BAG, Urteil vom 24.4.2024, 4 AZR 128/23
Prüft eine Vollstreckungsbeamtin im Außendienst Pfändungsmöglichkeiten und kann sie ohne nähere Vorgaben Ratenzahlungsvereinbarungen abschließen, bei der sie abzuwägen hat, ob die Vereinbarung im Hinblick auf eine zügige Erledigung des Vollstreckungsauftrags eine erfolgversprechendere Lösung als eine etwaige Pfändung ist, kann dies die Annahme "selbstständiger Leistungen" i. S. d. EG 9a TVöD/VKA rechtfertigen.
Sachverhalt
Die Klägerin, eine ausgebildete Rechtsanwalts- und Notargehilfin, war vom 1.8.2001 bis zum 31.12.2022 bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand zunächst der BAT und danach der TVöD/VKA Anwendung. Die Klägerin wurde für die Stadt D, die Gemeinde B und für die Beklagte als Vollstreckungsbeamtin im Außendienst eingesetzt. Die Personal- und Sachkosten trugen die 3 Kommunen nach dem Verhältnis der Vollstreckungsfälle zueinander, organisatorisch war die Klägerin jedoch der Gemeindekasse der Beklagten zugeordnet. Der Arbeitsablauf der Kläger gestaltetet sich folgendermaßen: nach Erhalt eines Vollstreckungsauftrags von einer der 3 Kommunen kündigte die Klägerin dem Schuldner zunächst die Vollstreckung mit einem Formularschreiben an und suchte, sobald die darin gesetzte Zahlungsfrist erfolglos verstrichen war, den Schuldner für ein Gespräch auf. Hieraus, sowie aus den Verhältnissen in dessen Wohnung, leitete sie ab, ob eine Zahlung gefordert werden könne oder eine Pfändung beweglicher Sachen möglich sei. Sie hatte hierfür pfändbare Gegenstände zu ermitteln, deren gewöhnlichen Verkaufswert zu schätzen und zu beurteilen, ob der zu erwartende Verwertungserlös die Kosten voraussichtlich übersteigt. In den aus ihrer Sicht geeigneten Fällen traf sie mit dem Schuldner eine Ratenzahlungsvereinbarung. Zunächst erhielt die Klägerin Vergütung nach der VG VII BAT und ab 2007 nach VG VIb BAT. Übergeleitet wurde sie in den TVöD mit der EG 6 TVöD/VKA.
Die Klägerin klagte nun auf Eingruppierung in die EG 9a; denn ihre Tätigkeit erfordere aufgrund der für sie bestehenden Ermessens- und Beurteilungsspielräume "selbstständige Leistungen" im Tarifsinn. Dagegen brachte die Beklagte vor, die Klägerin sei ausschließlich mit Vollstreckungsaufgaben betraut, die keine "selbstständigen Leistungen" erforderten. Sie kenne aufgrund ihrer gründlichen und vielseitigen Fachkenntnisse die Voraussetzungen der konkret in Betracht kommenden Zwangsvollstreckungshandlungen. Auch wenn man grundsätzlich einen Beurteilungs- oder Entscheidungsspielraum annehme, sei die Wahl der vorgegebenen Vollstreckungsmittel zumeist vorgezeichnet.
Die Entscheidung
Die Klage hatte in allen Instanzen Erfolg.
Zunächst führte das BAG aus, dass es vorliegend dahinstehen könne, ob die der Klägerin übertragenen Aufgaben als Vollstreckungsbeamtin einen oder mehrere Arbeitsvorgänge i. S. d. § 22 Abs. 2 Satz 2 BAT (bzw. § 12 TVöD/VKA) darstellten. Die von der Klägerin auszuübende Tätigkeit bestehe entweder aus einem einheitlichen Arbeitsvorgang oder im Hinblick auf jede Kommune aus einem eigenständigenArbeitsvorgang. Zumindest die für eine der Kommunen auszuübende Tätigkeit sei jeweils einheitlich zu bewerten, da sämtliche Aufgaben auf ein einheitliches Arbeitsergebnis gerichtet seien, nämlich den jeweiligen Vollstreckungsauftrag durch die Beitreibung der titulierten Forderung oder die Feststellung, dass die Pfändung fruchtlos sei, zu erledigen. Diesem Ergebnis dienten sowohl die Tätigkeiten, die die Klägerin von ihrem häuslichen Arbeitsplatz aus erbringe, als auch diejenigen, die im Rahmen von Schuldnerbesuchen anfielen. Zudem handelte es sich bei der Erledigung der einzelnen Vollstreckungsaufträge für eine Gemeinde um wiederkehrende und gleichartige Tätigkeiten, die zusammenzufassen seien.
Des Weiteren entschied das Gericht, dass die Klägerin – unabhängig davon, ob ihre Tätigkeit aus einem oder 3 Arbeitsvorgängen bestehe – eine Vergütung nach EG 9a TVöD/VKA beanspruchen könne, da die ihr übertragene Tätigkeit für jede der 3 Kommunen das Tätigkeitsmerkmal der VG Vc Fallgruppe 1b BAT (bzw. EG 9a TVöD) erfülle.
Das BAG führte zunächst aus, dass die Tätigkeit der Klägerin "gründliche und vielseitige Fachkenntnisse" erfordere. Diese setzten nach der Definition der Entgeltordnung nähere Kenntnisse von u. a. Gesetzen, Verwaltungsvorschriften und Tarifbestimmungen des fraglichen Aufgabenkreises voraus. Die Fachkenntnisse müssten sich jedoch nicht notwendig auf Rechtsvorschriften beziehen, sondern es zählten hierzu auch alle sonstigen zur Ausübung der Tätigkeit benötigten Fachkenntnisse wie Erfahrungswissen oder Wissen der Allgemeinbildung. Zudem seien Fachkenntnisse von nicht ganz unerheblichem Ausmaß und nicht nur oberflächlicher Art zu verlangen. "Vielseitige Fachkenntnisse" erforderten darüber hinaus eine Erweiterung des Fachwissens seinem Umfang nach, z. B. aufgrund der Menge der anzuwendenden Vorschriften und Bestimmungen oder der Verschiedenartigkeit der sich aus einem Fachgebiet stellenden Anforderungen. Diese V...