Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsunfall. Freiwillige Feuerwehr. Feuerwehrball. innerer Zusammenhang. Zwecken der Freiwilligen Feuerwehr wesentlich dienende Verrichtung. dienstlicher Charakter einer geselligen Veranstaltung
Leitsatz (amtlich)
Zum Unfallversicherungsschutz eines Angehörigen der Freiwilligen Feuerwehr bei der Teilnahme an einem "Feuerwehrball".
Normenkette
RVO § 539 Abs 1 Nr 8, § 548 Abs 1 S 1; BrandSchG ND § 1 Abs 1, § 11 Abs 4
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den Anspruch des Klägers auf Feststellung, daß eine am 16. November 1986 erlittene Gesundheitsstörung Folge eines Arbeitsunfalls ist.
Der Kläger ist Feuerwehrortsbrandmeister des Ortsteils E. der Stadt N. . Am 15. November 1986 fand unter der Leitung eines Festausschusses und des Stadtbrandmeisters ein Feuerwehrball statt, an dem Vertreter der 31 Ortsfeuerwehren, der Stadtbrandmeister sowie einige überörtliche Funktionsträger der Feuerwehr mit ihren Partnern teilnahmen. In der dazu ergangenen Einladung, die an die Ortsbrandmeister der 31 Ortsfeuerwehren, den Stadtjugendwart, den Stadtsicherheitsbeauftragten und deren Stellvertreter gerichtet war, wurde darum gebeten, daß möglichst die Ortsbrandmeister und deren Stellvertreter mit Damen daran teilnehmen sollten. Nur in ganz zwingenden Fällen "wie Krankheit oder Trauer" sollte Ersatz entsandt werden. Die Öffentlichkeit bzw feuerwehrfremde Personen konnten an der Veranstaltung nicht teilnehmen. Von der 26 Mitglieder umfassenden Ortsfeuerwehr E. nahmen neben dem Kläger als Ortsbrandmeister ein weiteres Mitglied zusammen mit den Ehefrauen teil. Die teilnehmenden Mitglieder der Feuerwehr trugen Uniform. Die Kosten der Veranstaltung wurden teils aus einer Umlage, teils aus der Kameradschaftskasse des Stadtkommandos der Freiwilligen Feuerwehr getragen. Bei Nichtteilnahme mußte ein Reugeld gezahlt werden. Der Kläger stürzte im Verlauf der Veranstaltung (gegen 2.00 Uhr morgens) beim Tanzen und zog sich eine Radiustrümmerfraktur links zu.
Mit Bescheid vom 2. Oktober 1987 idF des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 1987 lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Der Kläger habe bei seinem Sturz auf der Tanzfläche nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden, weil die Tanzveranstaltung nicht als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung angesehen werden könne.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 25. November 1988). Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG und die angefochtenen Bescheide aufgehoben und festgestellt, daß die Radiustrümmerfraktur links Folge des Arbeitsunfalls vom 16. November 1986 ist (Urteil vom 15. Februar 1990). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger gehöre zu den nach § 539 Abs 1 Nr 8 der Reichsversicherungsordnung (RVO) versicherten Personen. Für das Bestehen von Versicherungsschutz könne es dahinstehen, ob im vorliegenden Fall die unfallbringende Tätigkeit in rechtserheblicher Weise mit dem Unternehmen innerlich zusammenhänge. Denn unter Berücksichtigung der Besonderheiten einer Feuerwehrorganisation habe es sich bei dem Feuerwehrball um eine betriebliche und damit unfallversicherungsrechtlich geschützte Gemeinschaftsveranstaltung gehandelt. Es sei zwar richtig, daß eine Gemeinschaftsveranstaltung der versicherten Tätigkeit nur dann gleichgestellt werden könne, wenn sie dem Zweck diene, die Verbundenheit zwischen Betriebsleitung und Betriebsangehörigen zu fördern. Dazu müsse die Veranstaltung allen Angehörigen des Betriebes offenstehen. Bei einer aus 31 Ortswehren bestehenden Feuerwehr erscheine es jedoch sachgerecht, ein Verbundenheitsgefühl primär auf horizontaler und nicht - wie bei einem Wirtschaftsunternehmen oder einer Verwaltungsbehörde - auf vertikaler Ebene zu erreichen.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte eine Verletzung materiellen Rechts (§§ 539 Abs 1 Nr 8, 548 RVO). Das Berufungsgericht verkenne die von der Rechtsprechung geforderten Voraussetzungen, unter denen eine Gemeinschaftsveranstaltung der betrieblichen - versicherten - Tätigkeit gleichgesetzt werden könne, indem es bei dem hier in Rede stehenden Kameradschaftsball auch die Verbundenheitspflege zwischen Führungskräften als versicherte Gemeinschaftsveranstaltung anerkannt habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen vom 15. Februar 1990 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Hannover vom 25. November 1988 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das LSG hat im Ergebnis zutreffend festgestellt, daß die Radiustrümmerfraktur links Folge des am 16. November 1986 erlittenen Arbeitsunfalls ist.
