Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachteilsausgleich RF. Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht. ausgleichsfähige behinderungsbedingte Nachteile. Säugling. Kleinkind. Altersgrenze
Leitsatz (amtlich)
1. Behinderungsbedingt und damit nach dem SchwbG auszugleichen sind in der Regel nur solche Nachteile, die einen gleichaltrigen Nichtbehinderten typischerweise nicht treffen. Ob das der Fall ist, ist nach dem Zweck des Nachteilsausgleichs zu beurteilen.
2. Bei einem behinderten Kleinkind können die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich RF grundsätzlich nicht vor Vollendung des 2. Lebensjahres vorliegen.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
SchwbG § 4 Abs. 4, § 3 Abs. 1 S. 2; RdFunkGebBefrV RP § 1 Abs. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 28. Januar 1994 aufgehoben, soweit das Landessozialgericht die Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich RF für die Zeit ab 27. Juni 1992 abgelehnt hat.
Insoweit wird der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Revision des Klägers zurückgewiesen.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht (Nachteilsausgleich RF) erfüllt.
Der am 27. Juni 1990 geborene Kläger leidet seit seiner Geburt an Meningomyelocele (Vorfall der Rückenmarkhäute), die zur Lähmung der Beine, Blasenentleerungsstörungen und zu einer Liquorabflußstörung geführt hat. Diese Behinderungen, einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 und das Vorliegen der Voraussetzungen für die Nachteilsausgleiche H, G, aG und B hat der Beklagte mit Bescheid vom 21. Februar 1991 anerkannt. Mit demselben Bescheid hat er die ebenfalls beantragte Feststellung der Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich RF abgelehnt.
Die Klage gegen diesen Bescheid idF des Widerspruchsbescheides vom 10. März 1992 hatte im ersten Rechtszug Erfolg (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Koblenz vom 26. Oktober 1992). Die Berufung des Beklagten führte zur Aufhebung des sozialgerichtlichen Urteils und zur Klageabweisung (Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 28. Januar 1994). Das LSG hat in den Gründen seiner Entscheidung ausgeführt, der Kläger sei zur Zeit von seiten der Wirbelsäule noch nicht stärker als vergleichbare gesunde Kinder beeinträchtigt. Auch eine für das Lebensalter des Klägers unübliche Geruchsbelästigung – etwa durch Störung der Blasentätigkeit – sei nicht festzustellen. Wenn die Versorgungsverwaltung in vergleichbaren Fällen die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Nachteilsausgleichs RF anerkannt habe, so sei dies rechtswidrig gewesen und begründe keinen Anspruch auf Gleichbehandlung.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Revision. Der Kläger macht ua geltend, das LSG habe § 1 Abs 1 Nr 3 der rheinland-pfälzischen Landesverordnung über die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht (RGVO) vom 29. September 1992 iVm § 4 Schwerbehindertengesetz (SchwbG) verletzt. Für die Feststellung des streitigen Nachteilsausgleichs habe es unzulässigerweise altersspezifische Besonderheiten berücksichtigt. Als Vergleichsmaßstab sei ein von den gleichen Behinderungen betroffener Erwachsener zu wählen. Selbst wenn der vom LSG gewählte Vergleichsmaßstab zutreffend sei, so habe das LSG den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt. Es habe nämlich nicht geklärt, ob ein gesundes, dreieinhalb Jahre altes Kind hinsichtlich der Belastbarkeit der Wirbelsäule im selben Ausmaß beschränkt sei wie er, der Kläger. Bei ihm habe man ab dem 10. Brustwirbelkörper eine weit nach kaudal ausgedehnte thorako-lumbo-sacrale Rachischisis festgestellt, die ein mindestens einstündiges Sitzen nicht mehr zulasse.
Er beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des LSG vom 28. Januar 1994 und des Bescheides des Beklagten vom 21. Februar 1991 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. März 1992 zu verurteilen, die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens RF beim Kläger festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die kraft Zulassung durch den Senat statthafte und form- und fristgerecht eingelegte Revision ist zulässig. Ihre Zulässigkeit scheitert nicht daran, daß die Verletzung von Landesrecht gerügt wird (§ 162 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Denn die Landesverordnung des Beklagten „über die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht” vom 29. September 1992 (RGVO-GVBl S 312) stellt bundesweit weitgehend vereinheitlichtes Landesrecht aufgrund des Rundfunkgebühren-Staatsvertrages vom 31. August 1991 (RG-StaatsV = Art 4 des Staatsvertrages über den Rundfunk im vereinten Deutschland, GVBl S 369, 392) dar (vgl insoweit BSGE 53, 175 = SozR 3870 § 3 Nr 15).
