Der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch ist auch nach Ablauf des Urlaubsjahres bzw. des bisherigen übertariflichen Übertragungszeitraums von zwölf Monaten zu gewähren, wenn die oder der Beschäftigte diesen Urlaub wegen Arbeitsunfähigkeit nicht nehmen konnte. Endet das Arbeitsverhältnis während der Arbeitsunfähigkeit, ist der noch zustehende, nicht genommene und noch nicht verfallene Urlaub insgesamt abzugelten (Gesamturlaubsanspruch aus gesetzlichem Mindesturlaub und tariflichem Mehrurlaub). Um dem Rechnung zu tragen, ist § 7 Abs.3 BUrlG unionsrechtskonform dahin gehend auszulegen, dass gesetzliche Mindesturlaubsansprüche vor Ablauf eines Zeitraums von fünfzehn Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres nicht erlöschen, wenn der oder die Beschäftigte aus gesundheitlichen Gründen an seiner/ihrer Arbeitsleistung gehindert war. Sie gehen jedoch spätestens mit Ablauf des 31. März des zweiten Folgejahres unter.

Die Urteile des EuGH und des BAG bezogen sich ausdrücklich nur auf den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch (vgl. zuletzt BAG vom 22. Mai 2012 - 9 AZR 575/10 -). Der darüber hinausgehende tarifliche Mehrurlaubsanspruch unterfällt nicht den Bestimmungen der Arbeitszeitrichtlinie. Die Tarifvertragsparteien sind deshalb grundsätzlich frei, für diesen Anspruch eigene Verfallsregelungen mit einem eigenständigen Fristenregime zu treffen. Allerdings verlangt das BAG deutliche Anhaltspunkte für den Willen der Tarifvertragsparteien, zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen tarifvertraglichen Ansprüchen zu unterscheiden. Mit der o. g. BAG-Entscheidung bestätigte der Urlaubssenat, dass § 26 Abs. 2 Buchst. a TVöD mit den Regelungen zur Übertragung und zum Verfall von Urlaubsansprüchen ein eigenständiges Fristenregime, losgelöst von § 7 Abs. 3 BUrlG, darstellt. In der Praxis gelten für die tariflichen Mehrurlaubsansprüche die tarifvertraglich bzw. übertariflich vereinbarten Übertragungs- und Verfallsfristen; und zwar auch dann, wenn der Urlaub aufgrund von langfristiger Erkrankung nicht in Anspruch genommen werden konnte.

1. Mindesturlaub nach dem BUrlG

1.1 Urlaubsanspruch

§ 3 BUrlG regelt die Höhe des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs. Danach beträgt der jährliche Vollurlaub bei einer Fünf-Tage-Woche 20 Arbeitstage; etwaige Teilurlaubsansprüche hingegen regelt § 5 BUrlG. Dieser Mindesturlaubsanspruch bleibt den Beschäftigten zunächst erhalten, auch wenn sie ihn wegen Arbeitsunfähigkeit im laufenden Kalenderjahr und in dem sich anschließenden übertariflichen Übertragungszeitraum von zwölf Monaten nicht verwirklichen konnten. Hinsichtlich der in Fällen fortdauernder Arbeitsunfähigkeit nach unionsrechtlichen Vorgaben erforderlichen Mindestlänge des Übertragungszeitraums ist jedoch zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub und dem tariflichen Mehrurlaub zu unterscheiden (siehe Ziffer 1.1.4).

1.1.1 Inanspruchnahme (bei rechtzeitiger Rückkehr aus der Arbeitsunfähigkeit)

Geht der übertragene Urlaubsanspruch wegen andauernder Arbeitsunfähigkeit trotz Ablauf des übertariflichen Übertragungszeitraums nicht unter, verfällt er gleichwohl, wenn der Arbeitnehmer im Kalenderjahr oder im Übertragungszeitraum so rechtzeitig gesund und arbeitsfähig wird, dass er in der verbleibenden Zeit den Urlaub hätte nehmen können (BAG vom 9. August 2011 - 9 AZR 425/10 -). Zu den Einzelheiten siehe Ziffer 1.1.4 Buchstabe b sowie dortiges Beispiel.

1.1.2 Rente auf Zeit im Anschluss an die Arbeitsunfähigkeit

Das BAG hat in seiner Entscheidung vom 7. August 2012 - 9 AZR 353/10 - unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH [u. a. Urteil vom 24. Januar 2012 - C 282/10 (Rechtssache Dominguez)] festgestellt, dass der gesetzliche Erholungsurlaub nach §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG und der Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen nach § 125 Abs. 1 SGB IX keine Arbeitsleistung des Arbeitnehmers im Urlaubsjahr voraussetzen. Voraussetzung für das Entstehen des Urlaubsanspruchs ist nach dem Bundesurlaubsgesetz allein das Bestehen des Arbeitsverhältnisses (Juris-Rz. 8, 12 a. a. O.). Das in § 33 Abs. 2 Satz 6 TVöD angeordnete Ruhen des Arbeitsverhältnisses während des Bezugs einer Rente auf Zeit (z. B. befristete Rente wegen Erwerbsminderung) hindert somit nicht das Entstehen von Urlaubsansprüchen in diesen Jahren (vgl. Juris-Rz. 7, 8, 15 a. a. O.).

Sowohl der gesetzliche Mindesturlaub als auch der Zusatzurlaub nach § 125 Abs. 1 SGB IX stehen aufgrund ihrer Unabdingbarkeit nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien. Das BAG hat in seiner Entscheidung darauf erkannt, dass eine Tarifvorschrift wie § 26 Abs. 2 Buchst. c TVöD, die die Verminderung der Urlaubsansprüche an das Ruhen des Arbeitsverhältnisses anknüpft, und somit gemäß § 33 Abs. 2 Satz 6 TVöD an den Bezug Rente auf Zeit, insoweit unwirksam ist, als sie auch die Verminderung gesetzlicher Urlaubsansprüche von Arbeitnehmern erfasst, die aus gesundheitlichen Gründen an der Arbeitsleistung gehindert sind. Im Fall des Bezugs einer zeitlich befristeten Erwerbsminderungsrente wirkt sich die Tarifvorschrift des § 26 Abs. 2 Buchst. c TVöD, nach der sich die Dauer des Erholungsurlaubs einschließlich eines etwaigen (tariflichen) Zusatzurlaubs für jeden vollen Kalendermonat um ein Zw...

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