Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. Leistungsgruppe. Steuerklassenwechsel. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch
Leitsatz (redaktionell)
- Soweit ein Wechsel der Lohnsteuergruppe erst mit Wirkung für das Folgejahr erfolgt, scheidet eine Anwendung des § 137 Abs. 4 SGB III für das laufende Jahr aus.
- Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch kann im Zusammenhang mit einer fehlerhaften Beratung durch die Bundesagentur für Arbeit über die Lohnsteuerklassenwahl nicht eingreifen, wenn ein Lohnsteuerklassenwechsel von den Ehegatten nicht vorgenommen wurde.
Normenkette
SGB III § 137 Abs. 3-4
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen den Beschluss des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 26. Februar 2004 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt für die Zeit vom 22. August 2001 bis zum 31. Dezember 2001 höheres Arbeitslosengeld (Alg) nach der Leistungsgruppe C (Lohnsteuerklasse III).
Der Kläger war zuletzt bei der Fa…. K… GmbH als Dreher beschäftigt. Auf Grund einer zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung ab 21. Februar 2000 bezog er vom 30. März 2000 bis zum 21. August 2001 Krankengeld bzw Übergangsgeld wegen einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme. Dem Krankengeldbezug lag ein ungekürztes Regelentgelt von kalendertäglich 193,76 DM, dem Übergangsgeld in Höhe von 171,34 DM kalendertäglich zu Grunde. Der Kläger hatte im Jahr 2001 auf seiner Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse V und seine Ehefrau die Lohnsteuerklasse III eingetragen. Eine Änderung der Lohnsteuerklassen erfolgte erst zum 1. Januar 2002; seither ist auf der Lohnsteuerkarte des Klägers die Lohnsteuerklasse III eingetragen.
Ab 22. August 2001 erhielt der Kläger Alg in Höhe von 358,40 DM wöchentlich nach einem gerundeten Bemessungsentgelt von 1.350,00 DM, der Leistungsgruppe D (Lohnsteuerklasse V) und dem erhöhten Leistungssatz (Bescheid vom 30. August 2001; Widerspruchsbescheid vom 25. September 2001).
Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, er habe sich bei der Ausfüllung des Antragsformulars von Mitarbeitern des Arbeitsamts nicht nur helfen, sondern sich auch beraten lassen. Er sei darauf hingewiesen worden, dass die Angabe der Lohnsteuerklasse keine große Rolle spiele. Das Sozialgericht (SG) hat die Ehefrau des Klägers als Zeugin gehört. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 14. April 2003 abgewiesen. Im Urteil heißt es, die Beklagte habe die Höhe des Alg zutreffend berechnet. Die Beklagte habe ihrer Berechnung die in der Lohnsteuerkarte eingetragene Lohnsteuerklasse V zu Grunde legen müssen. Eine eventuelle fehlerhafte Beratung spiele in diesem Zusammenhang keine Rolle.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers mit Beschluss vom 26. Februar 2004 zurückgewiesen. Es hat gemäß § 153 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die Urteilsgründe des SG verwiesen und im Übrigen ergänzend ausgeführt, ungeachtet der Frage, ob der Kläger von der Beklagten tatsächlich fehlerhaft beraten worden sei, könne die von ihm begehrte Rechtsfolge nicht mit Hilfe des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs herbeigeführt werden. Es könne im Wege des Herstellungsanspruchs keine gesetzeswidrige Amtshandlung begehrt werden. Die in der Steuerkarte eingetragene Steuerklasse habe für die Berechnung des Alg Tatbestandswirkung, die außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Beklagten liege und aus diesem Grunde im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht ersetzt werden könne. Aus diesem Grunde sei auch unerheblich, ob die Eheleute tatsächlich ohne weiteres zu dem von ihnen begehrten Zeitpunkt einen erneuten Lohnsteuerklassenwechsel hätten vornehmen können und ob die Beklagte an einen solchen gebunden gewesen wäre. Ob hier vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machende Schadensersatzansprüche aus Amtspflichtverletzung in Betracht kämen, bedürfe ebenfalls keiner Erörterung.