Die Revision des Klägers scheitert auch nicht an fehlendem Rechtsschutzinteresse. Das als Prozeßvoraussetzung von Amts wegen zu prüfende Rechtsschutzinteresse ergibt sich bereits daraus, daß der Kläger durch die angefochtene Entscheidung des LSG (formell) beschwert ist, weil das LSG darin seinen Anträgen nicht vollständig stattgegeben hat. Eine materielle Beschwer ist grundsätzlich nicht erforderlich. Trotz formeller Beschwer könnte der Kläger nur dann kein Rechtsschutzinteresse haben, wenn sein Rechtsmittel unnötig, mißbräuchlich oder zweckwidrig wäre (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 5 Aufl 1993, vor § 143 RdNr 5). Das käme hier nur in Betracht, wenn den Kläger die Rundfunkgebührenpflicht unter keinen Umständen treffen könnte. So verhält es sich aber nicht. Nach § 2 Abs 2 Satz 1 des RG-StaatsV unterliegt regelmäßig jeder Rundfunkteilnehmer der Gebührenpflicht. Als solcher gilt, wer ein Rundfunkgerät zum Empfang bereithält (§ 1 Abs 2 Satz 1 RG-StaatsV). Rundfunkteilnehmer kann auch der Kläger sein. Denn er kann – ggf durch seine gesetzlichen Vertreter – ein Rundfunkgerät erwerben und empfangsbereit aufstellen. Für die allgemeine Befähigung, Rundfunkteilnehmer zu sein, kommt es nicht darauf an, ob und wie lange ggf jemand konkret die Voraussetzungen für die Rundfunkgebührenpflicht oder für eine – ggf aus anderen als gesundheitlichen Gründen vorzunehmende – Befreiung davon erfüllt. Deshalb ist es für die zum Merkzeichen RF von den Versorgungsbehörden zu treffenden Feststellungen zB gleichgültig, ob ein Behinderter mit seinem Empfangsgerät ggf nach § 5 Abs 1 Satz 2 des RG-StaatsV deswegen nicht der Gebührenpflicht unterliegt, weil er in häuslicher Gemeinschaft mit einer Person lebt, für die bereits ein Gerät zum Empfang bereitgehalten wird. Auch hat es keine Bedeutung, ob er von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien ist, weil er kein oder nur ein geringfügiges Einkommen erzielt oder „Haushaltsvorstand” iS des § 1 Abs 2 Nr 1 oder „anderer Haushaltsangehöriger” iS des § 1 Abs 2 Nr 3 RGVO ist.
Die somit zulässige Revision ist teilweise begründet. Der vom Kläger gestellte Revisionsantrag ist dahin auszulegen, daß dieser die Aufhebung des landessozialgerichtlichen Urteils und die Zurückweisung der Berufung des Beklagten begehrt.
