das BErzGGÄndG eingeführte Regelung in § 1 Abs 1 Satz 2 BErzGG nicht als Klarstellung sondern als Rechtsänderung gewollt gewesen sei, die auf Leistungszeiträume vor dem 1. Juli 1989 nicht anwendbar sei. Nach Auffassung des Senats handelt es sich um eine Klarstellung des anspruchsberechtigten Personenkreises, wie er sich nach der Vorstellung des Gesetzgebers auch schon vor der Änderung aus dem BErzGG ergeben sollte. Der Gesetzgeber hat jedenfalls mit der Änderung die vorhergehende Rechtsprechung nicht gebilligt und damit deren Korrektur nicht ausgeschlossen.
Daß es verfassungsgemäß ist, die Innehabung eines erlaubten Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes im Geltungsbereich des BErzGG allein von den Umständen abhängig zu machen, die in dem Zeitraum objektiv vorgelegen haben, für den die Leistungen begehrt werden, hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt (Beschluß vom 14. Mai 1991 = SozR 3-7833 § 1 Nr 4).
Die Klägerin hatte im entscheidungserheblichen Zeitraum (1988/89) keinen dauerhaften berechtigten Aufenthalt (bzw Wohnsitz) im Geltungsbereich des BErzGG. Nach den §§ 1, 2 Abs 1 AuslG aF (vgl Art 1 §§ 1, 3 Abs 1 Satz 1 AuslRNG) bedürfen Ausländer, die in den Geltungsbereich dieses Gesetzes einreisen und sich darin aufhalten wollen, einer Aufenthaltserlaubnis, soweit dieses Gesetz auf Ausländer, dh jede Person, die nicht Deutscher iS des Art 116 Abs 1 Grundgesetz (GG) ist, Anwendung findet (§ 49 AuslG aF/Art 1 § 2 AuslRNG) und soweit kraft Gesetzes keine Befreiung von diesem Erfordernis erfolgt ist (§ 2 Abs 2 und 3 AuslG aF). Die Klägerin besaß 1988/89 weder eine Aufenthaltsberechtigung (§ 8 AuslG aF) noch eine Aufenthaltserlaubnis (§§ 2, 5 AuslG aF). Ihr Aufenthalt in der Bundesrepublik war während der hier maßgebenden Zeit allein zur Durchführung des Asylverfahrens nach Maßgabe der §§ 19 Abs 1, 20 AsylVfG gestattet. Von daher hielt sie sich nur zu einem vorübergehenden Zweck, rechtlich also nicht beständig, im Bundesgebiet auf. In bezug auf den für die Gewährung von ErzG maßgebenden Zeitraum ist es auch ohne Bedeutung, daß die Ausländerbehörde nach Rücknahme des Asylantrages durch die Klägerin von einer Abschiebung abgesehen und dieser im November 1990 eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt hat. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin jedenfalls kein dauerhaft gesichertes Aufenthaltsrecht, wie es zum Bezug von ErzG erforderlich ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen