Entscheidungsstichwort (Thema)
Soldatenversorgung - Versorgungskrankengeld - Berechnung - Bemessungszeitraum - Arbeitseinkommen - Arbeitsunfähigkeit im Zeitpunkt der Beendigung des Wehrdienstverhältnisses infolge einer Wehrdienstbeschädigung
Leitsatz (amtlich)
Hat ein ehemaliger Soldat im Kalendermonat vor Beginn des Wehrdienstes Arbeitsentgelt erzielt, so ist sein Versorgungskrankengeld - alternativ - nach allgemeinen Regeln ohne Begrenzung auf das Entgelt gerade dieses Monats zu berechnen.
Normenkette
SVG § 83 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b; BVG § 16a Abs. 1-2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 6. März 2001 wird mit folgender Maßgabe zurückgewiesen:
Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ab 1. Januar 1996 kalendertäglich 64,91 DM Versorgungskrankengeld zu gewähren.
Der Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Versorgungskrankengeldes (VKrg) nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der Kläger stand im Jahre 1994 viermal in einem Arbeitsverhältnis; das längste dauerte zwei Monate. Vom 2. Januar bis 31. Dezember 1995 leistete er Grundwehrdienst. Bei dessen Ende war er wegen einer Wehrdienstbeschädigung arbeitsunfähig krank. Der Beklagte bewilligte ab 1. Januar 1996 36,97 DM kalendertägliches VKrg auf der Grundlage der vor Beendigung des Wehrdienstes bezogenen Einkünfte (Geld- und Sachbezüge) als Soldat. Die Vergleichsberechnung nach dem vor dem Wehrdienst erzielten Arbeitseinkommen habe nur den – niedrigeren – Betrag von 31,84 DM ergeben: 1.910,48 DM als letztes, in der Zeit vom 17. November bis zum 15. Dezember 1994 erzieltes Nettoeinkommen geteilt durch 60 Tage (Bescheid vom 25. März 1996; Widerspruchsbescheid vom 14. März 1997).
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 11. Juni 1999). Das Landessozialgericht (LSG) hat den Beklagten verurteilt, dem Kläger VKrg auf der Grundlage von 80 vH des in der Zeit vom 17. November bis 15. Dezember 1994 erzielten Arbeitsentgelts zu gewähren (Urteil vom 6. März 2001). Es hat den Betrag des VKrg mit 64,91 DM wie folgt berechnet: Wochentägliches Bruttoarbeitsentgelt von 100,29 DM (Stundenlohn von 18,-- DM mal 39 Stunden Wochenarbeitszeit geteilt durch 7 Tage), davon 80 % oder 80,23 DM begrenzt auf das kalendertägliche Nettoarbeitsentgelt von 64,91 DM (1.910,48 DM geteilt durch 164 Arbeitsstunden ≪11,65 DM≫ mal 39 Stunden Wochenarbeitszeit ≪454,35 DM≫ geteilt durch 7 Tage ≪64,91 DM≫).
Mit seiner Revision macht der Beklagte geltend, das LSG habe § 83 Abs 1 SVG iVm § 16a Abs 2 BVG verletzt. Würden – wie hier vom Kläger in der Zeit vor Mitte November 1994 – während eines längeren Zeitraumes bei wechselnden Arbeitsverhältnissen und bei Zeiten ohne Beschäftigung keine regelmäßigen Einkünfte erzielt, so sei nach § 16a Abs 2 Satz 3 BVG das im letzten Kalendermonat vor Beginn des Wehrdienstes (Dezember 1994) erzielte Einkommen das Regelentgelt. Dieser Betrag liege unter dem vom Beklagten bewilligten VKrg.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Berlin vom 6. März 2001 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Berlin vom 11. Juni 1999 zurückzuweisen.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten; mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) ist er ebenso wie der Beklagte einverstanden.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Beklagten ist nicht begründet.
