Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin aufgrund ihrer Beschäftigung in einem Krankenhaus der beigeladenen Stiftung gemäß § 1227 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Rentenversicherung der Arbeiter versicherungspflichtig ist oder ob die Versicherungspflicht zu diesem Versicherungszweig nach dem Gesetz über die Sozialversicherung Behinderter in geschützten Einrichtungen -SVBG- begründet ist. Die am 19. August 1953 geborene Klägerin ist körperlich und geistig behindert. Nach dem vom Versorgungsamt Gelsenkirchen ausgestellten Schwerbehindertenausweis beträgt die Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit 70 v.H. Sie arbeitet aufgrund eines Dienstvertrages seit September 1970 in einem von der Beigeladenen zu 3) getragenen Allgemeinkrankenhaus, dem St.-Elisabeth-Hospital in Herten, wo sie einfache Putzarbeiten verrichtet. Wegen der durch die Behinderung bedingten Minderung der Leistungsfähigkeit ist ihre Vergütung niedriger als für derartige Arbeiten üblich. Bei einer regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche betrug das monatliche Bruttoarbeitsentgelt im Januar 1980 DM 842,65, der Stundenlohn also ca. M 5,--. Nach dem gezahlten Entgelt werden für die Klägerin auch Sozialversicherungsbeiträge an die Beklagte abgeführt.
Am 27. Dezember 1976 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten geltend, daß für sie seit dem Inkrafttreten des SVG am 1. Juli 1975 Versicherungspflicht nach dem SVBG bestehe. Dies verneinte die Beklagte mit der Begründung, die Klägerin arbeite aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses des freien Arbeitsmarktes und nicht im Rahmen einer Unterbringung, wie es in § 2 SVG vorausgesetzt werde. Das Krankenhaus sei zur Behandlung akuter Krankheitsfälle eingerichtet und diene nicht der Unterbringung pflegebedürftiger bzw. behinderter Personen (Bescheid vom 18. März 1977, Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 1977). Das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen gab der Klage statt (Urteil vom 10. November 1977). Es nahm an, daß die Klägerin nicht in erster Linie aus Gründen der Erwerbstätigkeit, sondern vorwiegend zu ihrer Betreuung beschäftigt werde, und hielt deshalb hier § 2 Abs. 1 SVG für anwendbar; der dort verwendete Begriff der Anstalt umfasse auch Krankenhäuser. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen das Urteil des SG abgeändert und die Klage abgewiesen (Urteil vom 24. Januar 1980). Das LSG hat zur Begründung u.a. ausgeführt: Das SVG begünstige nur einen Kreis besonders schwer Behinderter, nämlich die Behinderten in geschützten Einrichtungen. Die Klägerin werde weder in einer Werkstatt i.S. des § 1 SVG beschäftigt noch zähle sie zum Personenkreis des § 2 SVG. Auch wenn unterstellt werde, daß sie in erheblichem Maße geistig und körperlich behindert sei und es für sie schwierig wäre, einen anderen Arbeitsplatz zu finden, da sie ständig der Anleitung und Kontrolle bedürfe, auch bei einfachen Verrichtungen nicht selbständig arbeiten könne und in besonders großem Maße auf die Geduld ihrer Umgebung angewiesen sei, so bedeute dies nicht, daß sie, wenn sie im St.-Elisabeth-Hospital beschäftigt werde, dort i.S. des § 2 Abs. 1 SVBG in einer Anstalt, in einem Heim oder einer gleichwertigen Einrichtung untergebracht sei. Das Krankenhaus biete ihr nur einen Arbeitsplatz. Über das Arbeitsverhältnis hinaus werde sie nicht wegen ihrer Behinderung betreut. Der im Gesetzgebungsverfahren zum Ausdruck gekommene Gedanke der Gleichstellung der Behinderten in beschützenden Werkstätten mit den in Anstalten Untergebrachten grenze den Personenkreis ein. Dem Behinderten, der auf dem freien Arbeitsmarkt bei kleinem Einkommen unzulängliche Rentenanwartschaften erarbeite, komme das Gesetz nicht zugute. Dieses sei lediglich ein erster Schritt beim Ausbau der Sozialversicherung Behinderter. Der Gesetzgeber habe zunächst nur die Schwerstbehinderten erfaßt, die mit dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) allein nicht eingegliedert werden könnten und bei denen ein Tätigwerden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt derzeit objektiv unmöglich sei. Die von der Klägerin erstrebte Versicherung nach dem SVBG würde zu einer erheblichen Belastung der Arbeitgeber führen, weil nur bei den in Blinden- oder Behindertenwerkstätten beschäftigten Behinderten der Bund und die Länder je zur Hälfte die Beitragsmehraufwendungen nach § 10 Abs. 1 SVBG zu tragen hätten. Ein Allgemeinkrankenhaus, das Schwerbehinderte einstelle, könnte die Arbeit auch von nicht leistungsgeminderten Arbeitskräften erbringen lassen. Eine bei einer Versicherung nach dem SVBG eintretende zusätzliche Kostenlast auf jedem Arbeitsplatz für einen Schwerbehinderten würde zu einer Verringerung derartiger Arbeitsplätze führen, die der Zielsetzung des SVBG und des SchwbG zuwiderliefe. Die Ausgleichsabgabe nach § 8 SchwbG stände in keinem Verhältnis zur denkbaren finanziellen Belastung der Arbeitgeber nach § 2 SVBG.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Klägerin mangelnde Sachaufklärung. Das LSG habe ihren Beweisantrag vom 14. März 1978 übergangen, ihre Mutter als Zeugin zu vernehmen und ein Sachverständigengutachten darüber einzuholen, daß die Betreuung der Klägerin im St.-Elisabeth-Hospital nicht nur der Therapie in einem Heim oder einer Anstalt für Behinderte entspreche, sondern sogar noch besser sei. Im übrigen sei ein Krankenhaus eine den in § 1 SVBG genannten Einrichtungen gleichartige Anstalt. Zwischen der Klägerin und ihrem Arbeitgeber sei ein Betreuungs- und Obhutsverhältnis begründet worden. Das LSG habe die Intentionen des SchwbG und die des SVBG unzulässigerweise vermengt und falsche Schlußfolgerungen daraus gezogen. Ein Arbeitgeber, der einem Schwerbehinderten einen Arbeitsplatz zur Verfügung stelle, erhalte nach dem SchwbG vom Staat einen Ausgleich dafür, daß der Schwerbehinderte nicht die Leistung eines Gesunden erbringe. Demgegenüber solle der Staat nach dem SVBG Behinderten, denen nur ein äußerst geringes Entgelt für ihre Tätigkeit gezahlt werde, die Differenz zu dem Rentenbeitrag zusteuern, der dem Durchschnittseinkommen entspricht. Es könne durchaus sein, daß jemand nach dem SchwbG einen Eingliederungsplatz finde und gleichzeitig Bezuschussung zu seinen Versicherungsbeiträgen beanspruchen könne.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts zurückzuweisen.
Die Beklagte und die Beigeladenen zu 1) und 3) beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das Urteil des LSG für zutreffend.
Der Beigeladene zu 2) hat sich zur Sache nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen.
Das LSG hat zu Recht entschieden, daß die Klägerin nicht zum Personenkreis der nach dem SVBG Versicherten gehört, weil sie nicht in einer geschützten Einrichtung i.S. der §§ 1 und 2 dieses Gesetzes, sondern aufgrund eines Arbeitsverhältnisses des allgemeinen Arbeitsmarktes beschäftigt ist.
