Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 6. Oktober 1994 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Klägerin telefonierte am 30. Dezember 1983 aus einer Telefonzelle in der Bremer Innenstadt, als unmittelbar davor ein Feuerwerkskörper explodierte, den ein unbekannt gebliebener Jugendlicher gezündet hatte. Die Klägerin beantragte im Juni 1986, als Gewaltopfer versorgt zu werden. Sie habe damals ein Knalltrauma erlitten und sei dadurch schwerhörig geworden. Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 26. August 1986; Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 1987).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 17. Februar 1992). Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg (Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 6. Oktober 1994). Der Täter habe zwar rechtswidrig und vorsätzlich, aber nicht tätlich gehandelt. Tätlich greife nur an, wer in feindseliger Willensrichtung handele. Das habe sich hier nicht nachweisen lassen.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend, die feindselige Willensrichtung und der Vorsatz des unbekannt gebliebenen Täters ergäben sich hier aus den äußeren Umständen. Jedenfalls habe es das LSG unter Verletzung seiner Pflicht zur Sachaufklärung von Amts wegen (§ 103 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) unterlassen, solche Umstände zu ermitteln.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 6. Oktober 1994 sowie das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 17. Februar 1992 und den Bescheid der Beklagten vom 26. August 1986 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 1987 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Entschädigungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) wegen der Folgen der Gewalttat vom 30. Dezember 1983 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG.
Der unbekannt gebliebene Täter hat die Klägerin iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG vorsätzlich und rechtswidrig tätlich angegriffen, indem er – nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG – einen Feuerwerkskörper unmittelbar vor der Telefonzelle zündete. Der Vorsatz muß sich nur auf den Angriff als solchen gerichtet haben, nicht auf den entstandenen Körperschaden (BSG SozR 3-3800 § 1 Nr 1 und § 10a Nr 1). Auf die innere Tatsache eines derartigen Vorsatzes durfte das LSG – wie geschehen – aus den äußeren Tatumständen schließen (BSG SozR 3-3800 § 1 Nr 1). Die Rechtswidrigkeit des Angriffs läßt sich – entgegen der Auffassung des LSG – allerdings nicht aus dem Verstoß gegen die – inzwischen aufgehobene – Vorschrift des § 16 Abs 2 Satz 1 der Straßenordnung für die Stadt Bremen (BremGBl 1969, 119) herleiten, die das Abbrennen pyrotechnischer Gegenstände im Jahre 1993 erst in der Silvesternacht von 18.00 bis 1.00 Uhr erlaubte. Die Bestimmung diente allein der Lärmbekämpfung, wie sich aus der Überschrift des V. Abschnitts der Straßenordnung ergab. Rechtswidrig iS des § 1 Abs 1 OEG hätte der unbekannt gebliebene Täter aber selbst dann gehandelt, wenn der Feuerwerkskörper in der Silvesternacht von ihm vor der Telefonzelle gezündet worden wäre. Denn rechtswidrig ist das Abbrennen pyrotechnischer Gegenstände in unmittelbarer Nähe unbeteiligter Dritter schon deshalb, weil damit deren Gesundheit gefährdet wird.
Daß der Täter sich möglicherweise nur einen groben Scherz erlauben wollte, dem Opfer gegenüber also nicht feindselig eingestellt war, steht der Annahme eines tätlichen Angriffs nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Senats (BSGE 59, 46, 47 = SozR 3800 § 1 Nr 6) genügt hierfür in Anlehnung an das Strafrecht (vgl §§ 113 Abs 1, 121 Abs 1 Nr 1 Strafgesetzbuch ≪StGB≫) ein gewaltsames, handgreifliches Vorgehen gegen eine Person in kämpferischer, feindseliger Absicht. Der Täter muß nicht – wie das LSG angenommen hat – gegenüber dem Opfer feindselig eingestellt sein. Es kommt lediglich darauf an, daß das Verhalten des Täters auf Rechtsbruch gerichtet ist und dadurch seine Rechtsfeindlichkeit erkennen läßt. Rechtsfeindlich handelt, wer vorsätzlich und rechtswidrig einen Angriff gegen die körperliche Integrität eines anderen richtet (vgl BSG SozR 3-3800 § 1 Nrn 6 und 7; § 2 Nr 3; § 10a Nr 1). Diese Voraussetzung ist aber mit dem Zünden eines Feuerwerkskörpers in unmittelbarer Nähe der Klägerin erfüllt. Denn damit war die Gefahr einer Körperverletzung verbunden.
Das Verhalten des Täters kann aber auch nicht als sozial üblich und damit als rechtmäßig angesehen werden. Es wäre mit dem Zweck des OEG unvereinbar, nach diesem Gesetz auch die – gelegentlich schwerwiegenden – Folgen eines Scherzes auszugleichen. Ein Scherz zielt – soweit er sich im Rahmen des sozial Üblichen hält – nicht auf eine gesundheitliche Schädigung ab und hat eine solche auch regelmäßig nicht zur Folge (BSG SozR 3800 § 1 Nr 6; SozR 3-3800 § 10a Nr 1). Die Grenzen des sozial Üblichen überschreitet aber, wer – wie hier – Feuerwerkskörper so zündet, daß Dritte durch die Explosion verletzt werden können.
Ob die Klägerin infolge des vorsätzlichen, rechtswidrigen und tätlichen Angriffs eine gesundheitliche Schädigung erlitten und ob diese Schädigung zu entschädigungspflichtigen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen geführt hat, konnte der Senat nicht abschließend entscheiden. Das LSG hat dazu bisher keine Feststellungen getroffen. Die Sache war deshalb zurückzuverweisen. Das LSG wird im erneut eröffneten Berufungsverfahren insbesondere zu prüfen haben, ob und ggf mit welchem Anteil sich jetzt bei der Klägerin vorhandene Gesundheitsstörungen nach der medizinischen Vorgeschichte (Innenohrschwerhörigkeit bereits vor 1983) mit Wahrscheinlichkeit auf die Explosion des in unmittelbarer Nähe der Telefonzelle gezündeten Feuerwerkskörpers zurückführen lassen.
Das LSG wird auch über die Kosten zu entscheiden haben.
Fundstellen