Verfahrensgang
Hessisches LSG (Urteil vom 17.09.1992) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 17. September 1992 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob die Klägerin für die Zeit vom 1. Mai 1989 bis 31. Dezember 1991 Anspruch auf vorgezogenes Altersruhegeld nach § 1248 Abs 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) hat.
Die am 18. Oktober 1927 geborene Klägerin hat zwischen 1942 und 1952 für 125 Kalendermonate Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung entrichtet. Darüber hinaus sind 60 Kalendermonate Kindererziehungszeiten für fünf Kinder in der Zeit zwischen September 1954 und Februar 1969 anrechenbar. Ihren im Mai 1989 gestellten Antrag auf Gewährung des vorgezogenen Altersruhegeldes nach § 1248 Abs 3 RVO lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 24. Juli 1989, Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 1989). Sie begründete das damit, daß die Klägerin in den letzten 20 Jahren nicht für mindestens 121 Kalendermonate Beiträge aufgrund einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet habe.
Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen (Urteil vom 23. August 1991). Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte der Klägerin für die Zeit ab 1. Januar 1992 Altersrente für langjährige Versicherte nach § 36 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGB VI) gewährt. Das Landessozialgericht (LSG) hat die auf die Gewährung von Altersruhegeld für die Zeit vom 1. Mai 1989 bis 31. Dezember 1991 beschränkte Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 17. September 1992).
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, daß im Rahmen von § 1248 Abs 3 RVO Zeiten der Kindererziehung Pflichtbeitragszeiten gleichgestellt werden müßten. Ihr sei es nach der Geburt ihres letzten Kindes im März 1968 nicht möglich gewesen, auf dem Arbeitsmarkt eine Beschäftigung zu finden. Der Arbeitsmarkt sei für ältere Frauen, die jahrzehntelang in keinem Arbeitsverhältnis gestanden hätten, verschlossen. § 1248 Abs 3 RVO mache eine willkürliche Ungleichbehandlung zwischen kindererziehenden Frauen – die gerade aus diesem Grund nicht die besonderen Vorversicherungszeiten des § 1248 Abs 3 RVO erfüllen könnten – und den nicht kindererziehenden Frauen – die gerade deshalb die Möglichkeit hätten, die erforderliche Vorversicherungszeit zu erfüllen –. Wenn man schon nicht § 1248 Abs 3 RVO verfassungskonform dahin auslege, daß sie einen Anspruch auf Altersruhegeld habe, so sei der Rechtsstreit auszusetzen und nach Art 100 Grundgesetz (GG) dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Frage vorzulegen, ob § 1248 Abs 3 gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG verstoße. Das BVerfG habe in der Entscheidung vom 7. Juli 1992 dem Gesetzgeber die Verpflichtung auferlegt, die Benachteiligung der Kindererziehenden in der Rentenversicherung in einem weiteren Umfang als bisher abzubauen. Im Gegensatz zu den Regelungen im Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeitengesetz und dem Kindererziehungsleistungsgesetz gehe es für die Klägerin nicht um weitere Leistungen, sondern darum, daß die Erziehung von Kindern der Beitragszahlung iS des § 1248 Abs 3 RVO gleichgestellt werde. Die Gleichbehandlung von kindererziehenden und erwerbstätigen Frauen könne im Rahmen von § 1248 Abs 3 RVO dadurch erreicht werden, daß das Tatbestandsmerkmal der Vorversicherungszeit für Frauen, die mindestens zwei Kinder erzogen hätten, gestrichen werde. Insoweit sei auch das finanzielle Risiko gering.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Sozialgerichts Kassel vom 23. August 1991 sowie des Hessischen Landessozialgerichts vom 17. September 1992 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 24. Juli 1989 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Oktober 1989 zu verurteilen, ihr Altersruhegeld nach § 1248 Abs 3 RVO für die Zeit vom 1. Mai 1989 bis 31. Dezember 1991 zu gewähren,
hilfsweise,
das Verfahren auszusetzen und die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 1248 Abs 3 RVO dem Bundesverfassungsgericht nach Art 100 GG vorzulegen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen und dem Antrag gem Art 100 GG nicht stattzugeben.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Zu Recht ist die Klage ab- und die Berufung zurückgewiesen worden, denn die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide nicht rechtswidrig beschwert.
Streitgegenstand ist nur noch der Anspruch auf Altersruhegeld vom 1. Mai 1989 bis 31. Dezember 1991, denn die Klägerin hat ihre Klage auf diesen Zeitraum beschränkt, nachdem die Beklagte ihr für die Zeit ab 1. Januar 1992 Altersruhegeld nach § 36 SGB VI bewilligt hat. Für die Zeit vor dem 1. Januar 1992 hat die Klägerin keinen Anspruch auf Altersruhegeld nach § 1248 Abs 3 RVO, der in diesem Fall noch nach § 300 Abs 2 SGB VI Anwendung findet.