Der Kläger hat die vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassene Revision eingelegt. Er rügt die Verletzung des § 137 Sozialgesetzbuch – Drittes Buch – (SGB III) sowie der Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs (§§ 14, 15 Sozialgesetzbuch – Erstes Buch –). Der Auffassung des erkennenden Senats (Urteil vom 14. Juli 2004 – B 11 AL 80/03 R), wonach ein Herstellungsanspruch nicht greifen könne, wenn ein Lohnsteuerklassenwechsel nicht erfolgt sei, könne nicht gefolgt werden, weil die Revision eine völlig andere Konstellation betreffe. Im damaligen Verfahren sei die Überprüfung erst im folgenden Jahr über einen Antrag nach § 44 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch – begehrt worden. Darüber hinaus sei § 113 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) einschlägig gewesen, während in diesem Verfahren § 137 SGB III einschlägig sei. § 137 Abs 4 Satz 1 SGB III wiederum begegne verfassungsrechtlichen Bedenken, wie dies im Urteil des BSG vom 1. April 2004 – B 7 AL 52/03 R – zutreffend festgestellt worden sei. Werde ein Beratungswunsch ausdrücklich vorgetragen und werde der Arbeitslose fehlerhaft beraten, dann dürfe er nicht schlechter gestellt werden, als ein Arbeitsloser, der Leistungen nach einer hohen Leistungsgruppe erhalte und später während des Bezuges kurzfristig noch die steuerlichen Vorteile mitnehmen wolle. Der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil könne auch durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden. Im Urteil des 7. Senats vom 1. April 2004 – B 7 AL 52/03 R – sei zu Recht ausgeführt worden, dass auch eine nicht eingetragene Lohnsteuerklasse die Höhe des Alg bestimmten könne.
Der Kläger beantragt,
den Beschluss des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 26. Februar 2004 und das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 14. April 2003 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. August 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. September 2001 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 22. August 2001 bis zum 31. Dezember 2001 Arbeitslosengeld nach der Leistungsgruppe C zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und ist der Auffassung, die Rechtsprechung zu § 137 Abs 4 SGB III könne nicht auf § 137 Abs 3 SGB III übertragen werden.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Das LSG hat zu Recht entschieden, dass der Kläger für den streitigen Zeitraum vom 22. August 2001 bis zum 31. Dezember 2001 kein höheres Alg beanspruchen kann. Die Beklagte hat, wie das SG im Einzelnen ausgeführt hat, das Alg anhand der Bemessung des dem Krankengeld bzw Übergangsgeld zu Grunde gelegten Entgelts (§ 135 Nr 4 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung) zutreffend berechnet. Auf diese Ausführungen und die damit verbundenen Feststellungen hat das LSG in nach § 153 Abs 2 SGG zulässiger Weise Bezug genommen.
Es ist insbesondere nicht zu beanstanden, dass die Beklagte dem Kläger entsprechend der zu Beginn des Kalenderjahres 2001 auf seiner Lohnsteuerkarte eingetragenen Lohnsteuerklasse V Alg nach der Leistungsgruppe D bewilligt hat. Nach § 137 Abs 1 SGB III (in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung) richtet sich die als gewöhnlicher Abzug zu Grunde zu legende Steuer nach der Leistungsgruppe, der der Arbeitslose zuzuordnen ist. Arbeitnehmer, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse V eingetragen ist, sind der Leistungsgruppe D zuzuordnen (§ 137 Abs 2 Nr 4 SGB III). Die Zuordnung richtet sich hierbei gemäß § 137 Abs 3 Satz 1 SGB III nach der Lohnsteuerklasse, die zu Beginn des Kalenderjahres eingetragen war, in dem der Anspruch entstanden ist. Da ein Wechsel der Lohnsteuerklasse erst mit Wirkung ab 1. Januar 2002 erfolgte, scheidet eine Anwendung des § 137 Abs 4 SGB III im hier streitigen Zeitraum aus.
