Entscheidungsstichwort (Thema)
Kernbereich der Koalitionsfreiheit. Fluglotsenstreik
Orientierungssatz
Das Fluglotsenurteil - Urteil des BGH vom 31.01.1978, VI ZR 32/77 - ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Normenkette
BGB § 826; GG Art. 5 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3, Art. 103 Abs. 1; BGB § 830 Abs. 2; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; BGB § 830 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Gründe
Das Bundesverfassungsgericht hat nicht nachzuprüfen, ob die Öffentlichkeitsarbeit des Beschwerdeführers während der streikähnlichen Maßnahmen der Fluglotsen im Jahre 1973, wie der Bundesgerichtshof in dem mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Urteil annimmt, eine Beihilfehandlung an der sittenwidrigen Schädigung der Klägerin des Ausgangsverfahrens gemäß §§ 826, 830 Abs 1 Satz 1, Abs 2 BGB darstellte (BVerfGE 18, 85 (92f); 28, 151 (160)).
Die vom Bundesgerichtshof hieran geknüpfte zivilrechtliche Gehilfenhaftung des Beschwerdeführers beruht entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers auch nicht auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung der als verletzt gerügten Grundrechte, insbesondere vom Umfang ihres Schutzbereichs; Auslegungsfehler, welche die Grundrechte des Beschwerdeführers verletzen könnten, sind nicht erkennbar (vgl BVerfGE 42, 143 (149); 42, 163 (169)). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schützt Art 9 Abs 3 GG die Koalitionsfreiheit nur in ihrem Kernbereich; das Grundrecht räumt den geschützten Personen und Vereinigungen nicht mit Verfassungsrang einen inhaltlich unbegrenzten und unabgrenzbaren Handlungsspielraum ein (vgl zuletzt Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 1. März 1979 - 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78 und 1 BvL 21/78 - S 98, mwN). Dem Betätigungsrecht der Koalitionen dürfen solche Schranken gezogen werden, die zum Schutze anderer Rechtsgüter von der Sache her geboten sind. Regelungen, die nicht in dieser Weise gerechtfertigt sind, tasten den durch Art 9 Abs 3 GG geschützten Kerngehalt der Koalitionsbetätigung an (vgl Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 1. März 1979, aaO mwN).
Wenn der Bundesgerichtshof unter ausführlicher Berücksichtigung dieser verfassungsrechtlichen Grundsätze vom Beschwerdeführer fordert, er habe auf Grund seiner inneren "Nähe" zu den Flugleitern und deren streikähnlichen Maßnahmen sowie in Anbetracht deren besonders schweren Auswirkungen sich nicht mit den Flugleitern identifizieren, sondern seine bisherige Verbandspolitik nur weiterverfolgen dürfen, wenn der Beschwerdeführer, wie zu seinen Gunsten unterstellt worden ist, die kontroversen verbandsinternen Verhältnisse und Entwicklung klarstellte, greift dies nicht in die verfassungsrechtlich geschützte Funktion des Verbandes ein. Dieser hätte durch geeignete Formulierungen vor der Öffentlichkeit dem Eindruck entgegenwirken müssen und können, er sei der Träger der streikähnlichen Maßnahmen der Flugleiter und benutze sie als Druckmittel zur Verfolgung von Verbandszielen. Daß dies dem Beschwerdeführer möglich war, ohne entgegen seiner Behauptung seine Existenz in Frage zu stellen, zeigen die vom Berufungsgericht festgestellten späteren Stellungnahmen des 1. Verbandsvorsitzenden K., die trotz einer gezeigten Distanz zu der "Aktion" der Flugleiter eindeutige öffentliche Artikulierungen der Verbandsziele waren. Die Koalitionsfreiheit erlaubte es dem Beschwerdeführer nicht, sich an ungesetzlichen und zum Schadensersatz verpflichtenden Maßnahmen seiner Mitglieder, selbst wenn er diese ablehnte, zu beteiligen; tat er dies wie im vorliegenden Fall dennoch, muß er für die Folgen seines Handelns einstehen.
Art 5 Abs 1 GG rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die Meinungsfreiheit findet ihre Grenze ua in den Vorschriften der "allgemeinen Gesetze" (Art 5 Abs 2 GG). Zwar sind diese ihrerseits im Lichte des Grundrechts zu sehen und so in ihrer das Grundrecht beschränkenden Wirkung auszulegen (BVerfGE 7, 198 (208) - Lüth, std Rechtspr); dem wird die angegriffene Entscheidung jedoch gerecht. Denn es handelte sich um den Schutz Dritter, die durch die "Aktion" der Flugleiter empfindlichen Beeinträchtigungen ausgesetzt wurden; seine Verbandsziele in anderer Weise zu verfolgen, war der Beschwerdeführer nicht gehindert.
Die weiteren Rügen des Beschwerdeführers nach Art 101 Abs 1 Satz 2, 103 Abs 1 GG sind ebenfalls nicht begründet. Es ist schon nicht erkennbar, daß der Bundesgerichtshof, wie der Beschwerdeführer meint, eine eigene Beweiswürdigung vorgenommen und ohne tatrichterliche Stütze eigene Feststellungen getroffen hätte. Jedenfalls fehlt es an jedem Anhaltspunkt dafür, daß der Bundesgerichtshof willkürlich die ihm als Revisionsgericht gezogenen Grenzen verkannt hätte (BVerfGE 31, 145 (165)).
Es kann schließlich nicht festgestellt werden, daß der Bundesgerichtshof die Vorgeschichte der streikähnlichen Kampfmaßnahmen der Flugleiter im Jahre 1973 bei der Bewertung des Verhaltens des Beschwerdeführers nicht zur Kenntnis genommen und nicht erwogen hätte (vgl BVerfGE 47, 182 (187f) mwN). In den Urteilsgründen hat sich das Gericht vielmehr ausdrücklich mit dem Einwand des Beschwerdeführers auseinandergesetzt, die Klägerin des Ausgangsverfahrens treffe auf Grund ihres hinhaltenden Taktierens gegenüber den Forderungen der Flugleiter ein Mitverschulden an deren "Aktion", diesen Einwand jedoch für unbeachtlich angesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen
Haufe-Index 543599 |
DB 1979, 1695 |
NJW 1980, 169 |
NJW 1980, 169-169 (S) |
NJW 1980, 60 (ST) |
EuGRZ 1979, 441-442 (T) |
DRsp, I(145) 253 (ST) |
AP GG Art. 9, Nr. 61a Arbeitskampf |
ArbuR 1979, 316 |
JuS 1980, 60 |
VerfRspr GG Art. 5 Abs. 1 S. 1, Nr. 119 (S1) |
VerfRspr GG Art. 9 Abs. 3, Nr. 87 (ST) |
VersR 1979, 1158 (S) |
ZLW 1979, 271-272 (T) |