rechtskräftig
Leitsatz (amtlich)
Der Betriebsrat hat ein Mitbestimmungsrecht, wenn der Arbeitgeber in formalisierter Weise Krankenberichte einholt und dabei Erklärungen über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht einholt.
Normenkette
BetrVG § 87 Abs. 1 Ziff. 1
Verfahrensgang
ArbG Wetzlar (Beschluss vom 03.05.1993; Aktenzeichen 1a BV 5/93) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Beschwerde des antragstellenden Betriebsrats wird der Beschluß des Arbeitsgerichts Wetzlar vom 03. Mai 1993 – 1a BV 5/93– teilweise abgeändert:
Es wird festgestellt, daß der Arbeitgeber verpflichtet ist, das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats vor der Einholung von Krankenberichten mittels formalisierter schriftlicher oder mündlicher Aufforderung zu beachten.
Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird für beide Beteiligte zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Ziff. 1 BetrVG zusteht, wenn der Arbeitgeber in formalisierter Weise Krankenberichte von Arbeitnehmern einholt, sie streiten weiterhin über die Frage, ob der Arbeitgeber die so gewonnenen Erkenntnisse verwenden darf.
Der Antragsteller des vorliegenden Verfahrens ist der bei der Antragsgegnerin (im folgenden: der Arbeitgeber) gebildete Betriebsrat. Der Arbeitgeber betreibt ein Furnier-, Spanplatten-, Säge- und Parkettwerk, in dem ca. 270 Arbeitnehmer beschäftigt sind.
Nachdem sich die Fehlzeitenquote insbesondere im Furnierwerk deutlich im Vergleich zu derjenigen des Gesamtbetriebs erhöht hatte, führte der Arbeitgeber in der Zeit vom 10. bis 16.02.1993 eine „Aktion” durch, bei der ca. 30 Arbeitnehmer in einem persönlichen Gespräch mit dem Personalleiter zu ihren krankheitsbedingten Fehlzeiten der letzten drei Jahre befragt wurden. Den Arbeitnehmern wurden vorbereitete Erklärungen vorgelegt, in denen die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden wurden. Ca. 90 % der Arbeitnehmer unterzeichneten diese Erklärung. Der Betriebsrat hat behauptet, die Arbeitnehmer seien ohne Grund in die Personalabteilung gebeten worden. Ihnen sei gesagt worden, es müßten Mitarbeiter entlassen werden, daher sei eine Prognose über den künftigen Gesundheitszustand erforderlich. Die Mitarbeiter seien quasi verpflichtet worden, die Schweigepflichtentbindungen zu unterschreiben, wirklich freiwillig sei dies nicht geschehen. Nicht anwesende Arbeitnehmer seien mittels Schreiben wie vom 11.02.1993 (Bl. 4 d. A.) dazu aufgefordert worden.
Der Betriebsrat hat gemeint, sein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Ziff. 1 BetrVG sei durch diese Aktion verletzt worden. Es gehe nicht um die Regelung eines einzelnen Krankengesprächs, sondern generell um das Vorgehen des Arbeitgebers bei der Führung solcher Gespräche mit häufig bzw. langfristig erkrankten Arbeitnehmern mit dem Ziel der Feststellung der Fehlzeitenursachen und der Eignung für den eingenommenen Arbeitsplatz. Durch solche Gespräche sollte auch das Krankheitsverhalten der Arbeitnehmer mit dem Ziel, die Krankheitsquote zu senken, beeinflußt werden. Hierdurch sei das Ordnungsverhalten betroffen. Die unter Verletzung des Mitbestimmungsrechts erhaltenen Unterlagen seien zu vernichten bzw. an die Arbeitnehmer herauszugeben.
Der Betriebsrat hat beantragt,
- der Antragsgegnerin zu untersagen, die anläßlich einer in der Zeit vom 10.–16.02.1993 stattgefundenen Befragung über den Gesundheitszustand von Arbeitnehmern gewonnenen Erkenntnisse individualrechtlich zu verwenden und die erlangten schriftlichen Unterlagen (insbesondere Entbindungserklärungen von der Schweigepflicht, Arztaussagen, Krankenberichte der Krankenkasse) den betroffenen Arbeitnehmern herauszugeben;
- festzustellen, daß die Antragsgegnerin verpflichtet ist, vor der Einholung von Krankenberichten mittels formalisierter schriftlicher oder mündlicher Aufforderung das Mitbestimmungsrecht des Antragstellers zu beachten.
Der Arbeitgeber hat beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Der Arbeitgeber hat behauptet, den Arbeitnehmern sei ausdrücklich gesagt worden, daß die Unterschrift unter die bereits ausgefüllte Schweigepflichtentbindungserklärung freiwillig sei, zu einer Unterschrift sei niemand gezwungen worden. Es sei auch den Mitarbeitern nicht gesagt worden, daß Arbeitnehmer entlassen werden müßten. Dies schließe aber nicht aus, daß im Einzelfall auch krankheitsbedingte Kündigungen ausgesprochen würden. Nicht anwesende Mitarbeiter seien nicht schriftlich aufgefordert worden, die Schweigepflichtentbindungserklärung zu unterschreiben. Von den Entbindungserklärungen sei noch kein Gebrauch gemacht worden. Der Arbeitgeber sei zu einer Erforschung der Krankheitsursachen im Rahmen seiner Fürsorgepflicht gehalten, um evtl. arbeitsplatzspezifische Einflüsse abstellen zu können. Die Schweigepflichtentbindungen dienten dazu, um sich ein Bild über die Prognose der Krankheitsverläufe machen zu können.
Das Arbeitsgericht hat mit seinem am 03.05.1993 verkündeten Besc...