Nach § 1248 Abs 3 RVO erhält die Versicherte Altersruhegeld, die das 60. Lebensjahr vollendet hat und die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt hat, wenn sie in den letzten 20 Jahren überwiegend eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat. Die ersten beiden Voraussetzungen der Vorschriften sind hier erfüllt, die dritte Voraussetzung aber nicht, denn die Klägerin war zuletzt 1952 versicherungspflichtig beschäftigt. Ob die nach § 1251a RVO anrechenbaren Kindererziehungszeiten einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gleichgestellt werden können, ist hier nicht zu entscheiden. Für die Klägerin sind in der Zeit seit 18. Oktober 1967, dem frühestmöglichen Beginn des 20-Jahreszeitraums lediglich für die Zeit vom März 1968 bis Februar 1969 12 Monate Kindererziehungszeit iS des § 1251a RVO anrechenbar.
Die Tätigkeit der Klägerin als Hausfrau und Mutter kann auch nicht im Wege einer erweiternden Auslegung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit gleichgestellt werden. Schon bisher ist selbst eine versicherungsfreie Erwerbstätigkeit oder sind freiwillige Beiträge für eine Erwerbstätigkeit der versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit nicht gleichgestellt worden. Dies ist auch vom BVerfG gebilligt worden (vgl Beschlüsse vom 17. Oktober 1973, SozR Nrn 97 und 98 zu Art 3 GG).
§ 1248 Abs 3 RVO ist auch nicht verfassungswidrig, soweit nach dieser Vorschrift gefordert wird, daß in den letzten 20 Jahren vor Eintritt des Versicherungsfalles überwiegend eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden sein muß, und die Zeiten, in denen Kinder erzogen worden sind, der Ausübung einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit nicht gleichgestellt werden. Die Vorschrift hält sich mit der unterschiedlichen Wertung von versicherungspflichtiger Beschäftigung bzw Tätigkeit und Kindererziehungszeit für die Wartezeit im Rahmen des dem Gesetzgeber nach Art 6 iVm Art 3 GG verbleibenden Gestaltungsraums.
Der Senat schließt sich zur Auslegung des § 1248 Abs 3 RVO und zur Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift dem Urteil des 13. Senats des BSG vom 3. Dezember 1992 – 13 RJ 29/91 – an, auf dessen Gründe Bezug genommen wird.
Der Senat verkennt dabei nicht, daß eine unveränderte Weitergeltung des § 1248 Abs 3 RVO unter Beachtung der Entscheidungen des BVerfG vom 28. Januar 1987 (1 BvR 455/82 = SozR 2200 § 1248 Nr 47) und vom 7. Juli 1992 (1 BvL 51/86 ua = SozR 3-5761 Allgemein Nr 1) in Zukunft die Verfassungswidrigkeit dieser Vorschrift hätte bedingen können. Der Gesetzgeber hat nach der Entscheidung des BVerfG vom 7. Juli 1992 aber (nur) einen auf die Zukunft gerichteten Gestaltungsauftrag zur verstärkten Berücksichtigung der Nachteile durch die Kindererziehung für die Rentenansprüche. Zur Zeit sind die Regelungen über die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten als Beitragszeiten in der Rentenversicherung und damit auch die Regelung über die Berücksichtigung bei § 1248 Abs 3 RVO nach Überzeugung des Senats nicht verfassungswidrig.
Ergänzend wird auf die Neuregelung im § 36 SGB VI bei der Altersrente für langjährige Versicherte, das sind Versicherte, die das 63. Lebensjahr vollendet haben und die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt haben, hingewiesen. Nach der Neuregelung, die auch die Klägerin begünstigt, sind die Zeiten der Kindererziehung bis zum vollendeten 10. Lebensjahr des Kindes als Berücksichtigungszeiten auf die Wartezeit für diese Altersrente anrechenbar (§ 57 SGB VI iVm § 51 Abs 3 SGB VI). Der Gesetzgeber hat also bereits im nunmehr geltenden Recht die durch die Kindererziehung rentenrechtlich bedingten Nachteile in der Altersversorgung durch die erweiterte Anrechnung von Pflichtbeitragszeiten wegen Kindererziehung ausgeglichen, darüber hinaus aber nicht bei der vorgezogenen Altersrente nach § 39 SGB VI (= § 1248 Abs 3 RVO), sondern bei der Altersrente für langjährig Versicherte Zeiten der Kindererziehung bis zum 10. Lebensjahr für die Wartezeit berücksichtigt. Einen Nachteilsausgleich hat der Gesetzgeber damit im Bereich des SGB VI auch hinsichtlich des Rentenbeginns für die Zukunft gerade getroffen. Er hat dabei auf die Zukunft gerichtet ein anderes Konzept entwickelt, als es die Klägerin für richtig hält. Für die Vergangenheit, und eine mögliche Verfassungswidrigkeit des § 1248 Abs 3 RVO allein in der Vergangenheit ist hier streitig, kann deshalb aber nicht die Verfassungswidrigkeit dieser Vorschrift angenommen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen