Entscheidungsstichwort (Thema)
Altersrente. Änderung des Geburtsdatums. Angehörige eines anderen EU-Mitgliedstaates. Anwendbarkeit des § 33a SGB 1 im laufenden Verfahren. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Für Angehörige eines anderen EU-Mitgliedstaats (hier: Griechenland) ist das bei Eintritt in die deutsche Rentenversicherung angegebene Geburtsdatum für den Bezug einer altersabhängigen Sozialleistung grundsätzlich auch dann maßgebend, wenn der Antrag auf diese Sozialleistung vor Rechtsänderung zum 1.1.1998 gestellt und das Verfahren zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestandskräftig abgeschlossen worden ist.
Normenkette
SGB I § 33a Abs. 1, § 37; SGB VI § 39 Fassung: 1989-12-18; SGB3uaÄndG 1 Art. 2; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 23. April 2003 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über einen früheren Beginn des Altersruhegeldes der Klägerin wegen Vollendung des 60. Lebensjahres für weibliche Versicherte. Streitig ist insbesondere, ob für die Rentengewährung das durch ein Urteil in Griechenland geänderte – frühere – Geburtsdatum der Klägerin zugrunde zu legen ist.
Die in Griechenland geborene Klägerin griechischer Nationalität lebt seit 1966 in Deutschland. Im Bürgerregister ihrer Heimatgemeinde in Griechenland war ursprünglich als ihr Geburtsdatum der 3. Dezember 1933 registriert; die Angabe ihres Geburtsjahres 1933 gegenüber ihren hiesigen Arbeitgebern nach Einreise in die Bundesrepublik Deutschland führte bei der Beklagten dazu, dass die Versicherungsnummer 19 100033 Z 503 zunächst als einzige Versicherungsnummer vergeben wurde.
Auf ihren in Griechenland im Jahre 1986 gestellten Antrag änderte das Einzelrichterlandgericht Trikala mit Urteil 223/1986 vom 19. März 1986 das Geburtsdatum der Klägerin auf den 20. Februar 1929. In der Begründung des Urteils wird darauf abgestellt, dass wegen Zerstörung des Archivs und der Standesamtsbücher der Heimatgemeinde der Klägerin keine standesamtlichen Geburtsurkunden vorhanden seien, nach Bestätigung des Gemeindepfarrers aufgrund zweier Zeugen aber feststehe, dass die Klägerin am 20. Februar 1929 geboren und am 25. April 1929 getauft worden sei.
Ihren am 19. Dezember 1988 gestellten Antrag auf Gewährung von Altersruhegeld für weibliche Versicherte ab dem 60. Lebensjahr lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29. Februar 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. August 1991 ab, weil trotz der geänderten Dokumente davon ausgegangen werden müsse, dass die Klägerin erst 1933 geboren worden sei. Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht Hamburg (SG) den Rechtsstreit ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) die Rechtsfrage vorgelegt, ob und inwieweit das Gemeinschaftsrecht die deutschen Versicherungsträger und Gerichte dahingehend binde, dass ausländische Personenstandsurkunden sowie ausländische Gerichtsurteile, die Personenstandsdaten feststellten oder berichtigten, in Verfahren über sozialrechtliche Leistungsansprüche verbindlich seien.
Mit Urteil vom 2. Dezember 1997 (C-336/94 – EuGHE I 1997, 6761-6782 = SozR 3-7670 § 66 Nr 1) hat der EuGH die nationalen Sozialversicherungsträger und Gerichte eines Mitgliedstaats für verpflichtet gehalten, in Verfahren über sozialrechtliche Leistungsansprüche eines Wanderarbeitnehmers aus der Gemeinschaft die von zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten ausgestellten Urkunden und ähnliche Schriftstücke über den Personenstand zu beachten, sofern deren Richtigkeit nicht durch konkrete, auf den jeweiligen Einzelfall bezogene Anhaltspunkte ernstlich in Frage gestellt sei.
