Barrierefreiheit im Betrieb

Wie kann es deutschen Unternehmen gelingen, Barrierefreiheit und mehr Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung einzurichten? Eine Studie der DGUV identifizierte erfolgreiche Beispiele aus anderen Ländern, wie Zugänge und Arbeitsbedingungen von schwerbehinderten Menschen verbessert werden können.

In den Jahren 2021/22 waren in Nordrhein-Westfalen 21 Prozent der Pflichtarbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen unbesetzt, das entspricht fast 59.000 Arbeitsplätzen. Vor allem kleinere private Unternehmen kommen der Verpflichtung zur Bereitstellung von Arbeitsplätzen für Schwerbehinderte in beträchtlichem Maße nicht nach. Angesichts dieser Zahl wird deutlich, dass hinsichtlich der Beschäftigung von Menschen mit einer schweren Behinderung in Nordrhein-Westfalen (wie in ganz Deutschland) deutliche Verbesserungspotenziale bestehen.

Ausgleichsabgabe für Unternehmen ohne schwerbehinderte Beschäftigte

In Deutschland müssen Unternehmen, die 20 oder mehr Personen beschäftigen, fünf Prozent der Stellen mit schwerbehinderten Menschen besetzen. Kommen sie dieser Auflage nicht oder nicht vollständig nach, müssen sie eine Ausgleichsabgabe zahlen. Diese soll nun erhöht werden, was die Arbeitgeberverbände scharf kritisieren. Das bestrafe vor allem viele kleinere Betriebe, die es trotz aller Anstrengungen nicht schaffen, einen schwerbehinderten Menschen einzustellen, so wird argumentiert. Schon jetzt übersteige die Zahl der unbesetzten Pflichtarbeitsplätze die Zahl der Menschen mit Schwerbehinderung, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Die zusätzliche Strafzahlung sende gegenüber den – gerade ohnehin sehr belasteten - Betrieben ein falsches Signal.

DGUV-Studie zur Barrierefreiheit

Wenn Sanktionen aber der falsche Weg sind, was könnte man stattdessen tun, um den Anteil an schwerbehinderten Menschen in den Betrieben zu steigern? Zum Beispiel, indem man über den eigenen Tellerrand schaut. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gab daher bei der DGUV im Jahr 2018 eine Studie in Auftrag, deren Abschlussbericht Anfang 2020 vorlag. Das Ziel der Studie war es, Best-Practice-Beispiele im Ausland zu identifizieren, die deutschen Unternehmen helfen können, Barrieren in ihren eigenen Betrieben abzubauen und dadurch den Zugang von Menschen mit Behinderung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erleichtern. Dabei berücksichtigte die Studie alle Arten von Behinderungen als auch von potenziellen Barrieren in den Unternehmen: bautechnische Hindernisse, Dienstleistungen, Arbeitsprozesse und Kommunikationstechnologien. Welche vorbildlichen Strategien und Maßnahmen konnte das Forschungsprojekt im Ausland finden?

Sensibilisierung der Beschäftigten

Neben der Unterstützung des Topmanagements für eine behindertengerechte Arbeitswelt ist vor allem das Verständnis auf Ebene der (nicht behinderten) Beschäftigten erforderlich. In einigen russischen Unternehmen werden interaktive Trainings angeboten, um Vorurteile, Unsicherheiten und Ängste in der Wahrnehmung von und im Umgang mit Menschen mit Behinderung zu beseitigen. An fünf verschiedenen Stationen, die auf unterschiedliche Behinderungsarten ausgerichtet sind, bekommen die Teilnehmenden die Möglichkeit, in den aktiven Dialog mit betroffenen Menschen zu treten und einen Einblick in den Alltag von Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen zu gewinnen.

Neue Weichenstellungen in Unternehmen

Es ist nicht notwendig die Arbeits- und Organisationsprozesse in den Betrieben radikal zu verändern um Menschen mit Schwerbehinderung zu integrieren. Kleine Weichenstellungen reichen vielfach vollkommen aus. Dies beweist unter anderem die skandinavische Hotelkette Scandic Hotels. Sie schuf die Stelle eines sogenannten Director Accessibility neu und positionierte sie auf Managementebene, um Themen der Barrierefreiheit von Anfang an in Unternehmensentscheidungen mitzuberücksichtigen. Bei Flex, einem amerikanischen Elektrohersteller, wurde eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung innerhalb des Unternehmens etabliert, um den Übergang aus der geschützten Beschäftigung in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu erleichtern. In den Niederlanden werden mittels der Redesign-Methode Arbeitsprozesse in den Betrieben analysiert, um Tätigkeitsmerkmale zu identifizieren, die keiner besonderen Qualifikation bedürfen. Diese Tätigkeitsmerkmale werden in separaten Aufgaben zusammengefasst, wodurch neue Tätigkeitsbereiche für Menschen mit Behinderung entstehen. In einigen israelischen Unternehmen wiederum wurde für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen ein ganzheitliches Trainingsprogramm zur Inklusion entwickelt. Ein Integrationsteam begleitet Patienten dabei während der gesamten Rehabilitation, der Wiedereingliederung in den primären Arbeitsmarkt und darüber hinaus. Es steht auch dem Arbeitsgeber als Ansprechpartner zur Verfügung und unterstützt bei Problemen maßgeblich.

Informationen zur Studie aus: Friedrich Mehrhoff, Marlon Becker; Internationale Studie zur Barrierefreiheit in Unternehmen der Privatwirtschaft, DGUV Forum, 4/2021.


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