Verfahrensgang
SG Augsburg (Urteil vom 31.03.1989) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 31. März 1989 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger ist Mitglied der beklagten Betriebskrankenkasse. Streitig ist, ob er gegen diese einen Anspruch auf Erstattung von Behandlungs- und Fahrkosten hat, die im Zusammenhang mit einer Erkrankung während eines Skiurlaubs in der Schweiz entstanden sind.
Einen Tag nach Beginn des im März 1987 angetretenen Urlaubs verspürte der Kläger starke Kreuzschmerzen. Er begab sich deshalb für zwei Tage zur stationären Behandlung in ein Krankenhaus (28. und 29. März 1987). Hierfür zahlte er, einschließlich der Transportkosten zum Krankenhaus, 618,80 SFr. Nach Beendigung des Krankenhausaufenthalts ließ er sich mit einem Taxi zum Abfahrtsort des Reisebusses fahren. Diese Fahrt kostete weitere 75 SFr. Die Beklagte lehnte eine Kostenerstattung ab (Bescheide vom 22. Mai 1987 und 13. November 1987 sowie Widerspruchsbescheid vom 15. März 1988). Für den geltend gemachten Anspruch gebe es keine Rechtsgrundlage. Nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) habe der Kläger nur einen Anspruch auf Krankenhausbehandlung im Inland. Ein den Versicherungsschutz erweiterndes Sozialversicherungsabkommen habe im fraglichen Zeitpunkt zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz nicht bestanden.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Aufhebung ihrer vorgenannten Bescheide verurteilt, dem Kläger 693,80 SFr zu erstatten. Es hat ausgeführt, der Anspruch ergebe sich aus den § 184 Abs 1 Satz 1 und § 194 Abs 1 Satz 1 RVO. Die Unmöglichkeit der Beklagten, in der Schweiz die Krankenhausbehandlung als Sachleistung zu erbringen, führe nicht zu einem Freiwerden von jeglicher Leistungsverpflichtung. In einem solchen Fall seien vielmehr die entstandenen Kosten zu erstatten. Aus der Existenz der Ruhensvorschriften der § 214 Abs 3, § 216 Abs 1 und § 313 Abs 5 RVO lasse sich ableiten, daß der Gesetzgeber vom grundsätzlichen Weiterbestehen der Leistungsansprüche während eines Auslandsaufenthalts ausgegangen sei. Bezüglich der Fahrkosten zum und vom Krankenhaus bestehe nach § 194 RVO von vornherein ein Kostenerstattungsanspruch, weil es sich insoweit um eine Geldleistung handele.
Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision trägt die Beklagte vor, das SG stütze seine Entscheidung zu Unrecht auf die §§ 184 und 194 RVO. Zwar bestehe infolge der Ausweitung des Auslandstourismus ein verstärktes Bedürfnis, den Versicherungsschutz auch auf im Ausland eintretende Versicherungsfälle zu erstrecken; ein Leistungsanspruch bestehe aber grundsätzlich nur dann, wenn mit dem betreffenden Land ein Sozialversicherungsabkommen geschlossen sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Augsburg vom 31. März 1989 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidung des SG für zutreffend und trägt vor, andere ihm bekannte Krankenkassen hätten erklärt, in ähnlichen Fällen Kostenerstattung zu leisten.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist begründet.
Entgegen der Auffassung des SG hat der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der in der Schweiz entstandenen Behandlungs- und Fahrkosten.
Die Sachleistung der Krankenhauspflege, die der Versicherte nach § 184 RVO beanspruchen kann, ist dem Kläger nicht gewährt worden. Einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für eine von der Krankenkasse nicht erbrachte Sachleistung hat die Rechtsprechung nur in Notfällen oder dann zugelassen, wenn die Krankenkasse den Antrag des Versicherten auf Gewährung der Sachleistung zu Unrecht abgelehnt und ihn dadurch zur Behandlung auf eigene Kosten gezwungen hat (BSG SozR 2200 § 182 Nr 86). Dieser zweite Ausnahmegrund mag ferner in Betracht kommen, wenn sich ergibt, daß ein Leistungsantrag den Umständen nach keinerlei Aussicht auf Erfolg gehabt hätte (vgl BSG SozR 3100 § 18 Nr 9). Jedenfalls setzt der Kostenerstattungsanspruch aber voraus, daß die Krankenkasse zur Leistung verpflichtet war. Dem Grunde nach gilt diese Voraussetzung auch bei Vorliegen eines Notfalls. Ein Notfall, der den Versicherten nach § 368d RVO insbesondere zur Inanspruchnahme eines Nichtkassensarztes berechtigte, ist gegeben, wenn dringende Behandlungsbedürftigkeit besteht und ein an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmender Arzt nicht rechtzeitig zur Verfügung steht (Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung § 368d RVO Anm 3; Hess in Kasseler Kommentar § 76 RdNr 9). Die Krankenkasse ist aber auch bei dringender Behandlungsbedürftigkeit nur dann zur Kostenerstattung verpflichtet, wenn es zu ihrem gesetzlichen Auftrag gehört hätte, dem Versicherten eine seinem Bedarf entsprechende Leistung rechtzeitig bereitzustellen. Die ärztliche Versorgung der Versicherten und ihrer Angehörigen stellen die Kassenärztlichen Vereinigungen sicher (§ 368 Abs 1 und 2; § 368n Abs 1 RVO). Sie umfaßt ausdrücklich einen Not- und Bereitschaftsdienst (§ 368 Abs 3 RVO). Dem entspricht im Ergebnis die Rechtslage hinsichtlich der Krankenhäuser. Die Gewährleistung einer bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen Krankenhäusern ist eine staatliche Aufgabe (§ 1 des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze idF der Bekanntmachung vom 23. Dezember 1985 -BGBl 1986 I 33). Daraus folgt, daß die Pflicht der Krankenkassen zur Gewährung der Krankenhauspflege (§ 184 RVO) eine auch nach Ort und Zeit bedarfsgerechte Versorgung umfaßt.
Die Pflicht der Krankenkassen, den Versicherten eine bedarfsgerechte Krankenhauspflege zu gewähren, ist aber räumlich auf den Geltungsbereich des Sozialgesetzbuchs (SGB) begrenzt. Krankenhauspflege in der Schweiz konnte der Kläger nicht beanspruchen.
Allerdings ist dem SG insoweit zu folgen, als den Vorschriften über die gesetzliche Krankenversicherung nicht zu entnehmen ist, daß während eines vorübergehenden Auslandsaufenthalts der Versicherungsschutz nach der RVO stets entfällt oder ruht. Die vom SG genannten Sonderregelungen der § 214 Abs 3, § 216 Abs 1, § 313 Abs 4 RVO sprechen gegen einen solchen allgemeinen Grundsatz (BSGE 53, 150, 153f = SozR 2200 § 222 Nr 1). Daraus folgt jedoch nicht umgekehrt die grundsätzliche Pflicht, alle Leistungen im Ausland zu erbringen. Das Leistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung läßt eine derart umfassende Leistungspflicht im Ausland nicht zu. Während Geldleistungen den Berechtigten zu überweisen sind (§ 47 SGB, Allgemeiner Teil, -SGB I-) und daher im allgemeinen auch im Ausland erbracht bzw in das Ausland gezahlt werden können, sind Dienst- und Sachleistungen in der Regel nur im Inland zu erbringen. Krankenhauspflege gewährt die Krankenkasse im Rahmen eines öffentlich-rechtlich gestalteten Sachleistungssystems durch Hochschulkliniken und durch Krankenhäuser, die in den Krankenhausbedarfsplan aufgenommen sind oder die sich gegenüber den Krankenkassen dazu bereiterklärt haben (§ 371 Abs 1 RVO). Leistungsort ist daher grundsätzlich nur das Inland (BSGE 53, 150, 154 = SozR 2200 § 222 Nr 1; BSG SozR 2200 § 1244a Nr 11).
Der Anspruch des Klägers ergibt sich auch nicht aus über- oder zwischenstaatlichem Recht. Durch Vorschriften dieses Rechts wird der Schutzbereich der gesetzlichen Krankenversicherung erweitert. Dies ist ua durch die Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft für die Mitgliedstaaten der EG geschehen, so daß zB Urlauber in Frankreich oder Italien krankenversicherungsrechtlich geschützt sind. Zwischen der Bundesrepublik und der Schweiz besteht zwar seit 1951 ein Sozialversicherungsabkommen (BGBl II, 145), das 1964 neugefaßt wurde (BGBl II, 1965, 1293). Dieses hat in seiner 1987 geltenden Fassung aber nicht den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung geregelt. Eine entsprechende Vereinbarung zwischen beiden Staaten ist zwar inzwischen erfolgt (vgl Gesetz zum Zweiten Zusatzabkommen vom 2. März 1989; BGBl II, 1989, 890). Sie hat jedoch keine Rückwirkung auf Fälle der vorliegenden Art. Vielmehr gelten die hier einschlägigen Regelungen des Art 2 gemäß Art 4 frühestens für Versicherungsfälle ab dem 1. Januar 1989 (vgl auch Vorgriffsregelung im Hinblick auf die Einbeziehung der Krankenversicherung durch ein Zweites Zusatzabkommen – Rundschreiben Nr 34/1989 der Deutschen Verbindungsstelle – KV – vom 20. April 1989, abgedruckt zB bei Plöger/Wortmann, Deutsche Sozialversicherungsabkommen mit ausländischen Staaten, VI).
Nach alledem kann es dahinstehen, ob die Behauptung des Klägers zutrifft, andere Krankenversicherungsträger hätten die Kosten einer Behandlung in der Schweiz auch schon im Jahr 1987 erstattet. Selbst wenn dies so wäre, könnte er hieraus keinen Anspruch gegen die Beklagte herleiten.
Der Kläger kann auch keine Erstattung der Fahrkosten zum und vom Krankenhaus in der Schweiz beanspruchen. Zwar handelt es sich zumindest bei den Fahrkosten vom Krankenhaus zum Bus um einen originären Kostenerstattungsanspruch und um eine Geldleistung. Die Fahrkostenerstattung ist aber akzessorischer Natur. Zu erstatten sind nach § 194 RVO die im Zusammenhang mit der Gewährung einer Leistung der Krankenkasse erforderlichen Fahr- und anderen Reisekosten. Da die Krankenhauspflege in der Schweiz keine Leistung der Krankenkasse und von der Beklagten nicht zu gewähren war, besteht auch kein Anspruch auf Fahrkostenerstattung.
Die Kostenentscheidung wird auf § 193 SGG gestützt.
Fundstellen