Arbeitsunfall ist nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten und danach versicherten Tätigkeit erleidet. Diese Voraussetzungen sind im Gegensatz zur Ansicht der Beklagten erfüllt.
Mit dem LSG ist der Senat der Auffassung, daß sich der Versicherungsschutz des Klägers nach § 539 Abs 1 Nr 8 RVO richtet. Danach sind die in einem Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen Tätigen gegen Arbeitsunfall versichert. Hierzu zählen auch die Angehörigen der Freiwilligen Feuerwehr, ohne daß allerdings dieser Personenkreis ausdrücklich in § 539 Abs 1 Nr 8 RVO erwähnt wird (BSGE 38, 21, 26; BSG Urteil vom 26. März 1986 - 2 RU 77/84 - USK 86160; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 472zI mwN). Auch die weiteren Tatbestandserfordernisse für den Versicherungsschutz nach dieser Vorschrift sind gegeben. Der Kläger ist unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Organisation einer Freiwilligen Feuerwehr bei einer Tätigkeit verunglückt, die in rechtserheblicher Weise mit dem "Unternehmen" Freiwillige Feuerwehr in innerem Zusammenhang steht.
Nach § 11 Abs 4 iVm § 1 Abs 1 des Niedersächsischen Gesetzes über den Brandschutz und die Hilfeleistungen der Feuerwehren (NBrandSchG) vom 8. März 1987 (GVBl S 233) haben die aktiven Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr an Brandbekämpfungs- und Hilfeleistungseinsätzen sowie am Ausbildungsdienst teilzunehmen.
Der Kläger ist zwar nicht bei einer ihm nach diesem Gesetz obliegenden Verrichtung verunglückt. Der Versicherungsschutz eines Mitgliedes der Freiwilligen Feuerwehr umfaßt jedoch nicht nur die zum eigentlichen Feuerwehrdienst (wie Brandbekämpfung, Absperrungen, Übungen, Hilfeleistungen bei Verkehrsunfällen - s Brackmann aaO S 472zI mwN) gehörenden Tätigkeiten, sondern - im Unterschied zu Arbeitsleistungen im Rahmen der Mitgliedspflichten in einem privat-rechtlichen Verein (s BSGE 52, 11, 12; Brackmann aaO S 471b) - auch sonstige Verrichtungen, die den Zwecken der Feuerwehr wesentlich dienen (s BSG Urteil vom 28. Oktober 1966 - 2 RU 92/63 -). Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 539 Abs 1 Nr 8 RVO, wonach "die in einem Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen Tätigen" vom Versicherungsschutz umfaßt werden. In der gesetzlichen Unfallversicherung ist seit jeher anerkannt, daß vom Versicherungsschutz auch solche Handlungen und Maßnahmen erfaßt sind, die sich durch das Vorhandensein des Betriebes selbst und seine Beziehungen zum öffentlichen Leben ergeben (BSGE 52, 89, 90 mwN). Entscheidend für den Versicherungsschutz ist, daß die unfallbringende Tätigkeit in rechtserheblicher Weise mit dem Unternehmen innerlich zusammenhängt (BSG Urteil vom 27. Februar 1985 - 2 RU 10/84 - HV - Info Nr 10/85, 24 mwN). Es muß demgemäß ein sog innerer Zusammenhang bestehen, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen (s BSGE 63, 273, 274; BSG SozR 2200 § 548 Nr 82). Nichts anderes gilt auch für die nach § 539 Abs 1 Nr 8 RVO geschützten Personen (Brackmann aaO S 472zI).
Während die Angehörigen einer Berufsfeuerwehr (s zB § 9 Abs 1 NBrandSchG) in größeren Gemeinden oder Großstädten sich täglich während ihrer Dienstzeit durch vielfache Einsätze, Übungen und Einsatzbereitschaften kennen, haben die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr ein anderes berufliches und privates Umfeld. Um den ihnen auferlegten ehrenamtlichen Aufgaben zur Hilfeleistung bei Bränden oder Unglücksfällen gerecht werden zu können, ist hier eine besondere Kameradschaft erforderlich, die nicht nur bei akuten Maßnahmen zur Gefahrenabwehr oder unter Aufopferung der Freizeit durch regelmäßige Übungen entstehen kann, sondern auch anderer Gelegenheiten bedarf. Dazu hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 27. Februar 1985 (- 2 RU 10/84 - HV-Info Nr 10/85, 24) klargestellt (s auch Urteil des Senats vom 28. Oktober 1966 - 2 RU 92/63 -), daß entsprechend den in der gesetzlichen Unfallversicherung anerkannten Grundsätzen sonstige Verrichtungen, die den Belangen der Feuerwehr wesentlich dienen oder die Zwecke der Feuerwehr wesentlich fördern, unter Versicherungsschutz stehen.
Die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr sind somit neben dem eigentlichen Feuerwehrdienst nicht nur bei Feuerwehrübungen, Probeeinsätzen oder sog Tagen der offenen Tür versichert, sondern auch bei sonstigen Veranstaltungen, die den Zwecken der Feuerwehr wesentlich dienen. Hierunter fallen nicht nur Dienstbesprechungen; vielmehr können auch gesellige Veranstaltungen einer Freiwilligen Feuerwehr als zu ihrem Betrieb gehörig und damit unter den Versicherungsschutz fallend betrachtet werden (s RVA EuM 33, 263, 264; BSG Urteil vom 27. Februar 1985 - 2 RU 10/84 - aaO; Vollmar, ZfS 1978, 156). Dies beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Ob dabei die zum Unfall führende Verrichtung der Freiwilligen Feuerwehr dienlich gewesen ist, entscheidet sich nicht danach, ob sie ihr objektiv dienen konnte; es genügt vielmehr, daß der Versicherte von seinem Standpunkt aus der Auffassung sein konnte, daß die Tätigkeit geeignet ist, den Interessen des Betriebes zu dienen, und daß diese subjektive Meinung in den objektiv gegebenen Verhältnissen eine ausreichende Stütze findet (BSGE 20, 215, 218; 30, 282, 283; 52, 57, 59; Brackmann aaO S 479h IV).
Im vorliegenden Fall war der Kläger nach den Feststellungen des LSG der Meinung, daß seine Teilnahme an dem Feuerwehrball für die Belange der Feuerwehr dienlich war. Denn die Art und Weise, in welcher der Kläger an dieser Feier teilnehmen "mußte", gab dieser Beteiligung den Anschein einer Feuerwehrdienstpflicht. Die eindringliche Einladung des Stadtbrandmeisters, der sein Dienstvorgesetzter ist (s § 13 Abs 1 Satz 2 Halbs 2 NBrandSchG), war so gestaltet, daß der Kläger als Ortsbrandmeister den Eindruck haben mußte, er könne dieser Veranstaltung nicht fernbleiben. Zwar handelte es sich nicht um eine dienstlich angeordnete Veranstaltung (wie etwa die durchgeführten Dienstbesprechungen). Es bestand damit für den Kläger kein Zwang zur Teilnahme. Andererseits konnte er sich als Ortsbrandmeister dieser "Verpflichtung" zur Teilnahme an der Veranstaltung, die ausschließlich dem Betrieb der Feuerwehr zuzurechnen ist, nicht entziehen (vgl BSG SozR Nr 71 zu § 542 RVO aF; BSGE 41, 58, 59/60). Der dienstliche Charakter dieser Veranstaltung wird auch dadurch unterstrichen, daß bei Nichtteilnahme ein Reugeld zu zahlen war, die teilnehmenden Feuerwehrmitglieder Uniform trugen und - wie sich aus den vom LSG in Bezug genommenen Akten ergibt - der Kläger als Teilnehmer mit einem Dienstfahrzeug von zu Hause abgeholt und wieder zurückgebracht wurde (s Bl 63 LSG-Akte).
Zudem ergibt sich auch aus objektiver Sicht, daß bei einer großflächigen Kommune mit mehr als 30 Freiwilligen Ortsfeuerwehren die menschliche Verständigung und Kameradschaft nicht nur innerhalb der jeweiligen Freiwilligen Ortsfeuerwehr, sondern gerade auch zwischen den Ortsbrandmeistern für die Belange der Feuerwehr notwendig und sinnvoll sind. Menschliche Verständigung und Kameradschaft sind wesentliche Elemente für die Sicherstellung des Schutzes zB bei ortsübergreifenden Bränden (Flächenbrände, Moor- oder Waldbrände). In solchen Fällen kommt es ganz wesentlich nicht auf die einzelne - örtliche - Feuerwehr an, sondern auf das möglichst reibungslose Funktionieren der Gemeinde- oder Stadtfeuerwehr insgesamt. Insoweit unterscheidet sich der hier maßgebende Sachverhalt grundlegend von dem, der dem Urteil des Senats vom 27. Februar 1985 (2 RU 10/84 aaO) zugrunde lag. Dort diente nach den das BSG bindenden tatsächlichen Feststellungen die Teilnahme an dem Fest anläßlich des 100-jährigen Bestehens einer österreichischen Feuerwehr ausschließlich den Interessen dieses Feuerwehrvereins.
Der Kläger stand somit während des Feuerwehrballs nach § 539 Abs 1 Nr 8 RVO unter Versicherungsschutz. Unfallversicherungsrechtlich geschützt sind damit alle Tätigkeiten, die mit dem Gesamtzweck der Veranstaltung vereinbar sind, zB das Abgeben von Kleidung an der Garderobe oder das Tanzen (s Brackmann aaO S 482r). Im vorliegenden Fall stürzte der Kläger beim Tanzen; seine dabei erlittenen Verletzungen sind Folgen eines Arbeitsunfalls (§ 548 Abs 1 iVm § 539 Abs 1 Nr 8 RVO).
Bei dieser Sach- und Rechtslage brauchte der Senat in Übereinstimmung mit der Berufungsbegründung des Klägers (s Bl 64 LSGAkte unter Nrn 4 und 5) auf die das angefochtene Urteil tragenden Gründe und die von der Revision dagegen erhobenen Rügen zum möglichen Versicherungsschutz des Klägers nach § 539 Abs 1 Nr 8 RVO unter dem Gesichtspunkt einer der versicherten Tätigkeit gleichstehenden betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung nicht näher einzugehen.
Die Beklagte ist auch der für die Entschädigung des Unfalls vom 16. November 1986 zuständige Versicherungsträger. Dies folgt aus § 656 Abs 4 Satz 2 RVO iVm § 655 Abs 2 Nr 1 RVO sowie § 1 der Niedersächsischen Verordnung über die Träger der Unfallversicherung für Feuerwehren vom 11. Dezember 1964 (GVBl S 193).
Die Revision war daher zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen