Leitsatz (amtlich)
Einem als Arzt und Zahnarzt approbierten Facharzt für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie darf die Zulassung zur vertragszahnärztlichen Versorgung nicht deshalb versagt werden, weil er bereits zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist.
Stand:03. April 2000
Beteiligte
1. Kassenzahnärztliche Vereinigung Bayerns |
2. AOK Bayern – Die Gesundheitskasse |
3. Landesverband der Innungskrankenkassen in Bayern |
4. BKK-Landesverband Bayern |
5. Funktioneller Landesverband der Landwirtschaftlichen Krankenkassen und Pflegekassen in Bayern |
6. Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V |
7. Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e.V |
Berufungsausschuß für Zahnärzte -Bayern- |
Tenor
Die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen zu 1) gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. September 1998 werden zurückgewiesen.
Der Beklagte und die Beigeladene zu 1) haben dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten auch für das Revisionsverfahren als Gesamtschuldner zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Gründe
I
Streitig ist, ob der Kläger, der als Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurg (MKG-Chirurg) zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist, auch die Zulassung als Vertragszahnarzt beanspruchen kann.
Der 1961 geborene Kläger wurde 1989 als Zahnarzt und 1991 als Arzt approbiert sowie in das Arzt- und in das Zahnarztregister eingetragen. Er ist seit Februar 1996 berechtigt, die Facharztbezeichnung Facharzt für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie zu führen. Im März 1996 wurde er als MKG-Chirurg für den Vertragsarztsitz in A. zugelassen, wo er seit dem 1. April 1996 in einer vertragsärztlichen Gemeinschaftspraxis mit Dr. Dr. M. tätig ist, der ebenfalls MKG-Chirurg ist und sowohl zur vertragsärztlichen als auch zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen ist. Dieser erfüllt die Voraussetzungen der in Bayern für den Primärkassenbereich geltenden „Vereinbarung über die Vergütung für schwerbehandelbare bzw behinderte Patienten” und behandelt in erheblichem Umfang solche Patienten.
Den Antrag des Klägers vom März 1996 auf Zulassung (auch) als Vertragszahnarzt lehnte der Zulassungsausschuß für Zahnärzte ab. Seinen Widerspruch wies der beklagte Berufungsausschuß zurück (Bescheide vom 17. April und 26. September 1996). Zur Begründung wurde ausgeführt, Voraussetzung der Zulassung als Vertragszahnarzt sei nach § 20 Abs 1 Zulassungsverordnung für Vertragszahnärzte (Zahnärzte-ZV), daß der Zahnarzt im wesentlichen mit voller Arbeitskraft für die vertragszahnärztliche Versorgung zur Verfügung stehe. Diese Auslegung der Bestimmung ergebe sich aus dem Zusammenhang mit der 1980 eingeführten Bedarfsplanung und den 1993 geschaffenen Zulassungsbeschränkungen. Hier werde jeder Vertragszahnarzt als vollzeitig tätig mit dem Faktor 1 berücksichtigt. Bei einer gleichzeitigen Zulassung als Vertragsarzt sei diese Voraussetzung nicht erfüllt.
