BAG, Urteil vom 28.5.2024, 9 AZR 76/22 sowie weitere Urteile
Leitsatz (amtlich)
1. Bewilligt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer antragsgemäß Urlaub und zahlt an ihn Urlaubsentgelt, erfüllt er den Urlaubsanspruch ungeachtet des Umstands, dass die zuständige Behörde anschließend für denselben Zeitraum die Absonderung des selbst nicht erkrankten Arbeitnehmers in häusliche Quarantäne anordnet, weil er mit einer Person Kontakt gehabt hat, die mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infiziert gewesen ist.
2. Die von dem Arbeitnehmer ausgehende Ansteckungsgefahr, die den Grund für die Quarantäneanordnung bildet, ist mangels eines regelwidrigen Körperzustands keine Krankheit i. S. d. § 9 BUrlG. Eine analoge Anwendung des § 9 BUrlG scheidet aus, da weder eine planwidrige Regelungslücke vorliegt noch die Regelungsgegenstände hinreichend vergleichbar sind.
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger Urlaub aus dem Jahr 2020 nachzugewähren, und in diesem Zusammenhang darüber, ob die Anordnung häuslicher Quarantäne für Zeiträume, für die bereits Urlaub bewilligt war, der Erfüllung dieser Urlaubsansprüche entgegensteht.
Die Beklagte bewilligte dem Kläger auf seinen Antrag 8 Tage Erholungsurlaub für die Zeit vom 12. bis zum 21.10.2020. Am 14.10.2020 wurde die Absonderung des Klägers in häusliche Quarantäne für die Zeit vom 9. bis zum 21.10.2020 angeordnet mit der Begründung, er habe Kontakt zu einer mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizierten Person gehabt. In diesem Zeitraum durfte der Kläger seine Wohnung nicht verlassen und musste den Empfang von Besuchen sowie den Kontakt zu Mitbewohnern und Angehörigen auf das Notwendigste beschränken. Arbeitsunfähig erkrankt war der Kläger nicht.
Die Beklagte zahlte an den Kläger für den bewilligten Urlaubszeitraum Urlaubsentgelt.
Mit seiner Klage hat der Kläger dann geltend gemacht, ihm stünden aus dem Jahr 2020 noch 8 Arbeitstage Urlaub zu. Er begründete dies damit, dass infolge der nachträglichen Quarantäneanordnung hinsichtlich des bereits bewilligten Urlaubs keine Erfüllung eingetreten sei; denn es sei ihm nicht möglich gewesen, seinen Urlaub selbstbestimmt zu gestalten. Die Situation bei einer Quarantäneanordnung sei der einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vergleichbar.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, vor dem LAG hatte die Klage Erfolg. Das BAG hatte mit Beschluss vom 16.8.2022 (9 AZR 76/22 A) das Verfahren ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Union um Vorabentscheidung der Frage ersucht, ob Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahingehend auszulegen seien, dass sie einer innerstaatlichen Regelung oder Praxis entgegenstehen, der zufolge ein vom Arbeitnehmer beantragter und vom Arbeitgeber bewilligter bezahlter Jahresurlaub, der sich mit einer nach Urlaubsbewilligung durch die zuständige Behörde wegen Ansteckungsverdachts angeordneten häuslichen Quarantäne zeitlich überschneidet, nicht nachzugewähren sei, wobei beim Arbeitnehmer während der Quarantäne keine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit besteht. Aufgrund der Entscheidung des EuGH vom 14.12.2023 (C-206/22 – [Sparkasse Südpfalz]) hat der Senat sein Vorabentscheidungsersuchen mit Beschluss vom 23.1.2024 zurückgezogen.
Die Entscheidung
Die Klage hatte nun vor dem BAG keinen Erfolg.
Das Gericht entschied, dass der Urlaubsanspruch mit der bezahlten Freistellung des Klägers von der Arbeitspflicht in der Zeit vom 12. bis zum 21.10.2020 erfüllt sei; denn Zeiten häuslicher Quarantäne fallen weder unter das gesetzliche Anrechnungsverbot des § 9 BUrlG noch rechtfertigten sie eine entsprechende Anwendung dieser gesetzlichen Ausnahmevorschrift. Deshalb verbleibe es bei dem Grundsatz, dass nach Festlegung des Urlaubszeitraums eintretende urlaubsstörende Ereignisse als Teil des persönlichen Lebensschicksals in den Risikobereich des Arbeitnehmers fielen.
Das BAG führte aus, dass der Arbeitgeber bezahlte Freistellung zum Zweck der Erholung und Entspannung schulde, jedoch keinen bestimmten "Urlaubserfolg" (vgl. BAG, Urteil v. 25.8.2020 – 9 AZR 612/19), so dass er auch nicht für eine bestimmte "Qualität" des Freistellungszeitraums einzustehen habe. Die zum Zweck der Erholung und Entspannung des Arbeitnehmers bewilligte bezahlte Freistellung erfülle daher den Urlaubsanspruch auch dann, wenn er seine Freizeit infolge später eintretender urlaubsstörender Ereignisse nicht uneingeschränkt so gestalten könne, wie er sich dies eigentlich vorgestellt hatte (vgl. BAG, Urteil v. 16.8.2022 – 9 AZR 76/22 (A); 25.8.2020 – 9 AZR 612/19).
Mit der Festlegung des Urlaubszeitraums auf Wunsch des Arbeitnehmers gem. § 7 BUrlG habe der Arbeitgeber als Schuldner des Anspruchs auf bezahlte Freistellung das zu seiner Leistung Erforderliche getan. Die Arbeitspflicht sei dann einvernehmlich mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben. Treten anschließend zusä...