Für den Zeitraum bis zum 26. Juni 1992, in dem der Kläger noch nicht das zweite Lebensjahr vollendet hatte, ist die Revision unbegründet. Denn in diesem Zeitraum war es nicht sein Leiden bzw waren es nicht seine Behinderungen, die ihn ständig an der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen hinderten, sondern seine altersbedingte Konstitution. Begehrt ein behindertes Kind die Erteilung des Merkzeichens RF, so sind seine körperlichen Fähigkeiten mit denen eines altersentsprechenden nicht behinderten Kindes zu vergleichen. Das ergibt sich aus den dem Schwerbehindertenrecht zugrundeliegenden Grundsätzen. Im Schwerbehindertenrecht wird dem Behinderten nämlich kein Anspruch auf Bevorzugung in der Weise eingeräumt, daß Nachteile auszugleichen sind, die gar nicht mit der Behinderung zusammenhängen, sondern auch den vergleichbaren Nichtbehinderten treffen (vgl dazu § 10 Nr 2 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil ≪SGB I≫ und Haines in Hauck SGB I § 10 RdNr 7). Dieser Grundsatz folgt schon aus dem Begriff des „Nachteilsausgleichs” iS des § 4 Abs 4 SchwbG. Führt die Behinderung nicht zu Nachteilen gegenüber dem Gesunden, so besteht kein Anlaß zu einem Nachteilsausgleich. Nach § 4 Abs 4 SchwbG sind die Nachteilsausgleiche zwar von gesundheitlichen Merkmalen abhängig, die „neben” der Behinderung vorliegen. Gedacht ist aber gleichwohl an behinderungsbedingte Merkmale, die sich auf die Lebensgestaltung des Behinderten auswirken (vgl BVerwGE 66, 315; vgl dazu auch § 48 Abs 1 SchwbG, in dem ausdrücklich von „behinderungsbedingten Nachteilen” die Rede ist, ferner Dopatka in GemeinschaftsKomm zum Schwerbehindertengesetz, 1991, RdNr 139 zu § 4). Deshalb wirkt sich auf die Ausgleichsfähigkeit von „Nachteilen” auch die Begriffsbestimmung der Behinderung in § 3 Abs 1 Sätze 1 und 2 SchwbG aus. Nach ihr ist Behinderung ein regelwidriger Zustand, und regelwidrig ein Zustand, der von dem für das Lebensalter typischen abweicht (s dazu auch Ebsen in Sozialrechtshandbuch ≪SRH≫, 2. Aufl 1996, C 26 RdNr 13). Altersentsprechende „Nachteile” sind daher grundsätzlich nicht behinderungsbedingt.
Dies schließt Kleinkinder von der Zuerkennung von Nachteilsausgleichen nicht grundsätzlich aus. So können Kleinkinder beispielsweise bereits ab ihrer Geburt hilflos iS von § 33b Einkommensteuergesetz (EStG) sein und damit Anspruch auf den Nachteilsausgleich H haben, obwohl bei ihnen ein erhebliches Maß an Pflegebedürftigkeit bereits altersbedingt gegeben ist (vgl dazu in anderem Zusammenhang das Urteil des 3. Senats vom 14. Dezember 1994 SozR 3-2500 § 53 Nr 7). Denn ein Säugling oder Kleinkind kann wegen einer Behinderung gesteigert pflegebedürftig sein. Dementsprechend hat der Gesetzgeber auch durch Art 18 des Pflegeversicherungsgesetzes ab 1. Januar 1995 die ursprünglich in § 69 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) aF vorgesehene Einjahresgrenze für pflegebedürftige Kleinkinder aufgehoben und durch die elastischere Regelung des § 69a Abs 4 BSHG nF ersetzt, wonach für den Pflegegeldanspruch von Kindern der infolge Krankheit oder Behinderung gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind zusätzliche Pflegebedarf maßgebend ist. Dieser Maßstab erlaubt die Feststellung des Merkzeichens H iS des § 4 Abs 4 SchwbG iVm § 33b EStG auch bei Kleinkindern (vgl Nr 22 Abs 2 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996 ≪AHP 1996≫).
Auch die Zuerkennung der Merkzeichen G, aG und B hängt nicht von der Vollendung eines bestimmten Lebensjahres ab. Die Voraussetzungen dieser Nachteilsausgleiche können auch bei behinderten Säuglingen und Kleinkindern vorliegen, und zwar selbst dann, wenn deren Behinderungen nicht zu Nachteilen gegenüber gleichaltrigen gesunden Kindern führen. Denn Maßstab für diese Merkzeichen ist ausnahmsweise nicht der Vergleich mit gleichaltrigen Nichtbehinderten. Vielmehr kommt es darauf an, ob die festgestellten Gesundheitsstörungen bei Erwachsenen die Zuerkennung der genannten Nachteilsausgleiche rechtfertigen würden (vgl AHP 1996 Nr 30 Abs 2 auf S 165, Nr 31 Abs 1 auf S 167 und Nr 32 Abs 1 auf S 168, SG Berlin, Urteil vom 24. April 1993 – S 43 Vs 2512/92 – RdLH 1993 Nr 3 S 54 ff). Diese Besonderheit steht im Zusammenhang mit der Abschaffung der Mindestaltersgrenze von sechs Jahren für den Anspruch auf unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personenverkehr, die ursprünglich in § 2 Abs 1 Nr 6 des Gesetzes vom 27. August 1965 (UnbefG 65 – BGBl I S 978) vorgeschrieben war. Bei der Einbeziehung des Rechts der unentgeltlichen Personenbeförderung ins SchwbG durch das Gesetz vom 9. Juli 1979 (BGBl I S 989) hatte der Regierungsentwurf zunächst eine Altersgrenze von vier Jahren vorgesehen. Sie wurde jedoch auf Vorschlag des 11. Ausschusses gestrichen (vgl BT-Drucks 8/2696 S 5 und 17). Diese Rechtsentwicklung hat dazu geführt, daß es bei den mit der Fortbewegung zusammenhängenden Merkzeichen G, aG und B für ausreichend gehalten wird, wenn eine bestimmte Gesundheitsstörung die entsprechenden Funktionen eines erwachsenen Behinderten im erforderlichen Ausmaß beeinträchtigen würde. Dieser Maßstab erscheint auch unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, daß bei der Beförderung von behinderten Säuglingen und Kleinkindern in öffentlichen Verkehrsmitteln behinderungsbedingte Mehraufwendungen entstehen können, ohne daß dies im Einzelfall zutreffen muß.