Das SG hat mit Urteil vom 20. Juni 2000 wegen erheblicher Zweifel hinsichtlich der Richtigkeit des früheren Geburtsdatums die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht Hamburg (LSG) hat die Berufung der Klägerin durch Urteil vom 23. April 2003 zurückgewiesen und zur Begründung maßgeblich auf den zum 1. Januar 1998 in Kraft getretenen § 33a des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) abgestellt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Anwendbarkeit dieser Vorschrift folge aus den Grundsätzen des intertemporären Verfahrensrechts, wonach eine verfahrensrechtliche Regelung alle im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens anhängigen Verfahren erfasse, es sei denn, aus einer Übergangsregelung ergebe sich etwas anderes. § 33a SGB I sei eine Beweisregel, welche die Prüfung des zutreffenden Geburtsdatums vereinfachen solle. Da eine Übergangsregelung nicht getroffen worden sei – eine solche sei in der Gesetzesbegründung nicht für erforderlich gehalten worden –, würden alle nicht bestandskräftigen Verwaltungsakte mit Dauerwirkung (zB Rentenbescheide) gemäß § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) von der Neuregelung erfasst. § 33a SGB I sei auch nicht auf Rechtsstreitigkeiten von Angehörigen anderer Staaten als der Mitgliedstaaten der EG beschränkt. Aus europarechtlichen Gesichtspunkten gebe es keine Gründe gegen die Anwendbarkeit der Regelung auch auf den Fall der Klägerin. Die Regelung verstoße zudem nicht gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes; der Klägerin werde keine günstigere verfahrensrechtliche Rechtsposition genommen, weil sie auch unter Anwendung der bisherigen Rechtsprechung der deutschen Gerichte (insbesondere Urteil des Bundessozialgerichts ≪BSG≫ vom 12. Dezember 1995 – 5 RJ 26/94 – BSGE 77, 140 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 12) einen Anspruch auf einen früheren Beginn ihres Altersruhegeldes nicht hätte durchsetzen können.
In Anwendung des § 33a Abs 1 SGB I sei aber das Geburtsdatum maßgebend, welches sich aus der ersten Angabe des Berechtigten gegenüber einem Sozialleistungsträger ergebe. Die in Absatz 2 der Vorschrift geregelten Ausnahmefälle (Schreibfehler; eine vor dem Zeitpunkt der Angabe ausgestellte Originalurkunde mit anderem Geburtsdatum) träfen auf die Klägerin nicht zu. Wegen der Anwendbarkeit des § 33a Abs 1 SGB I sei eine weitergehende Prüfung hinsichtlich der Richtigkeit des Geburtsdatums 1933 nicht mehr vorzunehmen.
Lediglich ergänzend hat das LSG darauf hingewiesen, dass die Berufung der Klägerin auch ohne Anwendung des § 33a SGB I keinen Erfolg haben würde.
Seit dem 1. Januar 1994 bezieht die Klägerin Altersrente für Frauen nach Vollendung des 60. Lebensjahres von der Beklagten (Bescheid vom 15. August 1995).
Mit der vom LSG zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Ziel eines früheren Beginns des Altersruhegeldes (der Altersrente) wegen Vollendung des 60. Lebensjahres weiter. Sie rügt die fehlerhafte Anwendung des § 33a SGB I und führt im Einzelnen aus: § 33a SGB I sei – entgegen seiner Qualifikation durch das LSG – keine rein “verfahrensrechtliche” Regelung. Seine Anwendung verstoße zudem im vorliegenden Fall gegen vorrangiges europäisches Recht. Denn das Vorabentscheidungsurteil des EuGH vom 2. Dezember 1997 (C-336/94 – EuGHE I 1997, 6761-6782 = SozR 3-7670 § 66 Nr 1) binde das vorliegende Gericht und auch jedes andere Gericht, das in demselben Rechtsstreit zu entscheiden habe. Insoweit habe der EuGH rechtskräftig entschieden. Diese Bindungswirkung (Rechtskraft) der EuGH-Entscheidung könne nicht durch ein neues nationales Gesetz außer Kraft gesetzt werden. Durch die rückwirkende Anwendung des § 33a SGB I verstoße das angefochtene Urteil auch gegen die europarechtlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Vor dem Inkrafttreten des § 33a SGB I habe sie, die Klägerin, darauf vertrauen können, dass in der deutschen Sozialversicherung bei der Gewährung von Altersruhegeld ihr tatsächliches Geburtsdatum zugrun-de gelegt werde bzw der Nachweis einer Unrichtigkeit des ursprünglich angegebenen Ge-burtsdatums zulässig sei. Daher sei es unzulässig, wenn jetzt an frühere Angaben zum Geburtsdatum angeknüpft werde, die seinerzeit unter anderen Voraussetzungen gemacht worden seien.