Nach § 83 Abs 1 SVG iVm § 16 bis 16 f BVG ist ehemaligen wehrpflichtigen Soldaten, die im Zeitpunkt der Beendigung des Wehrdienstverhältnisses infolge einer Wehrdienstbeschädigung arbeitsunfähig sind, VKrg zu gewähren. Abweichend von den genannten Vorschriften des BVG gelten dabei – sofern es für den Betroffenen günstiger ist – auch die vor der Beendigung des Wehrdienstes bezogenen Einkünfte als Soldat (§ 83 Abs 1 Nr 2 Buchst a SVG) oder, für einen Soldaten, der Wehrsold bezogen und im letzten Kalendermonat vor Beginn des Wehrdienstverhältnisses Arbeitseinkommen erzielt hat, dieses Einkommen als Arbeitsentgelt (§ 83 Abs 1 Nr 2 Buchst b SVG). Der letztgenannte Fall liegt hier vor. Wie das LSG zu Recht entschieden hat, errechnet sich das VKrg mit 64,91 DM kalendertäglich aus dem vom Kläger vor Beginn des Wehrdienstes erzielten Arbeitseinkommen, statt – wie vom Beklagten und vom SG angenommen – aus den niedrigeren Einkünften als Soldat. Dabei ist der im SVG verwendete Begriff “Arbeitseinkommen” nicht im strengen Sinne des § 15 Abs 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) zu verstehen (“Gewinn aus einer selbstständigen Tätigkeit”). Denn diese Norm wurde erst mit Wirkung vom 1. Juli 1977 durch das Gesetz vom 23. Dezember 1976 (BGBl I 3845) geschaffen, während die entscheidende SVG-Formulierung sich bereits im Gesetz zur Änderung des SVG vom 28. Juli 1961 (BGBl I 1085) findet. Damals wurde der Begriff “Arbeitseinkommen” noch uneinheitlich gebraucht (vgl für das Sozialversicherungsrecht Merten in GK, RdNr 4 zu § 15 SGB IV). Zu Recht haben deshalb die Beteiligten und die Instanzgerichte – ohne ausdrücklichen Hinweis – auch Arbeitsentgelt eines abhängig Beschäftigten als Arbeitseinkommen nach § 83 Abs 1 Nr 2 Buchst b SVG behandelt.
Zunächst ist klarzustellen, dass § 83 Abs 1 Nr 2 Buchst b SVG mit den Worten “dieses Einkommen” nicht auf das von dem Betroffenen im letzten Kalendermonat (oder in Teilen dieses Kalendermonats) vor Beginn des Wehrdienstes erzielte Arbeitseinkommen Bezug nimmt. Maßgebend bleibt vielmehr die zu Anfang des Abs 1 ausgesprochene Verweisung auf die §§ 16 bis 16 f BVG und damit auf das Arbeitsentgelt, das der Betroffene im Bemessungszeitraum “der letzten abgerechneten vier Wochen” erzielt hat (§ 16a Abs 2 Satz 1 BVG). Das LSG meint demgegenüber unter Berufung auf Literatur (Fehl in Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl 1992, § 83 RdNr 4; so wohl auch der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ≪BMA≫ im Rundschreiben vom 3. September 1985, BArbBl 1985, Nr 11, 96), Bemessungszeitraum sei abweichend davon der letzte “Kalendermonat vor Beginn des Wehrdienstverhältnisses”. Diese Auffassung ließe sich mit dem – nicht eindeutigen – Wortlaut des § 83 Abs 1 Nr 2b SVG vereinbaren. Sie trifft aber nicht zu. Das ergibt sich aus der Gesetzesgeschichte. Die Bundesregierung hatte unter Änderung des SVG vorgeschlagen, auch ehemaligen Soldaten “Krankengeld und Hausgeld in besonderen Fällen” zu gewähren und dazu als § 83 Abs 1 Nr 3 SVG folgende Regelung vorgesehen (BT-Drucks 3/1910, S 4):
Als unmittelbar vor der Erkrankung bezogenes Einkommen gelten die vor der Beendigung des Wehrdienstes bezogenen Einkünfte (Geld- und Sachbezüge) als Soldat, für einen Soldaten, der auf Grund der Wehrpflicht Wehrdienst leistet und der unmittelbar vor der Einberufung Arbeitseinkommen bezogen hat, jedoch dieses Einkommen.
Der – federführende – Verteidigungsausschuss hat demgegenüber die dann Gesetz gewordene und inhaltlich auch jetzt noch geltende Fassung beschlossen (BT-Drucks 3/2860, S 14):
Als vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bezogenes Einkommen gelten die vor der Beendigung des Wehrdienstes bezogenen Einkünfte (Geld- und Sachbezüge) als Soldat, für einen Soldaten, der auf Grund der Wehrpflicht Wehrdienst leistet und der im letzten Kalendermonat vor der Einberufung Arbeitseinkommen bezogen hat, jedoch dieses Einkommen, soweit es für ihn günstiger ist.
Diese Fassung geht zurück auf den – mitberatenden – (22.) Ausschuss für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen. Dort hatte der Vertreter des BMA vorgeschlagen, das Wort “unmittelbar” zur Klarstellung durch die Worte “im letzten Kalendermonat” zu ersetzen (vgl Kurzprotokoll der 38. Sitzung vom 19. Oktober 1960, S 38/8). Das umstrittene Tatbestandsmerkmal beschreibt danach sowohl in der auslegungsfähigen und -bedürftigen (“unmittelbar”) als auch in der präzisen Fassung (“im letzten Kalendermonat”) den notwendigen zeitlichen Zusammenhang zwischen Erzielung von Arbeitseinkommen vor dem Wehrdienst und dem Beginn des Wehrdienstes. Die Lücke darf einen Kalendermonat nicht überschreiten. Das Tatbestandsmerkmal sagt nichts aus über Lage und Dauer des Bemessungszeitraums.
