Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Urteil vom 12.11.1991) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 12. November 1991 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt Konkursausfallgeld (Kaug) aufgrund eines nach Ablauf der Frist nach § 141e Abs 1 Satz 2 Arbeitsförderungsgesetz ≪AFG≫ (zwei Monate nach Insolvenzereignis) gestellten Antrags; zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ihm die Kenntnis seines damals für ihn in einem Arbeitsgerichtsverfahren tätigen Prozeßbevollmächtigten von der Ablehnung des Konkursantrags mangels Masse zuzurechnen ist.
Der Kläger war von Ende Juli bis September 1987 bei der K … -GmbH (K-GmbH) beschäftigt. Auf seine Klage verurteilte das Arbeitsgericht Bocholt die K-GmbH mit Urteil vom 21. April 1988 zur Zahlung eines Bruttoarbeitsentgelts in Höhe von DM 5.184,–. Im Berufungsverfahren legte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers, der diesen bereits bei dem Antrag auf Mahnbescheid im November 1987 vertreten hatte, mit Schriftsatz vom 29. Juli 1988 den Beschluß vom 20. Juli 1988 vor; mit diesem hatte das Amtsgericht Bocholt die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der K-GmbH mangels Masse abgelehnt. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm wies mit Versäumnisurteil vom 16. Januar 1990 die Berufung der K-GmbH zurück.
Den Antrag des Klägers auf Kaug vom 29. November 1988 lehnte die Beklagte wegen Fristversäumnis ab. Widerspruch, Klage und (vom Sozialgericht ≪SG≫ zugelassene) Berufung hatten keinen Erfolg: Nach Auffassung des Landessozialgerichts (LSG) muß sich der Arbeitnehmer die Kenntnis seines Prozeßbevollmächtigten bei Anwendung des § 141e Abs 1 AFG zurechnen lassen; dies folge aus der entsprechenden Anwendung des § 278 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); ähnliche Zurechnungsnormen gälten im Verwaltungsverfahrensrecht sowie im sozialgerichtlichen Verfahren bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die fehlerhafte Anwendung von § 278 BGB auf die Vorschriften über das Kaug. Sein Prozeßbevollmächtigter im arbeitsgerichtlichen Verfahren sei nicht im Rahmen eines Rechtsverhältnisses zwischen ihm und der Beklagten tätig geworden. Selbst wenn ihm anläßlich der Erlangung der Kenntnis über das Insolvenzereignis Beratungs- und Belehrungspflichten – im Innenverhältnis – oblegen hätten, könne dies nicht zu Rechtsfolgen zwischen dem Arbeitnehmer und der Bundesanstalt für Arbeit – im Außenverhältnis – führen.
Der Kläger beantragt,
1) die Urteile der Vorinstanzen und den Bescheid der Beklagten vom 11. Dezember 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Januar 1989 aufzuheben;
2) die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger aufgrund seines Antrags vom 29. November 1988 Konkursausfallgeld nach einem Brutto-Arbeitsentgelt von 5.184,– DM zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachen vom 12. November 1991 zurückzuweisen.
Sie trägt vor, eine öffentlich-rechtliche Sonderverbindung zwischen dem Arbeitnehmer und ihr könne auch schon vor der Antragstellung auf Kaug bestehen. Auch habe das Bundessozialgericht (BSG) § 278 BGB im Rahmen der Ausfallanzeige nach § 84 Abs 1 Nr 3 AFG aF ebenfalls angewandt (Hinweis auf das Urteil des BSG vom 21. Juni 1977, SozR 4100 § 84 Nr 2). Schließlich sei das Vertretenmüssen iS des § 141 Abs 1 Satz 3 AFG nach der Rechtsprechung des BSG (Hinweis auf das Urteil des BSG vom 18. Januar 1990, USK 9013) nach den Grundsätzen über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beurteilen; hierfür aber sei anerkannt, daß sich der Kläger bei Fristversäumnis ein Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten zurechnen lassen müsse.
Entscheidungsgründe
II
Der Senat hat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Auf die Revision des Klägers war der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen. Aufgrund der von diesem festgestellten Tatsachen kann nicht entschieden werden, ob dem Kläger im Rahmen des § 141e Abs 1 Satz 3 AFG die Kenntnis seines Prozeßbevollmächtigten im arbeitsgerichtlichen Verfahren zuzurechnen ist.