Das vom Kläger angerufene Sozialgericht (SG) hat den Beklagten unter Aufhebung der ablehnenden Bescheide verurteilt, ihn – den Kläger – als Vertragszahnarzt mit Sitz in A. zuzulassen (Urteil vom 25. Februar 1997). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufungen des Beklagten und der zu 1) beigeladenen Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZÄV) zurückgewiesen (Urteil vom 23. September 1998). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, der Kläger habe Anspruch auf Zulassung als Vertragszahnarzt. Zulassungsbeschränkungen bestünden in dem Planungsbereich A. nicht. Der Zulassung stehe § 20 Abs 1 Zahnärzte-ZV nicht entgegen. An der Möglichkeit der Doppelzulassung als Arzt und Zahnarzt, von der das Bundessozialgericht (BSG) bisher ausgehe, habe sich durch die seit 1993 geltenden Regelungen über Zulassungsbeschränkungen nichts geändert. Dies seien nur örtliche Zulassungssperren, die lediglich die Berufsausübung beträfen. Die vom Beklagten vorgenommene Auslegung des § 20 Abs 1 Zahnärzte-ZV sperre dagegen dem Zahnarzt das gesamte vertragszahnärztliche Tätigkeitsfeld. Sie bewirke damit einen schwereren Eingriff als die Zulassungsbeschränkungen und könne demgemäß nicht durch deren Einführung gerechtfertigt werden. Nach der Rechtsprechung zu Art 12 Grundgesetz (GG) könne der (zahn)ärztliche Status nur durch eine im Gesetz selbst getroffene Regelung beschränkt werden, nicht jedoch durch eine strengere Auslegung des § 20 Abs 1 Zahnärzte-ZV. Denkbar, aber bisher nicht realisiert sei die Lösung, den MKG-Chirurgen sowohl in der vertragsärztlichen als auch in der vertragszahnärztlichen Bedarfsplanung je zur Hälfte zu berücksichtigen, ähnlich der Regelung für das sog Job-Sharing in § 101 Abs 1 Nr 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).
Hiergegen richten sich die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen zu 1).
Die Beigeladene zu 1) macht geltend, für die strenge Auslegung des § 20 Abs 1 Zahnärzte-ZV spreche das Ziel der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung. Dies erfordere, daß sich die Ärzte mit dem überwiegenden Teil ihrer Arbeitskraft der vertragsärztlichen Versorgung widmeten. Für die Sicherstellung der oralchirurgischen Versorgung reiche es aus, wenn die MKG-Chirurgen als Vertragsärzte zugelassen seien. Soweit dies der Fall sei, greife bei ihnen der Schutz des Art 12 Abs 1 GG nicht in dem Maße ein wie in dem vom Senat entschiedenen Fall eines Pathologen (BSGE 81, 143), der das Begehren nach einer ersten Zulassung betroffen habe. Deshalb sei im vorliegenden Fall eine strengere Auslegung des § 20 Abs 1 Zahnärzte-ZV möglich, und dies sei wegen der erneut eingeführten Zulassungsbeschränkungen auch erforderlich. Die Unterschiede zwischen den heutigen und den früheren Zulassungsbegrenzungen seien in diesem Zusammenhang nicht erheblich. Das Berufungsurteil leide ferner an einem Verfahrensfehler. Das LSG hätte ermitteln müssen, in welchem zeitlichen Umfang der Kläger für die vertragszahnärztliche Versorgung zur Verfügung stehe. Dann hätte es festgestellt, daß er die ihm im Saarland genehmigte Halbtagstätigkeit in einer Vertragszahnarztpraxis nur alle zwei Wochen für einen Tag (freitags) ausübe. Der Kläger könne also offenbar seine vertragsärztliche Tätigkeit nicht verringern, mithin auch nach der von ihm angekündigten Aufgabe seiner Stelle im Saarland für die vertragszahnärztliche Versorgung im Planungsbereich A. nicht ausreichend zur Verfügung stehen. Verwerfungen wären im übrigen nicht nur für die Bedarfsplanung, sondern auch insofern zu befürchten, als die Doppeltzugelassenen wohl je einen Arzt und einen Zahnarzt anstellen könnten. Problematisch seien auch die Folgen für effektive Wirtschaftlichkeitsprüfungen durch Aufspaltung der Abrechnung in einen vertragsärztlichen und einen vertragszahnärztlichen Teil.
Der Beklagte bezieht sich zur Begründung seiner Revision auf die Ausführungen der Beigeladenen zu 1).
Der Beklagte und die Beigeladene zu 1) beantragen,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. September 1998 und des Sozialgerichts Nürnberg vom 25. Februar 1997 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen zu 1) zurückzuweisen.
Er macht geltend, die Revision des Beklagten sei bereits unzulässig. Für deren formgerechte Begründung reiche die schlichte Bezugnahme auf die Revisionsbegründung eines anderen Beteiligten nicht aus. Die Revision sei im übrigen ebensowenig wie diejenige der Beigeladenen zu 1) begründet. Zur Gesamtproblematik sei darauf hinzuweisen, daß die mehr als 400 niedergelassenen MKG-Chirurgen in Deutschland, die sowohl die ärztliche als auch die zahnärztliche Qualifikation hätten, – außer neuerdings in Bayern – sowohl als Vertragsarzt als auch als Vertragszahnarzt zugelassen seien. Die vornehmlich an Krankenhäusern tätigen MKG-Chirurgen, die ermächtigt seien, hätten durchweg eine ärztliche und eine zahnärztliche Ermächtigung. Die aus der ehemaligen DDR stammenden Fachzahnärzte für Kieferchirurgie erhielten außer der Approbation und Zulassung als (Vertrags-)Zahnarzt auch die unbefristete Erlaubnis zur Ausübung ärztlicher Tätigkeiten auf ihrem Gebiet und – auf Antrag, ohne Bedarfsprüfung – zudem die Ermächtigung zur vertragsärztlichen Tätigkeit. Die Doppelzulassung sei seit dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 4. Juni 1964 (BSGE 21, 118) allgemein üblich. Die Versagung der Zulassung als Vertragszahnarzt werde nur in Bayern praktiziert und beruhe auf berufspolitischen Auseinandersetzungen zwischen den doppeltzugelassenen MKG-Chirurgen und den Zahnärzten, die ihr Budget durch deren Abrechnungen belastet sähen. Der Zulassung könne § 20 Abs 1 Zahnärzte-ZV nicht entgegengehalten werden. Nachdem im Urteil BSGE 21, 118 sogar einem praktischen Arzt und Zahnarzt beide Zulassungen bewilligt worden seien, müsse dies erst recht für MKG-Chirurgen gelten, deren ärztliche und zahnärztliche Tätigkeit miteinander verknüpft sei. Zur Versagung der Doppelzulassung reichten Abrechnungsprobleme nicht aus. Der bei der Beigeladenen zu 1) gebildete Ausschuß zum Thema „Doppelapprobation” habe beklagt, daß die MKG-Chirurgen ihr Abrechnungsvolumen im zahnärztlichen konservierend-chirurgischen Bereich von 4,5 Mio DM im Quartal III/1993 auf 7 Mio DM im Quartal II/1994 ausgeweitet hätten, indem sie die Abrechnung mancher Leistungen wegen des im vertragsärztlichen Bereich rapide gefallenen Punktwertes in den vertragszahnärztlichen verlagert hätten. Dies reiche aber als Grund für eine Versagung der Zulassung als Vertragszahnarzt nicht aus.
Die Beigeladenen zu 2), 4), 6) und 7) haben sich der Auffassung des Klägers angeschlossen.
II
Die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen zu 1) sind zulässig, aber unbegründet.
Der Einwand des Klägers, der Beklagte habe seine Revision nicht entsprechend den Anforderungen des § 164 Abs 2 Sätze 1 und 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) begründet, greift nicht durch. Die Bezugnahme auf die ordnungsgemäße Begründung eines anderen Beteiligten des Revisionsverfahrens reicht jedenfalls dann aus, wenn beide Beteiligte dasselbe Prozeßziel verfolgen und dieselben Anträge stellen, wie das hier der Fall ist (vgl BSGE 78, 98, 100 = SozR 3-2500 § 87 Nr 12 S 35/36 mwN).
Die Revision der Beigeladenen zu 1) ist ebenfalls zulässig. Die materielle Beschwer ist gegeben. Die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen (K[Z]ÄVen) sind, wie der Senat entschieden hat, unabhängig vom Nachweis einer konkreten Beschwer im Einzelfall oder eines konkreten rechtlichen Interesses befugt, die Entscheidungen der Zulassungs- und Berufungsausschüsse anzufechten. Dies folgt daraus, daß sie aufgrund des Sicherstellungsauftrages gemäß § 75 Abs 1 SGB V die Mitverantwortung für eine den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entsprechende Durchführung der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung haben (BSGE 78, 284, 285 = SozR 3-2500 § 311 Nr 4 S 24; zuletzt Urteil vom 9. Juni 1999 - B 6 KA 76/97 R -, zur Veröffentlichung in SozR 3-5520 § 44 Nr 1 vorgesehen).
