Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 29.11.1995)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 29. November 1995 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist die Höhe des Auszahlungspunktwerts, den die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) Nordbaden der Honorarabrechnung der Kläger in dem Quartal II/92 hinsichtlich der sog Fremdkassenleistungen im Primärkassenbereich zugrunde zu legen hat.

Die Kläger sind als Ärzte für Allgemeinmedizin in Wildberg – Landkreis Calw – zur kassen- und vertragsärztlichen (nunmehr einheitlich: vertragsärztlichen) Versorgung zugelassen. Ihr Vertragsarztsitz befindet sich im östlichen Teil von Nordbaden. Das hat zur Folge, daß zahlreiche Patienten der Kläger bei Primärkassen versichert sind, die im angrenzenden Bezirk der KÄV Nord-Württemberg (Beigeladene zu 2) angesiedelt sind (sog „Fremdkassenfälle”).

Die Vergütung von Fremdkassenleistungen war nach dem hier maßgeblichen Honorarverteilungsmaßstab (HVM) der Beklagten wie folgt geregelt: Für die Vergütung dieser Leistungen wurde aus den von den anderen KÄVen bzw deren Krankenkassen geleisteten Zahlungen in jedem Abrechnungsbezirk ein Verteilungstopf gebildet, aus dem die von Mitgliedern der Beklagten gegenüber Versicherten von Krankenkassen mit Sitz außerhalb des Bezirks der Beklagten erbrachten Leistungen vergütet wurden. Dies bedeutete, daß entsprechend den Schwankungen der Beträge, die die fremden Krankenkassen bzw KÄVen an die Beklagte leisteten, die Fremdkassenleistungen nach einem höheren oder niedrigeren Punktwert vergütet wurden als demjenigen, der für diejenigen Leistungen galt, die der Arzt an Patienten einer im KÄV-Bezirk ansässigen Krankenkasse erbrachte. Die Festlegung des jeweiligen Auszahlungspunktwertes erfolgte durch den Vorstand der Beklagten.

Mit Bescheid vom 13. Oktober 1992 setzte die Beklagte das Honorar der Kläger für das Quartal II/92 fest, wobei sie hinsichtlich der Vergütung der in den Fremdkassenfällen erbrachten Leistungen einen Auszahlungspunktwert zugrunde legte, der – mit 8,2 Pf – wesentlich niedriger lag als der Auszahlungspunktwert für die übrigen Leistungen und der zudem auch eine erhebliche Mindervergütung im Vergleich zu dem Punktwert der Fremdkassenleistungen vorangegangener Quartale bedeutete. Den Widerspruch der Kläger wies die Beklagte zurück. Der Punktwert für Fremdkassenleistungen im Quartal II/92 habe deshalb so niedrig festgelegt werden müssen, weil sich nach dem nunmehr vorliegenden Ergebnis der Fremdkassenabrechnung mit der Beigeladenen zu 2) die für die Quartale II/91 bis IV/91 gezahlten Vergütungen als zu hoch herausgestellt hätten. Die entstandene Überzahlung habe an die Beigeladene zu 2) zurückgezahlt werden müssen (Bescheid vom 21. Dezember 1992).

Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) die Beklagte verurteilt, über die Widersprüche der Kläger gegen den Honorarbescheid betreffend die Vergütung der Fremdkassenleistungen des Quartals II/92 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden (Urteil vom 27. April 1994). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß diese unter Beachtung seiner Rechtsauffassung neu zu entscheiden habe (Urteil vom 29. November 1995). Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt: Nach der derzeitigen Rechtslage sei es nicht zulässig, die Leistungen der Ärzte für Patienten, die einer außerhalb des Bezirks der KÄV gelegenen Krankenkasse angehörten, mit einem anderen Punktwert zu vergüten als die Leistungen für Patienten, die einer im Bezirk der KÄV gelegenen Krankenkasse angehörten. Eine derartige Vergütungsverteilung sei weder durch das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) noch durch den HVM der Beklagten legitimiert. Zwar ergebe sich aus § 72 Abs 2, § 83 Abs 1 iVm § 85 SGB V, daß für verschiedene Kassenarten gesonderte Verteilungstöpfe gebildet werden könnten. Eine vergleichbare Regelung, die die rechnerisch abgetrennte, gesonderte Vergütung von Fremdkassenleistungen zulasse, finde sich im SGB V aber nicht. § 85 SGB V sei insoweit nicht anwendbar, denn die Beträge, die eine KÄV für Fremdkassenleistungen erhalte, könnten nicht als eine gesonderte „Gesamt”-Vergütung angesehen oder ihr gleichgestellt werden. Zum einen nämlich liege den Fremdkassenvergütungen kein „Gesamt”-Vertrag iS der §§ 72 Abs 2, 83 Abs 1 SGB V zugrunde. Zum anderen seien die Beträge für die Fremdkassenleistungen inhaltlich nicht als Gesamtvergütung einer Kassenart, sondern vielmehr als Summe der Vergütungen, die verschiedene Fremdkassen für die an ihre Versicherten erbrachten Leistungen schuldeten, zu werten. Eine analoge Anwendung des § 85 SGB V scheide aus, weil vorliegend keine Regelungslücke bestehe.

Die auf gesetzlicher Grundlage von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KÄBV) mit den Bundesverbänden der Ortskrankenkassen, Betriebskrankenkassen, Innungskrankenkassen und Landwirtschaftlichen Krankenkassen am 19. März 1975 abgeschlossene Vereinbarung über die Abrechnung von Fremdkassenfällen habe lediglich die Abwicklung des Fremdkassenausgleichs im Verhältnis zwischen den KÄVen und den Krankenkassen zum Gegenstand. Sie betreffe aber nicht das (Vergütungs-)Verhältnis der KÄVen zu den Vertragsärzten und enthalte keinen Hinweis darauf, daß die Honorierung der Fremdkassenleistungen abweichend von der Honorierung der übrigen Leistungen erfolgen dürfe.

Eine Rechtfertigung der Bildung gesonderter Verteilungstöpfe für Fremdkassenleistungen lasse sich auch nicht aus § 85 Abs 4 Satz 5 SGB V ableiten. Die Ärzte, die Fremdkassenleistungen erbrächten, stellten keine „Arztgruppe” iS des § 85 Abs 4 Satz 5 SGB V, dh keinen Kreis von Ärzten, die durch eine bestimmte gemeinsame fachliche Qualifikation gekennzeichnet seien, dar. Es liege auch kein Fall einer nach „Versorgungsgebieten” unterschiedlichen Verteilung vor; denn die Fremdkassenpatienten könnten nicht als „Versorgungsgebiet”, das einen örtlichen zusammenliegenden geschlossenen Bereich voraussetze, bezeichnet werden.

Auch aus der Verteilungsautonomie, die die KÄVen bei der Ausgestaltung der Regelungen ihres HVM hätten, lasse sich eine ausreichende Legitimation für die Schaffung gesonderter Verteilungstöpfe nicht herleiten. Aus der „Grundlagenfunktion” des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) und der „Restfunktion” des HVM folge, daß ein HVM das im EBM festgelegte Wertverhältnis grundsätzlich nicht korrigieren dürfe bzw das im EBM festgelegte Wertverhältnis nur dann modifizieren dürfe, wenn sich dafür überwiegende schutzwürdige Belange anführen ließen. Diesen Kriterien hielten die für die gesonderte Fremdkassenabrechnung sprechenden Beweggründe, nämlich die Verhinderung von Leistungsausweitungen sowie die Verwaltungsvereinfachung mittels einer überschaubaren Abwicklung der Fremdkassenhonorierung, nicht stand. Da sich somit die Bildung gesonderter Verteilungstöpfe mit abweichenden Punktwerten im Fall der Fremdkassenleistungen als unzulässig erweise, bleibe nur die Möglichkeit, die Fremdkassenleistungen ebenso wie die sonstigen Leistungen zu vergüten, wobei die Beklagte hinsichtlich der Verfahrensweise im Rahmen der Verteilungsautonomie einen Gestaltungsspielraum habe.

Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 85 Abs 4 SGB V sowie der Grundsätze der Verteilungsautonomie. Der Begriff der „Gesamtvergütung” in § 85 Abs 4 Satz 1 SGB V sei iS aller „Gesamtvergütungen” zu verstehen, und daher müsse auch eine Verteilung der „Fremdkassengesamtvergütung” mittels Bildung eines „Fremdkassentopfes” zulässig sein. Selbst wenn man dieser Auffassung nicht folge, so sei eine Rechtfertigung der in dem HVM vorgesehenen Verfahrensweise jedenfalls in § 85 Abs 4 Satz 5 SGB V enthalten, denn im Wege einer weiten Auslegung könnten die Fremdkassenpatienten unter den Begriff eines „Versorgungsgebietes” subsumiert werden.