Indem das LSG § 33a SGB I anwende, unterlasse es die von Amts wegen gebotene Sachaufklärung (§ 103 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Das angefochtene Urteil leide an einem Verfahrensmangel, weil das LSG aufgrund einer unzulässigen vorweggenommenen Beweiswürdigung (§ 128 SGG) entschieden habe.
Das Urteil des LSG verkenne nicht nur den Vorrang der Entscheidung des EuGH iS des Art 101 Abs 1 Satz 2 Grundgesetz (GG). Die Entscheidung verstoße auch gegen Art 14 GG, weil durch die Anwendung des § 33a SGB I in eine eigentumsrechtlich geschützte rentenversicherungsmäßige Rechtsposition eingegriffen werde, obwohl dies durch die postulierte Zielrichtung des § 33a SGB I nicht gerechtfertigt sei. Verstoßen habe das LSG ferner gegen das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs, weil das LSG die Anwendbarkeit des § 33a SGB I auch auf diesen Fall erst im Termin zur mündlichen Verhandlung offenbart habe, so dass von Seiten der Klägerin keine fundierte Argumentationsmöglichkeit hiergegen bestanden habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 23. April 2003 und das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 20. Juni 2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. Februar 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. August 1991 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 15. August 1995 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr Altersruhegeld für Frauen bereits ab dem 1. März 1989 zu gewähren,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen,
weiter hilfsweise,
den Rechtsstreit auszusetzen und dem EuGH zur Frage der Anwendbarkeit des § 33a SGB I vorzulegen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision ist nicht begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von Altersrente (Altersruhegeld) wegen Vollendung des 60. Lebensjahres für weibliche Versicherte vor dem 1. Januar 1994. Bei Bewilligung der Rente ist die Beklagte zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin erst 1933 geboren worden ist.
Gemäß § 39 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der hier noch anwendbaren, bis zum 31. Dezember 1995 gültigen Fassung (alte Fassung – aF) haben versicherte Frauen Anspruch auf Altersrente (Altersrente für Frauen), wenn sie ua das 60. Lebensjahr vollendet haben. Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, hat die Klägerin unter Zugrundelegung eines Geburtsdatums am 3. Dezember 1933 das 60. Lebensjahr am 2. Dezember 1993 vollendet. Nach § 99 Abs 1 Satz 1 SGB VI wird die Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ablauf des dritten Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Da die Klägerin die Altersrente für Frauen bereits im Dezember 1988 beantragt hat, besteht der Rentenanspruch ab Januar 1994.
Bei der Bestimmung des Alters der Klägerin als Anspruchsvoraussetzung für die Altersrente für Frauen nach § 39 SGB VI aF sind Beklagte und LSG zutreffend von den Angaben der Klägerin ausgegangen, die diese bei Eintritt in das Erwerbsleben in Deutschland gemacht hat. Denn gemäß § 33a Abs 1 SGB I ist grundsätzlich das Geburtsdatum maßgebend, das sich aus der ersten Angabe des Berechtigten gegenüber einem Sozialleistungsträger oder, soweit es sich um eine Angabe im Rahmen des Dritten oder Sechsten Abschnitts des Vierten Buches Sozialgesetzbuch handelt, gegenüber dem Arbeitgeber ergibt, wenn – wie beim Altersruhegeld – Rechte davon abhängen, dass eine bestimmte Altersgrenze erreicht ist.
Von einem nach § 33a Abs 1 SGB I maßgebenden Geburtsdatum darf nur abgewichen werden, wenn der zuständige Leistungsträger feststellt, dass entweder ein Schreibfehler vorliegt oder sich aus einer Urkunde, deren Original vor dem Zeitpunkt der Angabe nach Absatz 1 ausgestellt worden ist, ein anderes Geburtsdatum ergibt. Nach den den Senat bindenden (§ 163 SGG) und von den Beteiligten nicht angegriffenen Feststellungen des LSG beruht die Feststellung des Geburtsdatums der Klägerin iS des Abs 1 des § 33a SGB I aber weder auf einem Schreibfehler noch existiert eine Originalurkunde anderen Inhalts, ausgestellt zu einem Zeitpunkt vor der Erstangabe des Geburtsdatums der Klägerin gegenüber den dort genannten Stellen in Deutschland.
§ 33a Abs 1 SGB I ist auf den Fall der Klägerin auch anwendbar, weil die Vorschrift mit Wirkung vom 1. Januar 1998 in Kraft getreten ist (vgl Art 32 des Ersten SGB III-Änderungsgesetzes vom 16. Dezember 1997, BGBl I S 2970), ohne dass eine Übergangsvorschrift für bereits laufende Verfahren erlassen wurde. Unabhängig davon, ob die Vorschrift – wovon das LSG ausgeht – als verfahrensrechtliche Regelung einzustufen ist, oder – wovon die Klägerin ausgeht – mit ihr zumindest auch ein materielles Rechtsverhältnis geregelt wird, findet diese Regelung mangels des Bestehens einer Übergangsregelung auf alle noch nicht bestandskräftig entschiedenen Sachverhalte Anwendung. Sie ist – anders ausgedrückt – mit dem 1. Januar 1998 “vollständig” in Kraft getreten (so: Joussen, Altersabhängige Rechte und Pflichten gemäß § 33a SGB I, NZS 2004, 120, 123 Fn 41). Das LSG hatte daher keine Veranlassung, weitere Sachaufklärung bezüglich des Geburtsdatums der Klägerin zu betreiben; eine Zurückverweisung des Rechtsstreits zu diesem Zweck an das LSG iS des ersten Hilfsantrags der Klägerin kam nicht in Betracht.
Gemäß § 37 SGB I findet § 33a SGB I auf alle Sozialleistungsbereiche dieses Gesetzbuchs Anwendung. Lediglich soweit bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkung bereits vor Erlass des § 33a SGB I eine bestandskräftige Entscheidung getroffen worden ist, könnte diese wegen einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen der Abänderung iS des § 48 SGB X unterliegen (vgl hierzu: Seewald in Kasseler Komm, Stand April 1999, RdNr 8 zu § 33a SGB I). Vorliegend war das Verfahren aber bei Inkrafttreten des § 33a SGB I noch nicht abgeschlossen.
Soweit die Klägerin eine Verletzung rechtlichen Gehörs rügt, weil das LSG die Anwendbarkeit des § 33a SGB I erst im Termin zur mündlichen Verhandlung “offenbart” habe, liegt ein Verfahrensverstoß des LSG schon deshalb nicht vor, weil die Klägerin zur möglichen Bedeutung dieser Vorschrift zuvor schriftsätzlich vorgetragen hatte (Schriftsatz vom 29. November 2002) und der Sach- und Streitstand mit den Beteiligten im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 23. April 2003 erörtert worden ist. Die Klägerin hat insoweit nicht vorgetragen, sie habe sich bei dieser Erörterung kein rechtliches Gehör verschaffen und ggf die Vertagung des Rechtsstreits beantragen können, um sich auf für sie möglicherweise neue rechtliche Gesichtspunkte einstellen und fundiert hiergegen Stellung beziehen zu können. Sie hat mithin schon nach eigenem Vortrag nicht alles getan, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl Meyer-Ladewig, SGG-Komm, 7. Aufl 2002, RdNr 20 zu § 160 und RdNr 11 zu § 62 mwN).
Die Anwendung des § 33a Abs 1 SGB I auf den vorliegenden Fall verstößt entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht gegen höherrangiges Recht. Die Rechtslage ist insoweit geklärt. Der Senat sah sich daher nicht – iS des zweiten Hilfsantrags der Klägerin – veranlasst, den Rechtsstreit auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder des EuGH zur Anwendbarkeit des § 33a SGB I auf den vorliegenden Sachverhalt einzuholen.
Wie der Senat bereits in seinen Urteilen vom 5. April 2001 (B 13 RJ 21, 33 und 35/00 R – letzteres veröffentlicht in BSGE 88, 89 = SozR 3-1200 § 33a Nr 4) sowie in seinem Urteil vom 31. Januar 2002 (B 13 RJ 9/01 R – SGb 2002, 275; vollständig veröffentlicht bei Juris) im Einzelnen ausgeführt hat, bestehen grundsätzliche Bedenken verfassungsrechtlicher oder europarechtlicher Art nicht. Hierauf nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug; insoweit existiert bereits eine gefestigte Rechtsprechung des BSG.
Auch der 8. Senat des BSG hat in seinen Urteilen vom 31. März 1998 (B 8 KN 5/95 R = SozR 3-1200 § 33a Nr 1 und B 8 KN 11/95 R = SozR 3-1200 § 33a Nr 2) sowie in der weiteren Entscheidung vom 19. Oktober 2000 (B 8 KN 3/00 R – SGb 2001, 237 – vollständig abgedruckt bei Juris) entschieden, dass die Vorschrift des § 33a SGB I weder gegen den Eigentumsschutz des Art 14 Abs 1 GG noch gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG verstößt. Zwar ist der künftige Anspruch der Klägerin auf Altersrente ein durch Art 14 Abs 1 GG geschütztes Rentenanwartschaftsrecht. Diese durch Beitragsleistung angelegte Rechtsposition der Klägerin ist durch § 33a SGB I jedoch nicht insgesamt beeinträchtigt oder entzogen worden. Soweit die Vorschrift in das bis zum 31. Dezember 1997 bestehende Recht eingegriffen hat, bei Nachweis eines früheren Geburtsdatums auch entsprechend früher eine Altersrente zu erhalten, ist zwar der Schutzbereich des Grundrechts aus Art 14 Abs 1 GG tangiert, jedoch beschränkt auf die Entziehung einer noch nicht gesicherten Rechtsposition. Denn auch bis zum Inkrafttreten des § 33a SGB I konnte die Klägerin aufgrund der bis dahin geltenden Rechtslage nicht darauf vertrauen, dass ein Leistungsanspruch aufgrund eines vor 1933 liegenden Geburtsdatums verwirklicht werden würde.
Schon aus diesem Grunde kann sich die Klägerin – abgesehen von der vom EuGH ausdrücklich für zulässig gehaltenen nationalen Regelung zur Maßgeblichkeit des ursprünglich angegebenen Geburtsdatums, s unten – nicht mit Erfolg darauf berufen, durch die Neuregelung in § 33a SGB I sei ihr “Vertrauen” in die Zugrundelegung des tatsächlichen Geburtsdatums auf Leistungsfälle des Rentenrechts zerstört worden.
In der bis zum 31. Dezember 1997 ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung war geklärt, dass die deutschen Sozialversicherungsträger und Gerichte nicht an ausländische Urteile jener Art gebunden seien, wie das Urteil, das die Klägerin vorgelegt hat. Vielmehr war ein früheres als das bisher in den Unterlagen des Rentenversicherungsträgers verzeichnetes Geburtsdatum im Leistungsfall ebenso wie sämtliche anderen Leistungsvoraussetzungen gegebenenfalls vom Berechtigten im Einzelfall zu beweisen. Hierzu waren sämtliche erreichbaren und tauglichen Beweismittel von Amts wegen auszuschöpfen (vgl BSG Urteile vom 12. Dezember 1995 – 5 RJ 26/94 – BSGE 77, 140 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 12 und vom 31. März 1998 – B 8 KN 11/95 R – SozR 3-1200 § 33a Nr 2). Personenstandsurkunden aus Deutschland waren mit denen aus anderen Mitgliedstaaten der EU gleichzustellen (vgl Urteil des EuGH vom 2. Dezember 1997 – C-336/94 – EuGHE I 1997, 6761 = SozR 3-7670 § 66 Nr 1; Senatsurteil vom 5. April 2001 – B 13 RJ 35/00 R – BSGE 88, 89 = SozR 3-1200 § 33a Nr 4). Da nach dem Regelungsgehalt des § 33a SGB I alle berücksichtigungsfähigen Urkunden – inländische wie ausländische – gleich behandelt werden, steht dies insoweit im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH (vgl auch Stürmer, Geburtsdatum und Altersrente – Entscheidung des EuGH zu ausländischen Personenstandsurkunden, NZS 2001, 347 ff, 350; aA offenbar Seewald, Kasseler Komm, aaO, RdNr 9≪ohne Begründung≫).
Eine Vorlage an den EuGH ist nicht geboten; denn wie dieser mit Urteilen vom 14. März 2000 (C-102/98 und C-211/98 – EuGHE I 2000, 1287 = SozR 3-6940 Art 3 Nr 1) entschieden hat, widerspricht § 33a SGB I europarechtlichen Regelungen nicht. Ausdrücklich entschieden hat der EuGH dies abstellend auf den insoweit einschlägigen Art 3 Abs 1 des Beschlusses Nr 3/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Anwendung der Systeme der Sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige. In den zitierten Urteilen hat es der EuGH der Beurteilung nach innerstaatlichem Recht überlassen, ob Personen aus dem Umstand, dass sie unter der Geltung früherer, weniger strenger Rechtsvorschriften einen Antrag auf Änderung ihrer Versicherungsnummer gestellt haben, Rechte für die Gewährung ihrer Altersrente herleiten können (vgl BSG Urteil vom 19. Oktober 2000 – B 8 KN 3/00 R – SGb 2001, 237, vollständig veröffentlicht bei Juris). Von dieser Möglichkeit hat der Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland durch Erlass des § 33a Abs 1 SGB I Gebrauch gemacht.
Führt hiernach die Regelung von § 33a SGB I in europarechtlicher Hinsicht nicht zu einer Ungleichbehandlung und auch nicht zu einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, so bleibt allein die Frage offen, ob die bisherige – türkeispezifische – Rechtsprechung des EuGH auch für Wanderarbeitnehmer aus der EU selbst gilt, § 33a SGB I also auch nicht (direkt) gegen EU-Recht verstößt (vgl hierzu Joussen, aaO, S 123 zu II 2).
Auf der Grundlage des in Art 3 Abs 1 des Beschlusses Nr 3/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Anwendung der Systeme der Sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige verankerten Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit kann nach den Ausführungen des EuGH von einem Mitgliedstaat nicht verlangt werden, dass er bei der Regelung der Frage, welches Geburtsdatum für die Erteilung einer Versicherungsnummer und die Gewährung von Altersrente maßgebend ist, der besonderen Situation Rechnung trägt, die sich aus dem Inhalt und der praktischen Anwendung der Personenstandsbestimmungen des anderen Staats – hier: der Türkei – ergibt.
Wie der EuGH in seinem Urteil vom 14. März 2000 (C-102/98 und C-211/98 – EuGHE I 2000, 1287 = SozR 3-6940 Art 3 Nr 1) weiterhin ausführt, enthält § 33a SGB I keine Ungleichbehandlung, die eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit bilden könnte. Somit braucht nicht mehr geprüft zu werden, ob diese Regelung durch objektive Erwägungen gerechtfertigt ist und in einem angemessenen Verhältnis zu den Zwecken steht, die mit den nationalen Rechtsvorschriften zulässigerweise verfolgt werden. Aus dem gleichen Grunde braucht nicht geprüft zu werden, ob die Regelung mangels Bestehens einer Übergangsvorschrift außer Verhältnis zu den verfolgten Zielen steht.
Wenn der EuGH damit in dem zitierten Urteil zu den durch Assoziationsvorschriften EG-Mitgliedern gleichgestellten türkischen Arbeitnehmern urteilt, dass § 33a SGB I keine Diskriminierung beinhalte, leuchtet es ohne Weiteres ein, dass dies bei den inhaltlich gleichen Bestimmungen zum Antidiskriminierungsgebot der EU für Wanderarbeitnehmer innerhalb der Staaten der EU (vgl Art 12, 17, 39 Abs 2 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft) in gleicher Weise gelten muss (vgl Joussen aaO, S 123 zu II 2; Stürmer, aaO, S 350).
In Anwendung des § 33a Abs 1 SGB I hatte die Beklagte aber keine andere Handhabe, als unter Beibehaltung des einmal angegebenen Geburtsdatums maßgeblich auf das Jahr 1933 für die Bestimmung des Altersrentenanspruchs abzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
FA 2004, 384 |
EuroAS 2004, 163 |
NZS 2005, 105 |
SGb 2004, 420 |
SozR 4-1200 § 33a, Nr. 2 |
SozSi 2005, 348 |