Nach § 16a Abs 1 BVG beträgt das VKrg 80 vH des erzielten regelmäßigen Entgelts (Regelentgelt) und darf das entgangene regelmäßige Nettoarbeitsentgelt nicht übersteigen. Das Regelentgelt wird nach den Absätzen 2 und 3 berechnet. Absatz 2 unterscheidet bei Berechtigten, die – wie der Kläger – gegen Entgelt beschäftigt waren, danach, ob sich das Arbeitsentgelt einer Stundenzahl zuordnen lässt (Sätze 1 und 2) oder ob das Arbeitsentgelt nach Monaten bemessen ist oder sich aus anderen Gründen einer Stundenzahl nicht zuordnen lässt (Satz 3). Das Regelentgelt des Klägers ist nach den Sätzen 1 und 2 zu berechnen, weil er nach Feststellung des LSG zu einem Stundenlohn von 18,-- DM beschäftigt war. “Im letzten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Entgeltabrechnungszeitraum” (§ 16a Abs 2 Satz 1 BVG), dh im Dezember 1994, sind allerdings nur 15 Tage abgerechnet worden. Der Bemessungszeitraum von “mindestens” vier Wochen erfasst deshalb auch die beiden im November 1994 abgerechneten Wochen.
Das im Bemessungszeitraum erzielte Arbeitsentgelt von 2.952,-- DM ist durch die Zahl von 164 Stunden zu teilen, für die es gezahlt worden ist. Das Ergebnis (18,-- DM) ist mit der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden zu multiplizieren und der sich daraus ergebende Betrag von 702,-- DM durch sieben zu teilen. Das ergibt ein Regelentgelt von 100,29 DM und mit 80 % dieses Betrages errechnet sich daraus ein kalendertägliches VKrg von 80,23 DM.
Weil damit das entgangene regelmäßige Nettoarbeitsentgelt von 64,91 DM überschritten werden würde, hat der Kläger nur Anspruch auf VKrg in dieser Höhe. Der Betrag errechnet sich – mit dem LSG – wie folgt: 1.910,48 DM Nettoarbeitsentgelt, erzielt in 164 Stunden, ergibt einen Nettostundenlohn von 11,65 DM und bei 39-stündiger Wochenarbeitszeit ein wöchentliches Arbeitsentgelt von 454,35 DM, kalendertäglich also 64,91 DM.
Ohne Erfolg wendet der Beklagte gegen dieses Ergebnis ein, der Kläger habe im Jahre 1994 nur unregelmäßig gearbeitet, deshalb sei das Regelentgelt nach § 16a Abs 2 Satz 3 BVG zu berechnen. Wie bereits ausgeführt, gilt diese Vorschrift nur bei Monatsentgelten oder – hilfsweise – dann, wenn eine Berechnung nach den Sätzen 1 und 2 nicht möglich ist. Weder der eine noch der andere dieser Fälle liegt hier vor. Der Kläger hat Stundenlohn bezogen und, wie oben gezeigt, lässt sich das Regelentgelt nach den Sätzen 1 und 2 berechnen. Insbesondere sind die für die Berechnung nach Satz 2 erforderlichen “regelmäßigen wöchentlichen Arbeitsstunden” gegeben, da eine Arbeitszeit von 39 Stunden vereinbart und im Bemessungszeitraum tatsächlich geleistet worden ist. Auf die Dauer und Durchgängigkeit etwaiger Vorbeschäftigungen des Klägers kommt es dabei nicht an. Nur wenn die tatsächliche von der vereinbarten Arbeitszeit abwiche oder keine bestimmte Arbeitszeit vereinbart wäre, würde sich die “regelmäßige” Arbeitszeit erst aus den tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden der letzten drei Monate ergeben (vgl RdSchr des BMA vom 10. März 1975, BVBl 1975, 42, Nr 2a und – zum Krankengeld – RdSchr der Spitzenverbände der Sozialleistungsträger vom 12. Mai 1987, abgedruckt bei Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 12. Aufl, Stand Juli 2001, Band 1/1, Kapitel 3 – 65, 75 ff).
Es fehlt auch nicht an der in § 16a Abs 1 Satz 1 geforderten Regelmäßigkeit des entgangenen Nettoarbeitsentgelts. Insoweit kommt es – entgegen der Auffassung des Beklagten – für Regelentgelt und Nettoarbeitsentgelt lediglich auf den in Abs 2 Satz 1 näher beschriebenen, mindestens vierwöchigen Bemessungszeitraum an. Die Kürze des Bemessungszeitraums rechtfertigt sich aus der Natur des VKrg als einer – regelmäßig – nur kurzzeitigen Leistung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 796977 |
SozR 3-3200 § 83, Nr. 1 |
br 2003, 40 |
SozSi 2003, 216 |