Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewährung einer Verletztenrente wegen einer Berufskrankheit (BK)
Beteiligte
…, Kläger und Revisionsbeklagter |
Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen,Hamburg 50, Max-Brauer-Allee 44, Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Verletztenrente wegen einer Berufskrankheit (BK).
Der im Jahre 1932 geborene Kläger ist bei der Deutschen Lufthansa AG in Hamburg beschäftigt und war seit dem Jahre 1962 bei der technischen Kontrolle von Luftfahrtgeräten eingesetzt. Bei seiner Tätigkeit mußte er hauptsächlich auf den Knien über Trag- und Leitwerkflächen, durch Tanks und Laderäume sowie über Profile und Spanten der Bodenstruktur kriechen. Seit etwa dem Jahre 1969 litt der Kläger unter Kniebeschwerden. Im März 1971 wurde eine Meniskektomie des rechten und im August 1975 des linken Kniegelenks durchgeführt.
Im November 1987 zeigte Dr. H. vom ärztlichen Dienst der Deutschen Lufthansa eine Meniskopathie beiderseits außerhalb des Bergbaus als BK des Klägers bei der Beklagten an. In dem daraufhin eingeholten Gutachten des Orthopäden Dr. P. vom 17. Mai 1988 heißt es, bei den Kniegelenkserkrankungen des Klägers handele es sich um eine BK nach Nr 2102 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO). Als Stichtag für den Beginn einer Entschädigung nannte der Gutachter den 5. März 1971, an dem die Diagnose eines Innenmeniskusschadens endgültig gesichert worden sei. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage ab diesem Zeitpunkt 20 vH und ab 29. Juli 1975 30 vH.
Mit Bescheid vom 26. Juli 1988 lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen wegen einer BK ab. Beim Kläger lägen zwar Meniskuserkrankungen vor, die auf mehrjährige kniebelastende Tätigkeiten bei der Deutschen Lufthansa zurückzuführen seien; als BK sei diese Erkrankung jedoch erst in der ab 1. April 1988 gültigen Fassung der BKVO bezeichnet. Nach Art 3 Abs 2 der Verordnung zur Änderung der BKVO (ÄndV) vom 22. März 1988 bestehe Anspruch auf Entschädigung nur, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1976 eingetreten sei. Beim Kläger bestehe eine MdE aber bereits seit März 1971. Ebensowenig komme eine Entschädigung wie eine BK nach § 551 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in Betracht. Es habe sich hier um Erkenntnisse gehandelt, die beim Erlaß der letzten BKVO vorgelegen und von der Bundesregierung hätten geprüft werden können.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 27. Juli 1990). Die Erkrankung des Klägers werde nicht von der Rückwirkungsklausel der ÄndV erfaßt, weil der Versicherungsfall vor dem 1. Januar 1977 eingetreten sei. Eine Entschädigung wie eine Berufskrankheit (§ 551 Abs 2 RVO) sei ausgeschlossen; nach Inkrafttreten der ÄndV könnten Versicherungsfälle vor dem 1. Januar 1977 auch nach dieser Vorschrift nicht mehr berücksichtigt werden.
Das Landessozialgericht (LSG) hat den angefochtenen Bescheid in der Fassung des während des Berufungsverfahrens ergangenen Widerspruchsbescheides vom 1. März 1991 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger wegen eines beiderseitigen Meniskusschadens Verletztenrente nach einer MdE um 30 vH zu gewähren (Urteil vom 19. Februar 1992). Dem Kläger stehe zwar kein Anspruch nach § 551 Abs 1 RVO zu. Bei ihm habe spätestens ab 29. Juli 1975 eine MdE um 30 vH bestanden; dementsprechend sei der Versicherungsfall auch bereits zu diesem Zeitpunkt eingetreten. Da eine Rückwirkung nur für Versicherungsfälle nach dem 31. Dezember 1976 vorgesehen sei, werde der Kläger von dieser Regelung nicht erfaßt. Die Erkrankung des Klägers sei jedoch nach § 551 Abs 2 RVO zu entschädigen. Bei dem Kläger sei spätestens im Jahre 1975 eine Erkrankung aufgetreten, die von Nr 2102 der Anlage 1 zur BKVO idF vom 26. Juli 1952 nicht erfaßt gewesen sei, weil nach der damals geltenden Regelung nur Meniskusschäden nach mindestens dreijähriger regelmäßiger Tätigkeit unter Tage als BK in Betracht gekommen seien. Im Januar 1986 hätten sich neue medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse ergeben, die eine Aufnahme in die BKVO gerechtfertigt hätten. Damit seien die Anspruchsvoraussetzungen für eine Entschädigung nach § 551 Abs 2 RVO gegeben. Dieser Anspruch sei auch nicht durch die Neufassung der BKVO mit eingeschränkter Rückwirkung entfallen. Die in Art 3 Abs 2 ÄndV vom 22. März 1988 enthaltene Einschränkung beziehe sich nur auf Entschädigungen nach § 551 Abs 1 iVm Nr 2102 der Anlage 1 zur BKVO nF. Die Auffassung der Beklagten hätte hingegen zur Folge, daß der Anspruch letztlich davon abhängig sei, zu welchem Zeitpunkt der Versicherungsträger darüber entscheide. Erginge der Bescheid vor Inkrafttreten der Neufassung, fiele er positiv aus; erginge er danach, müsse der Antrag abschlägig beschieden werden. Ein solches Ergebnis widerspreche jedenfalls dann dem Sinn des § 551 Abs 2 RVO, wenn die BK - wie hier - vor Inkrafttreten der Neuregelung, aber nach Ausspruch der Empfehlung gemeldet oder ein Rentenantrag gestellt worden sei.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das LSG habe zwar zutreffend einen Anspruch des Klägers nach § 551 Abs 1 RVO verneint. Die Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch nach § 551 Abs 2 RVO lägen jedoch ebensowenig vor. Das LSG habe das Verhältnis der beiden Vorschriften - § 551 Abs 1 und § 551 Abs 2 RVO - zueinander verkannt und unterlaufe bei der von ihm ausgesprochenen Auslegung des § 551 Abs 2 RVO die vom Verordnungsgeber gewollte begrenzte Rückwirkung. § 551 Abs 2 RVO könne nach seinem Sinngehalt, der auch bei rückwirkender Anwendung zu beachten sei, nicht dazu führen, daß der Versicherungsträger diese Vorschrift in den Fällen anwende, in denen der Verordnungsgeber bei einer bestimmten Erkrankung die Gewährung einer Entschädigung durch zeitliche Begrenzung der Rückwirkung der betreffenden Bestimmung ausdrücklich ausgeschlossen habe, obwohl er diese Erkrankung in das Berufskrankheiten-Verzeichnis aufgenommen habe. Bei den Meniskuserkrankungen habe der Verordnungsgeber eine rückwirkende Anerkennung ausdrücklich nur für bereits bei Inkrafttreten der letzten ÄndV vorliegende Versicherungsfälle nach dem 31. Dezember 1976 vorgesehen. Der Kläger habe aufgrund der Meldung als BK noch keinen schützenswerten Besitzstand begründet. Solange das Verfahren laufe, sei die Entscheidung über die Gewährung dieses Anspruchs noch nicht abgeschlossen. Werde in diesem Verfahrensstadium der Verordnungsgeber tätig und erlasse er auf der Grundlage einer Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirates eine daran angepaßte Änderungsverordnung zur BKVO mit einer Rückwirkungsvorschrift, so fehle die Basis, um aufgrund der Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirates an den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) dem Kläger gem § 551 Abs 2 RVO einen Entschädigungsanspruch zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 19. Februar 1992 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 27. Juli 1990 zurückzuweisen. |
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Der Kläger beantragt,
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die Revision zurückzuweisen. |
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Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und meint, das LSG weise zu Recht darauf hin, daß bei der Betrachtungsweise der Beklagten der Anspruch letztlich davon abhänge, zu welchem Zeitpunkt der Versicherungsträger entscheide. Dies hätte zur Folge, daß es der Versicherungsträger in der Hand habe, selbst darüber zu entscheiden, ob ein Gesetz, nämlich § 551 Abs 2 RVO zur Anwendung gelange oder nicht.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).
II
Die Revision ist begründet. Die beim Kläger festgestellten Meniskusschäden beiderseits sind keine entschädigungspflichtige BK und auch nicht wie ein BK zu entschädigen.
Ein Anspruch des Klägers nach § 551 Abs 1 RVO iVm Nr 2102 der Anlage 1 der 7. BKVO vom 20. Juni 1968 (BGBl I 721) idF der Verordnung zur Änderung der BKVO vom 8. Dezember 1976 (BGBl I 3329) besteht nicht, weil nach den Feststellungen des LSG die Meniskusschäden des Klägers nicht nach einer Tätigkeit unter Tage entstanden sind.
Entgegen seiner Auffassung steht dem Kläger aber auch kein Anspruch nach § 551 Abs 1 iVm Nr 2102 der Anlage 1 zur BKVO in der ab 1. April 1988 geltenden Fassung der Verordnung zur Änderung der BKVO vom 22. März 1988 (BGBl I 400) zu. Danach gehören zu den BKen auch Meniskusschäden nach mehrjährigen andauernden oder häufig wiederkehrenden die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten. Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) liegt beim Kläger zwar eine BK in diesem Sinne vor. Indessen bestimmt Art 3 Abs 2 Satz 1 ÄndV vom 22. März 1988, daß ein Versicherter, der beim Inkrafttreten dieser Verordnung an einer Krankheit leidet, die erst aufgrund dieser Verordnung als BK iS des § 551 Abs 1 RVO anerkannt werden kann, auf Antrag Anspruch auf Entschädigung nur hat, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1976, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der ÄndV vom 8. Dezember 1976 (BGBl aaO), eingetreten ist. Versicherungsfälle vor dem 1. Januar 1977 sind in den Versicherungsschutz nicht einbezogen. Nach den bindenden Feststellungen des LSG ist beim Kläger seit der Meniskusentfernung im linken Kniegelenk der Versicherungsfall spätestens am 29. Juli 1975 und damit vor dem maßgeblichen Zeitpunkt eingetreten.
Diese in Art 3 Abs 2 ÄndV vom 22. März 1988 enthaltene begrenzte Einbeziehung früherer Versicherungsfälle in den Versicherungsschutz ist nicht nur von der Ermächtigung des § 551 Abs 1 RVO gedeckt, sondern auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, insbesondere liegt kein Verstoß gegen Art 3 des Grundgesetzes (GG) vor. Der Senat hat hierzu bereits in seinen Urteilen vom 29. September 1964 (BSGE 21, 296, 297) und vom 30. Oktober 1964 (BSGE 22, 63, 65) entschieden, daß es im allgemeinen dem Gesetzgeber überlassen bleibt, neu eingeführte Leistungsverbesserungen nicht beliebig weit auf abgeschlossene in der Vergangenheit liegende Sachverhalte auszudehnen (vgl ua BVerfGE 75, 108, 157; BVerfG SozR 3-5761 Allg Nr 1; Eilebrecht BG 1993, 187). Ähnlich wie in Art 3 Abs 2 ÄndV vom 22. März 1988 war die rückwirkende Geltung von neu in die Berufskrankheiten-Liste aufgenommenen Positionen auch schon in den Übergansbestimmungen früherer BKVOen geregelt (BSGE 21, 296, 297; s auch - zum Opferentschädigungsrecht - BSGE 56, 90) und sogar ein völliger Ausschluß der Rückwirkung nicht als ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art 3 GG angesehen worden (BSGE 22, 63, 65). Der Senat hat allerdings in dieser Entscheidung auch klargestellt, daß im Hinblick auf das Sozialstaatsprinzip in Art 20 Abs 1 GG eine rückwirkende Gewährung von Leistungen in gewissen Grenzen bei Erkrankungen sogar geboten sein kann, so wenn sich aufgrund neuer Erkenntnisse der ärztlichen Wissenschaft nachträglich herausstellt, daß sie doch auf berufliche Einwirkungen zurückzuführen sind (BSGE 22, 63, 66). Diesem Erfordernis hat hier der Verordnungsgeber in weitem Maße Rechnung getragen, indem er im Hinblick auf die Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats beim BMA, Sektion "Arbeitsmedizin", vom 23. Januar 1986 (HV-RdSchr VB 27/86 vom 27. Februar 1986), Nr 2102 der Anlage 1 zur BKVO zu erweitern, die Rückwirkung auf alle nach dem Inkrafttreten der vorangegangenen ÄndV eingetretenen Versicherungsfälle erstreckt hat.
Entgegen der Auffassung des LSG läßt sich ein Entschädigungsanspruch des Klägers aber auch nicht aus § 551 Abs 2 RVO herleiten. Danach sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der BKVO bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des § 551 Abs 1 RVO erfüllt sind.
Allerdings scheidet eine Anwendung des § 551 Abs 2 RVO nicht schon deshalb aus, weil - wie die Beklagte meint - es sich bei den zur Aufnahme der Meniskuserkrankungen führenden Erkenntnissen um keine neuen, sondern um solche gehandelt habe, die schon beim Erlaß der ÄndV vom 8. Dezember 1976 (BGBl aaO) vorgelegen hätten, jedoch damals vom Verordnungsgeber übersehen worden seien. Sind dem Verordnungsgeber medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse entgangen, und hat er deshalb eine Neufassung der Anlage zur BKVO überhaupt nicht erwogen, so steht dies der Anwendung des § 551 Abs 2 RVO ebensowenig entgegen wie dies der Fall ist, wenn sich erst im Ansatz vorhandene Erkenntnisse zur Berufskrankheitenreife verdichten (BSG SozR 2200 § 551 Nr 18; BVerfG SozR 2200 § 551 Nr 19; BSGE 21, 296, 298; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 462p).
Daraus folgt aber nicht zugleich, daß nach Inkrafttreten der ÄndV ohne Rücksicht auf die nach Art 3 Abs 2 Satz 1 ÄndV begrenzte Rückwirkung für Meniskusschäden iS der Nr 2102 der Anlage 1 zur BKVO idF der ÄndV noch Entschädigungen neu festgestellt werden dürfen. Von dieser Rückwirkungsvorschrift des Art 3 Abs 2 Satz 1 ÄndV ("Leidet ein Versicherter beim Inkrafttreten dieser Verordnung an einer Krankheit, die erst aufgrund dieser Verordnung als Berufskrankheit iS des § 551 Abs 1 RVO anerkannt werden kann") werden auch die Fälle des § 551 Abs 2 RVO umfaßt, da auch sie bis dahin nur "wie" eine BK entschädigt, nicht aber als BK anerkannt werden durften. Der Begründung zur ÄndV (BR-Drucks 33/88) ist gleichfalls zu entnehmen, daß der Verordnungsgeber in Art 3 Abs 2 ÄndV eine begrenzte Rückwirkung auf frühere Versicherungsfälle auch für die Entschädigungsansprüche nach § 551 Abs 2 gewollt hat. Zu Art 3 ÄndV heißt es ganz allgemein in dieser Begründung, die neu in die Verordnung aufgenommenen BKen sowie die Ergänzungen bzw Verallgemeinerungen von bereits früher in die Liste aufgenommenen BKen "sollen auch dann entschädigt werden, wenn der Versicherungsfall in der Vergangenheit, nämlich nach dem Inkrafttreten der letzten Änderungsverordnung eingetreten ist". Solche Altfälle werden nach der weiteren Begründung und nach Art 3 Abs 2 Satz 2 ÄndV einerseits ohne Rücksicht darauf erfaßt, ob sie bereits durch bindende Bescheide oder rechtskräftige Entscheidungen der Gerichte abschlägig befunden worden sind, und auch ohne Rücksicht darauf, zu welchem Zeitpunkt insoweit neue medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse vorgelegen haben. Andererseits läßt dieser Hinweis ebenfalls die in der ÄndV auch verwirklichte Absicht des Verordnungsgebers erkennen, neue Entschädigungsansprüche nach § 551 Abs 2 RVO auf Versicherungsfälle zu begrenzen, die nach dem Inkrafttreten der letzten ÄndV eingetreten sind (vgl auch Eilebrecht aaO S 191 zur ÄndV vom 18. Dezember 