Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 14.11.1989) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. November 1989 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist die Gewährung von Bundeserziehungsgeld.
Der 1961 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und nach seinen Angaben Kurde jezidischen Glaubens. Er reiste am 7. Juli 1986 mit seiner Ehefrau und zwei Kindern ohne Einreisesichtvermerk in das Bundesgebiet ein. Sein Antrag auf Asylgewährung ist abgelehnt und das beim Verwaltungsgericht Minden anhängig gewesene Verfahren seinen Angaben zufolge am 9. September 1989 rechtskräftig abgeschlossen worden. Während der Dauer des Asylverfahrens war dem Kläger der Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 20 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) gestattet.
Den Antrag des Klägers vom 30. März 1987 auf Gewährung von Erziehungsgeld für seinen am 19. März 1987 geborenen Sohn Sinan lehnte das Versorgungsamt Bielefeld durch Bescheid vom 3. April 1987, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamts Nordrhein-Westfalen vom 20. Mai 1987, ab, da der Kläger als Asylbewerber wegen seines nur vorläufig gestatteten Aufenthaltsrechts keinen Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik begründet habe.
Das Sozialgericht (SG) Detmold hat durch Urteil vom 15. September 1988 die Klage abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 14. November 1989) und im wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe im streitigen Leistungszeitraum entgegen § 1 Abs 1 Nr 1 des Gesetzes über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (Bundeserziehungsgeldgesetz – BErzGG) weder seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des BErzGG gehabt.
Der Kläger rügt mit der vom LSG zugelassenen Revision eine Verletzung des § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG iVm § 30 Abs 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I). Er habe sich im maßgeblichen Bezugszeitraum vom 19. März 1987 bis 18. Januar 1988 gewöhnlich im Bundesgebiet aufgehalten. Als Angehöriger der jezidischen Glaubensgemeinschaft habe er auch bei einem negativen Ausgang des Asylverfahrens damit rechnen können, im Bundesgebiet zu bleiben. Das ergebe sich unter anderem aus einem Erlaß des Innenministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 11. Mai 1988. Sämtliche bisher in Nordrhein-Westfalen ergangenen Erlasse seien von einem ständigen Bleiberecht ausgegangen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. November 1989 und des Sozialgerichts Detmold vom 15. September 1988 aufzuheben sowie den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 3. April 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 1987 zu verurteilen, ihm Erziehungsgeld für sein am 19. März 1987 geborenes Kind zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor, Asylbewerber hätten während des Asylverfahrens grundsätzlich nur einen vorübergehenden Aufenthalt im Bundesgebiet. Einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt könnten sie wegen ihres nur vorläufigen Anwesenheitsrechts in der Regel nicht begründen, weil es an einem realisierbaren Willen, an einem Ort zu wohnen, fehle.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG).
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Er hat keinen Anspruch auf Bundeserziehungsgeld für sein Kind Sinan.
Gemäß § 1 Abs 1 BErzGG vom 6. Dezember 1985 (BGBl I S 2154) hat Anspruch auf Erziehungsgeld, wer ua einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat (Nr 1 aaO). Durch das Gesetz zur Änderung des BErzGG und anderer Vorschriften vom 30. Juni 1989 (BGBl I S 1297) ist an § 1 Abs 1 BErzGG mit Wirkung vom 1. Juli 1989 (Art 8 Abs 1 des vorgenannten Änderungsgesetzes) folgender Satz 2 angefügt worden: „Für den Anspruch eines Ausländers ist Voraussetzung, daß er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis ist, die nicht nur für einen bestimmten, seiner Natur nach vorübergehenden Zweck erteilt worden ist”. Art 10 des Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts (AuslRNG) vom 9. Juli 1990 (BGBl I S 1354) hat diese Neufassung des Satzes 2 zur Anpassung an die Neuregelung der Aufenthaltsgenehmigung (§§ 28 bis 35 AuslRNG) mit Wirkung vom 1. Januar 1991 (Art 15 Abs 2 AuslRNG) wie folgt geändert: „Für den Anspruch eines Ausländers ist Voraussetzung, daß er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung, Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsbefugnis ist”. § 1 Abs 1 Satz 2 BErzGG ist jedoch in keiner dieser Fassungen anzuwenden, weil der mögliche Leistungszeitraum vor dem 1. Juli 1989, nämlich in den Jahren 1987/88, liegt.
Das LSG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß der Kläger während des möglichen Leistungszeitraums (vom Tag der Geburt des Kindes bis zur Vollendung des 10. Lebensmonats – § 4 Abs 1 Regelung 1 BErzGG idF vom 6. Dezember 1985) die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG nicht erfüllt hat, weil er weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes hatte.
Der Senat hat in seinem Urteil vom 27. September 1990 (4 REg 30/89, zur Veröffentlichung vorgesehen) im einzelnen ausgeführt, daß Abs 1 Nr 1 aaO – abgesehen von hier nicht einschlägigen Spezialregelungen zB in § 1 Abs 2 und 4 BErzGG -alle Personen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit von der Begünstigung durch Bundeserziehungsgeld ausschließt, die zum einen den Schwerpunkt ihrer Lebensverhältnisse tatsächlich (faktisch) im Ausland haben. Zum anderen steht den Personen kein Erziehungsgeld zu, die zwar – uU ausschließlich oder zeitlich andauernd – im Inland wohnen oder sich hier aufhalten, deren Aufenthalt von der materiellen Rechtsordnung aber nur als vorübergehend, auf Beendigung angelegt und somit rechtlich nur als nicht beständig gebilligt wird. Denn Bundeserziehungsgeld sollen nur diejenigen erhalten, die bei der Erziehung eines Kindes den Schwerpunkt ihrer Lebensverhältnisse materiell-rechtlich berechtigt dauerhaft im Inland haben. Dies folgt daraus, daß Abs 1 Nr 1 aaO eine einseitige Kollisionsnorm enthält, die im Falle einer „Auslandsberührung” den persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes einschränkt. Sie ist eine leistungsrechtliche Spezialregelung (§ 37 Satz 1 Halbsatz 1 SGB I) zu § 30 Abs 1 SGB I, der die Anwendung nicht allein von Regelungen leistungsrechtlichen Charakters auf im Inland sich aufhaltende Personen, sondern auch und vor allem von Normen eingreifender Natur wie der Versicherungs- und Beitragspflicht statuiert. § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG enthält demgegenüber keine bloße Wiederholung des Normbefehls des § 30 Abs 1 SGB I; er beschränkt sich vielmehr ausschließlich auf die leistungsrechtliche Seite und nimmt solche Personen von der Anwendung des BErzGG aus, deren Verweilen im Inland wegen einer konkreten Auslandsbeziehung nur vorübergehender Natur ist. Im Hinblick hierauf ist auf den – subsidiär – für alle Leistungsbereiche des SGB geltenden § 30 Abs 3 SGB I, der die Begriffskerne von „Wohnsitz” und „gewöhnlichen Aufenthalt” iS des SGB nicht abschließend bestimmt, sondern nur eine den Begriffshof öffnende Typusbeschreibung enthält, nur nach Maßgabe des spezifisch kollisionsrechtlichen Zwecks von § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG zurückzugreifen. Das bedeutet: Besteht die kollisionsrechtlich relevante Auslandsberührung allein darin, daß der Betroffene – wie hier der Kläger – eine ausländische Staatsbürgerschaft hat, deswegen grundsätzlich unter Schutz und Fürsorge (Personalhoheit) seines Heimatstaates steht und jederzeit nach freiem Willen dorthin zurückkehren kann, kommt es dafür, ob der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse „nicht nur vorübergehend” (§ 30 Abs 3 Satz 1 und 2 SGB I) in das Inland verlegt worden ist, entscheidend darauf an, ob der Verbleib im Inland nach materiellem Aufenthaltsrecht als rechtlich beständig gebilligt ist (Vorbehalt des berech-tigten Aufenthalts; dazu: BSGE 65, 261, 263 f = SozR 7933 § 1 Nr 7). Der Ausländer, der zur Ausreise verpflichtet oder dem der Inlandsverbleib nur zu einem seiner Natur nach vor-übergehenden Zweck erlaubt worden ist, hat weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des BErzGG (ähnlich auch die Legaldefinition des Begriffs „gewöhnlicher Aufenthalt” in der kollisionsrechtlichen Bestimmung des Art 1a des Zustimmungsgesetzes zum Deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommen, eingefügt durch Art 20 Nr 1 des Rentenreformgesetzes 1992 vom 18. Dezember 1989 – BGBl I S 2261 –. Danach hat einen gewöhnlichen Aufenthalt iS des Art 1 Nr 2 des Abkommens im Geltungsbereich des Gesetzes nur, „wer sich dort unbefristet rechtmäßig aufhält”).