Der Kläger kann höheres Alg auch nicht im Hinblick auf eine fehlerhafte Beratung durch Mitarbeiter der Beklagten anlässlich der Stellung des Antrags auf Alg beanspruchen. Das LSG hat ausdrücklich dahinstehen lassen, ob Mitarbeiter dem Kläger und seiner Ehefrau fehlerhafte Hinweise zur Bedeutung der auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Lohnsteuerklasse gegeben haben. Der Senat kann unabhängig von diesbezüglichen Feststellungen entscheiden, denn er hält an seiner bereits im Urteil vom 14. Juli 2004 (B 11 AL 80/03 R – veröffentlicht in juris) geäußerten Auffassung fest, dass ein Herstellungsanspruch im Zusammenhang mit einer fehlerhaften Beratung über die Lohnsteuerklassenwahl nicht eingreifen kann, wenn ein Lohnsteuerklassenwechsel von den Ehegatten nicht vorgenommen worden ist. Diese Entscheidung entspricht der Rechtsprechung beider für das Arbeitsförderungsrecht zuständiger Senate des BSG, wonach im Wege des Herstellungsanspruchs eine in die Lohnsteuerkarte eingetragene Lohnsteuerklasse nicht durch eine günstigere Steuerklasse ersetzt werden kann (BSG, Urteil vom 10. Dezember 1980 – 7 RAr 14/78, DBlR Nr 2639a zu § 113 AFG; BSG, Urteil vom 18. März 1982 – 7 RAr 11/81, DBlR Nr 2770a zu § 111 AFG; BSG, Urteil vom 30. Mai 1990 – 11 RAr 95/89, DBlR Nr 3731a zu § 113 AFG; BSG, Urteil vom 1. Juni 1994 – 7 RAr 86/93, DBlR Nr 4144a zu § 249b AFG). Mangels eines vorherigen Lohnsteuerklassenwechsels fehlt es an der Voraussetzung, dass der Nachteil durch eine vom Gesetz vorgesehene und zulässige Amtshandlung ausgeglichen werden kann.
Aus der vom Kläger angeführten Entscheidung des 7. Senats des BSG vom 1. April 2004 – B 7 AL 52/03 R – (BSGE 92, 267 = SozR 4-4300 § 137 Nr 1) folgt nichts anderes. In dieser Entscheidung hat der 7. Senat zu den Voraussetzungen des Herstellungsanspruchs gerade ausgeführt, im Bereich des “Steuerklassenwechsels” stehe die bisherige Rechtsprechung des BSG einem Herstellungsanspruch nicht entgegen. Denn der 7. Senat hat sich ausdrücklich darauf gestützt, dass in den zuvor vom BSG gegenteilig entschiedenen Fällen kein vorheriger Lohnsteuerklassenwechsel vorgenommen worden war. Damit fehlte – wie im jetzt zu entscheidenden Fall – eine Grundvoraussetzung dafür, eine andere als die eingetragene Lohnsteuerklasse der Leistungsberechnung zu Grunde zu legen.
Schließlich zwingen auch verfassungsrechtliche Gründe nicht zu einer abweichenden Beurteilung der Rechtslage. Denn die von der Revision angeführten verfassungsrechtlichen Bedenken beider für das Arbeitsförderungsrecht zuständiger Senate richten sich gegen das Regelungskonzept des § 137 Abs 4 Satz 1 SGB III (BSG SozR 3-4300 § 137 Nr 3; BSG SozR 4-4300 § 137 Nr 1). Die Zuordnung der Lohnsteuerklasse richtet sich im vorliegenden Fall jedoch nach § 137 Abs 3 Satz 1 SGB III und damit grundsätzlich nach den Verhältnissen vor bzw zum Zeitpunkt der Arbeitslosmeldung. Die Regelung entspricht im Übrigen der bereits vor dem Inkrafttreten des SGB III geltenden Rechtslage (§ 113 Abs 1 Satz 1 AFG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
AUR 2005, 239 |
info-also 2006, 25 |