Nach § 141e Abs 1 Satz 2 (iVm § 141b Abs 3 Nr 1) AFG ist der Antrag auf Kaug innerhalb einer Ausschlußfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis, unter der Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse zu stellen. Zweck dieser Frist ist die Klarstellung der Rechtslage (BSG vom 23. Oktober 1984, SozR 4100 § 141e Nr 7 S 20). Nach Ablauf dieser Frist ist eine Antragstellung nur noch möglich, wenn der Arbeitnehmer die Ausschlußfrist aus Gründen versäumt hat, die er nicht zu vertreten hat; dann ist der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 141e Abs 1 Satz 3 AFG). Eine nähere Erläuterung zu den Voraussetzungen einer derartigen Nachfrist gibt § 141e Abs 1 Satz 4 AFG: Der Arbeitnehmer hat die Versäumung der Ausschlußfrist zu vertreten, wenn er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat.
Die Regelung des § 141e Abs 1 Satz 3 AFG stellt, wie der Senat bereits entschieden hat (BSG vom 26. August 1983, BSGE 55, 284, 287 = SozR 4100 § 141e Nr 5 S 12; BSG vom 18. Januar 1990, USK 9013 – dort allerdings mehrfach mit dem Druckfehler „rechtskundiger Arbeitnehmer” statt „rechtsunkundiger Arbeitnehmer”), eine spezialgesetzliche Ausprägung des Rechtsinstituts der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 27 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB X≫/ § 67 SGG) dar. Dabei hat der Senat ferner darauf hingewiesen, daß auch der nicht rechtskundige Arbeitnehmer Beratungsfehler Dritter, um deren Rechtsrat er nachgesucht habe, in gleicher Weise zu vertreten habe wie andere Berechtigte (BSG USK 9013, S 48 unten).
Nach dem Wortlaut der Regelungen über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gilt dieser Grundsatz allerdings nur dann, wenn jener Beratungsfehler einem Vertreter des Betroffenen zur Last zu legen ist. Nach dem über § 202 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anwendbaren § 85 Abs 2 Zivilprozeßordnung (ZPO) steht das „Verschulden des Bevollmächtigten … dem Verschulden der Partei gleich”; nach § 27 Abs 1 Satz 2 SGB X ist das „Verschulden eines Vertreters dem Vertretenen zuzurechnen” (gleichlautend § 32 Abs 1 Satz 2 Verwaltungsverfahrensgesetz ≪VwVfG≫, § 110 Abs 1 Satz 2 Abgabenordnung ≪AO≫). Nicht jede Person, an die sich der Betroffene rechtsuchend wendet, ist in diesem Sinne ihr Vertreter. Deshalb stellt es in der Regel einen Wiedereinsetzungsgrund dar, wenn der Betroffene von einer Person eine falsche Auskunft erhalten hat, auf deren Sachkunde er vertrauen durfte, die er jedoch nicht mit der Wahrnehmung seiner Interessen betraut hatte (vgl BVerwG vom 20. März 1972, BVerwGE 43, 332, 335).
Mit den genannten Regelungen ist ein rechtsgeschäftlich bestellter Vertreter jedenfalls dann gemeint, wenn er für jenes (Verwaltungs- oder Gerichts-) Verfahren bestellt wurde, in dem eine Frist versäumt wurde. Die Rechtsprechung hat jedoch als Vertreter, dessen Verschulden im Rahmen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurechenbar ist, nicht nur den unmittelbar Verfahrensbevollmächtigten angesehen. Sie hat dem Betroffenen auch das Verschulden solcher Personen zugerechnet, die er nicht beauftragt und bevollmächtigt hatte, bestimmte Erklärungen abzugeben bzw einer bestimmten Behörde oder einem Gericht gegenüber aufzutreten, sondern denen insoweit lediglich Vorbereitungshandlungen oblagen (zB die Erarbeitung einer Rechtsmittelbegründung und die Beauftragung eines zugelassenen Prozeßbevollmächtigten ≪BGH vom 26. März 1973, VersR 1973, 574≫; die Anfertigung eines Rechtsmittelgutachtens ≪BGH vom 13. Juli 1956, VersR 1956, 578≫; das Stellen einer Strafanzeige, um das angestrebte Restitutionsverfahren vorzubereiten ≪BGH vom 6. Juni 1978, LM Nr 11 zu § 586 ZPO≫). Darüber hinaus ist jedenfalls das Verschulden einer Person dann zurechenbar, wenn sie der Betroffene ausdrücklich zu seiner Vertretung bestellt hat und die Vornahme der fristwahrenden Handlung bzw das für die Fristversäumnis ursächliche schuldhafte Verhalten in deren Aufgabenbereich fällt (so BFH vom 28. November 1990, BFH/ NV 1991, 502; Söhn in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Komm zur AO und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl, § 110 AO, RdNr 72, Stand: November 1987; vgl auch BVerwG vom 21. Januar 1972, NJW 1972, 1435, rechte Spalte). Es kommt also jeweils darauf an, ob der Dritte noch im Rahmen des ihm erteilten Auftrags tätig wird (BGH vom 21. Mai 1951, BGHZ 2, 205, 207 f; BGH vom 19. Dezember 1962, BGHZ 38, 376, 379).
Hierin liegt im Gegensatz zu der in der Revision vertretenen Auffassung keine unzulässige Vermengung von Haftungsfragen im Innenverhältnis mit Fragen der Vertretungsbefugnis. Vielmehr beruht die zitierte Rechtsprechung auf dem allgemeinen Rechtsgedanken, daß sich niemand einer Verantwortung, die ihm im Außenverhältnis obliegt, dadurch entledigen kann, daß er eigene Aufgaben einem anderen zur Erledigung überträgt.
Die oben näher ausgeführten Grundsätze gelten auch bei Anwendung des § 141e Abs 1 Satz 3 AFG. Denn auch hier besteht kein Grund, den Arbeitnehmer von seinen Obliegenheiten freizustellen, wenn sie von einer anderen Person in seinem Auftrag wahrgenommen werden. Nichts anderes folgt im vorliegenden Fall daraus, daß im Verfahren vor dem LAG Vertretungszwang gilt (§ 11 Abs 2 Arbeitsgerichtsgesetz) und es dem Kläger somit nicht freistand, seine Interessen in jenem Verfahrensstand, in dem das Insolvenzereignis bekannt wurde, selbst zu vertreten. Zum einen war der damalige Prozeßbevollmächtigte des Klägers für ihn nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG nicht lediglich im Berufungsverfahren, sondern spätestens ab November 1987 – Antrag beim Arbeitsgericht auf Erlaß eines Mahnbescheides – tätig. Zum anderen wird auch bei Vertretungszwang ein Prozeßbevollmächtigter in der Risikosphäre des Vertretenen – und nicht etwa der eines anderen Verfahrensbeteiligten – tätig. Schließlich kann der Entstehungsgeschichte der VwGO, des SGB X und des VwVfG entnommen werden, daß der Gesetzgeber das Wiedereinsetzungsrecht im Verwaltungsverfahren und im Verfahren aller Gerichtszweige bewußt einheitlich – auch hinsichtlich des Vertreterverschuldens – gestalten wollte (vgl die ausführliche Darstellung zur Entwicklung der Zurechenbarkeit des Vertreterverschuldens im zivil- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren in BVerfG vom 20. April 1982, BVerfGE 60, 253, 271 ff; zur angestrebten Einheitlichkeit VwGO/VwVfG/SGB X: BT-Drucks 7/910 S 55 zu § 28 des Entwurfs zum VwVfG, BT-Drucks 8/2034 S 32 zu §§ 25, 26 des Entwurfs zum SGB X). Dann aber können auch spezialgesetzlich vorgegebene Wiedereinsetzungsregelungen nicht abweichend ausgelegt werden.