Die Revisionen sind aber unbegründet. Wie die Vorinstanzen zu Recht ausgeführt haben, hat der Kläger einen Rechtsanspruch auf Zulassung auch zur vertragszahnärztlichen Versorgung.
Der Kläger ist – auch – approbierter Zahnarzt. Als solcher erfüllt er die Zulassungsvoraussetzungen gemäß § 95 Abs 1 und 2, § 98 SGB V, §§ 17, 18 Zahnärzte-ZV. Zulassungsbeschränkungen wegen Überversorgung (§ 19 Abs 1 Satz 2 Zahnärzte-ZV iVm §§ 99 ff SGB V, §§ 12 ff, 16b Zahnärzte-ZV), die auch im Falle von MKG-Chirurgen einer Zulassung entgegenstehen würden, sind im Planungsbereich A. nicht angeordnet worden. Dies ist im Berufungsurteil festgestellt worden.
Angesichts der grundrechtlichen Gewährleistung der Berufsfreiheit in Art 12 Abs 1 GG, die nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden darf, kann einem MKG-Chirurgen die Doppelzulassung als Vertragsarzt und -zahnarzt ohne normative Grundlage nicht verwehrt werden (s BSGE 81, 143, 145 = SozR 3-200 § 95 Nr 16 S 51; BSGE 76, 59, 61 = SozR 3-5520 § 20 Nr 1 S 4; vgl auch zB BVerfGE 98, 49, 53 ff; 54, 224, 235 f). Der Schutz dieses Grundrechts erstreckt sich auf jede berufliche Betätigung, auch auf die Betätigung in einem zweiten Beruf (BVerfGE 87, 287, 316; vgl auch BVerfGE 82, 18, 27). Er gilt ebenso für Betätigungen, bei denen zwei Berufsfelder miteinander zu einem eigenständigen Berufsbild verbunden werden, wie das bei der MKG-Chirurgie durch die ärztliche und zahnärztliche Tätigkeit der Fall ist.
Zum Berufsbild des MKG-Chirurgen gehört es, daß er in seiner Praxis ärztliche und zahnärztliche Tätigkeiten anbietet und ausübt. MKG-Chirurgen müssen seit 75 Jahren sowohl ärztlich als auch zahnärztlich ausgebildet sein. Schon die vom 43. Deutschen Ärztetage am 21. Juni 1924 in Bremen als Richtlinien beschlossenen „Leitsätze zur Facharztfrage” bestimmten, daß für die Fachärzte für Zahn-, Kiefer- und Mundkrankheiten ebenfalls die Approbation als Zahnarzt erforderlich ist (Ärztliches Vereinsblatt für Deutschland Nr 1317 vom 11. August 1924, Abschnitt I a Nr 10). Dies ist in der Folgezeit weitergeführt worden (s zB § 30 Abs 2 der Berufsordnung für die deutschen Ärzte von 1937, DÄ 1937, 1031; § 25 Abs 3 Nr 9 der Berufsordnung für die deutschen Ärzte in der vom 59. Deutschen Ärztetag beschlossenen Fassung, Ärztl Mitteilungen 1956, 943; § 3 Abs 1 Halbsatz 2 der Muster-Weiterbildungsordnung ≪Muster-WBO≫ in der vom 79. Deutschen Ärztetag beschlossenen Fassung, DÄ 1976, 1562, mit Erstreckung auf die Gesichtschirurgie; § 3 Abs 1 Halbsatz 2 der Muster-WBO in der vom 90. Deutschen Ärztetag beschlossenen Fassung, Beiheft zum DÄ 1987). Auch nach der neuesten Muster-WBO (§ 4 Abs 1 Halbsatz 2 der vom 95. Deutschen Ärztetag 1992 in Köln beschlossenen Fassung, Beiheft zum DÄ 1992) setzt die Weiterbildung zum MKG-Chirurgen die Approbation zugleich als Zahnarzt voraus oder entsprechend § 1 Abs 1 Satz 3 des Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde (vom 31. März 1952, BGBl I 221, mit späteren Änderungen) die Erlaubnis zur Ausübung des zahnärztlichen Berufes. Gleiches bestimmen die Weiterbildungsvorschriften der Länder (vgl vorliegend § 4 Abs 1 Halbsatz 2 der Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns idF vom 11. Oktober 1998). Die Doppelqualifikation ist Ausdruck des gewachsenen Berufsbildes. Dessen Besonderheit besteht darin, daß die MKG-Chirurgie die Bereiche der Chirurgie und der Zahnheilkunde zu einem einheitlichen Beruf verbindet (vgl zB Schwipper/Pfeifer in: Koslowski/Bushe ua ≪Hrsg≫, Die Chirurgie, 3. Aufl 1999, Kapitel 27, S 335; Spiessl in: Allgöwer/Siebert ≪Hrsg≫, Chirurgie, 5. Aufl 1992, Kapitel 22, S 541). Die Berufsausübung schließt typischerweise auch Leistungen ein, die nur Zahnärzte erbringen dürfen. So kann es medizinisch geboten oder jedenfalls sinnvoll sein und im Interesse der Patienten liegen, daß der MKG-Chirurg, bei dem ein Patient für einen chirurgischen Eingriff narkotisiert worden ist, ebenfalls fällige zahnärztliche Behandlungen vornimmt, die sonst eine erneute Anästhesie des Patienten erfordern würden. Dies gilt in besonderem Maße bei der Behandlung von Kindern und schwerbehandelbaren Erwachsenen.
Das gewachsene Berufsbild des MKG-Chirurgen ist nach allem durch die Doppelqualifikation und durch die Gestattung sowohl der ärztlichen als auch der zahnärztlichen Berufsausübung geprägt. Ihm wird im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung auf der Ebene der Zulassung grundsätzlich dadurch Rechnung getragen, daß MKG-Chirurgen typischerweise sowohl zur vertragsärztlichen als auch zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen werden. Nur ausnahmsweise gab es Regelungen, durch die jede Art von Doppelzulassungen von Ärzten und Zahnärzten ausgeschlossen waren (so die Zulassungsordnung von 1937 sowie nach 1945 das Bayerische Zulassungsgesetz und die Zulassungsordnungen in weiteren Ländern, vgl Sievers, Das Zulassungsrecht, 3. Aufl 1954, § 16). Den Ausschluß der Doppelzulassung in der Nachkriegszeit hatte der erkennende Senat angesichts der damaligen besonderen Situation im Grundsatz als rechtens angesehen (vgl – betr Berlin – BSGE 5, 40, 46, mit Ausnahmen für sog Alt-Zugelassene aufgrund Bestandsschutzes, ebenda S 46 ff; vgl auch BSGE 5, 246, 248 f). Ob ein solcher Ausschluß der Doppelzulassung auch gegenüber MKG-Chirurgen hätte durchgreifen können, war damals nicht zu entscheiden, weil die betreffenden Kläger keine MKG-Chirurgen waren.
Auch nach dem Verständnis der Partner der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen im vertragsärztlichen Bereich schlägt die Doppelqualifikation der MKG-Chirurgen als Arzt und Zahnarzt in eine Berechtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen und an der vertragszahnärztlichen Versorgung um. Dies belegt das Beispiel der in der früheren DDR ausgebildeten Fachzahnärzte für Kieferchirurgie, die neben der zahnärztlichen auch über eine ärztliche Ausbildung verfügten, als Ärzte aber nicht approbiert waren. Sie erhalten außer der Approbation und Zulassung als (Vertrags-)Zahnarzt gleichfalls die Erlaubnis zur Ausübung ärztlicher Tätigkeiten (§ 10a Abs 1 Bundesärzteordnung) und zudem die Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung (§ 6 Abs 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte, eingefügt auf der Grundlage des § 31 Abs 2 Ärzte-ZV).
Entgegen der Auffassung der Revisionsführer steht § 20 Abs 1 Zahnärzte-ZV der Zulassung des Klägers als Vertragszahnarzt nicht entgegen. Danach ist für die Ausübung vertragszahnärztlicher Tätigkeit nicht geeignet ein Zahnarzt, der wegen eines Beschäftigungsverhältnisses oder wegen anderer nicht ehrenamtlicher Tätigkeit für die Versorgung der Versicherten persönlich nicht in dem erforderlichen Maße zur Verfügung steht.
Die Regelung, die außer in § 20 Abs 1 Zahnärzte-ZV auch in § 20 Abs 1 Ärzte-ZV enthalten ist, gab es ebenso in den bis 1988 gültigen Bestimmungen des § 20 Abs 1 Zulassungsordnung für Kassenzahnärzte (ZO-Zahnärzte) und des § 20 Abs 1 Zulassungsordnung für Kassenärzte (so die Bezeichnungen bis zum Gesundheits-Reformgesetz vom 20. Dezember 1988, BGBl I 2477, s dort Art 18 Nr 1 und Art 19 Nr 1). Diese Vorschriften wurden bis Anfang der 60er Jahre – unter der Geltung eines Zulassungssystems, das eine durch Verhältniszahlen festgelegte strikte Begrenzung der Zahl der Kassenarztsitze vorsah – dahin ausgelegt, daß sich der Arzt bzw Zahnarzt mit dem überwiegenden Teil seiner Arbeitskraft der kassen(zahn)ärztlichen Versorgung widmen müsse (vgl Jantz/Prange, Das gesamte Kassenarztrecht, Kommentar, Stand: August 1961, Kapitel E. II. § 20 Anm II 1 b; Liebold/Zalewski, Kassenarztrecht, 5. Aufl, Bd II, Stand: Januar 1993, ZO § 20 Anm 2 ≪RdNr E 111≫). Von dieser Auslegung ist auch noch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner Entscheidung vom 23. Juli 1963 ausgegangen (BVerfGE 16, 286, 298), ohne daß es sie aber als verfassungsrechtlich geboten oä bezeichnet hätte.
Im Hinblick darauf, daß das BVerfG in seinen Entscheidungen von 1960 und 1961 die Vorschriften über die Zulassungsbeschränkung als nichtig beurteilt hatte (BVerfGE 12, 144, 151 iVm BVerfGE 11, 30, 49), fordert der erkennende Senat seit seinem Urteil vom 4. Juni 1964 (BSGE 21, 118, 121 f = SozR Nr 1 zu § 20 ZO-Zahnärzte) lediglich, daß der Arzt bzw Zahnarzt bereit und in der Lage sein muß, die kassen- bzw vertrags(zahn)ärztliche Tätigkeit – insbesondere durch Abhaltung von Sprechstunden – im üblichen Umfang auszuüben (vgl auch BSGE 26, 13, 14 f = SozR Nr 2 zu § 20 ZO-Zahnärzte; BSGE 35, 247, 249 = SozR Nr 1 zu § 5 EKV-Ärzte; BSG SozR 5520 § 20 Nr 1 S 2; BSGE 44, 260, 263 f = SozR 2200 § 368n Nr 13 S 41 f; BSGE 81, 143, 149 = SozR 3-2500 § 95 Nr 16 S 56). An dieser Rechtsprechung wird nach erneuter Überprüfung festgehalten.