1992 - BGBl I 2343). Diese Einbeziehung entspricht auch der Systematik des § 551 RVO. Neue Erkenntnisse, die eine Entschädigung "wie" eine BK rechtfertigen können, liegen nicht mehr vor, wenn der Verordnungsgeber es trotz dieser Erkenntnisse bereits abgelehnt hat, die Krankheit als BK in die Liste der Anlage 1 zur BKVO aufzunehmen (BSGE 44, 90, 93; Brackmann aaO S 492p), oder wenn der Verordnungsgeber aufgrund dieser Erkenntnisse die Krankheit in die Liste aufnimmt (BSG BG 1967, 75, 76; Brackmann aaO). In beiden Fällen tritt der Vorrang der Entscheidung des Verordnungsgebers vor der der Verwaltung ein.
Der Sinngehalt des § 551 Abs 2 RVO kann gleichfalls nicht dazu dienen, in den Fällen eine Entschädigung zu gewähren, die infolge einer nur begrenzten Rückwirkung der BKVO nicht in den Versicherungsschutz der Verordnung einbezogen sind. § 551 Abs 2 RVO ist auch insoweit keine "Härteklausel", nach der nur deshalb zu entschädigen wäre, weil die Nichtentschädigung für den Betroffenen eine individuelle Härte bedeuten würde (BSGE 44, 90, 93; Brackmann aaO S 492o I). Sie will auch nicht erreichen, daß jede Krankheit, deren ursächlicher Zusammenhang mit der Berufstätigkeit im Einzelfall nachgewiesen oder hinreichend wahrscheinlich ist, wie eine Berufskrankheit entschädigt werden soll (BSG SozR 2200 § 551 Nr 18). Sie stellt vielmehr einen Kompromiß zwischen dem in § 551 Abs 1 RVO verankerten "Listensystem" und der von einigen Seiten gewünschten "Generalklausel" dar (s BSGE 59, 295, 297 mwN). Es ist deshalb nicht der Sinn des § 551 Abs 2 RVO, mit seiner Hilfe eine bereits durch den Verordnungsgeber ausreichend weit zurückreichende Rückwirkung noch zu erweitern. § 551 Abs 2 RVO kann nicht dazu führen, daß der Unfallversicherungsträger diese Vorschrift rückwirkend in Fällen anwendet, in denen der Verordnungsgeber eine bestimmte Erkrankung in das BK-Verzeichnis aufgenommen hat, die Gewährung einer Entschädigung aber durch eine Rückwirkung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit begrenzt hat (BSGE 21, 296, 298; 22, 63, 67; Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung 3. Aufl § 551 Anm 11; s Noell/Breitbach, Landwirtschaftliche Unfallversicherung, 1963, § 551 Anm 2 Buchst e), und zwar unabhängig davon, ob vor Inkrafttreten der Neuregelung, aber nach Ausspruch der Empfehlung im konkreten Einzelfall eine BK gemeldet oder ein Rentenantrag gestellt wurde. Dies gilt zumindest dann, wenn der Verordnungsgeber - wie hier geschehen - den Zeitpunkt der veränderten medizinischen Erkenntnisse auf ausreichend weit in der Vergangenheit liegende Versicherungsfälle erstreckt hat (s aber BSGE 22, 63, 65). Damit wird zugleich sichergestellt, daß die in der Vergangenheit liegenden Versicherungsfälle gleichbehandelt werden und - entsprechend dem Willen des Verordnungsgebers - hier nur alle Versicherungsfälle nach dem 31. Dezember 1976 in den Versicherungsschutz einbezogen werden. Schließlich hängt der Entschädigungsanspruch nicht von dem - möglicherweise zufälligen - Umstand ab, ob vor dem Inkrafttreten der Neuregelung eine Berufskrankheit bereits gemeldet oder ein Rentenantrag gestellt wurde.
Durch die hier gegebene und eine Grundlage der Entscheidung des Senats bildende ausreichend weite Rückwirkung auf vor Inkrafttreten der ÄndV eingetretene Versicherungsfälle wird zugleich einerseits für den Regelfall ausgeschlossen, daß durch eine verzögerte Bearbeitung der Entscheidung eines in angemessener Frist nach Auftreten der Krankheit gestellten Entschädigungsantrags nach § 551 Abs 2 RVO dem Versicherten Nachteile entstehen könnten. Andererseits wird im Interesse einer Gleichbehandlung der Versicherten verhindert, daß durch einen zwar viele Jahre nach dem Auftreten der Erkrankung aber kurz vor dem Inkrafttreten einer seit längerer Zeit vorbereiteten ÄndV deren nur begrenzte Rückwirkung umgangen werden kann. Dabei ist von dem Regelfall auszugehen, daß Krankheiten in die Liste der BKen der Anlage 1 zur BKVO aufgrund von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen iS der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) aufgenommen werden. Die Auslegung von Rückwirkungsvorschriften darf nicht den Ausnahmefall zugrunde legen, daß die Aufnahme ohne neue wissenschaftliche Erkenntnisse lediglich auf einer anderen arbeitsmedizinischen oder einer abweichenden rechtspolitischen Beurteilung beruht. Geht man aber von dem Regelfall aus, so würde eine Begrenzung der Rückwirkung der Entschädigungsansprüche nach § 551 Abs 1 RVO durch eine Entschädigung nach § 551 Abs 2 RVO aufgehoben. Für den Regelfall bleibt demgegenüber nach der Rechtsauffassung des Senats eine unterschiedliche Behandlung zwischen den Versicherten, die ihre Entschädigung nach § 551 Abs 2 RVO erfolgreich vor dem Zeitpunkt des Beginns der Rückwirkung erreicht haben, und den Versicherten, die davon abgesehen haben, auf auch verfassungsrechtlich noch vertretbare Ausnahmefälle beschränkt. Bei einer ausreichend weiten Rückwirkung werden vor dem maßgebenden Zeitpunkt genügend gesicherte neue wissenschaftliche Erkenntnisse regelmäßig noch nicht vorgelegen haben.
Ob und ggf wann etwas anderes zu gelten hat, wenn bei einer nur relativ kurzen zeitlichen Rückwirkung über einen in angemessener Zeit nach Auftreten der Krankheit gestellten Antrag auf Entschädigung nach § 551 Abs 2 RVO bis zum Inkrafttreten der ÄndV nicht entschieden wird, bedarf hier bei einer Rückwirkung von mehr als elf Jahren sowie einer Antragstellung von mehr als 16 Jahren nach der ersten Operation und nur vier Monate vor Inkrafttreten der ÄndV keiner Entscheidung.
Auch eine Verletzung des Vertrauensschutzes der von dieser Auslegung Betroffenen ist nicht gegeben (s Brackmann aaO S 382e III/e IV mwN; vgl auch BVerfG SozR 3-4100 § 238 Nr 1). Aufgrund der Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats vom 23. Januar 1986 (HV-RdSchr aaO) war mit einer Anpassung der BKVO zu rechnen. Entsprechend früheren Regelungen (s § 9 Abs 1 der 7. BKVO vom 20. Juni 1968 - BGBl I 721) oblag dem Verordnungsgeber im Rahmen der bereits erörterten Grenzen die Entscheidung, ob und in welchem Umfang er durch eine Rückwirkungsvorschrift frühere Versicherungsfälle in den Versicherungsschutz einbezieht.
Nach alledem war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen
Haufe-Index 517823 |
BSGE, 303 |
Breith. 1994, 210 |