Da die Klägerin nicht in einer Werkstatt für Behinderte oder in einer Blindenwerkstatt (§ 1 SVBG) beschäftigt wird, könnte für sie allenfalls § 2 SVBG in Betracht kommen. Hiernach sind körperlich, geistig oder seelisch Behinderte versichert, die in Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen beschäftigt werden. Diese Voraussetzungen liegen aber bei der Klägerin nicht vor, weil das Krankenhaus, in dem sie als Putzhilfe beschäftigt ist, keine geschützte Einrichtung i.S. dieser Vorschrift ist. Der Geltungsbereich der §§ 1 und 2 SVBG ist nach der Art der dort genannten Einrichtungen, in diesem Sinne also "institutionell", abgegrenzt, worauf der Senat bereits in seinem Urteil vom 11. Juni 1980 - 12 RK 34/78 (SozR 5085 § 1 Nr. 2) hingewiesen hat. Er umfaßt nur Einrichtungen, die nach ihrer Zweckbestimmung Personen, die wegen ihrer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung der Betreuung oder der Erziehung bedürfen, ständigen Aufenthalt gewähren (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 51. Nachtrag, S. 312 s). Dabei kann allerdings offenbleiben, ob die Betreuung auch Unterbringung und Verpflegung einschließen muß oder ob - wie teilweise auch bei Behindertenwerkstätten - auch sogenannte Tageseinrichtungen zu den Einrichtungen nach § 2 SVBG gerechnet werden können (vgl. Brackmann a.a.O.). Bei den in § 2 SVBG genannten Einrichtungen (Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen) muß es sich jedenfalls um Einrichtungen handeln, die nach ihrem Zweck und ihrem institutionellen Zuschnitt dazu bestimmt und geeignet sind, kranke und pflegebedürftige Personen in Anstalten (oder lediglich bzw. vorwiegend pflegebedürftige Personen in Heimen) zu betreuen.
Für diese - einschränkende - Auslegung des Begriffs der "Einrichtungen" i.S. des § 2 SVBG spricht schon die Systematik des Gesetzes (vgl. dessen Überschrift: Gesetz über die Sozialversicherung Behinderter "in geschützten Einrichtungen). Auch der Umstand, daß die in § 2 SVBG verwendeten Begriffe "Anstalten, Heime oder gleichartige Einrichtungen" in Anlehnung an die entsprechenden Begriffe des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) gewählt worden sind (so ausdrücklich ein in den Akten des SG befindliches Schreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 13. September 1977 - IV a 2 - 40157 - 1/5) legt diese Auslegung nahe (zu den Begriffsdefinitionen im BSHG vgl. Mergler/Zink, BSHG-Kommentar, 3. Aufl., Anm. 61 und 62 zu § 103; Schellhorn/Jirasek/Seipp, Kommentar zum BSHG, 10. Aufl., Anm. 41 zu § 103; Gottschick/Giese, Das BSHG, Kommentar, Anm. 12.2 zu § 103: alle fordern grundsätzlich "Volleinrichtungen", die eine anstalts- bzw. heimmäßige Betreuung über Tag und Nacht sicherstellen).
Schließlich spricht auch die Entstehungsgeschichte des SVBG (vgl. BT-Drucks. 7/1992 S. 10 linke Spalte oben; BT-Drucks. 7/3237 S. 4 linke Spalte; Sitzungsberichte des Deutschen Bundestages, 7. Wahlperiode, 152. Sitzung am 27. Februar 1975, S. 10484 A, B) dafür, daß es in der Regelungsabsicht des Gesetzgebers lag, neben den in § 1 SVBG genannten Werkstätten für Behinderte und Blindenwerkstätten nur solche Einrichtungen in das Gesetz einzubeziehen, die in vergleichbarer Weise wie die Werkstätten institutionell darauf ausgerichtet sind, Behinderte zum Zwecke der Betreuung aufzunehmen. Der Gesetzgeber hat sich bei Schaffung des SVBG aus mehreren Gründen noch nicht in der Lage gesehen, in diesem Gesetz bereits die Sozialversicherung aller Behinderten zu regeln, sondern hat - gewissermaßen als erste Stufe - zunächst nur den besonders stark Behinderten, die in geschützten Einrichtungen beschäftigt werden, zu einer angemessenen sozialen Sicherung verhelfen wollen (vgl. dazu BT-Drucks. 7/3237 S. 3 unter "Zielsetzung des Gesetzentwurfs"). Dabei ist sich der Gesetzgeber bewußt gewesen, daß mit dem SVBG diejenigen Behinderten nicht erfaßt worden sind, die "auf dem freien Arbeitsmarkt bei kleinerem Einkommen nur niedrig versichert sind" (BT-Drucks. aaO).
Das LSG hat zutreffend entschieden, daß das St.-Elisabeth-Hospital in Herten, bei dem die Klägerin beschäftigt ist, nicht zu den in § 2 SVBG genannten Einrichtungen gerechnet werden kann. Allgemeinkrankenhäuser - ein solches ist das genannte Hospital - sind ihrem Zweck nach nicht dazu bestimmt, Behinderte zur Betreuung aufzunehmen. Dem Umstand, daß die Klägerin während ihrer Beschäftigung im St.-Elisabeth-Hospital eine ihrer Behinderung entsprechende ärztliche Betreuung erfahren kann und bei gegebenem Anlaß auch tatsächlich erhält, daß darüber hinaus auch sonst auf ihre Behinderung Rücksicht genommen wird, hat das LSG zu Recht keine entscheidende Bedeutung beigemessen. Denn es genügt nicht, daß nur das einzelne, mit dem Behinderten abgeschlossene Beschäftigungsverhältnis gleichzeitig auch einen Betreuungszweck hat, ohne daß die ihn beschäftigende Einrichtung ihrer Art nach auf Betreuung angelegt ist. Über die Art und den Umfang der der Klägerin gewährten Betreuung bedurfte es daher - schon vom Rechtsstandpunkt des LSG aus - keiner Beweiserhebung, so daß die Verfahrensrügen der Klägerin nicht begründet sind.
Daß nicht schon eine - lediglich im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses gewährte - Betreuung als Voraussetzung für § 2 SVBG genügen kann, hat das LSG zutreffend auch damit begründet, daß dies den mit dem SchwbG verfolgten Zielen einer möglichst umfassenden Eingliederung der Behinderten in den Arbeitsprozeß zuwiderliefe. Es würden dann nämlich Arbeitgeber, die die gesetzlich vorgeschriebene Zahl von Pflichtarbeitsplätzen für Schwerbehinderte tatsächlich mit solchen Personen besetzen, im Ergebnis häufig schlechter gestellt sein als andere Arbeitgeber, die dies nicht tun und dafür die Zahlung einer Ausgleichsabgabe in Kauf nehmen (zu dieser Abgabe, die von den ihrer Beschäftigungspflicht nicht nachkommenden Arbeitgebern zur Zeit in Höhe von DM 100,-- zu zahlen ist und nicht etwa, wie die Klägerin anzunehmen scheint, den ihre Beschäftigungspflicht erfüllenden Arbeitgebern gezahlt wird, vgl. § 8 SchwbG i.d.F. des Gesetzes vom 8. Oktober 1979, BGBl. I, 1649). Denn diejenigen Arbeitgeber, die ihre Beschäftigungspflicht erfüllen, wären zwar von der Ausgleichsabgabepflicht befreit, müßten jedoch - zusätzlich zu den mit der Beschäftigung von Schwerbehinderten ohnehin verbundenen Produktionserschwernissen - für die von ihnen beschäftigten leistungsgeminderten und entsprechend entlohnten Behinderten die Rentenversicherungsbeiträge in Höhe des Unterschiedes der tatsächlich gezahlten Vergütung und 90 v. H. des durchschnittlichen Arbeitsentgelts aller Versicherten allein tragen (§ 8 SVBG); im Falle der Klägerin würde, dies das Krankenhaus mit erheblich mehr als der Ausgleichsabgabe von DM 100,-- monatlich belasten. Da eine solche zusätzliche Belastung nur Arbeitgeber treffen würde, die eine Einrichtung i.S. des § 2 SVBG unterhalten - das wäre selbst bei weitester Auslegung des Begriffs der Einrichtung nur ein kleiner Teil der Arbeitgeber -, könnten sich auch Bedenken unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes) ergeben.
Andererseits sieht der Senat mit dem LSG durch § 2 SVBG in der hier vorgenommenen Auslegung keine verfassungsrechtlichen Grundsätze verletzt. Auch wenn - was dem Gesetzgeber, wie dargelegt, bei der Schaffung des SVBG bewußt war - mit diesem Gesetz die erstrebte Verbesserung der sozialversicherungsrechtlichen Situation aller Behinderten noch nicht voll erreicht werden konnte, insoweit also noch Unterschiede bestehen bleiben, muß dies für eine Übergangszeit hingenommen werden. Bei Reformen, die sich, etwa aus finanziellen Gründen, nur schrittweise verwirklichen lassen, muß es dem Gesetzgeber grundsätzlich überlassen bleiben, in welcher Zeitfolge er gebotene Änderungen und Verbesserungen vornehmen will, ob dies insbesondere schrittweise oder in einem Zuge geschehen soll (vgl. dazu BVerfGE 40, 121, 140).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
Haufe-Index 518520 |
Breith. 1982, 788 |