Ein Einwand gegen diese Auslegung läßt sich nicht daraus herleiten, daß es seit 1980 erneut eine Bedarfsplanung und seit 1993 wieder Zulassungsbeschränkungen gibt. Die Revisionsführer machen insoweit geltend, der Senat habe in dem angeführten Urteil vom 4. Juni 1964 die frühere Forderung nach im wesentlichen vollem Einsatz der Arbeitskraft für die vertrags(zahn)ärztliche Versorgung aufgrund der Nichtigerklärung des Systems der Bedarfszulassung (s BVerfGE 11, 30 und BVerfGE 12, 144) fallengelassen. Da die Zulassung erneut nach Maßgabe von Verhältniszahlen beschränkt sei, müßten jetzt wieder die früheren Anforderungen gelten. Diese Argumentation überzeugt aus mehreren Gründen nicht. Anders als dem früheren Zulassungssystem liegt dem 1993 eingeführten nicht die Annahme zugrunde, daß jeder zugelassene Arzt bzw Zahnarzt mit voller Arbeitskraft arbeite. Die heutigen Verhältniszahlen (§ 101 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V) gehen als Basis von den Arzt- und Zahnarztzahlen am 31. Dezember 1990 aus (§ 101 Abs 1 Satz 3 SGB V), so daß – entsprechend dem Versorgungsstand in diesem Zeitpunkt – eine Vielzahl nicht mit voller Arbeitskraft tätiger Ärzte und Zahnärzte eingerechnet ist. Ein weiterer Unterschied des heutigen Zulassungssystems gegenüber dem früheren ergibt sich daraus, daß heute nicht flächendeckend die Zulassung nach Maßgabe der Verhältniszahlen beschränkt ist. Es handelt sich vielmehr um eine versorgungsgradabhängige Bedarfsplanung mit nur örtlichen Zulassungssperren und einer ausreichenden Mindestzahl nicht gesperrter Planungsbereiche (§ 101 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB V). Dadurch liegt lediglich eine Regelung der Berufsausübung vor, die einer Beschränkung der Berufswahl nicht einmal nahekommt (BSGE 82, 41, 43 f = SozR 3-2500 § 103 Nr 2 S 12 f). Da dieses Zulassungssystem mithin weniger strikt ist als das bis 1961 gültig gewesene, kann nicht gefordert werden, § 20 Abs 1 Zahnärzte-ZV müsse wieder ebenso eng ausgelegt werden, wie der entsprechende § 20 Abs 1 ZO-Zahnärzte in der Zeit des früheren Systems ausgelegt worden war. Eventuelle Verwerfungen im Bedarfsplanungsrecht durch den Anrechnungsfaktor von 1,0, der auch für MKG-Chirurgen gilt, die – sofern Zulassungsbeschränkungen nicht bestehen – auch als Vertragszahnärzte zuzulassen sind, stellen ebenfalls keinen ausreichenden Grund für eine bestimmte Auslegung des § 20 Abs 1 Zahnärzte-ZV dar, weil es sich um verschiedene Regelungskomplexe handelt. Wenn sich die in der Bedarfsplanung geregelte schematische Bewertung zugelassener Ärzte und Zahnärzte mit dem Faktor von 1,0 als nicht sachgerecht erweisen sollte, kann darauf grundsätzlich nur die Forderung nach Änderung dieser Regelung selbst, nicht aber die nach der Versagung der Zulassung für MKG-Chirurgen auch als Zahnärzte gestützt werden.
Die Ansicht, der Arzt bzw Zahnarzt müsse sich im wesentlichen mit seiner vollen Arbeitskraft der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung widmen, läßt sich auch nicht durch den Hinweis auf die Verpflichtung zur Sicherstellung der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung gemäß § 75 Abs 1 Satz 1 SGB V rechtfertigen. Es ist nicht gesetzlich vorgegeben, die Sicherstellung gerade dadurch zu erreichen, daß nur Ärzte und Zahnärzte zugelassen werden, die sich nicht nur mit der üblichen, sondern im wesentlichen mit voller Arbeitskraft der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung widmen. Vielmehr sehen die rechtlichen Bestimmungen ein differenziertes Instrumentarium zur Sicherstellung der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung vor. Im Fall von Versorgungslücken können zB Ermächtigungen und Sonderbedarfszulassungen erteilt werden (vgl hierzu § 116 SGB V, § 31, § 31a Zahnärzte-ZV, Abschnitt F 2 der Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen über die Bedarfsplanung in der zahnärztlichen Versorgung ≪Bedarfsplanungs-Richtlinien Zahnärzte≫ idF vom 24. Juli 1998, BAnz Nr 177 vom 22. September 1998, S 14091).