Der für die Einräumung der Nachteilsausgleiche G, aG und B geltende Maßstab läßt sich jedoch nicht auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF übertragen. Hier gilt vielmehr für die Feststellung des auszugleichenden behinderungsbedingten Nachteils der allgemeine, sich aus § 3 Abs 1 Satz 2 SchwbG ergebende Maßstab des Vergleichs mit einer nicht behinderten Person gleichen Lebensalters. Bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres ergibt sich dabei aus der Art des auszugleichenden Nachteils für Kleinkinder eine Besonderheit. Bis zur Erreichung dieser Altersgrenze kommt die Zuerkennung des Merkzeichens RF nach dem vom Gesetzgeber damit verfolgten Zweck schlechthin nicht in Betracht. Der Nachteilsausgleich RF dient dem Ausgleich für die Unfähigkeit des Behinderten, an öffentlichen Veranstaltungen ständig teilzunehmen. Die entsprechenden Vorschriften der zur Gebührenbefreiung ergangenen Landesverordnungen sollen die Teilnahme des Behinderten am öffentlichen Leben und am kulturellen Geschehen ermöglichen und behinderungsbedingte Störungen in bezug auf die Teilnahme am öffentlichen Gemeinschaftsleben durch erleichterten Zugang zu Rundfunk- und Fernsehsendungen ausgleichen (BSG SozR 3870 § 3 Nr 25 S 78). Kleinkinder einer Altersstufe, bis zu der allgemein – also ohne Rücksicht auf die individuelle Entwicklung des betroffenen Kleinkindes – die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen weder üblich noch sinnvoll ist, erleiden insoweit noch keinen behinderungsbedingten Nachteil. Wie der Senat den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat, sieht er es als eine offenkundige (§ 202 SGG iVm § 291 der Zivilprozeßordnung) allgemeine Tatsache (vgl dazu BSGE 62, 273, 277 = SozR 3870 § 60 Nr 2 S 5 mwN) an, daß ein Kleinkind bis zur Vollendung des 2. Lebensjahres in der Regel nicht an öffentlichen Veranstaltungen – auch nicht an für Kinder bestimmten Veranstaltungen (zB Zirkusvorführungen und Puppentheater) – teilnimmt. Der Teilnahme stehen bis dahin regelmäßig bereits physiologische Gründe entgegen, wie das Bedürfnis nach häufigen Mahlzeiten, unkontrollierte kurzphasige Verdauungstätigkeit, typisches gesteigertes Schlafbedürfnis, häufige Unmutsäußerungen, schwach entwickeltes Rückgrat und vor allem mangelnde sprachliche und geistige Reife. Allerdings hat der Senat mit Urteil vom 16. März 1994 (Az 9 RVs 3/93 – nicht veröffentlicht –) entschieden, daß die mangelnde geistige Aufnahmefähigkeit eines Behinderten die Erteilung des Merkzeichens RF weder begründet noch ausschließt. Soweit es dabei um den Ausschluß der Erteilung des Merkzeichens RF geht, ist diese Entscheidung indessen mit Abgrenzungsschwierigkeiten begründet worden, die bei einer allgemeinen Altersgrenze, wie sie der Senat nunmehr für Kleinkinder zieht, nicht bestehen.
