Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtannahmebeschluß: Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde mangels Rechtswegerschöpfung. fachgerichtliche Klärung tarifvertraglicher Altersgrenzen
Orientierungssatz
Die Verfassungsbeschwerde gegen die Neuregelung des SGB6ÄndG Art 1, mit der die bis zum Rentenreformgesetz 1992 geltende Regelung (Zulässigkeit tarifvertraglicher Altersgrenzen) wiederhergestellt wurde, ist wegen Subsidiarität unzulässig.
Einer Klärung durch die Fachgerichte bedarf vor allem die Frage, ob die schon vorher bestehenden, zwischenzeitlich aber nichtigen tarifvertraglichen Altersgrenzen durch die Neuregelung ohne weiteres wieder aufleben.
Durch die Möglichkeit, mit der Feststellungsklage gem ZPO § 256 einen Antrag auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluß des Bestandsschutzprozesses zu verbinden, entsteht dem Beschwerdeführer mit der Ausschöpfung des Rechtswegs kein schwerer und unabwendbarer Nachteil. Daher ist eine sofortige Entscheidung des BVerfG nicht erforderlich.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer war als Pädagoge bei der Freien und Hansestadt Hamburg beschäftigt. Im Januar 1995 erreichte er das 65. Lebensjahr und trat auf Veranlassung seiner Arbeitgeberin in den Ruhestand. Er hatte beantragt, bis April 1996 weiterbeschäftigt zu werden.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet er sich unmittelbar gegen Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI ÄndG) vom 26. Juli 1994 (BGBl. I S. 1797). Durch diese Norm wurde die bis zum Rentenreformgesetz 1992 geltende Regelung wiederhergestellt, nach der tarifvertraglich vereinbarte Altersgrenzen zulässig waren. In der Zwischenzeit konnten derartige Vereinbarungen keine Rechtswirkungen entfalten. Das Arbeitsverhältnis des Beschwerdeführers hätte daher ohne die von ihm angegriffene Neuregelung über das 65. Lebensjahr hinaus unbefristet weiterbestanden. Er sieht sich dadurch unmittelbar in seinen Grundrechten aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG verletzt.
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß §§ 93 a, 93 b BVerfGG nicht zur Entscheidung angenommen, da sie unzulässig ist. Der Beschwerdeführer hat den Rechtsweg nicht erschöpft (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Er kann vor den Gerichten für Arbeitssachen eine Klage auf Feststellung des Fortbestands seines Arbeitsverhältnisses über den 31. Januar 1995 hinaus erheben (§ 256 ZPO).
Von der Erschöpfung des Rechtswegs kann schon deswegen nicht abgesehen werden, weil die einfachrechtliche Lage nicht hinreichend geklärt ist (vgl. BVerfGE 55, 244 (247); 86, 382 (388)). Einer Klärung durch die Fachgerichte bedarf vor allem die Frage, ob die schon vorher bestehenden, zwischenzeitlich aber nichtigen tarifvertraglichen Altersgrenzen durch die Neuregelung ohne weiteres wieder aufleben. Dazu werden in der Literatur unterschiedliche Meinungen vertreten (einerseits: Clemens/Scheuring u.a., BAT, § 60 Erl. 1.3; Crisolli/Ramdohr, Das Tarifrecht der Angestellten im öffentlichen Dienst, § 60 BAT, Erl. 4; Böhm/Spirtz u.a., BAT, § 60 BAT Rdnr. 8 a; allgemein Lehmann, NJW 1994, S. 3054; andererseits mit beachtlichen Argumenten: Boecken, NZA 1995, S. 145 (146 ff.)).
Die Ausschöpfung des Rechtswegs führt nicht zu einem schweren und unabwendbaren Nachteil für den Beschwerdeführer. Seine Einkommenseinbußen können bei einem späteren Obsiegen ausgeglichen werden. Zudem kann er seine Feststellungsklage mit einem Antrag auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluß des Bestandsschutzprozesses, längstens bis zum 30. April 1996 verbinden (vgl. dazu allgemein BAG GS, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; BAG, AP Nr. 19 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht). Eine sofortige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist bei dieser Sachlage nicht erforderlich.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen
Haufe-Index 60505 |
BB 1995, 1295 |
BB 1995, 1295-1296 (ST) |
NZA 1995, 549 |
NZA 1995, 549 (ST) |
ZTR 1995, 309 (ST) |
ArztR 1995, 145-146 (T) |
EzA-SD 1995, Nr 9, 3-4 (ST) |
EzA SGV VI § 41, Nr. 4 (ST) |
EzBAT BAT § 60, Br. 7 (T) |