Nach alledem besteht kein Grund, die vom erkennenden Senat seit dem Urteil vom 4. Juni 1964 praktizierte Auslegung des § 20 Abs 1 Zahnärzte-ZV wieder aufzugeben. Es ist daran festzuhalten, daß ein Zahnarzt für die Versorgung der Versicherten schon dann in dem erforderlichen Maße zur Verfügung steht, wenn er bereit und in der Lage ist, die vertrags(zahn)ärztliche Tätigkeit – insbesondere durch Abhaltung von Sprechstunden – im üblichen Umfang auszuüben (BSGE 21, 118, 121 f = SozR Nr 1 zu § 20 ZO-Zahnärzte; zuletzt BSGE 81, 143, 149 = SozR 3-2500 § 95 Nr 16 S 56). Dies berücksichtigt in angemessener Weise die Interessen und den grundrechtlichen Schutz der Berufsfreiheit (Art 12 Abs 1 GG) auch solcher (Zahn)Ärzte und (Zahn)Ärztinnen, die zB wegen Kindererziehung nicht in der Lage sind, sich der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung mit voller Arbeitskraft zu widmen.
Das Erfordernis, im üblichen Umfang für die vertragszahnärztliche Tätigkeit zur Verfügung zu stehen, ist bei MKG-Chirurgen – ungeachtet ihrer Tätigkeit auch im vertragsärztlichen Bereich – typischerweise erfüllt. Bei ihnen sind die ärztlichen und zahnärztlichen Tätigkeiten miteinander verknüpft. In ihrer Praxis stehen sie jederzeit für die gerade gefragte Tätigkeit zur Verfügung (s hierzu zB Schallen, Zulassungsverordnung für Vertragsärzte / Vertragszahnärzte, 2. Aufl 1998, § 20 RdNr 255). Nur wenn im Einzelfall besondere gegenteilige Anhaltspunkte vorlägen, könnte einem MKG-Chirurgen unter Berufung auf § 20 Abs 1 Zahnärzte-ZV die vertragszahnärztliche Zulassung neben der vertragsärztlichen versagt werden. Derartige Umstände sind weder vom Berufungsgericht festgestellt noch von einem der Beteiligten geltend gemacht worden. Daß der Kläger bisher im Saarland die ihm genehmigte Halbtagstätigkeit als angestellter Zahnarzt nur alle zwei Wochen an einem Tag ausübte, kann seine ausreichende Verfügbarkeit für die vertragszahnärztliche Tätigkeit im Planungsbereich A. nicht in Frage stellen. Die insoweit von der Beigeladenen zu 1) erhobene Verfahrensrüge mangelnder Aufklärung ist daher unbegründet.
Der Zulassung des Klägers steht im übrigen auch nicht die Regelung des Abs 2 des § 20 Zahnärzte-ZV entgegen. Danach wird die Zulassung durch die Ausübung einer anderweitigen damit unvereinbaren zahnärztlichen Tätigkeit gehindert. Nach diesem Wortlaut sind an sich nur anderweitige zahn ärztliche Tätigkeiten relevant, mithin nur Interessen- oder Pflichtenkollisionen (vgl hierzu BSGE 81, 143, 147 = SozR 3-2500 § 95 Nr 16 S 53 f) aufgrund anderweitiger zahnärztlicher Tätigkeit. Aber auch bei sinngemäßer Anwendung auf anderweitige ärztliche Tätigkeiten ergäbe sich kein Zulassungshindernis. Denn beim MKG-Chirurgen gehören – wie dargelegt – die ärztlichen und zahnärztlichen Tätigkeiten zusammen.
Eine Interessen- und Pflichtenkollision kann auch nicht damit begründet werden, daß durch die Befugnis, im vertragsärztlichen und/oder vertragszahnärztlichen Bereich abzurechnen, die Kontrolle der Abrechnungen auf Richtigkeit und Wirtschaftlichkeit schwierig sein kann sowie uU Budget-Regelungen und Fallwertbegrenzungen uä umgangen werden können. Die Möglichkeit, Leistungen sowohl bei der KÄV als auch bei der KZÄV abzurechnen, macht die Abrechnungskontrolle zwar uU problematisch (vgl BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 36 S 204 f; – s auch LSG Baden-Württemberg MedR 1996, 476 und BSG, Beschluß vom 8. Mai 1996 - 6 BKa 67/95 -), kann aber ohne entsprechende normative Regelung nicht zur Versagung der zweiten Zulassung berechtigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
BSGE, 145 |
MedR 2000, 282 |
ZAuR 2000, 156 |
ZAuR 2001, 13 |