Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Regelungen für Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, deren Dienstverhältnis in West- bzw. Ostberlin begründet wurde
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; BAT
Beteiligte
Rechtsanwältin Dr. Elisabeth Hlawenka |
Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft Fragen unterschiedlicher tariflicher Regelungen im öffentlichen Dienst des Landes Berlin für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse im West- bzw. Ostteil Berlins begründet wurden.
I.
1. Die Beschwerdeführerin war seit 1988 bei der Staatlichen Umweltinspektion der Deutschen Demokratischen Republik in Berlin beschäftigt; danach bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie. Zunächst arbeitete die Beschwerdeführerin weiterhin im Ostteil der Stadt; später wurde ihre Abteilung in den Westteil verlegt. Seit 1. Januar 1997 hat die Beschwerdeführerin ihren Arbeitsplatz wieder im Ostteil Berlins (so genannte Rückkehrerin).
Auf das Arbeitsverhältnis der Beschwerdeführerin wurden anfangs die für das Beitrittsgebiet geltenden tariflichen Regelungen angewandt (zukünftig: BAT-O). Ab 1. Februar 1992 galt im Hinblick auf das so genannte „Post-Urteil” des Bundesarbeitsgerichts vom 30. Juli 1992 (6 AZR 11/92, AP Nr. 1 zu § 1 TV Ang Bundespost) wegen ihrer auf unbestimmte Dauer angelegten Tätigkeit im Westteil der Stadt der Bundesangestellten-Tarifvertrag in der für die alten Bundesländer gültigen Fassung (zukünftig: BAT). Ab 1. Januar 1997 wendet das Land wieder den BAT-O an. Für die Beschwerdeführerin wirkt sich dies vor allem in einer wöchentlich um 1,5 Stunden längeren Arbeitszeit und einer geringeren Sonderzuwendung aus.
2. Die Klage der Beschwerdeführerin auf Fortgeltung des BAT blieb – im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts – in beiden Instanzen erfolglos. Der BAT-O sei anwendbar, da das Arbeitsverhältnis im Beitrittsgebiet begründet worden sei und nunmehr wieder einen Bezug zu diesem Gebiet aufweise. Dem stehe auch der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz nicht entgegen, da die unterschiedliche arbeitsvertragliche Ausgangssituation im Vergleich zu den Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis im Westen begründet worden sei, einen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung darstelle. Den Tarifvertragsparteien sei durch Art. 9 Abs. 3 GG freigestellt, in welcher Weise sie die ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnisse im Beitrittsgebiet tariflich umsetzen wollen. Dem öffentlichen Arbeitgeber, der gehalten sei, nur die verbindlichen tariflichen Leistungen zu erbringen, könne über den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht aufgegeben werden, den Arbeitnehmern aus dem Beitrittsgebiet übertarifliche Leistungen zu erbringen. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 1 Abs. 1 BAT-O für Fälle der Rückkehr des Arbeitsverhältnisses in das Beitrittsgebiet sei nicht geboten. Die Regelung sei insgesamt verfassungsgemäß und für den Fall der Rückkehr ergebe sich keine Besonderheit.
3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 GG. Sie werde gegenüber den Arbeitnehmern derselben Dienststelle erheblich benachteiligt, deren Arbeitsverhältnisse im Bereich des BAT begründet worden seien. Der Zweck der Regelungen des BAT-O habe darin bestanden, den ungünstigeren wirtschaftlichen Bedingungen der neuen Bundesländer Rechnung zu tragen, denen die Kosten der dort gelegenen Arbeitsplätze entstehen. Dieser Zweck sei ein anzuerkennender Grund für eine Ungleichbehandlung. Dieser sachliche Grund sei jedoch vorliegend nicht gegeben, da sich die wirtschaftlichen Bedingungen des Arbeitgebers durch den Umzug der Dienststelle in den Ostteil in keiner Weise verändert hätten. Es sei keineswegs Absicht der Tarifvertragsparteien gewesen, dem Arbeitgeber die Möglichkeit einer Kostenersparnis zu verschaffen, indem er in den Geltungsbereich des BAT-O ziehe.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.
1. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Tarifvertragsparteien an die Grundrechte gebunden sind und welche Bedeutung insoweit Art. 9 Abs. 3 GG zukommt, ist vorliegend nicht entscheidungserheblich.
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der von der Beschwerdeführerin als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die zulässige Verfassungsbeschwerde hat selbst dann keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn man von einer direkten Bindung der Tarifvertragsparteien an Art. 3 Abs. 1 GG ausgeht. Die bestehenden unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnisse zwischen den alten und den neuen Bundesländern stellen zurzeit noch einen sachlichen Grund für die ungleiche tarifliche Behandlung der im Beitrittsgebiet begründeten Arbeitsverhältnisse dar. Das gilt auch im Blick auf die Situation im Verhältnis zwischen dem West- und dem Ostteil Berlins.
Der allgemeine Gleichheitssatz ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 55, 72 ≪88≫; 84, 197 ≪199≫).
a) Die tariflichen Regelungen für den öffentlichen Dienst führen allein aufgrund der Begründung des Arbeitsverhältnisses in unterschiedlichen Tarifgebieten zu einer Ungleichbehandlung zwischen Arbeitnehmern, die für den gleichen Arbeitgeber am gleichen Ort die gleiche Tätigkeit ausüben. Diese Zuordnung haftet dem Arbeitsverhältnis dauerhaft an und wird nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts immer dann relevant, wenn ein tatsächlicher Bezug des Arbeitsverhältnisses zum Beitrittsgebiet besteht (stRspr, zuletzt Urteil vom 9. Dezember 1999, 6 AZR 340/98). Es handelt sich damit nicht um eine (unbedenkliche) bloße regionale Differenzierung durch die Tarifvertragsparteien, sondern trotz gleichem Tätigkeitsort findet unterschiedliches Tarifrecht Anwendung.
b) Die Ungleichbehandlung ist zurzeit auch noch als erheblich anzusehen. Zwar sind die finanziellen Auswirkungen im Fall der Beschwerdeführerin begrenzt; aber insbesondere die wöchentlich um 1,5 Stunden längere Arbeitszeit ist eine bedeutsame Schlechterstellung. Hinzu kommen Unterschiede im Bereich des tariflichen Kündigungsschutzes und bei weiteren tariflichen Regelungen.
c) Betrachtet man die Entwicklung der Tarifverträge für den öffentlichen Dienst seit 1990, so haben die Unterschiede zwischen beiden Tarifgebieten allerdings deutlich abgenommen. Auch die Tarifvereinbarung des Jahres 2000 sieht eine weitere stufenweise Angleichung im Bereich der Vergütung vor (auf 90% bis zum Jahr 2002) und enthält eine ausdrückliche Verhandlungsoption über eine weitere Vereinheitlichung für die Zeit nach Ablauf dieser Tarifvereinbarung. Für das Land Berlin sieht eine Gesamtvereinbarung zwischen Personalrat und Arbeitgeber unter Beteiligung der Gewerkschaften als Zielvorgabe darüber hinaus vor, dass bis zum 1. Januar 2001 ein einheitliches Recht „auf der Grundlage der Regelungen im Rechtskreis West gelten sollte” (Gesamtvereinbarung vom 30. August 1999, Abschnitt I Ziffer 1, letzter Absatz). Auch dadurch wird zum Ausdruck gebracht, dass Einvernehmen darüber besteht, dass die Unterschiede – die in Berlin besonders augenfällig werden – nicht dauerhaft aufrechterhalten werden sollen.
d) Vor dem Hintergrund dieser beabsichtigten weiteren Angleichung der Tarifbedingungen stellen die weiterhin vorhandenen unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnisse zwischen den alten und den neuen Bundesländern und zwischen dem West- und Ostteil Berlins jedenfalls zurzeit noch einen zulässigen Differenzierungsgrund dar (vgl. auch Söllner in „Richterliches Arbeitsrecht”, Festschrift für Thomas Dieterich, 1999, S. 629 ff. ≪636≫). Diese Grundannahme wird auch von der Beschwerdeführerin nicht angegriffen.
Die Tarifvertragsparteien haben, um der unterschiedlichen Wirtschaftskraft Rechnung zu tragen, eine relativ einfach handhabbare und typisierende Regelung getroffen, die eine Zuordnung rein über die regionale Anknüpfung vornimmt. Sie sind dabei von der typischerweise zutreffenden Situation ausgegangen, dass die wirtschaftlich schwächeren neuen Länder, die die Kosten für die dort gelegenen Arbeitplätze zu tragen haben, im Wesentlichen Arbeitnehmer beschäftigen, deren Arbeitsverhältnisse auch dort begründet worden sind. Dies gilt auch für die Lage im Land Berlin, obwohl dort wegen der einheitlichen Verwaltung die Ungleichbehandlung im täglichen Arbeitsleben stärker zu Tage tritt. Auch das Land Berlin hat Arbeitsverhältnisse in größerer Anzahl übernommen und sich mit den gleichen wirtschaftlichen Problemen auseinander zu setzen wie die neuen Bundesländer. Auch dort bildet daher die Anknüpfung der Tarifvertragsparteien an die regionale Herkunft der Arbeitsverhältnisse in Verbindung mit dem konkreten Tätigkeitsort einen hinreichend spezifischen Ansatzpunkt, um die unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnisse annähernd proportional widerzuspiegeln. In typisierender Weise wird das Land damit bei den Arbeitsverhältnissen entlastet, die ihren Ursprung im Beitrittsgebiet haben, ohne dass dies allerdings in jedem Einzelfall zutreffen muss. Die Besonderheiten, die sich für die Beschwerdeführerin als so genannte Rückkehrerin ergeben, sind jedenfalls mit Rücksicht auf die in Berlin verhältnismäßig weit vorangetriebene Angleichung hinzunehmen.
In den Fällen, in denen der Zweck der Tarifregelung eine Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen kann, nämlich bei einem dauerhaften Einsatz im Westen oder dann, wenn der Arbeitgeber selbst diesem Zweck durch die Zahlung übertariflicher Leistungen zuwiderhandelt, haben die Arbeitsgerichte korrigierend eingegriffen und entstandene Ungleichbehandlungen beseitigt (vgl. insbesondere Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 30. Juli 1992, a.a.O.; Urteil vom 26. Oktober 1995, 6 AZR 125/95, AP Nr. 7 zu § 1 BAT-O; Urteil vom 23. April 1997, 10 AZR 603/96, EzBAT Nr. 8 zu §§ 22, 23 BAT N. Schreibdienst-Funktionszulage).
Wann eine Situation erreicht wird, in der es im Hinblick auf die Entwicklung der Strukturen der Verwaltung und die wirtschaftliche Lage der neuen Bundesländer nicht mehr gerechtfertigt wäre, in der oben genannten Weise pauschal gegenüber den alten Bundesländern – zwischen denen zum Teil ebenfalls erhebliche Unterschiede wirtschaftlicher und struktureller Natur bestehen – zu differenzieren, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Kühling, Jaeger, Hömig
Fundstellen
Haufe-Index 565189 |
NJW 2000, 3555 |
NWB 2000, 3560 |
NZA 2000, 1113 |
ZBR 2001, 175 |
ZTR 2000, 506 |
AuA 2000, 544 |
DÖD 2001, 27 |
LKV 2000, 487 |
MDR 2000, 1382 |
NJ 2000, 526 |
NJ 2000, 645 |
PersV 2001, 68 |
DVBl. 2000, 1767 |
AuS 2000, 67 |