Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Kündigung. Vorteilsnahme. Hemmung der Ausschlussfrist durch Ersuchen der Staatsanwaltschaft

 

Leitsatz (amtlich)

Der Lauf der Ausschlussfrist von § 626 Abs. 2 Satz 1, 2 BGB wird nicht dadurch gehemmt, dass der Informant des Kündigungsberechtigten mit der Verwertung der Information nicht einverstanden ist, sofern nicht aus bestimmten Rechtsgründen ein Verwertungsverbot besteht. Dies gilt auch für ein Ersuchen der Staatsanwaltschaft, durch die Einsicht in eine Ermittlungsakte gewonnene Erkenntnisse zunächst nicht zu verwerten.

Nach hessischem Gemeinderecht kommt es für den Beginn des Laufs der Ausschlussfrist auf die Kenntnis des Gemeindevorstandes als Gremium an. Kenntnisse eines nicht kündigungsbefugten Personalamtes sind der Gemeinde nur zuzurechnen, wenn deren Nichtweitergabe an den Gemeindevorstand auf einem Organisationsmangel beruhte.

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1-2; BAT §§ 8, 10, 54 Abs. 1-2; HGO §§ 71, 73

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 18.12.2001; Aktenzeichen 5 Ca 1991/01)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen dasUrteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 18. Dezember 2001 – 5 Ca 1991/01 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

Der im Jahr 1945 geborene, ledige Kläger war für die beklagte Stadt (im Folgenden: Beklagte) gemäß eines Vertrages vom 02. Juni 1986 seit 03. Juni 1986 als Betriebsangestellter tätig. Gemäß § 2 des Arbeitsvertrages richtete sich das Arbeitsverhältnis nach den Vorschriften des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen. Der Kläger war zuletzt in die Vergütungsgruppe BAT VI b eingruppiert und erhielt eine Bruttomonatsvergütung von DM 3.827,17. Er wurde im Bereich der als Eigenbetrieb organisierten Marktbetriebe der Beklagten als Aufseher für die Wochenmärkte … und … beschäftigt und war u.a. für die Marktaufsicht, die Vergabe der Stände und die Gebührenfestsetzung und -erhebung zuständig. Außerdem war er Vorsitzender des bei den Marktbetrieben gebildeten Personalrats. Die Betriebssatzung der Marktbetriebe, wegen deren Inhalt im Übrigen auf die Anlage zum Schriftsatz vom 18. März 2003 (Bl. 204, 205 d.A.) Bezug genommen wird, enthält u.a. folgende Regelungen:

㤠3

Leitung des Eigenbetriebes

(1) Der Magistrat bestellt zur Leitung des Eigenbetriebes eine/n Betriebsleiter/in (nachfolgend Betriebsleitung genannt).

(2) Der Eigenbetrieb wird von der Betriebsleitung selbständig geleitet, soweit das Eigenbetriebsgesetz oder diese Satzung nichts anderes bestimmen. Ihr obliegt insbesondere die laufende Betriebsführung nach § 4 Abs. 1 EigBGes. Dazu gehören alle Maßnahmen, die zur Aufrechterhaltung des Betriebes laufend notwendig sind.

§ 6 Personalangelegenheiten

(1) Die Personalverwaltung des Eigenbetriebs erfolgt nach den für die Stadtverwaltung geltenden Grundsätzen.

(2) Die Befugnisse des Magistrats bei der Einstellung von Arbeitern/Arbeiterinnen und von Angestellten des Betriebsdienstes der Marktbetriebe (Abteilung Marktbetrieb, Werkstatt) bis einschließlich VergGr. V b BAT werden gemäß § 9 Abs. 2 EigBGes auf die Betriebsleitung übertragen.

(3) Dienstvorgesetzte/r der beim Eigenbetrieb Beschäftigten ist der/die Oberbürgermeister/in. Ständige/r Vertreter/in in dieser Eigenschaft ist der/die Betriebsleiter/in.

§ 7

Vertretung des Eigenbetriebes

(1) Die Betriebsleitung vertritt vorbehaltlich § 3 Abs. 2 EigBGes die Stadt in allen Angelegenheiten des Eigenbetriebes, soweit sie nicht nach § 5 EigBGes der Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung oder nach § 8 EigBGes der Entscheidung des Magistrats unterliegen. …

(2) Der Magistrat vertritt den Eigenbetrieb in allen Angelegenheiten, die der Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung unterliegen. …

§ 9

Zuständigkeit anderer städtischer Stellen

(1) …

(2) Zuständigkeit des Personal- und Organisationsamtes:

Das Personal- und Organisationsamt ist zuständig für alle Personalangelegenheiten, soweit diese nicht gemäß § 6 Abs. 2 der Betriebsleitung übertragen sind. …”

Die Aufgaben und die Zusammenarbeit der Ämter und sonstigen Verwaltungseinheiten sind in der „Allgemeinen Geschäftsanweisung der … Stadtverwaltung” (AGA) geregelt. Das Personal- und Organisationsamt (nachfolgend: POA) ist danach u.a. zuständig für Personalangelegenheiten der Bediensteten der Beklagten. Eine Entscheidungsbefugnis über den Ausspruch von Kündigungen gegenüber städtischen Angestellten ist dem POA nicht zugewiesen. Wegen der Einzelheiten der AGA wird auf die Anlage zum Schriftsatz vom 27. März 2003 (Bl. 216–237 d.A.) Bezug genommen.

Im September 1999 erhielt der POA anlässlich eines verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreits Kenntnis über Vorwürfe einer Standbetreiberin auf dem Wochenmarkt …, dass diese sich vielfältigen Schikanen des Klägers ausgesetzt sehe, weil sie nicht die „marktüblichen Zusatzleistungen” erbringe. In einer von der An...

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