Entscheidungsstichwort (Thema)
Befristung der Rückzahlung rechtsgrundlos als Altersrente bezogener Beträge. Zweck der Verordnung Nr. 1408/71 in einer bloßen Koordinierung der nationalen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit und nicht in ihrer Harmonisierung. Maßgeblichkeit des nationalen Rechts für die Verjährung oder die Rückforderung rechtsgrundlos gezahlter Beträge. Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität. Rechtsgrundlose Rentenaufstockung wegen Überschreitung der zulässigen Einkommenshöchstgrenze im Zusammenhang mit dem Gebrauchmachen von dem Recht auf Freizügigkeit. Rentenbemessung eines ehemaligen Wanderarbeitnehmers, der Beiträge zu den Systemen der sozialen Sicherheit mehrerer Mitgliedstaaten geleistet hat
Beteiligte
Istituto nazionale della previdenza sociale (INPS) |
Verfahrensgang
Tribunale ordinario di Roma (Italien) |
Tenor
Da die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 geänderten und aktualisierten Fassung nur die Koordinierung der nationalen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit gewährleistet, ist auf einen Sachverhalt, der sich daraus ergibt, dass einem Betroffenen, der wegen seiner Zugehörigkeit zu den Systemen der sozialen Sicherheit verschiedener Mitgliedstaaten mehrere Renten bezieht, eine Aufstockung seiner Rente wegen Überschreitung der zulässigen Einkommenshöchstgrenze rechtsgrundlos gezahlt worden ist, das nationale Recht anwendbar. Die Frist von zwei Jahren in den Artikeln 94, 95, 95a und 95b der Verordnung Nr. 1408/71 kann auf einen solchen Sachverhalt nicht entsprechend angewandt werden.
Das nationale Recht muss jedoch den gemeinschaftlichen Äquivalenzgrundsatz, wonach das Verfahren für die Behandlung von Sachverhalten, die ihren Ursprung in der Ausübung einer Gemeinschaftsfreiheit haben, nicht weniger günstig sein darf als das Verfahren für die Behandlung rein innerstaatlicher Sachverhalte, und den gemeinschaftlichen Grundsatz der Effektivität wahren, wonach dieses Verfahren die Ausübung der aus dem Sachverhalt mit gemeinschaftlichem Ursprung entstandenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren darf.
Diese Grundsätze sind auf sämtliche Verfahrensbestimmungen für die Behandlung von Sachverhalten, die ihren Ursprung in der Ausübung einer Gemeinschaftsfreiheit haben, unabhängig davon anzuwenden, ob es sich um ein Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren handelt, wie die für die Verjährung und die Rückforderung rechtsgrundlos gezahlter Beträge geltenden nationalen Bestimmungen oder diejenigen, die die zuständigen Träger verpflichten, den guten Glauben der Betroffenen zu berücksichtigen oder deren Situation in Bezug auf Renten regelmäßig zu überprüfen.
Gründe
1.
Das Tribunale ordinario di Roma ersucht den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften durch Beschluss vom 24. Januar 2002, bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen am 8. Februar 2002, um Vorabentscheidung über die Auslegung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71) und der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 574/72).
2.
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit des Herrn Pasquini (im Folgenden: Kläger) gegen das Istituto nazionale della previdenza sociale (Staatliche Anstalt für soziale Vorsorge, im Folgenden: INPS), bei dem es um einen Bescheid des INPS geht, mit dem der Kläger aufgefordert wurde, rechtsgrundlos als Altersrente bezogene Beträge zurückzuzahlen.
Rechtlicher Rahmen
Das Gemeinschaftsrecht
3.
Artikel 49 der Verordnung Nr. 1408/71, der zu Kapitel 3, Alter und Tod (Renten), des Titels III dieser Verordnung gehört, regelt die Berechnung der Leistungen insbesondere für den Fall, dass der Betreffende nicht gleichzeitig die Voraussetzungen nach sämtlichen Rechtsvorschriften erfüllt, nach denen Versicherungs- oder Wohnzeiten zurückgelegt wurden. Er bestimmt:
(1)
Erfüllt der Betreffende zu einem bestimmten Zeitpunkt, gegebenenfalls auch unter Berücksichtigung des Artikels 45 und/oder des Artikels 40 Absatz 3, nicht die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung nach den Rechtsvorschriften aller Mitgliedstaaten, die für ihn galten, sondern nur die Voraussetzungen nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer dieser Staaten, so gilt Folgendes:
a)
Jeder zus...