Entsprechend regelt der mit Wirkung vom 1. Juli 1989 eingefügte Satz 2 des § 1 Abs 1 BErzGG ausdrücklich, daß für den Anspruch eines Ausländers auf Erziehungsgeld Voraussetzung ist, daß er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis ist, die nicht nur für einen bestimmten, seiner Natur nach vorübergehenden Zweck erteilt worden ist. Mit dieser Vorschrift sollte, wie sich aus dem Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (13. Ausschuß) zur Beschlußempfehlung zum Entwurf des Gesetzes zur Änderung des BErzGG (BT-Drucks 11/4767 S 2) ergibt, „jetzt ausdrücklich” einer Rechtsanwendung entgegengetreten werden, nach der Bundeserziehungsgeld sogar dann gewährt wurde, wenn trotz materiell-rechtlicher Ausreisepflicht des Ausländers von aufenthaltsbeendenden (Vollzugs-) Maßnahmen bis auf weiteres abgesehen wurde oder wenn eine Aufenthaltserlaubnis nur für einen vorübergehenden Zweck erteilt worden war. Weil dies mit dem spezifisch kollisionsrechtlichen Inhalt von Abs 1 Nr 1 aaO im wesentlichen übereinstimmt, kann hier dahingestellt bleiben, ob in dem Anfügen des Satzes 2 an Abs 1 aaO eine Klarstellung oder sogar eine authentische Interpretation zu sehen ist. Demgegenüber trägt Abs 1 Satz 2 aaO in der ab Januar 1991 geltenden Fassung der nunmehr geltenden materiell-rechtlichen Regelung des Aufenthaltsgenehmigungsrechts Rechnung.
Der Kläger hatte im entscheidungserheblichen Zeitraum (1987/88) keinen gewöhnlichen Aufenthalt (bzw Wohnsitz) im Geltungsbereich des BErzGG. Nach §§ 1, 2, Abs 1 Ausländergesetz – AuslG – (vgl Art 1 §§ 1, 3 Abs 1 Satz 1 des Ausländerrechts-Neuregelungsgesetzes -AuslRNG- vom 9. Juli 1990) bedürfen Ausländer, die in den Geltungsbereich dieses Gesetzes einreisen und sich darin aufhalten wollen, einer Aufenthaltserlaubnis, soweit dieses Gesetz auf Ausländer, dh jede Person, die nicht Deutscher iS des Art 116 Abs 1 Grundgesetz ist, Anwendung findet (§ 49 AuslG, vgl Art 1 § 2 AuslRNG) und soweit kraft Gesetzes keine Befreiung von diesem Erfordernis erfolgt ist (§ 2 Abs 2 und 3 AuslG iVm § 1 der Verordnung zur Durchführung des Ausländergesetzes – DVAuslG). Keiner Darlegung bedarf, daß der Kläger 1987/88 keine Aufenthaltsberechtigung (§ 8 AuslG) und auch keine Aufenthaltserlaubnis (§§ 2, 5 AuslG) hatte. Ihm war gemäß § 19 Abs 1 iVm § 20 AsylVfG der Aufenthalt lediglich zur Durchführung des Asylverfahrens und damit nur zu einem vorübergehenden Zweck, rechtlich also nicht beständig, gestattet. Insoweit ist es für den hier maßgeblichen Zeitraum ohne Bedeutung, daß die Ausländerbehörde nach der rechtskräftigen Ablehnung seines Asylantrages von einer Abschiebung des Klägers abgesehen, seinen Aufenthalt somit „geduldet” hat. Mithin hielt sich der Kläger während des maßgeblichen Zeitraumes nicht rechtlich beständig im Bundesgebiet auf, hatte hier also nicht seinen gewöhnlichen Aufenthalt, so daß ihm schon aus diesem Grunde Bundeserziehungsgeld nicht zustand.
Nach alledem war die Entscheidung des Berufungsgerichts zu bestätigen und die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen