BAG, Urteil vom 19.6.2024, 5 AZR 192/23
Betreiber von Pflegeeinrichtungen i. S. d. § 20a Abs. 1 IfSG a. F. durften in der Zeit vom 16.3.2022 bis zum 31.12.2022 nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpfte Mitarbeiter ohne Fortzahlung der Vergütung von der Arbeit freistellen. Zur Abmahnung dieser Arbeitnehmer waren die Arbeitgeber dagegen nicht berechtigt.
Sachverhalt
Der Beklagte betreibt ein Altenpflegeheim, in welchem die Klägerin als Altenpflegerin beschäftigt ist. Entgegen den Vorgaben des IfSG ließ sie sich nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 impfen und legte dem Beklagten weder einen Impfnachweis noch einen Genesenennachweis oder ein ärztliches Attest, dass sie nicht geimpft werden könne, vor. Der Beklagte erteilte ihr deshalb eine Abmahnung. Zudem stellte er sie ab dem 16.3.2022 bis auf Widerruf ohne Fortzahlung der Vergütung von der Arbeit frei. Vom 21. bis zum 31.3.2022 war die Klägerin außerdem infolge einer Corona-Infektion arbeitsunfähig erkrankt.
Die Klägerin klagte nun auf die Entfernung der ihr erteilten Abmahnung aus der Personalakte sowie Bezahlung der restlichen Vergütung für März 2022. Sie vertrat die Auffassung, dass keine arbeitsvertragliche Pflicht bestanden habe, dem Arbeitgeber den Impf- oder Genesenenstatus nachzuweisen. Der Beklagte sei zu einer unbezahlten Freistellung nicht berechtigt gewesen, weil sie als sog. Bestandsmitarbeiterin (das sind vor dem 16.3.2022 eingestellte Arbeitnehmer) bis zu einer entsprechenden Untersagung durch die zuständige Behörde auch ohne Impfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 hätte weiter arbeiten dürfen.
Der Beklagte brachte dagegen vor, er sei aufgrund der infektionsschutzrechtlichen Vorgaben berechtigt gewesen, in seiner Pflegeeinrichtung nur noch geimpftes oder genesenes Personal zu beschäftigen.
Die Entscheidung
Vor dem BAG hatte die Klage auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte Erfolg, dagegen war sie hinsichtlich der Bezahlung auf die restliche Vergütung für März 2022 erfolglos.
Das Gericht entschied, dass die Klägerin für die Zeit ihrer Freistellung im März 2022 keinen Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs (§ 615 Satz 1 i. V. m. § 611a Abs. 2 BGB) habe, da sie entgegen der Anordnung des Beklagten diesem keinen Immunitätsnachweis i. S. d. § 20a IfSG aF vorgelegt hatte und damit außerstande war, die geschuldete Arbeitsleistung zu bewirken (§ 297 BGB). Das BAG führte hierzu aus, dass nach § 20a IfSG a. F., der der verfassungsrechtlichen Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht standhielt (BVerfG 27.4.2022 – 1 BvR 2649/21), nicht nur das Gesundheitsamt berechtigt war, einer Person, die den Immunitätsnachweis nicht vorgelegt hatte, ein Tätigkeitsverbot zu erteilen; denn der aus der Gesetzesbegründung herzuleitende Zweck der Regelung, insbesondere vulnerable Bewohner von Pflegeeinrichtungen und Patienten von Krankenhäusern vor einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 zu schützen und zugleich die Funktionsfähigkeit der Einrichtungen aufrechtzuerhalten, eröffnete ebenso den Arbeitgebern als Betreibern dieser Einrichtungen die rechtliche Möglichkeit, im Wege des Weisungsrechts nach § 106 Satz 1 GewO die Vorgaben des § 20a IfSG a. F. umzusetzen und die Vorlage eines Immunitätsnachweises für den begrenzten Zeitraum vom 16. März bis zum 31.12.2022 zur Tätigkeitsvoraussetzung zu machen. Hierbei sei es auch unbeachtlich, dass sich in den Jahren danach Zweifel an der Effektivität dieser Maßnahme ergeben hatten; denn die Weisung zum damaligen – maßgeblichen – Zeitpunkt war wirksam, da es Anfang des Jahres 2022 der ganz überwiegender wissenschaftlicher und auch der vom Bundesministerium für Gesundheit und dem Robert-Koch-Institut vertretenen Auffassung entsprach, dass eine Impfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 vor einer Übertragung des Virus schütze.
Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin scheiterte am Grundsatz der sog. Monokausalität, da die Erkrankung der Klägerin wegen des zugleich fehlenden Immunitätsnachweises nicht die alleinige Ursache für den Verdienstausfall gewesen war.
Dagegen war die Klage auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte erfolgreich; denn eine Abmahnung soll, so das BAG, den Arbeitnehmer grundsätzlich auf eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten aufmerksam machen, ihn für die Zukunft zu einem vertragstreuen Verhalten auffordern und ihm mögliche Konsequenzen für den Fall einer erneuten Pflichtverletzung aufzeigen. In der unterlassenen Vorlage eines Immunitätsnachweises liege nach Auffassung des Gerichts jedoch keine abmahnfähige Pflichtverletzung. Das in Art. 2 Abs. 1 GG wurzelnde Selbstbestimmungsrecht der im Pflegebereich Tätigen, in freier Entscheidung eine Impfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 abzulehnen, sowie deren Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) hätten Arbeitgeber als höchstpersönliche Entscheidung der Arbeitnehmer zu respektieren. Zudem sei die Erteilung der Abmahnung aufgrund der mit i...