Darüber hinaus ergebe sich die Rechtmäßigkeit der gesonderten Vergütung von Fremdkassenleistungen auch unter dem Gesichtspunkt der ihr, der Beklagten, zustehenden Verteilungsautonomie. Nach den als Anlage 1 vorgelegten Berechnungen müßte im Fall einer einheitlichen Vergütung der Fremdkassen- und Gebietskassenleistungen in ihrem Bereich ein Betrag von rund 5,5 Mill DM pro Quartal zusätzlich aufgebracht werden, um eine gleichmäßige Honorierung von Fremdkassenleistungen und bereichseigenen Leistungen zu gewährleisten. Mit den dementsprechend erforderlichen Subventionierungen müßten dann auch die Ärzte belastet werden, die wenig Fremdkassenfälle zur Abrechnung brächten. Die Modellrechnung in Anlage 2 zeige, wie viele Ärzte im Quartal III/95 von einem einheitlichen Punktwert iS der Entscheidung des Berufungsgerichts profitieren würden und wieviele Ärzte deshalb geringere Einnahmen hätten. Nachdem es bisher eine einheitliche Fremdkassenvergütung nicht gebe, sei sie, die Beklagte, im Rahmen ihrer Verteilungsautonomie berechtigt, unter Abwägung der verschiedenen Interessen einen eigenen Fremdkassentopf zu bilden, der sicherstelle, daß die Ärzte, die hauptsächlich für nordbadische Krankenkassen Leistungen erbrächten, nicht durch niedrigere Honorare für Fremdkassenleistungen beeinträchtigt würden.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 29. November 1995 und des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. April 1995 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend. Ergänzend führen sie aus: Die Verteilungsautonomie der Beklagten dürfe insbesondere nicht zu einer ungerechtfertigten Besserstellung der Mehrheit der Vertragsärzte mit nur einer geringen Anzahl an Fremdkassenfällen gegenüber der Minderheit der Vertragsärzte führen, die als „Grenzärzte” einen hohen Anteil an Fremdkassenfällen hätten. Dies gelte um so mehr, weil das gegenwärtige, von der Beklagten wie von vielen anderen KÄVen praktizierte Verfahren einer unterschiedlichen Honorierung von Fremdkassen- und Gebietskassenleistungen der Tendenz Vorschub leiste, den jeweils eigenen Verteilungstopf für Fremdarztleistungen finanziell unzureichend auszustatten und die Fremdarztleistungen damit im Ergebnis schlechter zu honorieren als die Leistungen der eigenen Vertragsärzte, um hierdurch den eigenen Punktwert zu stützen. Ein derartiges Verhalten vieler KÄVen möge zwar für die Mehrzahl der Vertragsärzte den Charakter eines „Nullsummenspiels” haben, weil ihre zahlenmäßig geringen Fremdkassenfälle zwar schlechter honoriert würden, dafür aber die Punktwerte ihrer Gebietskassenfälle gestützt würden. Den „Grenzärzten”, die eine weit überdurchschnittliche Anzahl an Fremdkassenfällen aufweisen würden, werde hierdurch jedoch ein sachlich ungerechtfertigtes und unzumutbares Sonderopfer auferlegt.

Nicht zu folgen sei dem LSG, soweit es einen Verstoß des angefochtenen Bescheides gegen die Bestandskraftregeln des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) verneine. Die Argumentation des LSG sei insoweit lediglich formaler Natur. Zwar werde die Bestandskraft des vorangehenden Quartalabrechnungsbescheides formal nicht dadurch tangiert, daß die angebliche Zuvielzahlung im nächsten Quartal von der Vergütung abgezogen werde. Dieses Vorgehen der Beklagten greife jedoch in die materielle Bestandskraft des vorangehenden Quartalsabrechnungsbescheides ein, weil der Abzug im Folgequartal schlüssig die Rechtsbehauptung enthalte, die im früheren Quartal bezahlte und festgesetzte Vergütung sei rechtswidrig, weil zu hoch angesetzt gewesen.

Die Beigeladene zu 2) stellt keinen Antrag.

Die Beigeladenen zu 1) und 3) bis 6) haben sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Das LSG hat zu Recht angenommen, daß die angefochtenen Honorarbescheide rechtswidrig sind und die Kläger iS des § 54 Abs 2 SGG beschweren, soweit ihre Leistungen gegenüber Versicherten von Primärkassen außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Beklagten mit einem Punktwert honoriert worden sind, der allein an der Höhe der der Beklagten für Fremdkassenleistungen ihrer Mitglieder zufließenden Vergütungen anderer KÄVen ausgerichtet ist. Soweit der HVM der Beklagten eine entsprechende Honorierung von Fremdkassenleistungen vorschreibt, steht dies mit höherrangigem Recht nicht in Einklang.

Honorarverteilungsregelungen einer KÄV sind in erster Linie an den gesetzlichen Vorgaben des § 85 Abs 4 SGB V zu messen. Zentrale Bedeutung kommt dabei der Bestimmung des § 85 Abs 4 Satz 3 SGB V zu, nach der bei der Verteilung der Gesamtvergütung Art und Umfang der Leistungen des Kassenarztes (eigentlich: Vertragsarztes) zugrunde zu legen sind. Dieser Vorschrift kann, wie der Senat zu der gleichlautenden früheren Regelung des § 368f Abs 1 Satz 4 Reichsversicherungsordnung (RVO) bereits entschieden hat, nicht die Forderung entnommen werden, die Leistungen müßten nach ihrer Art und ihrem Umfang stets gleichmäßig, dh mit einem für alle Leistungen einheitlichen Punktwert honoriert werden. Das Gesetz schließt danach eine Aufteilung der Gesamtvergütung in Teilbudgets mit der Folge, daß die kassen- und vertragsärztlichen Leistungen nicht mehr entsprechend dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) im selben Verhältnis, sondern, abhängig von der Mengenentwicklung im jeweiligen Leistungsbereich, unterschiedlich hoch vergütet werden, nicht grundsätzlich aus (Urteil vom 29. September 1993 – 6 RKa 65/91 – BSGE 73, 131, 134 = SozR 3-2500 § 85 Nr 4 S 22). Der Senat hat weiterhin Honorarverteilungsregelungen für rechtmäßig gehalten, die auf die durch das GSG zum 1. Januar 1993 eingeführte Budgetierung der Gesamtvergütungen mit der Bildung fachgruppenbezogener Honorarkontingente reagiert haben, obwohl dies bei unterschiedlicher Mengenentwicklung in einzelnen ärztlichen Fachgebieten zur Folge haben kann, daß die gleichen Leistungen für Vertragsärzte aus unterschiedlichen Fachgebieten unterschiedlich hoch vergütet werden (Senatsurteil vom 7. Februar 1996 – 6 RKa 68/94 – = SozR 3-2500 § 85 Nr 11 S 67 ff). Schließlich hat der Senat die KÄVen zumindest in den Jahren 1993 und 1994 für berechtigt gehalten, fachgruppenübergreifend einen einheitlichen Vergütungstopf für die Leistungen des ambulanten Operierens zu bilden, um auf diese Weise die gesetzlichen Maßnahmen zur Förderung des ambulanten Operierens umzusetzen, selbst wenn diese Topfbildung im Ergebnis dazu geführt hat, daß die ambulanten Operationsleistungen von Vertragsärzten mit einem niedrigeren Punktwert als die übrigen ärztlichen Leistungen vergütet worden sind (Senatsurteil vom 7. Februar 1996 – 6 RKa 61/94 – = SozR 3-2500 § 85 Nr 10 S 59 ff). Der Senat hat dabei allerdings stets betont, daß im Hinblick auf die berufsregelnde Tendenz von Honorarverteilungsvorschriften die KÄV die Verteilung nicht frei nach ihrem Ermessen gestalten darf; sie ist vielmehr an den Grundsatz der leistungsproportionalen Verteilung gebunden. Dieser besagt, daß die ärztlichen Leistungen prinzipiell gleichmäßig zu vergüten sind (BSGE 73, 131, 136 = SozR 3-2500 § 85 Nr 4 S 24; vgl auch BSGE 75, 187, 191 = SozR 3-2500 § 72 Nr 5 S 9). Der normsetzenden Körperschaft verbleibt aber für sachlich gerechtfertigte Abweichungen von dem genannten Grundsatz ein Spielraum, der es ihr ermöglicht, ihrem Sicherstellungsauftrag und ihren sonstigen gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen gerecht zu werden. Gemessen an diesen Vorgaben ist die Honorierung von Fremdkassenleistungen aus einem Honorartopf, der nur aus den der KÄV zufließenden Vergütungen für Fremdkassenleistungen gespeist wird, nicht zu rechtfertigen.

Die Vergütung von Leistungen, die Mitglieder einer KÄV gegenüber Versicherten erbringen, deren Krankenkasse ihren Verwaltungssitz nicht im Bezirk dieser KÄV hat (Fremdkassenleistungen), richtet sich nach den für die Honorarverteilung geltenden Vorschriften, insbesondere nach § 85 Abs 4 SGB V und den dazu vom Senat entwickelten Rechtsgrundsätzen. Die Vergütung dieser Leistungen ist Bestandteil der „Verteilung der Gesamtvergütung unter die Kassenärzte” iS des § 85 Abs 4 Satz 1 SGB V. Sie erfolgt – ausdrücklich oder konkludent – auf der Grundlage des festgesetzten HVM nach § 85 Abs 4 Satz 2 SGB V. Daran ändert nichts, daß sich die Fremdkassenleistungen dadurch von anderen Leistungen unterscheiden, daß ihrer Vergütung kein Gesamtvertrag zwischen der KÄV des behandelnden Arztes und dem Landesverband der Krankenkasse, der der behandelte Patient angehört, zugrunde liegt. Die Gesamtverträge, die ua die Vergütung der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte regeln, werden nach § 82 Abs 2 und § 83 Abs 1 SGB V von den einzelnen KÄVen mit den in ihrem Bezirk bestehenden oder für ihn zuständigen Landesverbänden der Krankenkassen bzw Verbänden der Ersatzkassen mit Wirkung für die dem Landesverband angehörenden „beteiligten” Krankenkassen abgeschlossen. Die Krankenkasse entrichtet über ihren Landesverband die Vergütung für die vertragsärztliche Versorgung ihrer Mitglieder einheitlich und ausschließlich an die für sie zuständige KÄV ungeachtet dessen, ob und in welchem Umfang sich ihre Versicherten von Vertragsärzten behandeln lassen, die dieser KÄV angehören. Umgekehrt rechnet jeder Vertragsarzt alle Behandlungsfälle ausschließlich gegenüber seiner KÄV ab, ohne Rücksicht darauf, ob ein Patient Versicherter einer Kasse ist, mit der – über den zuständigen Landesverband – seine KÄV einen Gesamtvertrag geschlossen hat oder nicht. Der Vertragsarzt erhält Honorar auch allein von seiner KÄV nach Maßgabe des von ihr festgesetzten HVM. Das hat zwangsläufig zur Folge, daß jede KÄV Gesamtvergütungsanteile erhält, die der Honorierung vertragsärztlicher Leistungen von Mitgliedern anderer KÄVen dienen (Fremdarztfälle), und daß sie auf der anderen Seite vertragsärztliche Leistungen honorieren muß, die wirtschaftlich von für sie fremden Krankenkassen zu bezahlen sind (Fremdkassenfälle). Diese für das regionalisierte Gesamtvertragssystem untypische und problematische Situation beruht darauf, daß die Versicherten ungeachtet ihrer Krankenkassenzugehörigkeit ihren behandelnden Arzt unter den zugelassenen Vertragsärzten grundsätzlich frei auswählen können (§ 76 Abs 1 Satz 1 SGB V), und die zugelassenen Vertragsärzte Versicherte aller Krankenkassen behandeln dürfen unabhängig davon, ob diese mit ihrer KÄV einen Gesamtvertrag geschlossen haben oder nicht. Die gesetzliche Regelung dieses Sachverhalts beschränkt sich seit dem Inkrafttreten des GSG auf die Vorschrift des § 75 Abs 7 Satz 2 SGB V, wonach die KÄBVen insbesondere die überbezirkliche Durchführung der vertragsärztlichen Versorgung und den Zahlungsausgleich hierfür zwischen den KÄVen zu regeln haben. Die in § 83 Abs 1 Satz 2 SGB V idF des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) enthaltene Bestimmung, wonach die KÄBVen mit den Bundes- oder Landesverbänden von Krankenkassen Gesamtverträge für Krankenkassen schließen konnten, die sich über den Bereich einer KÄV hinaus erstrecken, ist zum 1. Januar 1993 durch Art 1 Nr 41 GSG gestrichen worden (vgl zu den Konsequenzen Kasseler Komm-Hess, § 83 SGB V RdNr 7).

In Ausführung des § 75 Abs 7 Satz 2 SGB V bzw der Vorläufervorschrift des § 368n Abs 4 Satz 2 RVO hat die KÄBV mit den Bundesverbänden der Krankenkassen die „Vereinbarung über die Abrechnung von Fremdfällen zwischen Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen” vom 19. März 1975 geschlossen sowie die „Technischen Richtlinien für die Abrechnung von Fremdarztleistungen und die Durchführung des Zahlungsausgleichs zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen” vom 7. Oktober 1978 erlassen. Diese Regelungen haben entsprechend dem Wortlaut des § 75 Abs 7 Satz 2 SGB V allein die Abwicklung des Fremdkassenausgleichs im Verhältnis zwischen den KÄVen und den Krankenkassen zum Gegenstand. Dabei legen die „Technischen Richtlinien” insbesondere fest, daß der Fremdkassenausgleich zwischen allen KÄVen, in deren Bezirk Fremdarztleistungen bzw Fremdkassenleistungen erbracht worden sind, über eine bei der KÄBV eingerichtete Clearingstelle erfolgt, um so eine Saldierung gegenseitiger Forderungen der KÄVen zu erreichen (vgl Kasseler Komm-Hess, § 75 SGB V RdNr 44; Heinemann/Liebold, Kassenarztrecht, RdNr C 81-20). Die gesetzlichen und untergesetzlichen Normen, nach denen der Fremdkassenausgleich abgewickelt wird, beziehen sich auf die in § 85 Abs 1 und 2 SGB V angesprochene Gesamtvergütung und betreffen damit nur die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und KÄVen. Regelungen über die Verteilung der der einzelnen KÄV im Fremdkassenausgleich zufließenden Zahlungen an die Vertragsärzte enthalten § 75 Abs 7 Satz 2 SGB V sowie die auf dieser Grundlage getroffenen Vereinbarungen und erlassenen Richtlinien nicht. Der Gesetzgeber hat mithin die Fremdarzt- wie die Fremdkassenproblematik gesehen, sich aber auf eine Regelung der Rechtsverhältnisse zwischen den Krankenkassen und ihren Verbänden einerseits sowie zwischen KÄVen und der KÄBV andererseits beschränkt. Da aber kein Zweifel daran bestehen kann, daß der einzelne Vertragsarzt für die in Fremdkassenfällen erbrachten Leistungen einen Honoraranspruch hat, der nur gegenüber seiner KÄV bestehen und durchgesetzt werden kann, kann die Honorierung von Fremdkassenleistungen nur auf der Grundlage des HVM der einzelnen KÄV und im Rahmen der Vorgaben des § 85 Abs 4 SGB V erfolgen.

Die Beklagte hat im streitbefangenen Zeitraum nach den Feststellungen des LSG die Honorierung der Fremdkassenleistungen in der Weise geregelt, daß Fremdkassenleistungen nordbadischer Vertragsärzte mit einem Auszahlungspunktwert vergütet wurden, der sich ergab, wenn die der Beklagten aus dem Fremdkassenausgleich in einem Quartal zufließenden Zahlungen durch die für Fremdkassenleistungen von ihren Vertragsärzten angeforderte Punktzahlmenge dividiert wurde. Die Bildung dieses gesonderten Honorartopfes für Fremdkassenleistungen kann dazu führen und hat dazu geführt, daß ein und dieselbe vertragsärztliche Leistung unterschiedlich vergütet wird, je nachdem, ob der behandelte Versicherte einer Krankenkasse angehört, die ihren Sitz im Bezirk der Beklagten hat, oder ob er Mitglied einer bereichsfremden Krankenkasse ist. Insoweit zieht die Bildung des gesonderten Honorartopfes eine Durchbrechung des Grundsatzes der leistungsproportionalen Verteilung nach sich, wonach alle ärztlichen Leistungen prinzipiell gleichmäßig zu vergüten sind. Diese wäre nach der oben dargestellten Rechtsprechung des Senats nur zulässig, wenn dafür eine besondere sachliche Rechtfertigung bestünde. Das ist nicht der Fall.