Damit kommt es darauf an, ob der damalige Prozeßbevollmächtigte des Klägers im Rahmen des ihm erteilten Auftrags auch zur Stellung eines Antrags auf Kaug befugt war oder, wenn nicht, ob ihm hieraus eine Informationspflicht oblag, der er nicht nachgekommen ist. Dann wäre es gerechtfertigt, einem Arbeitnehmer bei einem entsprechenden Versäumnis seines Bevollmächtigten nicht die Nachfrist des § 141e Abs 1 Satz 3 AFG zugute kommen zu lassen, sondern ihn auf evtl Regreßansprüche gegen diesen Bevollmächtigten zu verweisen (generell gegen eine derartige Zurechnung im übrigen das Berufungsgericht in seiner früheren Rechtsprechung: LSG Niedersachsen vom 28. November 1989 – L 7 Ar 354/87 –; wie im Berufungsurteil jedoch bereits LSG Niedersachsen vom 27. November 1990 – L 7 Ar 2/88 – = NdsRpfl 1991, 210).
Dies kann jedoch auf der Grundlage des vom LSG festgestellten Sachverhalts nicht abschließend entschieden werden, da der Umfang des zwischen dem Kläger und seinem damaligen Prozeßbevollmächtigten begründeten Mandatsverhältnisses nicht bekannt ist.
Falls sich der Kläger damals an seinen Prozeßbevollmächtigten mit dem Anliegen gewandt hat, sein Arbeitgeber habe ihm keinen Lohn gezahlt, und er solle die sich hieraus ergebenden Ansprüche (ohne ausdrückliche Eingrenzung auf das Arbeitsrecht) realisieren, so hätte ein entsprechender Auftrag auch die Stellung eines Antrags auf Kaug nach Kenntnis von der Insolvenz des Arbeitgebers umfaßt. Dann müßte sich der Kläger das Fehlverhalten seines Vertreters (Nichtstellung des Kaug-Antrags) im Rahmen des § 141e Abs 1 Satz 3 AFG zurechnen lassen. Dies gilt unabhängig davon, ob zur Kaug-Antragstellung die Erteilung einer gesonderten Vollmacht erforderlich gewesen wäre oder nicht.
Hätte der Kläger jedoch damals seinen Prozeßbevollmächtigten – eng begrenzt – ausschließlich mit seiner Vertretung im arbeitsgerichtlichen Verfahren betraut, so hätte diesem zwar uU die Benachrichtigung des Klägers vom Konkurs-Ablehnungsbeschluß vom 20. Juli 1988 oblegen, dies jedoch nicht denknotwendig so rechtzeitig, daß die Kaug-Antragsfrist gewahrt werden könnte. Ebensowenig muß ein derartiger Auftrag die Pflicht umfassen, den Kläger über die Möglichkeit eines Anspruchs auf Kaug zu beraten, geschweige denn, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Dann könnte eine vom Prozeßbevollmächtigten gegebene, vom Kläger jedoch nicht rechtzeitig in der Kaug-Antragsfrist erhaltene Information dazu führen, daß der Kläger die Versäumung der Ausschlußfrist nicht iS des § 141e Abs 1 Satz 3 AFG zu vertreten hat.
Der Umfang des vom Kläger seinem damaligen Prozeßbevollmächtigten erteilten Auftrags könnte jedoch wiederum dahinstehen, wenn – wozu das LSG ebenfalls keine Feststellungen getroffen hat – der Kläger selbst während der Kaug-Antragsfrist nach § 141e Abs 1 Satz 2 AFG von der Insolvenz seines Arbeitgebers erfahren hätte – einerlei aus welcher Quelle. Dann hätte er in jedem Falle diese Ausschlußfrist aus von ihm iS des § 141e Abs 1 Satz 3 AFG zu vertretenden Gründen versäumt (vgl BSG vom 18. Januar 1990, USK 9013).
Im vorliegenden Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob sich der Kläger selbst – durch Einschaltung seines damaligen Prozeßbevollmächtigten – iS des § 141e Abs 1 Satz 4 AFG mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat. Denn hieraus folgt noch nicht, daß ihm die Versäumung der Ausschlußfrist des § 141e Abs 1 Satz 2 AFG nicht zugerechnet werden könnte (vgl BSG vom 10. April 1985, SozR 4100 § 141e Nr 8 S 24 f).
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
BSGE, 213 |
NJW 1993, 1350 |
ZIP 1993, 372 |