Die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF erscheint bei Kindern, die das zweite Lebensjahr noch nicht vollendet haben, auch unter dem Gesichtspunkt behinderungsbedingter Mehraufwendungen nicht sinnvoll, weil in dieser Altersphase Mehraufwendungen im Zusammenhang mit dem Besuch öffentlicher Veranstaltungen regelmäßig nicht entstehen. So fehlt denn auch in den AHP 1996 (vgl S 169 Nr 33) – anders als bei den weiter oben zitierten, für andere Nachteilsausgleiche geltenden Abschnitten – für den Nachteilsausgleich RF ein Hinweis darauf, daß für die Zuerkennung dieses Merkzeichens das Lebensalter keine Bedeutung habe.
Nach allem erscheint es angezeigt, zumindest für die unter Nr 33 Abs 2 Buchst c AHP 1996 genannten Behinderten, die „wegen ihres Leidens” am Besuch öffentlicher Veranstaltungen gehindert sind, eine allgemeine Altersgrenze zu ziehen. Ob diese auch für die in Nr 33 Abs 2 Buchst a und b AHP 1996 genannten Personenkreise der Blinden und Gehörlosen zu gelten hat, braucht hier nicht entschieden zu werden. Ab der Vollendung des 2. Lebensjahres kommt hingegen die Zuerkennung des Merkzeichens RF für alle Kleinkinder in Betracht. Voraussetzung ist aber, daß das Kind a u f g r u n d s e i n e r B e h i n d e r u n g e n zum Besuch öffentlicher Veranstaltungen außerstande ist.
Nach dem Gesagten könnte dem Kläger ab 27. Juni 1992 Anspruch auf den Nachteilsausgleich RF zustehen. Der Rechtsstreit ist insoweit aber noch nicht zur Entscheidung reif. Zwar hat das LSG für die Feststellung der Voraussetzungen für diesen Nachteilsausgleich zutreffend einen Vergleich mit einem gleichaltrigen nicht behinderten Kind angestellt. Seine tatsächlichen Feststellungen (§ 103 SGG) reichen jedoch zur Beurteilung des vom Kläger erhobenen Anspruchs nicht aus. Der Kläger begehrt die Feststellung bestimmter für ihn vorteilhafter statusbegründender Umstände durch Verwaltungsakt, die allein durch den Beklagten erfolgen kann (§ 4 Abs 4 SchwbG). Er hat also eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) erhoben. Für derartige Klagen ist der Sachstand zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz maßgebend (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl 1993, § 54 RdNr 34), hier also Januar 1994. Zu dieser Zeit war der Kläger bereits dreieinhalb Jahre alt. Die Feststellungen des LSG, die vom Kläger bei öffentlichen Veranstaltungen ausgehende Geruchsbelästigung und die Beeinträchtigung seiner Sitzfähigkeit überstiegen nicht das altersübliche Maß, beruhen aber auf medizinischen Befunden aus einer Zeit, in der der Kläger das zweite Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Das LSG hat außerdem die von den festgestellten Behinderungen ausgehenden Funktionseinschränkungen nicht objektiv gewertet, so daß deren absolutes Ausmaß offengeblieben ist. Eine derartige Bewertung hätte aber dem vom LSG angestellten Vergleich des Klägers mit gleichaltrigen gesunden Kindern vorausgehen müssen. Insbesondere soweit es dabei um die „eingeschränkte Belastbarkeit” der Wirbelsäule ging, hätte das LSG das Ausmaß dieser „Einschränkung” und die davon ausgehenden Funktionseinschränkungen objektiv und absolut feststellen müssen, insbesondere hinsichtlich der dem Kläger zumutbaren Höchstsitzdauer, bevor es einen Vergleich mit einem durchschnittlich entwickelten gleichaltrigen Kind anstellte.
Zur Nachholung der noch fehlenden Feststellungen, die der Senat nicht selbst treffen kann (§ 163 SGG), muß der Rechtsstreit gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG im angegebenen Umfang an die Vorinstanz zurückverwiesen werden, die auch über die Kosten zu entscheiden haben wird.
Fundstellen
Haufe-Index 1175043 |
BSGE 80, 97 |
BSGE, 97 |
SozR 3-3870 § 4, Nr. 18 |
Breith. 1997, 797 |
SozSi 1998, 79 |