Aus der Regelung des § 85 Abs 4 Satz 5 SGB V selbst kann eine Rechtfertigung nicht abgeleitet werden. Diejenigen Vertragsärzte, die Fremdkassenleistungen erbringen, können schon deshalb keine „Arztgruppe” iS dieser Vorschrift bilden, weil der Begriff erkennbar an die Aufgliederung der ärztlichen Tätigkeit in verschiedenen Disziplinen anknüpft und weil zumindest in kleineren KÄVen nahezu jeder Vertragsarzt auch Versicherte bereichsfremder Kassen behandelt. Die Grenzgebiete eines KÄV-Bezirks bilden auch kein eigenständiges „Versorgungsgebiet” iS des § 85 Abs 4 Satz 5 SGB V, weil die Lage der einzelnen Praxis in der geographischen Mitte oder am Rand eines KÄV-Bezirks für sich genommen keinen Zusammenhang zu besonderen Versorgungsnotwendigkeiten hat, wie sie etwa im Hinblick auf die medizinische Versorgung der Bewohner einer abgelegenen und schwer erreichbaren Ortschaft gegeben sein könnten.

Auch die der KÄV bei der Honorarverteilung im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben zukommende Gestaltungsfreiheit rechtfertigt die Abweichung vom Grundsatz der leistungsproportionalen Verteilung nicht. Der Senat hat die Bildung besonderer Vergütungstöpfe in Fällen gebilligt, in denen die normsetzende KÄV mit der Topfbildung jeweils bestimmte Steuerungszwecke verbunden hatte, die ihrerseits im vertragsärztlichen Vergütungssystem bzw im Gesetz selbst angelegt waren oder die zu verfolgen zu den legitimen Aufgaben der KÄV im Rahmen ihres Sicherstellungsauftrags gehörte. Dazu zählt etwa die Absicht, den auf gesamtvertraglicher Ebene in den Vergütungsbeziehungen zwischen KÄV und Krankenkassen getroffenen strukturellen Entscheidungen Rechnung zu tragen und insbesondere dort vereinbarte Leistungsmengenbegrenzungen über die Honorarverteilung in geeigneter Weise an die betroffenen Ärzte weiterzugeben (BSGE 73, 131, 134 = SozR 3-2500 § 85 Nr 4 S 22). Dasselbe gilt für die Zielsetzung, durch Honorarverteilungsregelungen das Risiko des mit jeder Mengenausweitung verbundenen Punktwertverfalls auf die einzelne Arztgruppe zu begrenzen (Senatsurteil vom 7. Februar 1996 – 6 RKa 68/94 – SozR 3-2500 § 85 Nr 11), und zu verhindern, daß das Leistungsgeschehen in einem einzelnen Bereich der vertragsärztlichen Tätigkeit zu Punktwertverminderungen in anderen, weniger stark expandierenden Bereichen führt (Senatsurteil vom 7. Februar 1996 – 6 RKa 61/94 – SozR 3-2500 § 85 Nr 10). Eine aus der Aufgabenstellung der KÄV zu rechtfertigende Gestaltungsabsicht von vergleichbarer Bedeutung und ähnlichem Stellenwert liegt der Bildung eines gesonderten Fremdkassentopfs nicht zugrunde. Die Beklagte will mit dieser Maßnahme verhindern, daß die ihr von den nordbadischen Krankenkassen entrichteten Gesamtvergütungen zur Subventionierung solcher vertragsärztlichen Leistungen ihrer Mitglieder herangezogen werden müssen, die im Wege des Fremdkassenausgleichs wirtschaftlich von anderen KÄVen zu vergüten sind. Diese Maßnahme führt dazu, daß bei der Honorarverteilung der Vertragsarzt privilegiert wird, der mehr Versicherte bereichseigener Krankenkassen behandelt als derjenige, der – ua wegen der Lage seiner Praxis im Grenzbereich zu den Bezirken anderer KÄVen – mehr Versicherte bereichsfremder Krankenkassen versorgt. Eine Rechtfertigung dafür ist nicht erkennbar, denn darauf, ob ein Patient einer bereichseigenen oder einer bereichsfremden Krankenkasse angehört, hat weder der Arzt noch hatte jedenfalls im streitbefangenen Zeitraum des Quartals II/92 der einzelne Primärkassenversicherte Einfluß.

Es kann dahingestellt bleiben, ob – wie vom Berufungsgericht angenommen – die von der Beklagten im streitbefangenen Zeitraum praktizierte Bildung gesonderter Vergütungstöpfe für jede Primärkassenart (Orts-, Betriebs- und Innungskrankenkassen sowie landwirtschaftliche Krankenkasse) mit der Folge unterschiedlicher Auszahlungspunktwerte für die vertragsärztlichen Leistungen je nach Kassenart grundsätzlich zulässig ist. Jedenfalls vermag diese Differenzierung die gesonderte Honorierung von Fremdkassenleistungen nicht zu rechtfertigen. Denn Differenzierungskriterium ist insoweit nicht die Zugehörigkeit eines Versicherten zu einer bestimmten Kassenart, sondern allein der Gesichtspunkt, ob die Krankenkasse des Versicherten über ihren Landesverband mit der Beklagten einen Gesamtvertrag geschlossen hat oder nicht. Dabei ist jede noch so mittelbare Beziehung zur Kassenzugehörigkeit des jeweils behandelten Versicherten aufgegeben. Alle Fremdkassenleistungen eines Vertragsarztes werden nämlich nach einem einheitlichen Punktwert unabhängig davon vergütet, ob der Versicherte einer Krankenkasse bzw einer Kassenart angehört, die mit der für sie zuständigen KÄV eine Gesamtvergütung vereinbart hat, die zu einem höheren oder niedrigeren Punktwert als die kassenartbezogene Gesamtvergütung in Nordbaden führen kann.

Die Bildung eines einheitlichen kassenartübergreifenden Fremdkassentopfes im streitbefangenen Zeitraum läßt sich schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Anfangs- und Erprobungsregelung rechtfertigen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), der sich der Senat für die untergesetzliche Normsetzung angeschlossen hat, kann es im Fall komplexer Sachverhalte vertretbar sein, dem Normgeber zunächst eine angemessene Zeit zur Sammlung von Erfahrungen einzuräumen und ihm in diesem Anfangsstadium zu gestatten, sich mit gröberen Typisierungen und Generalisierungen zu begnügen, die unter dem Gesichtspunkt der Praktikabilität gerechtfertigt werden können (vgl BVerfGE 70, 1, 34; 33, 171, 189 und BSG SozR 2200 § 368f Nr 14 S 50; BSGE 73, 131, 140 = SozR 3-2500 § 85 Nr 4 S 28; BSG SozR 3-2200 § 368 f Nr 3 S 8). Der Wertung als – zulässiger – Anfangs- und Erprobungsregelung steht indessen schon entgegen, daß die Differenzierung zwischen bereichseigenen und bereichsfremden Krankenkassen bei der Honorierung vertragsärztlicher Leistungen grundsätzlich kein zulässiges Gestaltungsmittel darstellt, das allenfalls in Randbereichen im Laufe der Zeit unzuträgliche Auswirkungen gezeitigt hat. Es ist vielmehr ein prinzipiell systemfremdes Unterscheidungsprinzip.

Zu Recht hat das LSG die Beklagte nicht zur Honorierung der Fremdkassenleistungen des Klägers in einer bestimmten Höhe verurteilt, sondern ihr im Rahmen der Neubescheidung lediglich aufgegeben, dem Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts für die streitbefangenen Quartale neue Honorarabrechnungen zu erteilen. Dabei hat es die Gestaltungsfreiheit der Beklagten hinsichtlich der Regelung ihrer Honorarverteilung hinreichend beachtet und ihr nur beispielhaft Regelungsmöglichkeiten aufgezeigt, die ihr für eine gesetzeskonforme Honorierung der Fremdkassenleistungen in den streitbefangenen Quartalen zur Verfügung stehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1174298

SozSi 1997, 435

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